Sperrzeit - wichtiger Grund

Gericht

BSG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

26. 03. 1998


Aktenzeichen

B 11 AL 49/97 R


Leitsatz des Gerichts

Auf einen wichtigen Grund iS von § 119 I 1 Nr 1 AFG kann sich nicht berufen, wer die aus dem Versicherungsverhältnis folgende Obliegenheit, den Eintritt des Versicherungsfalls Arbeitslosigkeit zu vermeiden, nicht erfüllt.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Rechtsstreit betrifft den Anspruch der Kl. auf Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 1. 7. bis 14. 8. 1992.

Die 1969 geborene Kl. war vom 1. 8. 1989 bis zum 31. 7. 1990 als Berufspraktikantin und anschließend seit dem 1. 8. 1990 als Erzieherin bei der Stadt F. tätig. Sie führte mit ihrem Lebensgefährten und späteren Ehemann in F. einen gemeinsamen Haushalt. Ihr Lebensgefährte, der zuvor in F. studiert und von einer monatlichen Unterstützung von ca 450,- DM gelebt haben soll, wurde von seinem Arbeitgeber, der Post, nach Fr. versetzt. Aus diesem Grunde kündigte die Kl. ihr Arbeitsverhältnis am 13. 5. 1992 zum 30. 6. 1992. Die maßgebliche Kündigungsfrist betrug sechs Wochen zum Vierteljahresschluß.

Im Mai 1992 erkundigte sich die Kl. telefonisch bei der Stadt Fr. nach einer Stelle als Erzieherin und erhielt die Auskunft, daß Erzieherinnen dringend gesucht würden. Ihre schriftliche Bewerbung um eine Stelle vom 20. 6. 1992 ging am 23. 6. 1992 bei der Stadt Fr. ein. Eine Vorstellung bei der Kindertagesstätte erfolgte erst im Laufe des Juli 1992, da die Einrichtung vom 22. 6. 1992 bis 10. 7. 1992 geschlossen war und die Leiterin über diesen Zeitpunkt hinaus im Urlaub war. Die Kl. arbeitet seit dem 15. 8. 1992 als Erzieherin bei der Stadt Fr.

Sie meldete sich am 24. 6. 1992 mit Wirkung vom 1. 7. 1992 arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. Das Arbeitsamt lehnte den Antrag für die Zeit vom 1. 7. 1992 bis 22. 9. 1992 ab, da für den angegebenen Zeitraum eine Sperrzeit eingetreten sei. Der Umzug nach Frankfurt habe durchaus erst dann erfolgen können, sobald die Kl. ein Nachfolgearbeitsverhältnis gefunden habe.

Das SG hat die Bekl. verurteilt, der Kl. Alg für die Zeit vom 1. 7. bis zum 14. 8. 1992 zu gewähren. Das LSG hat die Berufung der Bekl. zurückgewiesen. Die Revision der Bundesanstalt für Arbeit (BA) war erfolgreich, soweit die BA für die Zeit bis zum 11. 8. 1992 zur Gewährung von Alg verurteilt worden ist.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Nach § 119 I 1 Nr 1 AFG iVm § 119a Nr 1 AFG tritt eine Sperrzeit von zwölf Wochen ein, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch die Arbeitslosigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Die Sperrzeit beginnt mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet (§ 119 I 2 AFG).

Die Kl. hat ihr Beschäftigungsverhältnis dadurch gelöst, daß sie ihr Arbeitsverhältnis durch Kündigung beendet hat. Durch die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses hat die Kl. ihre Arbeitslosigkeit zumindest grob fahrlässig herbeigeführt. Ein Arbeitnehmer führt mit einer Lösung des Arbeitsverhältnisses die Arbeitslosigkeit, wenn nicht vorsätzlich, so doch grob fahrlässig herbei, wenn er nicht mindestens konkrete Aussichten auf einen Anschlußarbeitsplatz hat (BSGE 43, 269, 270 = SozR 4100 § 119 Nr 2; BSGE 52, 276, 281 = SozR 4100 § 119 Nr 17). Konkrete Aussichten auf einen Anschlußarbeitsplatz haben aber nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) nicht bestanden. Die Kl. hat zwar vorgebracht, daß sie aufgrund ihrer telefonischen Erkundigung im Mai 1992 und ihre Bewerbung vom 20. 6. 1992 davon habe ausgehen können, daß kurzfristig mit einem Anschlußarbeitsverhältnis zu rechnen sei. Aus dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen ergibt sich jedoch, daß die Kl. wegen der Dauer des Einstellungsvorgangs mit einer zwischenzeitlichen Arbeitslosigkeit rechnen mußte, so daß das LSG zu Recht davon ausgegangen ist, daß die Kl. ihre Arbeitslosigkeit zumindest grob fahrlässig herbeigeführt hat.

Die Kl. kann sich für ihr Verhalten nicht auf einen wichtigen Grund iS des § 119 I 1 AFG berufen. Ob ein wichtiger Grund für die Lösung eines Beschäftigungsverhältnisses angenommen werden kann, ist unter Berücksichtigung des Grundgedankens der Sperrzeitregelung, daß sich die Versichertengemeinschaft gegen Risikofälle wehren muß, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat oder an deren Behebung er unbegründet nicht mithilft, zu beurteilen. Im Ergebnis soll eine Sperrzeit - dies deckt sich mit den Vorstellungen des Gesetzgebers (vgl BT-Drucks zu V/4100 S 20f) - dann eintreten, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen mit den Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann.

Das LSG hat seine Entscheidung darauf gestützt, daß es der Rechtsprechung des BSG nicht folgen wolle, nach der grundsätzlich nur die Eheschließung und der Zuzug zum Ehegatten sowie die Herstellung einer nichtehelichen Erziehungsgemeinschaft einen wichtigen Grund iS des Sperrzeittatbestandes bilden können (BSGE 43, 269, 273 = SozR 4100 § 119 Nr 2; BSGE 52, 276, 277 = SozR 4100 § 119 Nr 17; BSG SozR 4100 § 119 Nr 33; BSGE 64, 202, 206 = SozR 4100 § 119 Nr 34; BSG FamRZ 1990, 876). Allerdings ist die vorgenannte Rechtsprechung, worauf die Kl. zu Recht hinweist, nicht unumstritten (vgl Gagel, AFG, § 119 Rz 179ff; Kunze VSSR 1997, 259, 277; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 144 Rz 94; LSG RhPf E-LSG Ar-096 mwN aus der Rechtsprechung der Instanzgerichte). Es bedarf jedoch keiner Vertiefung, ob der für die bisherige Rechtsprechung angeführten Begründung, nach der die Gewichtung der Interessen verheirateter und nicht verheirateter Partner unterschiedlich ausfallen müsse, weil die Ehe unter dem besonderen Schutz des Staates stehe (Art 6 I GG), die gemeinschaftliche Lebensführung in freier Partnerschaft diesen verfassungsrechtlichen Schutz dagegen nicht genieße (BSG SozR 4100 § 119 Nr 33), weiter zu folgen ist. Denn die Kl. kann sich unabhängig von der Beantwortung dieser Frage für ihr Verhalten auf einen wichtigen Grund schon deshalb nicht berufen, weil sie nicht die ihr zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, den Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit zu vermeiden.

Diese Einschränkung folgt aus dem Grundgedanken der Sperrzeitregelung, die die Gemeinschaft der Beitragszahler davor schützen soll, daß der Anspruchsberechtigte das Risiko seiner Arbeitslosigkeit manipuliert. Der unbestimmte Rechtsbegriff des wichtigen Grundes macht es deshalb erforderlich, nicht nur die Gründe für die Aufgabe des Beschäftigungsverhältnisses und des Umzuges, sondern auch die Vorkehrungen zur Erhaltung des bisherigen sowie zur Erlangung eines Anschlußarbeitsverhältnisses in die wertende Betrachtung einzubeziehen. Zwar führt das Fehlen von Bemühungen um eine Anschlußarbeit nicht allein zum Eintritt einer Sperrzeit, jedoch verwehrt es die Verletzung von aus dem Versicherungsverhältnis abzuleitenden Obliegenheiten dem Arbeitslosen, sich auf einen wichtigen Grund iS des § 119 I 1 Nr. 1 AFG zu berufen.

Der Grundsatz, daß eine Verletzung der Obliegenheit des Versicherten, den Eintritt des Versicherungsfalls zu vermeiden, der Anerkennung eines wichtigen Grundes entgegensteht, hat seinen Niederschlag bereits in der Rechtsprechung des BSG gefunden, wonach sich der wichtige Grund mit dem Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses decken muß; der Arbeitslose muß einen wichtigen Grund dafür haben, daß er das Arbeitsverhältnis gerade zu dem bestimmten, von ihm gewählten Zeitpunkt auflöst (BSGE 43, 269, 271 = SozR 4100 § 119 Nr 2; SozR 4100 § 119 Nrn 28, 29, 33). Das BSG hat in diesem Zusammenhang dargelegt, daß ein wichtiger Grund zur Kündigung bei einem erheblichen Zwischenraum zwischen einer Arbeitsaufgabe und beabsichtigter Eheschließung nur vorliegt, wenn der Arbeitslose erfolglos einen zumutbaren Versuch unternommen hat, diesen durch eine Vereinbarung mit dem bisherigen Arbeitgeber über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum geplanten Eheschließungstermin zu vermeiden (BSGE 64, 202, 205 = SozR 4100 § 119 Nr 34). Es hat ferner auf die vor dem Inkrafttreten des AFG geltende Regelung des § 80 I 2 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung hingewiesen, wonach es der unberechtigten Aufgabe einer Arbeit gleich stand, wenn der Arbeitslose seine Arbeitsstelle aus einem berechtigten Grund aufgegeben hat, ohne zuvor zu dessen Beseitigung einen zumutbaren Versuch unternommen zu haben. Es kann nichts anderes gelten, wenn der Versicherte mittels einer - für sich behandelt zu billigenden - Kündigung seine Arbeitslosigkeit dadurch herbeiführt, daß er naheliegende Anstrengungen zur Erlangung eines Anschlußarbeitsplatzes unterläßt.

Der Verstoß gegen die dem Versicherten auferlegte Obliegenheit, den Eintritt des Versicherungsfalls möglichst zu vermeiden, führt hier dazu, einen wichtigen Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu verneinen. Bei der wertenden Prüfung des wichtigen Grundes ist zu berücksichtigen, daß die Kl. der BA nicht rechtzeitig - spätestens mit Ausspruch der Kündigung - einen Vermittlungsauftrag zur nahtlosen Erlangung eines Anschlußarbeitsverhältnisses in Fr. erteilt hat, sondern sich erst am 24. 6. 1994 kurz vor Eintritt der Arbeitslosigkeit am 1. 7. 1994 beim Arbeitsamt meldete. Zischen der Kündigung des alten Arbeitsverhältnisses und der Einschaltung der Arbeitsvermittlung hat also nicht nur ein Zeitraum von wenigen Tagen, sondern haben mehrere Wochen gelegen. Die Eigenbemühungen der Kl. um einen Anschlußarbeitsplatz führen nicht zu einer anderen Beurteilung. Sie bewarb sich nach der telefonischen Erkundigung im Mai 1994 nicht zeitgerecht, sondern erst nach dem Umzug Ende Juni 1994 schriftlich um eine Arbeitsstelle bei der Stadt Fr. Hierbei kann die Kl. nicht mit Erfolg als Grund für die späte Bewerbung anführen, daß der Arbeitgeber Vorstellungskosten nicht erstattet hätte und sie selbst aus wirtschaftlichen Gründen die durch einen Vorstellung bedingten Fahrkosten nicht habe aufbringen können. Vielmehr wäre es, soweit die Kl. die erforderlichen Mittel für eine Vorstellung nicht selbst aufbringen konnte, geboten gewesen, diesbezügliche Leistungen zur Förderung der Arbeitsaufnahme nach § 53 AFG beim Arbeitsamt zu beantragen. Schon unter Berücksichtigung dieser Umstände kann die Kl. wegen der Verletzung der sie treffenden Obliegenheiten keinen wichtigen Grund für ihr Verhalten anführen.

Hinsichtlich der Verurteilung der Bekl. zur Gewährung von Alg für die Zeit vom 12. 8. 1992 bis zum 14. 8. 1992 und der Minderung der Dauer des Anspruchs auf Alg um weitere 36 Tage nach § 110 I Nr 2 AFG ist die Revision der BA iS der Aufhebung und Zurückverweisung begründet. Ob die für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen zur Annahme einer besonderen Härte führen, läßt sich aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen nicht entscheiden. Nach § 119 II 1 AFG iVm § 119a Nr 1 AFG umfaßt die Sperrzeit sechs Wochen, wenn eine Sperrzeit von zwölf Wochen für den Arbeitslosen nach den für den Eintritt einer Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte bedeuten würde. Maßgebende Tatsachen iS des § 119 II AFG sind solche, die mit dem Eintritt der Sperrzeit in einem ursächlichen Zusammenhang stehen (BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 11; SozR 3-1500 § 144 Nr 12). Hierzu können auch Umstände persönlicher und wirtschaftlicher Art gehören, die zwar von ihrem Gewicht her nicht den Eintritt einer Sperrzeit hindern, jedoch aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls eine Sperrzeit von einer Regeldauer als besonders hart erscheinen lassen (BSGE 54, 7, 14 = SozR 4100 § 119 Nr 19; SozR 4100 § 119 Nr 32).

Zur Beurteilung der Frage, ob der Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit nach den für ihren Eintritt maßgeblichen Tatsachen für den Arbeitslosen eine besondere Härte bedeutet, ist auf eine Bewertung der Gesamtumstände des Einzelfalls abzustellen. Die Annahme einer besonderen Härte ist gerechtfertigt, wenn nach diesen Gesamtumständen der Eintritt einer Sperrzeit mit der Regeldauer im Hinblick auf die für ihren Eintritt maßgebenden Tatsachen objektiv als unverhältnismäßig anzusehen ist (BSG SozR 4100 § 119 Nr 32; SozR 3-4100 § 119 Nr 11). Zu den Tatsachen, die objektiv Einfluß auf den Eintritt der Sperrzeit genommen haben können, gehören der Umzug der Kl. zur Aufrechterhaltung der eheähnlichen Lebensgemeinschaft sowie die durch den Wegzug des Partners eintretende wirtschaftliche Situation. Die genannten Umstände sind, wie das BSG bereits entschieden hat, abhängig von den Umständen des Einzelfalls geeignet, das Vorliegen einer besonderen Härte zu begründen (vgl BSG SozR 4100 § 119 Nr 33). Hinreichende Feststellungen zu den das Verhalten der Kl. bestimmenden Umständen, die eine eigene Wertung des Revisionsgerichts zuließen, hat das LSG - von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend - nicht getroffen. So hat es nicht festgestellt, zu welchem Zeitpunkt der Partner der Kl. seine Arbeitsstelle in Fr. angetreten hat und welches Arbeitsentgelt dieser aus der neuen Tätigkeit erzielte. In die Erwägungen der Gesamtumstände wird zudem einzubeziehen sein, ob bei einer rechtzeitigen Einschaltung des Arbeitsamtes eine kurzfristige Vermittlung der Kl. möglich gewesen wäre. Das Unterlassen zumutbarer Bemühungen um einen Anschlußarbeitsplatz kann je nach Lage des Einzelfalls der Berücksichtigung einer besonderen Härte entgegenstehen. Schließlich wird das LSG, soweit die Voraussetzungen einer besonderen Härte zu bejahen sind, zu prüfen haben, ob sämtliche Voraussetzungen des Anspruchs auf Alg nach § 100 AFG für den verbleibenden Leistungszeitraum erfüllt waren.

Vorinstanzen

Hess. LSG, L 10 Ar 1074/94, 31.1.1997

Rechtsgebiete

Sozialrecht

Normen

GG Art 6 I; AFG §§ 100, 110 I Nr 2, AFG§ 119 I 1 Nr 1, § 119a