Unfallversicherungsschutz für ehrenamtlichen Beigeordneten
Gericht
BSG
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
18. 03. 1997
Aktenzeichen
2 RU 22/96
Der Versicherungsschutz umfaßt bei einem ehrenamtlichen Beigeordneten einer Gemeinde (§ 539 I Nr. 13 RVO) auch den Besuch des von ihr organisierten Heimatfestes als offizieller Vertreter.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der Kl. übte z.Zt. des Unfalls die ehrenamtliche Tätigkeit des 3. Beigeordneten der Verbandsgemeinde S. aus. Als er am 13. 9. 1992 (Sonntag) von seinem Wohnort F. kommend in Begleitung von Familienangehörigen und einer Bekannten in Richtung der Stadt S. fuhr, stieß er mit einem anderen Fahrzeug zusammen, wobei er sich schwere Verletzungen zuzog. Er hatte zusammen mit seinen Begleitern zum Heimat-, Wein- und Erntedankfest fahren wollen, das jährlich von der Stadt S. organisiert wird. Dort fand an diesem Tag um 14 Uhr ein großer Festumzug und danach um 15.30 Uhr ein "bunter Nachmittag" bei Kaffee und Kuchen mit anschließender musikalischer Unterhaltung statt. Entsprechend den Feststellungen des LSG begann - nach den Angaben des Kl. - der offizielle Teil der Festveranstaltung nach dem Umzug. Dort war seine Anwesenheit erforderlich. Der Stadtbürgermeister pflegte die von der Stadt S eingeladenen Ehrengäste zu begrüßen. Nach der Auskunft der Verbandsgemeindeverwaltung S. hatten die Ehrengäste keine offiziellen Aufgaben, sondern sollten nur repräsentieren. Die Einladung zum Fest war an den 1. Beigeordneten der Stadt S. ergangen. Falls der Bürgermeister verhindert war, eine solche Veranstaltung zu besuchen, was am Unfalltag der Fall war, entschied der 1. Beigeordnete, ob er selbst an der Veranstaltung teilnahm oder damit den 2. oder 3. Beigeordneten beauftragte. Der 1. Beigeordnete hatte die Einladung an den Kl. als Vertreter der Verbandsgemeinde weitergeleitet. Der Bekl. lehnte es ab, den Unfall vom 13. 9. 1992 als Arbeitsunfall zu entschädigen. Der Kl. sei bei der zum Unfall führenden Fahrt nicht nach § 539 I Nr. 13 RVO gegen Unfall versichert gewesen, denn er habe bei dem Besuch des Festumzugs keine Amtspflichten zu erfüllen gehabt. Der bloße Besuch eines öffentlichen Festes könne keinen Unfallversicherungsschutz begründen. Das SG hat die Klage abgewiesen. Das LSG hat den Bekl. verurteilt, den Kl. wegen der Folgen seines Wegeunfalls vom 13. 9. 1992 zu entschädigen.
Die Revision des Bekl. wurde zurückgewiesen.
Auszüge aus den Gründen:
Die Revision ist unbegründet.
Entgegen der Ansicht des Bekl. hat der Kl. einen Anspruch auf Entschädigung wegen der Folgen des Unfalls vom 13. 9. 1992 nach den Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung; denn der Kl. erlitt bei dem Zusammenstoß einen Arbeitsunfall. Der Entschädigungsanspruch richtet sich noch nach den Vorschriften der RVO, da der vom Kl. geltend gemachte Arbeitsunfall vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1. 1. 1997 eingetreten ist (Art. 36 Unfallversicherungs-EinordnungsG (UVEG), § 212 SGB VII).
Nach § 548 I 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539 , 540 und 543 - 545 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet. Im vorliegenden Fall beurteilt sich der Versicherungsschutz entgegen der Auffassung des LSG nicht nach § 550 I RVO, sondern nach § 548 I 1 RVO, weil das Zurücklegen des Weges bereits einen Teil der ehrenamtlichen Tätigkeit darstellte. Zur Annahme eines Arbeitsunfalls nach § 548 I 1 RVO ist in der Regel erforderlich, daß das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, und daß diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat. Zunächst muß also eine sachliche Verbindung mit der geschützten Tätigkeit bestehen, der innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (BSGE 63, 273 (274); BSG, SozR 2200 § 548 Nr. 94; BSG, SozR 3-2200, § 548 Nr. 27). Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSGE 58, 76 (77); 61, 127 (128)).
Der Kl. war - neben seiner Tätigkeit als juristischer Assessor beim VdK in T. - als 3. Beigeordneter der Verbandsgemeinde S. ehrenamtlich für diese Gemeinde tätig. Als ehrenamtlicher Beigeordneter gehörte er zu den nach § 539 I Nr. 13 RVO gegen Arbeitsunfall versicherten Personen. Nach dieser Vorschrift sind gegen Arbeitsunfälle u.a. versichert die für den Bund, ein Land, eine Gemeinde, einen Gemeindeverband oder eine andere Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts ehrenamtlich Tätigen, wenn ihnen nicht durch Gesetz eine laufende Entschädigung zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts gewährt wird. Der Kl. erfüllte die Voraussetzungen für den Versicherungsschutz. Er war ehrenamtlich tätig in dem in § 539 I Nr. 13 RVO genannten öffentlichrechtlichen Bereich. Ihm wurde dafür keine laufende Entschädigung zur Sicherstellung seines Lebensunterhalts gewährt. Nach § 18 IV RhPfGO i.V. mit § 13 der Landesverordnung über die Aufwandsentschädigung für Ehrenämter in Gemeinden und Verbandsgemeinden vom 1. 3. 1974 (GVBl., S. 105) können ehrenamtliche Beigeordnete eine Aufwandsentschädigung erhalten. Es wird ihnen daher keine laufende Entschädigung zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts gezahlt.
Der Kl. war daher im Zeitpunkt des Unfalles vom 13. 9. 1992 gem. § 539 I Nr. 13 RVO gegen Arbeitsunfall versichert. Nach § 548 RVO besteht Versicherungsschutz für alle Tätigkeiten in Ausübung des Ehrenamtes einschließlich der hiermit im Zusammenhang stehenden Wege (Brackmann, Hdb. der Sozialversicherung, 11. Aufl., S. 474k; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 539 RVO, Anm. 80 2d).
§ 539 I Nr. 13 RVO enthält keine eigene Umschreibung der versicherten Tätigkeit selbst, sondern spricht insoweit nur von für den Bund, ein Land, usw. "ehrenamtlich Tätigen", setzt also die Tätigkeit in der Form voraus, in der sie im Einzelfall tatsächlich oder gesetzlich ausgestaltet ist (BSG, SozR 2200 § 539 Nr. 63). Das LSG hat dazu bezüglich der Tätigkeit des Kl. als Beigeordneter auf die Gemeindeordnung des Landes Rheinland-Pfalz verwiesen. Nach § 50 II RhPfGO vertreten die Beigeordneten - in bestimmter Reihenfolge - den Bürgermeister in dessen Verhinderungsfall. Dieser hat nach § 47 I 1 RhPfGO u.a. die Aufgabe, die Gemeinde nach außen zu vertreten. Dazu gehört auch die Repräsentation der Stadt in der Öffentlichkeit. Der Versicherungsschutz des Kl. umfaßte im Vertretungsfall daher alle mit der Ausübung seiner Aufgaben in einem rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang stehenden Tätigkeiten (vgl. BSG, SozR 2200 § 539 Nr. 63). Nachdem auch der Zeuge P - nach den Feststellungen des LSG - als für die Vertretung des Bürgermeisters zunächst zuständiger 1. Beigeordneter an der Festveranstaltung der Stadt S nicht teilnehmen konnte, betraute er den Kl. mit der Wahrnehmung des Veranstaltungstermins, indem er ihm die dafür bestimmte Einladung zukommen ließ. Der beabsichtigte Besuch des Kl. beim "bunten Nachmittag" in der S-Halle am Unfalltag sollte damit in Ausübung seines Amtes als Beigeordneter zur Vertretung des Bürgermeisters erfolgen. Auf dem Weg zu dieser versicherten Tätigkeit i.S. des § 539 I Nr. 13 RVO verunglückte der Kl.
Dabei würde der Unfallversicherungsschutz des Kl. - entgegen der Ansicht des Bekl. - nicht schon dann scheitern, wenn nur nach den subjektiven Vorstellungen des Kl. der Besuch des "bunten Nachmittags" am Unfalltag im Interesse der Repräsentation der Stadt S sinnvoll gewesen wäre. Nach den für Versicherte, die in einem Beschäftigungsverhältnis i.S. des § 539 I Nr. 1 RVO stehen, entwickelten Grundsätzen, die auch auf ehrenamtlich tätige Versicherte i.S. von § 539 I Nr. 13 RVO anwendbar sind, kommt es für den erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen der zum Unfall führenden Verrichtung und der versicherten Tätigkeit darauf an, daß die Verrichtung, bei der sich der Unfall ereignete, dazu bestimmt war, den Zwecken des Unternehmens zu dienen (vgl. BSG, SozR Nr. 22 zu § 548 RVO; BSG, SozR 2200 § 539 Nr. 119). Maßgebend ist dabei die sich erkennbar ergebende Handlungstendenz. Ob eine Tätigkeit aber dem Unternehmen zu dienen bestimmt war, beurteilt sich nicht danach, ob die Tätigkeit dem Unternehmen objektiv tatsächlich dienlich war. Vielmehr ist es ausreichend, daß der Versicherte von seinem Standpunkt aus der Auffassung sein konnte, daß die Tätigkeit geeignet sei, den Interessen des Unternehmens zu dienen (BSG, SozR 2200 § 550 Nr. 39). Voraussetzung dafür ist jedoch, daß der Versicherte aufgrund der objektiv vorliegenden oder objektiv nachzuvollziehenden Umstände davon ausgehen konnte, seine zum Unfall führende Verrichtung werde dem Unternehmen dienlich sein (vgl. Krasney, in: Schulin, Hdb. d. SozialversicherungsR II, UnfallversicherungsR, § 8 Rdnr. 41). Dies gilt hier auch für die Beurteilung der Frage, ob der Besuch des "bunten Nachmittags" in der S-Halle durch den Kl. zur Erfüllung seiner Aufgaben als Beigeordneter im Interesse der Stadt erforderlich war. Dem Kl. war die offizielle Einladung als Ehrengast für diese Veranstaltung anläßlich des Heimat-, Wein- und Erntedankfestes als Beigeordneten vom Bürgermeister und dessen - ersten - Vertreter zugeleitet worden. Schon daraus konnte der entnehmen, daß sein Besuch des "bunten Nachmittags" als Vertreter der Stadt S., die das Fest organisierte, für erforderlich angesehen wurde. Hinzu kommt, daß die Vertreter der Gemeinden als Ehrengäste an gesonderten Tischen zu sitzen pflegten, wodurch schon ihre repräsentative Funktion deutlich sichtbar zum Ausdruck kommt. Nach der Feststellung des LSG wird in kleinen Gemeinden, besonders in ländlichen Gebieten, die Teilnahme eines Repräsentanten der Gebietskörperschaft bei derartigen Anlässen erwartet. Daher - und nur insoweit ist die Erwartungshaltung der Einwohner bedeutsam - pflegen ehrenamtliche Funktionsträger es typischerweise als Verpflichtung aufzufassen, in Vertretung der Gemeinde an derartigen Veranstaltungen teilzunehmen. Üblicherweise sind daher in der Stadt S. bei den Festveranstaltungen entweder der Bürgermeister oder einer der Beigeordneten anwesend. Zutreffend kam daher das LSG zu dem Ergebnis, den Besuch des "bunten Nachmittags" als Teil der Tätigkeit des Kl. als Beigeordneter zu qualifizieren. Der Kl. konnte zumindest aufgrund der objektiven Gegebenheiten davon ausgehen, sein Besuch des "bunten Nachmittags" würde der Repräsentation der Stadt S. dienlich sein.
Der Versicherungsschutz des Kl. am Unfalltag entfällt ferner nicht unter dem Gesichtspunkt der sog. gemischten Tätigkeit. Nach den Feststellungen des LSG hat die Fahrt am Unfalltag von F. nach S. sowohl privaten als auch versicherten Zwecken gedient. Die Fahrt diente auch dem privaten Zweck, Familienangehörige sowie eine Bekannte des Kl. zum Heimat-, Wein- und Erntedankfest mitzunehmen. In einem solchen Falle ist in erster Linie darauf abzustellen, ob sich der zurückgelegte Weg eindeutig in zwei Teile zerlegen läßt, von denen der eine versicherten Zwecken und der andere privaten Interessen gedient hat (Brackmann/Krasney, Hdb. d. Sozialversicherung III, § 8 Rdnrn. 49 u. 204 m.w. Nachw.). Ist - wie hier - eine Trennung nicht möglich, so besteht Versicherungsschutz, wenn die Verrichtung im Einzelfall versicherten Interessen wesentlich gedient hat; sie braucht ihnen aber nicht überwiegend gedient zu haben (vgl. BSG, SozR 3-2200 § 548 Nr. 19 m.w. Nachw.). Die Wesentlichkeit des Interesses beurteilt sich hierbei in erster Linie nach den aufgrund von objektiven Anhaltspunkten nachvollziehbaren subjektiven Vorstellungen des Versicherten (BSGE 20, 215 (218)). Entscheidendes Abgrenzungskriterium für die Frage, ob eine gemischte Tätigkeit wesentlich versicherten Interessen gedient hat, ist, ob diese Tätigkeit hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn der private Zweck entfallen wäre (vgl. BSG, SozR 3-2200 § 548 Nr. 19 m.w. Nachw.). Damit sind entgegen der Auffassung der Revision auch hier die erforderlichen Abgrenzungen ausreichend möglich zwischen wesentlich allein privaten Interessen dienenden Besuchen von Veranstaltungen und solchen, die wesentlich den dienstlichen Interessen zu dienen bestimmt sind.
Nach den Feststellungen des LSG ist aufgrund der glaubhaften Angaben des Kl. davon auszugehen, daß bei der Fahrt für ihn entscheidend gewesen ist, aus Gründen der Repräsentation der Stadt S. am "bunten Nachmittag" in der S-Halle teilzunehmen. Er hätte die Fahrt in offizieller Funktion als Vertreter der Verbandsgemeinde zum Heimat-, Wein- und Erntedankfest auch dann unternommen, wenn die anderen Insassen des Pkw nicht mitgefahren wären.
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