Steuerfreibetrag für Schwerbehinderte

Gericht

BSG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

24. 07. 1997


Aktenzeichen

11 RAr 45/96


Leitsatz des Gerichts

Das Diskriminierungsverbot zugunsten Behinderter (Art. 3 III 2 GG) gebietet nicht bei der Bemessung der Arbeitslosenhilfe (entsprechendes gilt für das Arbeitslosengeld) den Steuerfreibetrag für Schwerbehinderte (§ 33b EStG) zu berücksichtigen (Fortführung von BSGE 65, 214 = NZA 1990, 542 = SozR 4100 § 111 Nr. 10).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Revision betrifft den Anspruch des Kl. auf höhere Arbeitslosenhilfe ab 15. 11. 1994. Der Kl. macht geltend, als Schwerbehindertem (Grad der Behinderung 90) stünden ihm höhere Leistungen zu; die Bemessungsvorschriften müßten auch den Steuerfreibetrag für Schwerbehinderte berücksichtigen. Er bezog nach Abschluß einer von der bekl. BA geförderten beruflichen Rehabilitationsmaßnahme ab 30. 5. 1991 Arbeitslosengeld, danach Arbeitslosenhilfe, Unterhaltsgeld und wieder Arbeitslosenhilfe. Das SG hat mit Urteil vom 10. 1. 1994 die Klage abgewiesen. Während des Berufungsverfahrens bewilligte die Bekl. mit Bescheid vom 17. 7. 1994 (Widerspruchsbescheid vom 30. 12. 1994) Arbeitslosenhilfe für die Zeit ab 30. 5. 1994 bis 29. 5. 1995 nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 1340 DM sowie mit einem weiteren Bescheid vom 11. 5. 1995 Arbeitslosenhilfe für die Zeit ab 30. 5. 1995 bis 29. 5. 1996 nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 1380 DM.

Die auf höhere Arbeitslosenhilfe gerichtete Revision des Kl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. Dem Kl. steht ab 15. 11. 1994 keine höhere Arbeitslosenhilfe zu. Die Höhe der Arbeitslosenhilfe bestimmt sich nach § 136 I AFG in der hier maßgeblichen Fassung des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar,- Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. 12. 1993 (BGBl I, 2353). Nach dieser Vorschrift beträgt die Arbeitslosenhilfe für Arbeitslose, die mindestens ein Kind i.S. des § 32 I , IV und V EStG haben, 57% (Nr. 1) und für die übrigen Arbeitslosen - wie hier für den ledigen Kl. - 53% des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts (Nr. 2). Arbeitsentgelt ist im Falle der sog. Anschluß-Arbeitslosenhilfe (§ 134 I 1 Nr. 4 lit. a AFG) das Arbeitsentgelt, nach dem sich zuletzt das Arbeitslosengeld gerichtet hat (§ 136 II 1 Nr. 1 AFG). Gem. § 136 IIb S. 1 AFG ist das für die Bemessung der Arbeitslosenhilfe maßgebende Arbeitsentgelt jeweils nach Ablauf von drei Jahren seit dem Ende des Bemessungszeitraums nach § 112 VII neu festzusetzen. Da bei dem Kl. der Bemessungszeitraum, auf dem sein Anspruch auf Arbeitslosengeld und die Anschluß-Arbeitslosenhilfe beruhte, - wie vom LSG festgestellt - am 29. 5. 1991 endete, war entsprechend dem dreijährigen Zeitrhythmus zum 30. 5. 1994 das Bemessungsentgelt neu festzusetzen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die nicht angegriffen und daher für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), ergibt die turnusmäßige Neubemessung keinen Anspruch auf Festsetzung eines höheren Bemessungsentgelts, sondern ist das auf der Grundlage von 5000 DM dynamisierte Bemessungsentgelt weiterhin zutreffend. Dementsprechend hat die Bekl. die Arbeitslosenhilfe für die hier streitige Zeit ab 15. 11. 1994 zutreffend nach einer Nettolohnersatzquote von 53% und, was gem. §§ 136 III , 111 II 2 Nr. 1 lit. a, 113 AFG zutrifft, nach den Leistungssätzen der Leistungsgruppe A gewährt. Das alles wird von dem Kl. im Revisionsverfahren nicht mehr beanstandet. Die Bet. streiten jedoch darüber, ob bei der Bestimmung der Arbeitslosenhilfe-Leistungssätze auch der Freibetrag für Schwerbehinderte nach § 33b EStG berücksichtigt werden muß. Die einschlägigen Bemessungsvorschriften sehen dies nicht vor.

Der Gesetzgeber knüpft bei der Bemessung der Arbeitslosenhilfe (entsprechendes gilt beim Arbeitslosengeld) nicht an die individuelle steuerliche Situation des Arbeitslosen an. Vielmehr ist nach § 136 I AFG Grundlage ein Nettoarbeitsentgelt, das sich errechnet aus dem zugrunde zu legenden Bruttoarbeitsentgelt, „vermindert um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen“. Mit dieser Formulierung macht der Gesetzgeber deutlich, daß es sich um Abzüge handeln muß, die „üblicherweise“, „in der Regel“ vorzunehmen sind (vgl. BT-Dr 7/2722, S. 32; ebenso BSGE 51, 10 [16] = SozR 4100 § 111 Nr. 4; BSGE 76, 207 [210f.] = NZS 1996, 237 = SozR 3-4100 § 136 Nr. 4; bestätigend BVerfG, SozR 3-4100 § 136 Nr. 5; BSGE 79, 14 [19f.] = NZS 1997, 335 L = NZA-RR 1997, 313 L = SozR 3-4100 § 111 Nr. 14). Die Ausrichtung am Üblichen bzw. Regelmäßigen erklärt, weshalb bei der Bildung der Leistungssätze nur diejenigen steuerlichen Freibeträge und Kostenpauschalen zugrunde gelegt werden, die bereits in die der jeweiligen Lohnsteuerklasse zugeordneten Lohnsteuertabelle eingearbeitet sind und den laufenden Lohnsteuerabzug ohne weiteres vermindern (vgl. §§ 38b , 38c I Nrn. 1 bis 4, 6 EStG). Hingegen bleiben alle sonstigen - individuellen - Freibeträge, die kraft besonderer Eintragung auf der Lohnsteuerkarte vom Arbeitslohn abgezogen werden können (§ 39a EStG) sowie sonstige Steuervergünstigungen, die erst im Lohnsteuerjahresausgleich bzw. bei einer Veranlagung zur Einkommensteuer zu einer Steuerentlastung führen, grundsätzlich unberücksichtigt. Demzufolge werden - wie der Senat bereits ausgeführt hat (BSGE 79, 14 [19f.] = NZS 1997, 335 L = NZA-RR 1997, 313 L = SozR 3-4100 § 111 Nr. 14) - bei einem Arbeitslosen die steuerlichen Kinderfreibeträge (§ 32 VI EStG) nicht berücksichtigt. Bei dem Steuerfreibetrag für Schwerbehinderte (§ 33b EStG) handelt es sich ebenfalls um keinen gesetzlichen Abzug, der bei Arbeitnehmern „gewöhnlich“ anfällt.

Entgegen der Rechtsansicht des Kl. ist es auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß bei der Bemessung der Arbeitslosenhilfe (entsprechendes gilt für das Arbeitslosengeld) der Steuerfreibetrag für Schwerbehinderte nicht berücksichtigt wird.

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 I GG ist nicht verletzt. Nach dem allgemeinen Gleichheitssatz sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Art. 3 I GG enthält die allgemeine Weisung an den Gesetzgeber, „Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden“ zu behandeln (BVerfGE 3, 58 [135]; BVerfGE 18, 38 [46] = NJW 1964, 1411). Dabei liegt es grundsätzlich in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, die er also im Rechtssinn als gleichbehandelt ansehen will. Allerdings muß er die Auswahl sachgerecht treffen. Was dabei in Anwendung des Gleichheitssatzes sachlich vertretbar oder sachfremd und deshalb willkürlich ist, läßt sich nicht abstrakt und allgemein feststellen, sondern nur stets in bezug auf die Eigenart des konkreten Sachverhalts, der geregelt werden soll (BVerfGE 75, 108 [157] = NJW 1987, 3115, st. Rspr.). Der normative Gehalt der Gleichheitsbindung erfährt daher seine Präzisierung jeweils im Hinblick auf die Eigenart des zu regelnden Sachbereichs (BVerfGE 90, 226 [239] = SozR 3-4100 § 111 Nr. 6 m. w. Nachw.; BSGE 79, 14 [17f.] = NZS 1997, 335 L = NZA-RR 1997, 313 L = SozR 3-4100 § 111 Nr. 14). Grenzen gesetzlicher Individualisierung durch Typisierungen und Pauschalierungen können - insbesondere bei der Regelung von Massenerscheinungen - durch Erwägungen der Verwaltungsvereinfachung und Praktikabilität gerechtfertigt sein (BSGE 79, 14 [17f.] = 1997, 335 L = NZA-RR 1997, 313 L). Diese Grenzen liegen dort, wo ein sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung wesentlich gleicher oder die gesetzliche Gleichbehandlung wesentlich ungleicher Sachverhalte fehlt (BVerfGE 90, 226 [229] = NJW 1994, 2346 = NZS 1994, 419 = SozR 3-4100 § 111 Nr. 4 m. w. Nachw.).

Die hier einschlägigen Bemessungsvorschriften verletzen diese Maßstäbe nicht. Denn der Gesetzgeber hat sich im Bereich des Arbeitsförderungsgesetzes aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität für ein typisierendes Bemessungssystem entschieden, wonach zwar für die Bemessung der Arbeitslosenhilfe bzw. des Arbeitslosengelds grundsätzlich an den Nettolohn angeknüpft wird, jedoch die Lohnabzüge für die Berechnung des Nettolohns nicht individuell ermittelt werden. Wie das BVerfG ausgeführt hat, ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn im Rahmen dieses Systems ein gesetzlicher Abzug, der „gewöhnlich“ (d.h. bei der Mehrzahl der Arbeitnehmer) anfällt, in die Berechnung des maßgeblichen Nettoarbeitsentgelts auch bei solchen Arbeitslosen einfließt, die nach ihren individuellen Gegebenheiten (hier: Nichtzugehörigkeit zu einer Kirchensteuer erhebenden Kirche) keinen entsprechenden Abzug vom Bruttolohn hätten, falls sie in einem Arbeitsverhältnis stünden (BVerfGE 90, 226 [237f.] = NJW 1994, 2346 = NZS 1994, 419 = SozR 3-4100 § 111 Nr. 6). Gleichermaßen verletzt - wie der Senat 1996 dargelegt hat - die Nichtberücksichtigung der Kinderfreibeträge des Steuerrechts (§ 32 VI EStG) bei der Bestimmung des für die Höhe des Arbeitslosengelds und der Arbeitslosenhilfe maßgeblichen Nettoarbeitsentgelts (§ 111 II AFG) nicht Art. 3 I GG (vgl. BSGE 79, 14 [17f.] = NZS 1997, 335 L = NZA-RR 1997, 313 L = SozR 3-4100 § 111 Nr. 14). Nichts anderes gilt für den hier in Rede stehenden Freibetrag für Schwerbehinderte nach § 33b EStG. Dies hat der Senat bereits 1989 entschieden (BSGE 65, 214 = NZA 1990, 542 = SozR 4100 § 111 Nr. 10). An dieser Rechtsprechung ist nach erneuter Überprüfung im Ergebnis festzuhalten.

Die Nichtberücksichtigung des Steuerfreibetrags für Schwerbehinderte führt zwar zu einem prozentual höheren Nettoeinkommensverlust als bei anderen Arbeitnehmern. Im Fall des Kl. hätte der Pauschbetrag nach § 33b EStG bei dem festgestellten Grad der Behinderung (90) 2400 DM jährlich betragen (§ 33b III 2 EStG). Statt dessen erhält der Kl. Arbeitslosenhilfe nur in der Höhe, die auch dem nicht Schwerbehinderten zusteht. Dies beruht darauf, daß trotz einer Anbindung der Leistungssätze an das Lohnsteuersystem andere Grundsätze gelten als im Steuerrecht. Die steuerliche Berücksichtigung außergewöhnlicher Belastungen i.S. des § 33 EStG, zu denen auch behinderungsbedingte Mehraufwendungen gehören, soll zwangsläufige und existentiell notwendige Aufwendungen erfassen, die über die gewöhnlichen Lebenshaltungskosten hinausgehen. Sie beruht auf der Erwägung, daß in bestimmten Fällen das von der Besteuerung auszunehmende Existenzminimum aufgrund außergewöhnlicher Umstände höher liegt, als im Normalfall (vgl. Schmidt, EStG, 16. Aufl. [1997], § 33 Rdnr. 1). Demgegenüber geht es dem Gesetzgeber im Arbeitsförderungsgesetz nicht darum, den individuellen Mehrbedarf des Arbeitslosen auszugleichen. Bei der Bemessung der Arbeitslosenhilfe bzw. des Arbeitslosengelds werden nur die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallenden Abzüge berücksichtigt mit der Folge, daß die geringere Steuerlast von Personen nicht zu höheren Leistungen führt, denen wegen außergewöhnlicher Belastungen eingeräumt wird, einen Teil ihrer außergewöhnlichen Aufwendungen vom Gesamtbetrag zu versteuernder Einkünfte abzuziehen. Diese Grundentscheidung und die hierauf beruhenden Folgen sind jedoch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auf die (geringe) Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen Nettoentgelt und Arbeitslosenhilfe bzw. Arbeitslosengeld, auf die der Senat 1989 (BSGE 65, 214 = NZA 1990, 542 = SozR 4100 § 111 Nr. 10) abgehoben hat, kommt es deshalb letztlich nicht an. Dasselbe gilt für die finanziellen Auswirkungen der steuerlichen Pauschale für Kfz-Kosten von 1560 DM jährlich, die im übrigen - soweit ersichtlich - vom Kl. erstmals in der Revisionsinstanz geltend gemacht worden ist.

Auch der Einwand des Kl., im Hinblick auf den Fortschritt in der Datenverarbeitung sei die Nichtberücksichtigung des Steuerfreibetrags für Schwerbehinderte nicht mehr hinzunehmen, greift nicht durch. Zwar mag es zutreffen, daß die Berücksichtigung der Behindertenpauschbeträge nach § 33b EStG - wie der Kl. geltend macht - bei der Leistungsberechnung keinen sehr großen Verwaltungsaufwand erfordern würde. Immerhin müßten - gestaffelt nach dem Grad der Behinderung - acht verschiedene Pauschbeträge (vgl. § 33b III 2 EStG) in die jeweiligen Leistungssätze eingearbeitet werden und in jedem Leistungsfall nach dem Grad der Behinderung gefragt und dieser gegebenenfalls bearbeitet werden. Doch kann die Frage der technischen Umsetzbarkeit solcher Gestaltungen und des damit verbundenen Verwaltungsaufwands letztlich auf sich beruhen. Hierauf hat der Senat bereits 1989 (BSGE 65, 214 = NZA 1990, 542 = SozR 4100 § 111 Nr. 10) hingewiesen. Der allgemeine Gleichheitssatz ist nicht schon dann verletzt, wenn der Gesetzgeber Differenzierungen, die er vornehmen darf, nicht vornimmt. Es ist vielmehr grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, die er also im Rechtssinn als gleich ansehen will (vgl. BVerfGE 90, 226 [229] = NJW 1994, 2346 = NZS 1994, 419 = SozR 3-4100 § 111 Nr. 4, st. Rspr.). Wie das BVerfG und das BSG wiederholt entschieden haben, hat der Gesetzgeber gerade im Bereich der Arbeitslosengeld- bzw. Arbeitslosenhilfe-Bemessung einen erheblichen Gestaltungsspielraum zur Pauschalierung und Typisierung (vgl. BVerfGE 90, 226 [229] = NJW 1994, 2346 = NZS 1994, 419 sowie BSGE 79, 14 [20] = NZS 1997, 335 L = NZA-RR 1997, 313 L = SozR 3-4100 § 111 Nr. 14 m. w. Nachw.). Für eine derartige pauschalierende bzw. typisierende Regelung bestehen auch sachlich einleuchtende Gründe. Entsprechend der Funktion der Arbeitslosenhilfe bzw. des Arbeitslosengelds, ausfallendes Arbeitseinkommen angemessen auszugleichen, müssen diese Leistungen schnell berechnet und ausgezahlt werden. Dies zwingt zu möglichst einfachen Maßstäben bei der Leistungsberechnung. Für eine praktische Handhabung bieten sich daher von Bruttoentgelten abhängige Leistungssätze an, die in Anlehnung an die nach Lohnsteuerklassen aufgebauten Lohnsteuertabellen entwickelt werden können (BSGE 79, 14 [20] = NZS 1997, 335 L = NZA-RR 1997, 313 L = SozR 3-4100 § 111 Nr. 14 m. w. Nachw.).

Schließlich erfordert auch der mit Wirkung ab 15. 11. 1994 durch das Gesetz vom 27. 8. 1994 (BGBl I, 3146) eingefügte Art. 3 III 2 GG keine abweichende Beurteilung. Hiernach darf „niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“. Entgegen der Rechtsansicht des Kl. läßt sich aus dieser Vorschrift nicht ableiten, daß der Gesetzgeber nunmehr verpflichtet wäre, die im Steuerrecht vorgesehenen Begünstigungen für Behinderte auf die Bemessung von Lohnersatzleistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz zu übertragen und die Leistungssätze für Behinderte in der Weise anzuheben, daß der ihnen bei Arbeitslosigkeit „entgehende“ Steuervorteil ausgeglichen wird. Schon nach ihrem Wortlaut enthält die Neuregelung lediglich ein Benachteiligungsverbot. Der Gesetzgeber wird hierdurch nicht zu einem bestimmten begünstigenden Handeln verpflichtet. So wird die Vorschrift auch in der Literatur verstanden (vgl. BSG, Urt. v. 24. 4. 1996 - 5 RJ 34/95 unter Verweis auf BAG, NZA 1996, 371 = DB 1996, 580 [581]; Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 3 Rdnrn. 174, 175; Bonner Komm z. GG, Art. 3 Rdnrn. 874, 884). Die Materialien zur Gesetzesgeschichte stehen dem nicht entgegen. Zunächst war umstritten, ob in das Grundgesetz überhaupt eine Bestimmung zum Behindertenschutz aufzunehmen war (vgl. BT-Dr 12/600, S. 53 [III, IV]). Dann waren Inhalt und Tragweite der schließlich auf Empfehlung des Rechtsausschusses zustande gekommenen Regelung umstritten (vgl. BT-Dr 12/8165, S. 28, 29). Diese im Gesetzgebungsverfahren zum Ausdruck kommenden unterschiedlichen Auffassungen zwingen nicht dazu, die Vorschrift über ihren ein Benachteiligungsverbot aussprechenden Wortlaut hinaus auszulegen. Eine Benachteiligung des Kl. enthalten die einschlägigen Bemessungsvorschriften jedoch ersichtlich nicht. Dem Kl. ist in derselben Höhe Arbeitslosenhilfe bewilligt worden, wie sie bei ansonsten gleichen Voraussetzungen auch nicht behinderten Arbeitslosen gewährt wird. Die Bemessungsvorschriften benachteiligen den Kl. nicht wegen seiner Behinderung, wenn sie diesbezüglich keine Begünstigung vorsehen.

Es ist allerdings nicht zu verkennen, daß - wie bereits 1989 (BSGE 65, 214 = NZA 1990, 542 = SozR 4100 § 111 Nr. 10) angesprochen - unterschiedliche Differenzen zwischen bisherigem Nettoarbeitsentgelt und Arbeitslosenhilfe bzw. Arbeitslosengeld zu einem besonderen wirtschaftlichen Druck auf den Schwerbehinderten führen können, alsbald auch eine dem Berufs- oder Arbeitsplatzwunsch nicht entsprechende Arbeit aufzunehmen. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber für diesen Personenkreis die Möglichkeit einer speziellen Förderung der Arbeitsaufnahme vorgesehen hat. Nach § 54 I AFG kann die BA Arbeitgebern zur beruflichen Eingliederung von Arbeitslosen und von Arbeitslosigkeit unmittelbar bedrohten Arbeitsuchenden, deren Unterbringung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes erschwert ist, Darlehen oder Zuschüsse gewähren. Hierzu gehören auch Personen nach §§ 1 , 2 SchwerbehindertenG (vgl. § 20 II der Anordnung des Verwaltungsrats der BA zur Förderung der Arbeitsaufnahme vom 19. 5. 1989, ANBA 997, i.d.F. der 2. Änderungsanordnung vom 27. 1. 1993, ANBA 394). Ansonsten bleibt dem arbeitslosen Schwerbehinderten die Inanspruchnahme von Sozialhilfe, falls seine höheren Bedürfnisse durch die Arbeitslosenhilfe nicht gedeckt werden können.

Vorinstanzen

LSG Essen, L 9 Ar 47/94, 2.11.1995

Rechtsgebiete

Sozialrecht

Normen

AFG §§ 111 II, 136; EStG § 33b; GG Art. 3 I, III 2