Berufsfortbildung eines arbeitslosen Steuerpflichtigen
Gericht
BFH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
18. 04. 1996
Aktenzeichen
VI R 5/95
Aufwendungen eines arbeitslosen Steuerpflichtigen für seine berufliche Fortbildung stehen dann mit den angestrebten Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit in einem hinreichend klaren Zusammenhang und sind als vorab entstandene Werbungskosten i.S. des § 9 I EStG und nicht etwa in beschränktem Umfang als Sonderausgaben i.S. des § 10 I Nr. 7 S. 1, 2. Alt. EStG abziehbar, wenn feststeht, daß der Steuerpflichtige eine Anstellung anstrebt und dem Arbeitsmarkt - ggf. erst nach Abschluß einer konkreten Weiterbildungsmaßnahme - tatsächlich uneingeschränkt zur Verfügung steht.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der Kl. ist Diplom-Geograph. Er war bis Ende September des Streitjahres 1989 als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Danach war er arbeitslos. Er nahm deshalb von November 1989 bis Dezember 1990 an einem vom Arbeitsamt geförderten Lehrgang zum Abfallwirtschaftsberater teil, um seine Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. Mit Wirkung ab dem 1. 1. 1991 wurde er von einem Institut als wissenschaftlicher Mitarbeiter angestellt, um an der Erarbeitung eines Konzepts für Abfallwirtschaft mitzuwirken. In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1989 machte der Kl. wegen der Teilnahme an dem Lehrgang Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Der Bekl. (Finanzamt) erkannte diese Aufwendungen mit der Begründung nicht an, daß ihnen keine Einnahmen gegenüberstünden.
Das FG gab der Klage, mit der der Kl. den Abzug von Kosten für Fahrten mit dem Pkw zur Lehrgangsstätte als Werbungskosten begehrte, teilweise statt. Die Revision des Kl. führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 III Nr. 2 FGO).
Auszüge aus den Gründen:
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz sind die Aufwendungen des Kl. für die Teilnahme an dem Lehrgang zum Abfallwirtschaftsberater als vorab entstandene Werbungskosten (§ 9 I EStG) bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 I EStG) zu berücksichtigen.
1. Dem finanzgerichtlichen Urteil ist zu folgen, soweit es die vom Arbeitsamt durchgeführte Bildungsmaßnahme nicht als Berufsausbildung i.S. des § 10 I Nr. 7 S. 1 Alt. 1 EStG gewertet hat. Der Kl. hatte als Diplom-Geograph einen Hochschulabschluß und war vor Beginn seiner Arbeitslosigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig gewesen. Der 1 Jahr und 11/2 Monate dauernde Lehrgang zum Abfallwirtschaftsberater baute auf seinem Hochschulstudium auf und ist als eine Maßnahme zur Spezialisierung auf einem Gebiet des erlernten Berufs und nicht als Wechsel in eine andere Berufsart anzusehen. Gegen diese Beurteilung des FGhat sich auch das Finanzamt nicht gewandt.
2. Zwischen den Aufwendungen des Kl. für die Teilnahme an dem Lehrgang und den von ihm für die Zeit danach angestrebten Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit besteht ein hinreichend klarer Zusammenhang, um die Aufwendungen als Werbungskosten i.S. des § 9 I EStG berücksichtigen zu können. Es ist in der Rechtsprechung des BFH anerkannt, daß auch Ausgaben, die vor der Erzielung von Einnahmen entstanden sind, beruflich veranlaßt und deshalb als sog. vorab entstandene Werbungskosten abziehbar sein können. Dafür ist als erforderlich angesehen worden, daß die Ausgaben in einem hinreichend klaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der in Aussicht genommenen Einkunftserzielung stehen (vgl. z.B. BFHE 130, 282 = BStBl II 1980, 395 (397) = NJW 1980, 2376 L ).
Bereits der RFH hat einen für die Annahme von Werbungskosten hinreichenden Zusammenhang zwischen Fortbildungskosten und Einnahmen dann angenommen, wenn ein Steuerpflichtiger vorübergehend gerade deswegen keine Einnahmen aus einer Berufs- oder Erwerbstätigkeit bezieht, weil er sich einer länger dauernden Fortbildung unterzieht (Urteil in RStBl 1937, 1089f.). In Übereinstimmung damit hat der Senat im Urteil in BFHE 128, 472 = BStBl II 1979, 773 die Anerkennung von Werbungskosten bei einem zweijährigen Ganztagsstudium eines während dieser Zeit nicht erwerbstätigen Industriekaufmanns nicht davon abhängig gemacht, daß bereits die Zusage eines Arbeitgebers über eine Anstellung nach Abschluß des Studiums vorlag. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Sie wird dahin konkretisiert und fortentwickelt, daß die Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für die Teilnahme an Bildungsmaßnahmen, die nicht als Berufsausbildung i.S. des § 10 I Nr. 7 S. 1 Alt. 1 EStG zu beurteilen sind, mit den zukünftig angestrebten Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit dann in einem hinreichend klaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen und als vorab entstandene Werbungskosten i.S. des § 9 I EStG zu berücksichtigen sind, wenn feststeht, daß der während der Dauer der Bildungsmaßnahme nicht erwerbstätige Steuerpflichtige für die Zeit nach ihrem Abschluß eine Anstellung anstrebt und dem Arbeitsmarkt tatsächlich uneingeschränkt zur Verfügung steht. Denn bei dieser Fallgestaltung kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, daß der Steuerpflichtige - wie der Wortlaut des § 9 I 1 EStG es verlangt - die Aufwendungen für die Weiterbildung zur „Erwerbung“ von Einnahmen tätigt.
3. Diesem Verständnis des Veranlassungszusammenhangs i.S. des § 9 I EStG steht § 10 I Nr. 7 S. 1 Alt. 2 EStG nicht entgegen. Danach sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine Weiterbildung in einem nicht ausgeübten Beruf Sonderausgaben. Dieser Tatbestand kann zwar auch dann erfüllt sein, wenn - wie im Streitfall - ein Steuerpflichtiger während der Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme von etwas längerer Dauer nicht gleichzeitig erwerbstätig ist. Es besteht jedoch ein Vorrang des Werbungskostenabzugs vor dem Abzug als Sonderausgaben. Denn nach § 10 I 1 EStG sind die folgenden Aufwendungen (nur dann) Sonderausgaben, wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind. Der Gesetzgeber geht also davon aus, daß ein bestimmter Sachverhalt gleichzeitig die Tatbestände von § 9 EStG oder § 4 EStG einerseits und einer der Nummern des § 10 I EStG andererseits erfüllen kann und der Sonderausgabenabzug dann nachrangig ist. Der Vorrang des Werbungskostenabzugs wird auch durch die Entstehungsgeschichte des § 10 I Nr. 7 EStG nicht in Frage gestellt. Die Vorschrift ist durch das SteuerÄnderungsG 1968 (BGBl I 1969, 141 = BStBl I 1969, 116) als § 10 I Nr. 9 EStG mit Wirkung ab 1. 1. 1969 in das EStG eingefügt worden. Ihr Zweck war jedoch keineswegs die Einschränkung eines bis dahin möglichen Werbungskostenabzugs und die Umqualifizierung von bisher unbeschränkt abziehbaren Werbungskosten in nur beschränkt abziehbare Sonderausgaben. Vielmehr sollten nach der Gesetzesbegründung rechtsbegründend zusätzlich solche Aufwendungen zum Abzug als Sonderausgaben zugelassen werden, die nach der damaligen Rechtslage überhaupt nicht hätten abgezogen werden können (vgl. BT-Dr V/3602 S. 3). Die Vorschrift ist danach z.B. bedeutsam für die Weiterbildungsmaßnahmen von solchen Steuerpflichtigen, die sich durch Weiterbildung in ihrem erlernten Beruf auf dem laufenden halten wollen, ohne - z.B. wegen der Betreuung von Kindern - dem Arbeitsmarkt unmittelbar nach Abschluß der Bildungsmaßnahme zur Verfügung stehen zu können.
4. Bei Anwendung der vorstehenden Grundsätze auf den Streitfall ergibt sich, daß die Aufwendungen des Kl. für den Lehrgang dem Grunde nach Werbungskosten sind. Denn der Kl. hat sich bereits unstreitig während des Lehrgangs um eine Arbeitsstelle bemüht und hat tatsächlich für die Zeit unmittelbar nach dem Ende des Lehrgangs eine neue Anstellung gefunden. Das finanzgerichtliche Urteil hat deshalb zu Unrecht den Werbungskostenabzug versagt und ist folglich aufzuheben.
Die Sache ist aber nicht spruchreif. Denn das FG hat - von seinem Standpunkt aus zu Recht - bisher keine eigenen Feststellungen zur Höhe der Werbungskosten getroffen. Es wird dies im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.
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