Nachweis einer fehlerhaften Sterilisation durch Videoaufnahme

Gericht

OLG Hamm


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

27. 01. 1999


Aktenzeichen

3 U 127/97


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die 1959 geborene verheiratete Kl. entschloß sich nach drei Geburten und drei Schwangerschaftsabbrüchen zu einerSterilisation, da sie Verhütungsmittel nicht gut vertrug. Der Bekl., niedergelassener Frauenarzt, nahm am 5. 10. 1993 den Eingriff durch laparoskopische Tubenkoagulation vor. Am 23. 3. 1995 wurde die Kl. von den Mädchen A und B entbunden. Mit ihrer Klage hat die Kl. aus eigenem und abgetretenem Recht ihres Ehemannes die Freistellungvon Unterhaltsansprüchen dieser beiden Töchter, die Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie die Feststellung begehrt, daß der Bekl. verpflichtet sei, ihr auch den eigenen materiellen Schaden (Verdienstausfall) zu ersetzen. Sie hat behauptet, die Sterilisation sei mißlungen, da der Bekl. sie fehlerhaft ausgeführt habe. Statt der Tuben habe er dasMutterband durchtrennt. Zudem habe der Bekl. einen Elektrokauter eingesetzt, der die zur ordnungsgemäßen Sterilisation erforderliche Hitze nicht entwickelt habe. Der Bekl. hat behauptet, er habe die Sterilisation fehlerfrei vorgenommen, indem er dreimal eine Strecke voninsgesamt 1 cm der Tuben koaguliert habe. Sollte das zur Sterilisation benutzte Gerät defekt gewesen sein, treffe ihn kein Verschulden, weil er dies nicht habe erkennen können.

Das LG hat durch das am 7. 5. 1997 verkündete Urteil die Klagemit der Begründung abgewiesen, die Kl. habe nicht bewiesen, daß der Bekl. die Sterilisation fehlerhaft ausgeführt habe. Ein solcher Beweis könne nur geführt werden, wenn der Bauch der Kl. eröffnet werde, umFeststellungen darüber treffen zu können, ob die Verkochung des Eileitergewebes ausreichend gewesen sei. Eine gerichtliche Anordnung, eine solche Maßnahme durchführen zu lassen, verbiete sich angesichts der mit einem solchen Eingriff verbundenen Gefahren für Leben undGesundheit der Kl. Im Berufungsverfahren hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Professor Dr. X. Die Kl. hatte sich zuvor auf eigenen Wunsch und eigene Veranlassung einer erneuten Sterilisation unterzogen, die der Sachverständige vorgenommen hat. Von diesem am 28. 4. 1998 stattgefundenen Eingriff wurde eine Videoaufnahme gefertigt, die Gegenstand der Beweisaufnahme war.

Die Berufung der Kl. hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Der Bekl. ist verpflichtet, der Kl. und ihrem Ehemann Schadensersatz dafür zu leisten, daß sie mit demUnterhalt ihre beiden Kinder A und B belastet sind. Er ist ferner verpflichtet, der Kl. ein Schmerzensgeld in Höhe von 10000 DM als Ausgleich für die ungewollte Schwangerschaft zu zahlen.

Die Ersatzpflicht des Bekl. ergibt sich aus §§ 847 , 823 I BGBund aus positiver Verletzung des Behandlungsvertrages. Aufgrund der Beweisaufnahme vor dem Senat steht fest, daß der Bekl. die Sterilisation der Kl. fehlerhaft durchgeführt hat und dies die Ursache für die erneut eingetretene Schwangerschaftund damit die Geburt der Zwillinge A und B gewesen ist.

Der linke Eileiter ist vom Bekl. nicht oder nicht hinreichend koaguliert worden. Die Videoaufzeichnung, die bei dem erneuten Sterilisationseingriff am 28. 4. 1998 gemacht worden ist, zeigt in sehr eindrucksvoller Weise eine in seiner gesamtenLänge völlig intakte Tube. Nirgendwo ist auch nur die Spur einer Unregelmäßigkeit an diesem Eileiter zu erkennen. Dagegen ist der rechte Eileiter vollständig durchtrennt; die jeweiligen Enden liegen weit auseinander. Das im Bereich des linken Eileiters verlaufende Mutterband zeigt sich nicht in gleicher Weise wie der linke Eileiter als völlig intakt und unversehrt;dieses Band weist vielmehr - auch für den medizinischen Laien eindeutig erkennbar - eine Veränderung der Struktur auf. Dem Betrachter werden diese Umstände durch die Führungder Lichtquelle und die Demonstration der einzelnen Gewebestrukturen während der Laparoskopie denkbar plastisch demonstriert.

Der Videoaufzeichnung ist gezielt im Hinblick auf die Frage der ordnungsmäßigen Erststerilisation angefertigt worden. Der Sachverständige und die anderen beteiligten Ärzte habenihr besonderes Augenmerk auf alles gerichtet, was in diesem Zusammenhang von Belang sein konnte. Die optische Darstellung der Tuben und der sie umgebenden Strukturen ist daher nicht nur ein Zufallsprodukt, sondern auch das Ergebnis einergezielten Suche. Zu einer solchen Suche bestand ein weiterer Anlaß, nachdem zur Überraschung der Operateure sich der linke Eileiter in seinem gesamten Verlauf völlig untangiertzeigte.

Die Schlußfolgerung, die der Sachverständige Prof. Dr. X aus diesem Befund mit seiner Erfahrung aus 20 Berufsjahren und aus den von ihm vorgenommenen Resterilisierungen zeigt, hält der Senat für überzeugend. Danach ist der linke Eileiter der Kl. bei dem Eingriff durch den bekl. nicht koaguliertworden; vielmehr ist mit einiger Wahrscheinlichkeit am Mutterband manipuliert worden.

Es gibt keine gesicherten Umstände und Erwägungen, die diese Überzeugung des Senats erschüttern. (Wird ausgeführt)

Nach alldem geben die Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. X, die sich auf seine konkrete ärztliche Erfahrung, die Ergebnisse der Nachsterilisation und eine Gesamtschau gründen, dem Senat die gem. § 286 ZPO notwendigeÜberzeugung, daß der Bekl. die linke Tube der Kl. nicht koaguliert hat. Es ist unerheblich, daß diese Überzeugung keine absolute naturwissenschaftliche Gewißheit sein kann, weil diese im Bereich des ärztlichen Handelns am unberechenbarreagierenden menschlichen Körper kaum jemals zu erhalten ist. Wie hier genügt ein „für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewißheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohnesie völlig auszuschließen„ (BGH, NJW 1994, 802).

Der Bekl. kann sich auch nicht darauf berufen, Der Elektrokauter habe nicht ordnungsgemäß funktioniert. Für diese Behauptung ist der Bekl. beweispflichtig. Denn das ordnungsgemäße Funktionieren des Elektrokauters gehört zu dem Bereich, dessen Gefahren ärztlicherseits voll ausgeschlossen werden können und müssen („voll beherrschbare Risiken„; BGH, NJW 1991, 1541, 2960; OLG Hamm, VersR 1980, 585). Nach den eigenen Angaben des Bekl. vor dem Senat ist aber offen geblieben, ob das Gerät tatsächlich bei der Kl. nicht ordnungsgemäß verkocht hat und ob dies, wenn es so gewesensein sollte, ohne Verschulden des Bekl. geschehen wäre. Der Umstand, daß beim Einsatz des Elektrokauters mehrfach Sterilisationen mißlungen sind, beweist weder, daß dieses Gerät defekt war, noch daß dies ohne Verschulden des Bekl. so war.Ein Fehler ist zu keinem Zeitpunkt objektiviert worden.

Der Bekl. schuldet der Kl. danach gem. den §§ 847 , 823 BGB die Zahlung eines Schmerzensgeldes für die mit der Schwangerschaft der Zwillinge verbundenen körperlichen Beschwerden und Erschwernisse(BGH, NJW 1995, 2408). Da die Kl. über eine normale Schwangerschaft hinausgehende körperliche Beeinträchtigungen nicht hatte, hält der Senat - seiner Rechtsprechung folgend - ein Schmerzensgeld von 10000 DM als Ausgleich für angemessen.

Der Sterilisationseingriff bei der Kl. erfolgte, weil sie und ihrEhemann weitere Kinder nicht mehr wünschten. Damit war die vertragliche Verpflichtung des Bekl. begründet, durch ordnungsgemäße Sterilisation weitere Schwangerschaften möglichst zu verhindern. Dieser Verpflichtung ist der Bekl. schuldhaft nicht nachgekommen. Er ist deshalb verpflichtet, den Eltern Schadensersatz zu leisten, soweit sie durch die mißlungene Sterilisation Unterhaltslasten für weitere Kinder haben (BGH, NJW 1994, 788ff.). Zu ersetzen ist der Barunterhaltzuzüglich eines angemessenen Ausgleichs für die Betreuung (BGH, NJW 1980, 1452ff.).

Der Barunterhalt bemißt sich nach der Regelbetrag-Verordnung in ihrem jeweiligen zeitlichen Geltungsbereich (bis zum 30. 6. 1998 Verordnung zur Berechnung des Regelunterhalts (RegUV); ab 1. 7. 1998Regelbetrag-Verordnung). Es ist im vorliegenden Fall, da Zwillinge zu versorgen sind, bei denen viele Besorgungen und Arbeiten nicht doppelt anfallen, gemäß dem Antrag der Kl. um 50% zu erhöhen. Das Kindergeld ist abzuziehen (BGH, NJW 1980, 1452).

Auch der Feststellungsantrag ist begründet. Er beschränktsich auf einen Schaden, der wegen etwaiger Unterhaltsansprüche der Kinder nach Vollendung ihres 18. Lebensjahres oder wegen etwaigen Sonderbedarfs der Kinder wegen Gesundheitsschäden (vgl. BGH, NJW 1980 1452) der Kl. und ihrem Ehemann entstehen kann.

Rechtsgebiete

Arzthaftungsrecht; Schadensersatzrecht

Normen

BGB §§ 823, 847; ZPO § 286