Folgen der gerichtlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts

Gericht

BVerwG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

20. 11. 1997


Aktenzeichen

5 C 1/96


Leitsatz des Gerichts

Kraft der gerichtlichen Entscheidung nach § 113 I 4 VwGO ist nicht mehr der Regelungsgehalt des Verwaltungsakts rechtlich maßgeblich, sondern die Rechtslage, die ohne Geltung des gerichtlich als rechtswidrig festgestellten Verwaltungsaktes besteht.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. und seine Familie bezogen von der Bekl. Hilfe zum Lebensunterhalt. Mit Bescheid vom 19. 11. 1984 verpflichtete ihn die Bekl. vom 20. 11. 1984 an zur Arbeit von acht Stunden täglich (in der Praxis von Montag bis Freitag) als gemeinnützige und zusätzliche Arbeit (§ 19 BSHG) bei einer Entschädigung für Mehraufwendungen in Höhe von zunächst 1 DM je Stunde, später 1,50 DM je Stunde. Der Widerspruch dagegen wurde zurückgewiesen. Nachdem die Bekl. dem Kl. mit Schreiben vom 8. 4. 1986 mitgeteilt hatte, daß sein Arbeitseinsatz mit Wirkung vom 12. 4. 1986 beendet sei, weil sie ihm keine Arbeitsmöglichkeit mehr zu Verfügung stellen könne, stellte der Kl. seine Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 19. 11. 1984 um und beantragte, dessen Rechtswidrigkeit festzustellen. Das VG stellte mit rechtskräftigem Urteil vom 10. 7. 1986 (VG 10 A 196/85) nach § 113 I 4 VwGO fest, daß der Bescheid vom 19. 11. 1984 rechtswidrig gewesen sei, weil das Verlangen einer Arbeit von vierzig Wochenstunden bei bloßer Mehraufwandsentschädigung nach § 19 II BSHG nicht gerechtfertigt sei. Mit Bescheid vom 14. 10. 1986 teilte die Bekl. dem Kl. mit, daß ihm der Wert der Dienstleistungen unter Anrechnung sämtlicher (zeitgleich) empfangener Sozialhilfeleistungen im Wege der Folgenbeseitigung zu erstatten sei, und erklärte sich bereit, ihm eine Abschlagszahlung von 9000 DM zu gewähren. Nachdem der Kl. diese Abschlagszahlung abgelehnt und zurückgezahlt hatte, hob die Bekl. den Bescheid vom 14. 10. 1986 unter dem 21. 8. 1987 auf. Die Klage des Kl. zu den ArbG auf tarifliche Entlohnung ist dort wegen Unzulässigkeit des arbeitsgerichtlichen Rechtswegs erfolglos geblieben (BAG, ZfF 1990, 256). Nach der Verweisung des Rechtsstreits durch das LAG an das VG hat dieses die Klage auf Leistungen für die seit dem 20. 11. 1984 erbrachte Arbeit abgewiesen. Die Berufung des Kl. hat das OVG zurückgewiesen.

Die Revision des Kl. hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Revision des Kl. ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 I Nr. 1 VwGO). Da eine abschließende Entscheidung des Rechtsstreits noch tatsächliche Feststellungen erfordert, die zu treffen dem RevGer. verwehrt ist (§ 137 II VwGO), muß die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das OVG zurückverwiesen werden (§ 144 III 1 Nr. 2 VwGO).

Zwar ist das BerGer. zu Recht davon ausgegangen und ist unter den Bet. nicht streitig, daß für das Klagebegehren auf Ausgleich für die auf rechtswidrige Verpflichtung zu gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit hin erbrachte Arbeit ein öffentlichrechtlicher Erstattungsanspruch in Betracht kommt und ein solcher Anspruch voraussetzt, daß die Bekl. die vom Kl. geleistete Arbeit ohne rechtlichen Grund erlangt hat. Zutreffend ist weiter die Auffassung des BerGer., daß auch ein rechtswidriger, aber (noch) rechtswirksamer Verwaltungsakt Rechtsgrund für eine empfangene Leistung sein kann. Denn anders als rechtswidrige Rechtsnormen und bloße Willenserklärungen sind rechtswidrige Verwaltungsakte, wenn sie nicht nichtig sind (§§ 39 III , 40 SGB X), wirksam (§ 39 I , II SGB X). Sie können allerdings wegen ihrer Rechtswidrigkeit aufgehoben (§ 113 I 1 VwGO) oder zurückgenommen (§ 39 II SGB X) oder aus anderen Gründen aufgehoben werden oder sich auf andere Weise erledigen (§ 113 I 4 VwGO, § 39 II SGB X). Während der Wirksamkeit des Verwaltungsakts ist die mit ihm getroffene Regelung ungeachtet seiner Rechtmäßig- oder Rechtswidrigkeit rechtlich maßgeblich.

Zu Unrecht aber meint das BerGer., der Bescheid der Bekl. vom 19. 11. 1984 mit der Verpflichtung des Kl., bei der Bekl. gemeinnützige und zusätzliche Arbeit zu verrichten, sei noch "in der Welt", er äußere noch Rechtswirkungen, soweit sich sein Regelungsgehalt nicht erledigt habe. Erledigt habe sich die Verpflichtung zu gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit nur mit Wirkung vom 12. 4. 1986 aufgrund der Mitteilung der Bekl., daß von da an eine Arbeitsmöglichkeit nicht mehr zur Verfügung gestellt werden könne, nicht dagegen für die zurückliegende Zeit, so daß der Bescheid weiterhin den rechtlichen Grund für die bis dahin geleistete Arbeit darstelle und damit einem Erstattungsanspruch entgegenstehe.

Mit seiner Ansicht, der Bescheid vom 19. 11. 1984 äußere, soweit er die Verpflichtung zu der vom Kl. erbrachten Arbeit enthalte, "Rechtswirkungen wie jeder andere bestandskräftige Verwaltungsakt, sei er rechtswidrig oder rechtmäßig", verkennt das BerGer. die rechtliche Bedeutung des Urteils des VG vom 10. 7. 1986. Mit diesem Urteil hat das VG nicht - wie das BerGer. meint - lediglich festgestellt, daß der Verpflichtungsbescheid vom 19. 11. 1984 rechtswidrig "ist", sondern ausweislich der Entscheidungsgründe, die zur Auslegung des Tenors heranzuziehen sind, nach § 113 I 4 VwGO die Feststellung treffen wollen und getroffen, daß der Verpflichtungsbescheid (und der dazugehörige Widerspruchsbescheid) rechtswidrig "gewesen ist" (sind). Denn im rechtskräftigen Feststellungsurteil des VG, worauf das BerGer. verweist, ist ausgeführt worden, daß sich die Verpflichtung zur Arbeit durch das Ende des Arbeitseinsatzes erledigt habe und die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage gem. § 113 I 4 VwGO mit dem berechtigten Interesse des Kl. an der Feststellung, daß die Verwaltungsakte rechtswidrig gewesen sind, zulässig und auch begründet sei.

Voraussetzung für Fortsetzungsfeststellungsurteile nach § 113 I 4 VwGO ist, daß sich der Verwaltungsakt vorher, also vor der gerichtlichen Entscheidung, durch Zurücknahme oder anders erledigt hat. In Fällen dieser Art läßt § 113 I 4 VwGO anstelle der Aufhebung durch Urteil nach § 113 I 1 VwGO die Feststellung durch Urteil genügen, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, um dem Bürger funktionsgleichen Rechtsschutz gegenüber einer Inanspruchnahme aus einem rechtswidrigen Verwaltungsakt zu gewähren, wie er ihn mit einem Aufhebungsurteil nach § 113 I 1 VwGO erreichen könnte. Voraussetzung dafür ist, daß der Kl. ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit hat. Daraus ergibt sich, daß der Verwaltungsakt, soweit das Gericht nach § 113 I 4 VwGO dessen Rechtswidrigkeit festgestellt hat, keine Wirkung (mehr) entfaltet und folglich - entgegen der Annahme des OVG - nicht in Bestandskraft erwachsen sein kann. Kraft der gerichtlichen Entscheidung nach § 113 I 4 VwGO ist nicht mehr der Regelungsgehalt des Verwaltungsakts rechtlich maßgeblich, sondern die Rechtslage, die ohne Geltung des gerichtlich als rechtswidrig festgestellten Verwaltungsaktes besteht.

Mit der rechtskräftigen Feststellung im Urteil des VG vom 10. 7. 1986, daß der Bescheid der Bekl. vom 19. 11. 1984 rechtswidrig gewesen ist, steht fest, daß die Verpflichtung zur Arbeit in diesem Bescheid keine Rechtswirkung (mehr) entfaltet, also keinen Rechtsgrund für die vom Kl. erbrachte Arbeit darstellt.

Das BerGer. hat - auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung folgerichtig - offengelassen, inwieweit die weiteren Voraussetzungen für die Begründetheit des Klagebegehrens als öffentlichrechtlicher Erstattungsanspruch, z.B. zur beanspruchten Höhe der Erstattung, gegeben sind. Insofern bedarf es noch weiterer Sachaufklärung.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht; Sozialrecht

Normen

VwGO § 113 I 4; BSHG § 19