Urlaubsentgelt bei nachträglich gekürztem Urlaub

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

23. 04. 1996


Aktenzeichen

9 AZR 317/95


Leitsatz des Gerichts

  1. Kündigt ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis in der ersten Hälfte des Jahres, so verkürzt sich sein ursprünglich in voller Höhe entstandener Urlaubsanspruch auf soviele Zwölftel des Jahresurlaubs, wie das Arbeitsverhältnis volle Monate in diesem Jahr besteht. In gleicher Weise entfällt der Anspruch auf Urlaubsvergütung. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer zunächst mehr Urlaub erhalten hat, als ihm wegen der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zusteht.

  2. Dasselbe gilt bei einer Kündigung im Laufe des Kalenderjahres, wenn in einem Tarifvertrag die Kürzung des Urlaubsanspruches um 1/12 für jeden vollen Monat bestimmt ist, in dem das Arbeitsverhältnis nicht mehr bestanden hat, soweit der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch nicht betroffen ist.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten über die Zahlung von Urlaubsentgelt. Der Kl. war seit 1988 bei der Bekl. beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden die Bestimmungen des Manteltarifvertrags für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 29. 2. 1988 (MTV) Anwendung. Darin ist u.a. bestimmt:

§ 11. 1. Jeder Arbeitnehmer/Auszubildende hat nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen in jedem Urlaubsjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr. . .

4. Eine Rückvergütung für bereits genommenen Urlaub kann nicht verlangt werden. . .

§ 12. 2. Im Ein- und Austrittsjahr hat der Arbeitnehmer/Auszubildende gegen den alten und neuen Arbeitgeber/Ausbildungsbetrieb auf so viele Zwölftel des ihm zustehenden Urlaubs Anspruch, als er Monate bei ihnen gearbeitet hat (Beschäftigungsmonate)/ausgebildet wurde (Ausbildungsmonate) ...

§ 13. 1. Der Urlaub beträgt für Arbeitnehmer/Auszubildende 30 Arbeitstage/Ausbildungstage. . .

§ 14. 2. Die Urlaubsvergütung ist auf Wunsch des Arbeitnehmers/Auszubildenden vor Antritt des Urlaubs zu zahlen, sofern der Urlaub mindestens 2 Wochen umfaßt. Statt der Urlaubsvergütung kann ein entsprechender Abschlag geleistet werden ...

Der Kl. hatte 1994 zunächst an 19 Arbeitstagen Urlaub erhalten. Auf seinen Antrag gewährte die Bekl. ihm für die Zeit vom 12. bis 18. 7. 1994 weitere 5 Urlaubstage. Der Kl. kündigte am 29. 7. 1994 das Arbeitsverhältnis zum 31. 8. 1994. Die Bekl. gewährte ihm Urlaubsvergütung für den 12. 7. 1994, nicht aber für die vier Tage vom 13. bis 18. 7. 1994. Diese verlangt der Kl. mit der vorliegenden Klage.

ArbG und LAG haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Kl. blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Der Kl. hat keinen Anspruch auf Entgelt für die Zeit vom 13. bis 18. 7. 1994.

1. Der Anspruch folgt nicht aus § 11 Nr. 1 MTV i.V. mit § 611 BGB.

a) Der Kl. hat zu Beginn des Jahres 1994 einen Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen erworben. Davon konnten im Juli fünf Tage verlangt werden, nachdem der Anspruch erst für 19 Tage erfüllt war.

b) Die Freistellung nach den tariflichen und gesetzlichen Urlaubsvorschriften hat regelmäßig zur Folge, daß der Arbeitgeber für den Zeitraum der Freistellung die geschuldete Urlaubsvergütung zu zahlen hat, §§ 11 Nr. 1, 14 Nr. 2 MTV. Das gilt nicht, wenn der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf des Urlaubsjahres gekürzt wird. In diesem Fall ordnet das Bundesurlaubsgesetz wie der Manteltarifvertrag den teilweisen Wegfall des Anspruchs an. Hat der Arbeitnehmer mehr Urlaub erhalten, als ihm nach der Kürzung zusteht, so steht fest, daß er einen Teil des Urlaubs ohne Rechtsgrund erhalten hat. Die vom Arbeitgeber gewährte Freistellung von den Arbeitsverpflichtungen erweist sich nachträglich als nicht urlaubsrechtliche Freistellung, für die eine Zahlung von Urlaubsentgelt nicht in Betracht kommt. Die Anordnung in § 1 und § 3 I BUrlG sowie in § 11 MTV auf Gewährung bezahlten Erholungsurlaubs setzt voraus, daß eine urlaubsrechtliche Freistellung rechtmäßig erfolgt ist.

Dem steht die Rechtsprechung des Senats zum hessischen Bildungsurlaubsgesetz und zum Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen (BAGE 72, 200 = NZA 1993, 1032 = AP Nr. 1 zu § 9 BildungsurlaubsG Hessen; BAGE 73, 135 = NZA 1993, 1087 = AP Nr. 2 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW) nicht entgegen. In den vom Senat entschiedenen Fällen hatte der Arbeitgeber einen bestehenden und auch nicht nachträglich weggefallenen Anspruch auf Freistellung erfüllt und sich die Zahlung des Entgelts vorbehalten. Eine derartige Möglichkeit, die das Risiko des Entgeltsausfalls dem Arbeitnehmer einseitig überträgt, sehen die Bildungsurlaubsgesetze ebenso wenig vor wie eine Kürzung des Anspruchs.

2. Der Kl. hat auch keinen Anspruch aus § 5 III BUrlG oder § 11 Nr. 4 MTV. Beide Vorschriften regeln lediglich den Fall, daß der Arbeitnehmer nicht nur mehr Urlaub erhalten hat, als ihm nach der Kürzung zustand, sondern auch das Urlaubsentgelt bereits empfangen hat. Übereinstimmend ordnen § 11 Nr. 4 MTV und § 5 III BUrlG an, daß das dafür gezahlte Urlaubsentgelt nicht zurückgefordert werden kann. Beide Regelungen enthalten demnach keine besondere Anspruchsgrundlage für die Zahlung von Entgelt für die Zeit einer Freistellung, die sich nachträglich nicht als Urlaub erweist. Die Bestimmungen sind lediglich Sondervorschriften zum Bereicherungsrecht. Der Arbeitgeber, für dessen Zahlung nachträglich der Rechtsgrund weggefallen ist, könnte das Entgelt nach § 812 I BGB zurückverlangen. Das wird durch § 5 III BUrlG und § 11 Nr. 4 MTV ausgeschlossen. Dem Arbeitnehmer bleibt es erspart, der Forderung des Arbeitgebers mit dem Einwand der Entreicherung begegnen zu müssen.

3. Die tariflichen und gesetzlichen Vorschriften über den bezahlten Erholungsurlaub sind auch nicht analog anzuwenden. Beide Normenbereiche sind nicht lückenhaft. Im Tarifvertrag und im Gesetz ist vielmehr eine Abwägung zwischen den Interessen der Vertragsparteien vorgenommen worden. Entsteht der Kürzungstatbestand nach Leistung des Entgelts, so wird der Arbeitnehmer dadurch begünstigt, daß er das ohne Rechtsgrund erhaltene Entgelt behalten darf. Entsteht der Kürzungstatbestand zwischen Urlaub und Zahlung des Entgelts, so trägt der Arbeitnehmer das Risiko, bestimmte Tage ohne Arbeitsentgelt frei gehabt zu haben. Entsteht der Kürzungstatbestand vor Antritt des Urlaubs, so kann der Arbeitgeber die nicht mehr durch den Urlaubsanspruch gedeckte Freistellungserklärung mit der Folge kondizieren, daß der Arbeitnehmer entgegen seinen ursprünglichen Wünschen zur Arbeit verpflichtet ist und dafür das geschuldete Entgelt erhält.

Vorinstanzen

LAG Düsseldorf, 16 Sa 1980/94, 14.03.1995

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 29. 2. 1988 (MTV) §§ 11 bis 14; BUrlG §§ 1, 3 I, 5 Ic, III; BGB § 812