Ciguatera-Intoxikation in der Karibik als Teil des allgemeinen Lebensrisikos
Gericht
LG Frankfurt a.M.
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
15. 04. 1996
Aktenzeichen
2-24 S 496/94
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der Kl., der bei der Bekl. eine Reise in die Dominikanische Republik gebucht hatte, hat Schadensersatz wegen der Folgen einer Ciguatera-Intoxikation nach einer Fischmahlzeit in dem von der Bekl. vermittelten Hotel begehrt.
Die Klage hatte in beiden Instanzen keinen Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
Selbst wenn man angesichts der schriftlichen Zeugenaussage der Ärztin S davon ausgeht, daß der Kl. eine Fischvergiftung in Form der Ciguatera-Intoxikation während der bei der Bekl. gebuchten Reise in die Dominikanische Republik erlitten hat und daß diese Vergiftung auftrat, weil der Kl. am Abend des 25. 11. 1993 von dem Buffet in dem gebuchten Hotel Fisch verzehrt hat, kann die Bekl. nicht für die von dem Kl. geltend gemachten Schäden haftbar gemacht werden. Das AG hat insoweit zurecht festgestellt, daß eine solche Fischvergiftung, wie sie der Kl. beklagt, dem allgemeinen Lebensrisiko des Reisenden zuzuordnen ist und nicht der Reiseveranstalter dafür einzustehen hat.
So ergibt sich aus der hierzu eingeholten ärztlichen Stellungnahme in Form der Veröffentlichung des Dr. K des Hygiene-Institutes der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, veröffentlicht in der Deutschen Medizinischen Wochenzeitschrift vom April 1994, daß das sog. Ciguatera-Toxin dadurch entsteht, daß Fische einen bestimmten Typ Dinoflagellat (Geißeltierchen) fressen, der an Korallenriffen siedelt und das Toxin bildet, daß die Vergiftung nicht auf bestimmte Fischarten beschränkt ist, das Auftreten ciguateravergifteter Fische in den meisten Regionen der Karibik sporadisch und weitgehend unvorhersehbar ist, daß sich das Toxin nicht durch Kochen inaktivieren läßt und man den Fischen die Vergiftung nicht ansehen, insbesondere nicht durch Geruch oder Geschmack erkennen kann. Weiter ergibt sich aus der Veröffentlichung, daß immunologische Schnelltests im Fisch, auch präventiv auf Fischmärkten, möglich sind, diese in Hawaii entwickelt wurden, jedoch in den meisten anderen Ländern noch keine breite Anwendung gefunden haben. Ebenfalls führt der Beitrag aus, daß Einheimische als Test mitunter Fischteile u.a. an Hauskatzen verfüttern und abwarten, ob diese mit Erbrechen reagieren. Die hierzu zitierte Quelle bezieht sich auf die Cook-Islands. Damit läßt sich von einem Verschulden des Hoteliers bzw. seines Personals, dessen sich die Bekl. zur Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtung dem Kl. gegenüber bediente, nicht ausgehen.
Anders als etwa in den Fällen von Salmonellen-Vergiftungen läßt sich hier eine Beweislastumkehr zu Gunsten des Reisenden nicht annehmen, da in dem vorliegenden Fall eine Ciguatera-Vergiftung nicht selbst den Rückschluß auf eine unsorgfältige Auswahl und Zubereitung der Nahrungsmittel zuläßt. Die Ciguatera-Toxine entstehen nämlich, wie sich den wissenschaftlichen Ausführungen entnehmen läßt, nicht etwa durch „verdorbene Lebensmitteln" im Sinn eines „Schlechtwerdens“ nach dem Fang bzw. bei der Aufbewahrung oder Zubereitung, da die Fische ja bereits vergiftet gefangen werden. Ein Verschulden ist auch nicht daraus herzuleiten, daß die Fische trotz Erkennbarkeit der Vergiftung eingekauft bzw. zubereitet werden, da sich die Toxine den Fischen eben nicht ansehen bzw. durch Geruch oder Geschmack erkennen lassen. Dem Hotelier und damit der Bekl. ist auch nicht vorzuwerfen, daß ein hinreichend verbreitetes existierendes Testverfahren nicht angewandt worden ist, denn insoweit läßt sich nicht davon ausgehen, daß die auf Hawaii entwickelten Tests auch auf der Dominikanischen Republik bereits bekannt und üblich sind. Das Verfahren bestimmter Einheimischer, bestimmte Teile der Fische Tieren vorzuwerfen und abzuwarten, ob diese krankhafte Reaktionen zeigen, kann gleichfalls nicht für die hier fragliche Gegend angenommen werden, da solche Tests eben offensichtlich auch nicht allgemein verbreitet sind, zumal das Auftreten ciguatera-vergifteter Fische in den meisten Regionen der Karibik bloß sporadisch und weitgehend unvorhersehbar ist. Aus letztgenanntem Grund ist einem Hotelier auch nicht ohne weiteres vorzuwerfen, überhaupt noch Fisch als Speise für seine Gäste anzubieten.
Ein Reisemangel und ein Anspruch gem. § 651f BGB läßt sich auch nicht aus einem Verstoß der Bekl. gegen eine Informationspflicht herleiten. Insofern läßt sich nicht argumentieren, die Bekl. hätte auf eine ihr oder ihren Leistungsträgern bekannte oder erkennbare Gefahr zum Zeitpunkt der Reise des Kl. im November/Dezember 1993 hinweisen müssen. Eine allgemeine Hinweispflicht auf jegliche Gesundheits- bzw. Lebensrisiken, die während eines Urlaubes auftreten können, existiert nicht. Lediglich wenn bestimmte Gefahren eine gewisse Verdichtung erfahren haben und mit einer höheren Wahrscheinlichkeit, die außerhalb des allgemeinen Lebensrisikos liegt, gerechnet werden muß, kann eine Verpflichtung eines Veranstalters, hierauf hinzuweisen, angenommen werden.
Daß eine solche größere Wahrscheinlichkeit vorlag, läßt sich dem Vortrag des Kl. aber nicht entnehmen. So hat er nicht etwa konkret vorgetragen, in welcher Häufigkeit bereits vor seiner Erkrankung derartige Fischvergiftungen in der von ihm gebuchten Region aufgetreten wären. Sein Vortrag in der Berufungsbegründung vom 19. 12. 1994, daß die Vergiftung in der Region „häufiger“ auftritt und daß dies auch bekannt sei, stellt keine substantiierte Darlegung sondern lediglich eine subjektive Wertung dar, die dem angebotenen Zeugenbeweis nicht zugänglich ist. Auch die seitens des Gerichts eingeholte schriftliche ärztliche Stellungnahme bzw. wissenschaftliche Veröffentlichung des Dr. K ergibt keine hinreichenden Anhaltspunkte. Zwar kommt die Veröffentlichung in ihrer Schlußfolgerung dazu, daß Reisenden in diese Länder empfohlen werden sollte, sich vor Ort über das aktuelle Risiko zu informieren und gegebenenfalls auf Fischmahlzeiten zu verzichten. Zu berücksichtigen ist jedoch, daß dieser Beitrag erst nach der streitgegenständlichen Reise des Kl. verfaßt wurde aufgrund des Vorkommnisses, daß im März 1994 eine Gruppe von etwa 40 deutschen Urlaubern in der Dominikanischen Republik eine Ciguatera-Fischvergiftung erlitten hat.
Angesichts der in dem Beitrag geschilderten Epidemiologie, auf die verwiesen wird, und des Umstandes, daß in Deutschland bislang offizielle Stellen ersichtlich noch keine Gefährdungshinweise ausgesprochen haben, läßt sich hier ein Verstoß der Bekl. gegen eine Hinweispflicht nicht bejahen.
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