Haftung des Zigarettenherstellers
Gericht
LG Bielefeld
Art der Entscheidung
Beschluss
Datum
25. 01. 2000
Aktenzeichen
8 O 411/99
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der Ast., der seit 1942 Raucher ist, begehrt Prozesskostenhilfe für die klageweise Durchsetzung von Schmerzensgeldansprüchen und der Feststellung der Ersatzpflicht der Ag., einer Zigarettenherstellerin, für seine künftigen materiellen und immateriellen Schäden, die auf das Rauchen zurückzuführen sind. Er unternahm mehrere misslungene Entwöhnungsversuche. Im Jahre 1990 wurde bei ihm ein Bronchialkarzinom diagnostiziert; der rechte Lungenlappen wurde entfernt. Der Ast. behauptet, die Ag. sei für seine Gesundheitsschäden verantwortlich, da sie ihren Zigaretten ohne einen entsprechenden Warnhinweis bewusst suchtverstärkende und gesundheitsschädigende Stoffe beigefügt habe.
Sein Antrag wurde zurückgewiesen.
Auszüge aus den Gründen:
I. … Der angekündigte Klageantrag zu 1, mit dem der Ast. Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, mindestens 100000 DM verfolgt, hat keine Aussicht auf Erfolg.
Der Ast., bei dem im Jahr 1990 ein Bronchialkarzinom diagnostiziert wurde, ist der Ansicht, die Ag., deren Zigaretten er in Kenntnis der ihnen immanenten Gesundheitsgefährdung geraucht habe, sei ihm zum Schmerzensgeld verpflichtet, da sie, so behauptet der Ast., ihren Zigaretten bewusst suchtverstärkende Stoffe zufüge, deren Suchtpotenzial sie spätestens seit 1986 wegen Erkenntnissen bei der Fa. Phillip Morris kenne. Die Zufügung dieser Stoffe sei rechts- und sittenwidrig. Die Ag. sei ab Kenntnis der Suchtwirkung der Zusatzstoffe verpflichtet gewesen, so meint er, ihren Produkten einen entsprechenden Suchtwarnhinweis beizufügen. Wäre ein solcher Hinweis nach 1986 erfolgt, hätte er sich, so behauptet er, fachlicher Hilfe zur Entwöhnung bedient, die erfolgreich gewesen wäre.
Rechtlich stützt der Ast. seine Ansprüche auf § 1 UWG, die Vorschriften des Produkthaftungsgesetzes und auf die §§ 823 I , II , 826 , 847 BGB. Diese Normen stützen sein Begehren nicht.
1. Ansprüche aus § 1 UWG kann der Ast. nicht geltend machen, da zwischen ihm und der Ag. keine Wettbewerbssituation besteht. Ein solches Wettbewerbsverhältnis setzt die Norm jedoch voraus. Für diese Auslegung spricht der Wille des Gesetzgebers. Der ist unter anderem dadurch zum Ausdruck gekommen, dass in § 13 UWG ausdrücklich Verbraucherverbänden, nicht aber dem einzelnen Verbraucher selbst eine Klagebefugnis eingeräumt wurde (vgl. dazu auch Baumbach/Hefermehl, WettbewerbsR, § 1 UWG Rdnr. 912).
2. Der Schmerzensgeldanspruch kann ferner nicht auf Vorschriften des Produkthaftungsgesetzes gestützt werden. Der Ersatz von immateriellen Schäden fällt bereits nicht in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes (Palandt/Thomas, BGB, ProdHaftG, Einf. Rdnr. 6).
3. Ansprüche aus den §§ 823 I , 823 II , 826 BGB sind ebenfalls nicht begründet.
a) Dabei kann die generelle Schwierigkeit des Ast., die Kausalität des Rauchens der Produkte der Ag. für seine Erkrankung nachzuweisen, dahinstehen. Denn der Ast. hat bereits ein zum Schadensersatz verpflichtendes Verhalten der Ag. nicht dargelegt.
b) Ein solches Verhalten kann zunächst nicht darin gesehen werden, dass die Ag. ihren Produkten die vom Ast. dargelegten Stoffe zufügt.
aa) Das Zufügen von behaupteten suchtverstärkenden Stoffen wie Schokolade, Kakao, Glyzerin, Süßstoff, Ammoniak und Pyridin ist nicht rechtswidrig. Es ist vielmehr nach den lebensmittelrechtlichen Vorschriften ausdrücklich erlaubt.
Schokolade, Kakao, Glyzerin stellen zugelassene Fremdstoffe i.S. von § 1 TabakVO i.V. mit Nrn. 1 und 2 der Anlage 1 zur Tabakverordnung dar. Dass die zulässigen Zugabemengen überschritten wurden, wird nicht dargelegt.
Auch die Zufügung von Süßstoff ist nach der Anlage 1 zur Tabakverordnung zulässig. Demnach darf Tabakprodukten Süßholz beigefügt werden. Die Süßholzwurzel enthält Glycyrrhicin, welches einen Süßstoff darstellt (vgl. Brockhaus in fünf Bänden, Stichwörter „Süßstoff“, „Glycyrrhicin“). Dass die zulässigen Zugabemengen überschritten wurden oder ein anderer, nach der Tabakverordnung nicht zugelassener Süßstoff zugefügt wurde, behauptet der Ast. nicht.
Die weiter angesprochenen Stoffe Ammoniak und Pyridin sind natürlicherweise bereits im Rohtabak enthalten, was dazu führt, das sie Tabakerzeugnissen ohne Beschränkung zugefügt werden dürfen, vgl. § 20 II Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz. Dass Ammoniak ein im Tabak enthaltenes Produkt ist, ist von der Ag. unbestritten vorgetragen worden. Für Pyridin ergibt es sich daraus, dass es ein Bestandteil des Nikotins ist. Nikotin ist chemisch ein 3-(1-Methyl-2-pyrrolidinyl-)pyridin.
Somit erlaubt es das Gesetz der Ag. ausdrücklich, die vorstehend genannten Stoffe bei der Herstellung von Zigaretten zu verwenden. Die Nutzung gesetzlich zulässiger Stoffe kann aber weder als Schutzgesetzverstoß noch als rechts- oder sittenwidrig eingestuft werden.
bb) Auch der weitere Vorwurf des Ast., die Zigaretten der Ag. enthielten Acetaldehyd, welches als „Nikotinbooster“ suchtverstärkend wirke, geht ins Leere. Acetaldehyd entsteht, wie der Ast. selbst vorträgt, als natürliches Produkt bei der Verbrennung von Zucker. Zucker darf Zigaretten nach der Anlage zur Tabakverordnung beigefügt werden. Acetaldehyd entsteht somit als Nebenprodukt bei der beim Rauchen zwangsläufigen Verbrennung des Zuckers. Die Entstehung eines Nebenprodukts beim Verbrennen zulässiger Zusatzstoffe kann der Ag. aber nicht als rechts- oder sittenwidrig vorgehalten werden.
cc) Soweit der Ast. darüber hinaus weitere Stoffe anspricht, die den Zigaretten der Ag. beigefügt worden sein sollen, ist nicht nachvollziehbar vorgetragen, dass gerade diese Stoffe die Sucht des Ast. maßgeblich verursacht oder verstärkt haben. Damit ist auch nicht substanziiert dargelegt, dass sie bei ihm eine zum Schadensersatz verpflichtende Verletzung hervorriefen.
c) Soweit der Ast. den Vorwurf der Sittenwidrigkeit weiter auf die Behauptung stützt, die Ag. habe die angeführten Zusatzstoffe bewusst und in Kenntnis der behaupteten ausschließlichen suchterregenden/-verstärkenden Wirkung eingesetzt, kann nach dem bisherigen Vortrag ausgeschlossen werden, dass dies bewiesen werden kann. Der Ast. stützt seinen Vortrag maßgeblich auf behauptete Vorgänge und Erkenntnisse bei der Fa. Philipp Morris, zu der die Ag. aber keine Verbindung hat.
d) Eine Schadensersatzansprüche begründende Pflichtverletzung der Ag. kann ferner nicht in dem Unterlassen des Aufbringens eines Suchtwarnhinweises gesehen werden.
aa) Eine Pflicht zum Handeln bestand nicht. Zum einen ist die Tatsache, dass Rauchen süchtig macht, seit langem bekannt. Über allgemein bekannte Nebenwirkungen eines Produktes muss jedoch nicht aufgeklärt werden. Jeder, der entweder selbst Raucher ist, als Raucher versucht hat, sich das Rauchen abzugewöhnen oder einen Raucher kennt, der letzteres versucht hat, weiß um das Suchtpotenzial von Zigaretten. Auch der Ast. war sich seiner Sucht bewusst. Er trägt selbst vor, dass mehrfache Entwöhnungsversuche misslungen sind.
Ferner hat auch der Gesetzgeber, dem jedenfalls die Suchtwirkung des Nikotins seit langem bekannt ist, eine solche Aufklärung nicht als erforderlich angesehen. Er verlangt vielmehr nach der Verordnung über die Kennzeichnung von Tabakerzeugnissen und über Höchstmengen von Teer im Zigarettenrauch lediglich, dass Zigaretten mit einem der Warnhinweise über die Gesundheitsgefahren des Rauchens versehen werden. Diese waren dem Ast. aber unstreitig bekannt.
bb) Jedenfalls könnte ein Unterlassen der Ag. nicht als schuldhaft angesehen werden. Die Ag. konnte sich einer Kennzeichnungsverpflichtung nicht bewusst sein. Auch für andere Genussmittel mit bekanntem Suchtpotenzial wie zum Beispiel alkoholische Produkte besteht keine Warnhinweisverpflichtung. Die Ag. hatte in Anbetracht dessen keine Veranlassung, gerade ihr Produkt entsprechend zu kennzeichnen.
c) Ferner erscheint es möglich, dass auch die von der Ag. erhobene Einrede der Verjährung greift. In nichtverjährter Zeit beim Ast. eingetretene Schadensfolgen sind bislang nicht hinreichend substanziiert dargelegt.
Soweit der Ast. sich auf die Erkrankung an einem Bronchialkarzinom in den 80er Jahren beruft, ist nicht dargelegt, inwieweit diese Gesundheitsverletzung beim Ast. noch akut ist. Dem Ast. ist im Jahre 1990 der befallene rechte Lungenlappen entfernt worden (Durchführung einer Lobektomie). Aus den Arztberichten des Jahres 1996 ergibt sich in Bezug auf diesen Lungenlappen lediglich noch ein kurativer, also geheilter, Zustand nach einer Lobektomie, der als stabil bezeichnet wird.
Die von dem Ast. behauptete Verschlechterung seines Gesundheitszustandes im Jahr 1996, die einen in unverjährter Zeit entstandenen Schaden darstellen würde, lässt sich nach den vorgelegten Arztbriefen nicht mit dem Rauchen oder dem Bronchialkarzinom in Verbindung bringen. Vielmehr wurde der Kl. nach dem Bericht des Dr. H 1996 wegen eines Schockzustands nach der Einnahme von Diclofenac, eines entzündungshemmenden Medikaments, in das Krankenhaus eingeliefert.
Nach alledem ist die beabsichtigte Rechtsverfolgung für den Antrag zu 1 nicht hinreichend erfolgversprechend, so dass Prozesskostenhilfe nicht gewährt werden kann.
II. Auch für den angekündigten Klageantrag zu 2, mit dem Feststellung begehrt werden soll, dass die Ag. zum Ersatz zukünftiger materieller und immaterieller Schäden verpflichtet ist, können die zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten nicht festgestellt werden.
1. Soweit der Ast. sein Begehren wiederum auf die § 1 UWG, §§ 823 , 826 BGB stützt, kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Ansprüche wegen immaterieller Schäden aus dem Produkthaftungsgesetz scheiden, wie bereits dargelegt, ebenfalls aus.
2. Auch materielle Schäden kann der Ast. nicht aus den Vorschriften des Produkthaftungsgesetzes ersetzt verlangen.
a) Denn der Ast. hat schon nicht dargelegt, dass die Produkte der Ag.i.S. von § 3 ProdHaftG fehlerhaft sind.
aa) Zunächst liegt kein Darbietungsfehler i.S. von § 3 Ia ProdHaftG vor. Es ist, wie bereits dargelegt, nicht erforderlich, dass die Ag. ihre Produkte mit Warnhinweisen auf das Suchtpotenzial versieht.
Im Übrigen wäre die Kausalität einer solchen Pflichtverletzung für die Gesundheitsverletzung des Ast. nicht bewiesen. Der Ast. macht die Ag. nicht dafür verantwortlich, dass er überhaupt abhängig wurde. Denn zunächst, so trägt er vor, habe auch die Ag. keine Kenntnis von dem Suchtpotenzial ihrer Produkte gehabt und somit nicht aufklären müssen. Dies sei erst nach ihrer behaupteten Kenntnis im Jahr 1986 erforderlich geworden. Hätte ihn die Ag. zu diesem Zeitpunkt aufgeklärt, dann hätte er sich ärztlicher Hilfe bedient und noch rechtzeitig mit dem Rauchen aufgehört. Dafür, so meint er, spräche eine tatsächliche Vermutung. Gegen eine solche Vermutung spricht jedoch bereits der Vortrag des Ast. selbst. Die von ihm vorgetragenen Tatsachen lassen gerade nicht vermuten, dass er nach dem Aufbringen eines Suchthinweises mit dem Rauchen aufgehört hätte.
Dass er persönlich süchtig war, war ihm nach seinen mehrfachen vergeblichen Versuchen der Entwöhnung in den Jahren 1951, 1973, 1984 und 1990 bekannt. Die längste gelungene Abstinenzphase belief sich auf eine Woche. Im Jahr 1990 wurde der Ast. nach den vorgelegten Arztberichten zudem von behandelnden Ärzten angemahnt, dass Rauchen einzustellen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte es für den Ast., bei dem das Bronchialkarzinom bereits diagnostiziert worden war, mehr als nahe gelegen, sich ernsthaft, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme fachlicher Hilfe, mit der Entwöhnung zu beschäftigen. Es ist nichts dafür ersichtlich, warum ein von der Ag. aufgebrachter Warnhinweis dem Ast. einen weiteren oder stärkeren Anreiz gegeben haben sollte, einen fachlich begleiteten Entwöhnungsprozess in die Wege zu leiten.
Ein Darbietungsfehler nach § 3 Ia ProdHaftG ist auch nicht damit gegeben, dass die Ag. unzureichend auf die Gesundheitsgefahren des Rauchens hinwies. Vielmehr hat die Ag. ihrer Pflicht genügt. Zu Warnhinweisen auf die Gesundheitsgefährdung ist sie bereits gesetzlich verpflichtet. Dass diese Pflicht verletzt wurde, wird nicht behauptet. Eine über das Gesetz hinausgehende Warnung kann nicht verlangt werden, zumal die generelle Gefährlichkeit des Genusses von Zigaretten bekannt ist. So erklärt auch der Ast. explizit, über die Gefahren des Rauchens informiert gewesen zu sein. Einem Anspruch wegen der Verletzung einer Hinweispflicht auf die Gefahren des Rauchens würde damit jedenfalls ein ihm anzurechnendes überwiegendes Mitverschulden, nach dem Produkthaftungsgesetz über § 6 ProdHaftG zu berücksichtigen, entgegenstehen.
bb) Die Produkte der Ag. sind auch nicht fehlerhaft i.S. von § 3 Ib ProdHaftG. Sie erfüllen bei ihrem Gebrauch die Sicherheitsanforderungen, mit denen billigerweise gerechnet werden kann, da wie bereits ausgeführt wurde, allgemein bekannt ist, dass Rauchen gefährlich ist und süchtig macht. Einen Fehler nach § 3 Ic ProdHaftG trägt der Ast. selbst nicht vor. Damit ist keine Anspruchsgrundlage gegeben, auf die der Klageantrag zu 2 gestützt werden könnte.
III. Der Antrag zu 3 ist ebenfalls unbegründet. Mit diesem Antrag will der Ast. dahingehende Feststellung verfolgen, dass die Ag. zur Erstattung weiterer materieller und immaterieller Schäden aus der vorsätzlichen Suchterregung/Suchtsteigerung verpflichtet ist. Der Antrag wird in Form einer Stufenklage angekündigt, auf der ersten Stufe soll Auskunft darüber verlangt werden, welche suchterregenden Stoffe sich in den Zigaretten der Ag. befinden. Der Ast. will damit, so führt er aus, die Vermutung beweisen, dass die Ag. ihren Produkten zum Beispiel Ammoniak und Ammoniakderivate beifügt. Nach dem zuvor Ausgeführten fehlt es bereits an einer Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Auskunftsantrag. Die Nutzung von Ammoniak bei der Zigarettenherstellung ist der Ag. erlaubt. Die Nutzung weiterer nicht erlaubter Suchtstoffe, die für die Gesundheitsverletzung des Ast. verantwortlich sind, ist nicht substanziiert dargelegt.
Ferner ergibt sich aus dem Vortrag des Ast. nicht, welcher zusätzliche Schaden ihm aus der behaupteten vorsätzlichen Suchterregung/Suchtsteigerung entstanden sein soll, der seinen weitergehenden Feststellungsantrag zu 3a rechtfertigen könnte. Vielmehr führt der Ast. selbst aus, dass er mit den erwarteten Ergebnissen der Auskunft lediglich das Vorliegen der Voraussetzungen einer weiteren Anspruchsgrundlage, nämlich § 826 BGB, beweisen will. Damit läuft der Klageantrag zu 3 auf eine im deutschen Recht unzulässige Beweisgewinnung hinaus, für die Prozesskostenhilfe ebenso wenig wie für die vorherigen Anträge gewährt werden kann.
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