Kündigungsverbot bei Mutterschutz

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

13. 06. 1996


Aktenzeichen

2 AZR 736/95


Leitsatz des Gerichts

  1. § 9 I 1 Halbs. 2 MuSchG gilt unabhängig davon, ob die Arbeitnehmerin bei Kündigungszugang Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hatte.

  2. Geht einer schwangeren Arbeitnehmerin während ihres Urlaubs eine Kündigung zu und teilt sie dem Arbeitgeber unverzüglich nach Rückkehr aus dem Urlaub ihre Schwangerschaft mit, so ist die Überschreitung der Zwei-Wochen-Frist des § 9 I 1 Halbs. 2 MuSchG nicht allein deshalb als verschuldet anzusehen, weil die Arbeitnehmerin es unterlassen hat, dem Arbeitgeber ihre Schwangerschaft vor Urlaubsantritt anzuzeigen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. ist in dem von der Bekl. betriebenen Verlag seit 15. 2. 1994 als Assistentin der Anzeigenleitung zu einem Bruttogehalt von zuletzt 4100 DM beschäftigt. Am 28. 7. 1994 heiratete die Kl. und ging anschließend am 1. 8. 1994 auf Hochzeitsreise. Von dieser Auslandsreise kehrte sie am 15. 8. 1994 zurück und fand in ihrem Briefkasten ein Kündigungsschreiben der Bekl. vom 2. 8. 1994, mit dem das Arbeitsverhältnis zum 31. 8. 1994 gekündigt wurde. Die Kl. war zu diesem Zeitpunkt in der zwölften Woche schwanger. Dies war ihr auch zumindest seit dem 14. 7. 1994, dem Tag der Ausstellung des Mutterpasses bekannt. Mit Schreiben vom 16. 8. 1994, der Bekl. zugegangen am 18. 8. 1994, machte die Kl. der Bekl. unter gleichzeitiger Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Mitteilung von ihrer Schwangerschaft. Mit ihrer am 19. 8. 1994 beim ArbG eingegangenen Klage macht die Kl. geltend, die Kündigung sei nach § 9 MuSchG unwirksam. Sie hat bestritten, daß das Kündigungsschreiben bereits am 2. 8. 1994 in ihren Briefkasten eingeworfen worden ist, und dazu behauptet, ihre Nachbarn hätten noch am 6. 8. 1994 ihren Briefkasten geleert und dabei das Kündigungsschreiben nicht vorgefunden. Jedenfalls sei es ihr nicht als Verschulden anzurechnen, daß die Mitteilung der Schwangerschaft erst am 18. 8. 1994 erfolgt sei. Sie habe nicht mit einer Kündigung rechnen müssen. Es habe deshalb kein Anlaß bestanden, schon vor ihrer Hochzeit bzw. vor Antritt der Hochzeitsreise die Bekl. über die Schwangerschaft zu unterrichten. Nach ihrer Rückkehr aus dem Ausland und Kenntnis von dem Kündigungsschreiben habe sie der Bekl. unverzüglich ihre Schwangerschaft angezeigt.

Das ArbG hat nach dem Klageantrag erkannt. Die Berufung der Bekl. blieb erfolglos. Mit der Revision verfolgt die Bekl. ihren Klageabweisungsantrag weiter, allerdings ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Kündigung der Bekl. war nach § 9 I MuSchG unzulässig. Unterstellt man zugunsten der Bekl., daß das Kündigungsschreiben bereits am 2. 8. 1994 in den Briefkasten der Kl. gelangt und dieser damit zugegangen ist, so hat die Kl. der Bekl. zwar nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung Mitteilung von ihrer Schwangerschaft gemacht; dies ist aber unschädlich, weil die geringfügige Fristüberschreitung auf einem von der Kl. nicht zu vertretenden Grund beruhte und die Kl. die Mitteilung unverzüglich nachgeholt hat.

I. Das LAG hat angenommen, auch im Fall einer längeren Urlaubsreise sei die schwangere Arbeitnehmerin regelmäßig nicht gehalten, dem Arbeitgeber vorsorglich vor Urlaubsantritt Mitteilung von einer bestehenden Schwangerschaft zu machen. Erhalte die Arbeitnehmerin schuldlos erst nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist Kenntnis von dem Zugang der Kündigung, so reiche es aus, wenn sie die Mitteilung der Schwangerschaft unverzüglich nachhole.

II. Dem folgt der Senat.

1. Nach § 9 I 1 Halbs. 2 MuSchG führt die Versäumung der Zwei-Wochen-Frist für die nachträgliche Mitteilung der Schwangerschaft nur dann zum Verlust des besonderen Kündigungsschutzes, wenn sie auf einem Verschulden beruht oder wenn die Arbeitnehmerin die Mitteilung nicht unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern nachholt. Das Gesetz unterscheidet nicht danach, ob die schwangere Arbeitnehmerin bei Zugang der Kündigung Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hatte oder nicht. Die Kenntnis oder Unkenntnis der Arbeitnehmerin von ihrer Schwangerschaft spielt für den Lauf der Zwei-Wochen-Frist des § 9 I 1 MuSchG keine Rolle (Zmarzlik/Zipperer/Viethen, Mutterschutzgesetz, Mutterschaftsleistungen, Bundeserziehungsgeldgesetz, 7. Aufl., § 9 MuSchG Rdnr. 29). Auch die Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 52, 357 = NJW 1980, 824 und BVerfGE55, 154 = NJW 1981, 1313 L = AP Nrn. 7 und 8 zu § 9 MuSchG 1968), auf der die Einfügung des § 9 I 2 Halbs. 2 MuSchG durch Gesetz vom 3. 7. 1992 (BGBl I, 1191) letztlich basiert, stellt ganz allgemein auf die unverschuldete Versäumung der Zwei-Wochen-Frist ab, ohne danach zu differenzieren, ob der Arbeitnehmerin bei Zugang der Kündigung ihre Schwangerschaft bekannt war oder nicht.

2. Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung sprechen ebenfalls dagegen, der schwangeren Arbeitnehmerin, wie dies die Revision vertritt, den gesetzlichen Schutz von vornherein zu versagen, wenn sie bei Zugang der Kündigung Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hatte, aber aus anderen Gründen unverschuldet verhindert war, dem Arbeitgeber ihre Schwangerschaft binnen zwei Wochen anzuzeigen. Zweck der Mitteilungsfrist ist es, der schwangeren Arbeitnehmerin einen ausreichenden zeitlichen Handlungsspielraum zu verschaffen, innerhalb dessen eine nachträgliche Mitteilung in der Regel möglich sein soll (Pfeiffer, in: KR, 4. Aufl., § 9 MuSchG Rdnr. 56a). Diese Überlegungsfrist würde beseitigt, würde man nicht einmal das Vorbringen der Arbeitnehmerin berücksichtigen, sie habe während der Zwei-Wochen-Frist vom Zugang der Kündigung schuldlos keine Kenntnis erlangt bzw. der rechtzeitigen Mitteilung hätten sonstige Hinderungsgründe entgegengestanden. Eine solche Einschränkung würde im Ergebnis einen Rückschritt hinter den Rechtszustand darstellen, der vor Einführung der Zwei-Wochen-Frist zur nachträglichen Mitteilung der Schwangerschaft bestand: Schon das Mutterschutzgesetz 1942 (RGBl I, 321) verlangte zur Erhaltung des besonderen Kündigungsschutzes lediglich eine unverzügliche Mitteilung vom Bestehen der Schwangerschaft nach Zugang der Kündigung; dies konnte nur bedeuten, daß die Mitteilung rechtzeitig erfolgt war, wenn bei Kenntnis der Arbeitnehmerin von ihrer Schwangerschaft im Zeitpunkt der Kündigung der sofortigen Mitteilung sonstige Hindernisse entgegenstanden, die die Arbeitnehmerin nicht zu vertreten hatte, und die Mitteilung ohne schuldhaftes Zögern nachgeholt wurde. Durch die Einführung einer zweiwöchigen (früher einwöchigen) Überlegungsfrist kann sich dieser Rechtszustand nicht zum Nachteil der Arbeitnehmerin verändert haben.

3. Auch in der Literatur wird überwiegend vertreten, daß eine unverschuldete Versäumung der Zwei-Wochen-Frist des § 9 I 1 MuSchG nicht nur dann eintreten kann, wenn die Arbeitnehmerin von der Schwangerschaft keine Kenntnis hat, sondern auch dann, wenn sie bei Kenntnis von ihrer Schwangerschaft durch sonstige Umstände unverschuldet an der rechtzeitigen Mitteilung gehindert ist (Wenzel, BB 1981, 674 (677); Eich, DB 1981, 1233 (1236); Pfeiffer, in: KR, § 9 KRSchG Rdnr. 56a; Heenen,in: Münchener Hdb. z. ArbeitsR, § 219 Rdnr. 97; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, § 9 Zmarzlik/Zipperer/Viethensel/Sowka, Mutterschutz und Erziehungsurlaub, 4. Aufl., § 9 MuSchG Rdnr. 91; einschränkend wohl Gröninger/Thomas, Mutterschutzgesetz, Stand: Juli 1993, § 9 MuSchG Rdnr. 22). Die Rechtsprechung (BVerfGE 52, 357 = NJW 1980, 824 = AP Nr. 7 zu § 9 MuSchG 1969; BVerfGE 55, 154 = NJW 1981, 1313 L = AP Nr. 8 zu § 9 MuSchG 1969; BAG, NJW 1982, 1574 = AP Nr. 9 zu § 9 MuSchG 1968; BAGE 43, 331 = NJW 1984, 1418 = AP Nr. 12 zu § 9 MuSchG 1969) hat zwar vor der gesetzlichen Neufassung des § 9 MuSchG das Recht der Arbeitnehmerin zur nachträglichen Mitteilung ihrer Schwangerschaft an dem häufigeren Fall entwickelt, daß die Arbeitnehmerin bei Zugang der Kündigung keine Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hatte. Es sind jedoch (Senat, RzK IV 6a Nr. 5) auch sonstige Hinderungsgründe (Krankenhausaufenthalt) berücksichtigt worden, die trotz Kenntnis der Arbeitnehmerin von ihrer Schwangerschaft einer rechtzeitigen Mitteilung an den Arbeitgeber entgegenstanden. Es macht keinen Unterschied, ob die Arbeitnehmerin erst während der Zwei-Wochen-Frist des § 9 I 1 MuSchG von ihrer Schwangerschaft erfährt und dann schuldlos an der rechtzeitigen Mitteilung gehindert ist, oder ob sie zwar von Anfang an Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hat, an der Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist aber dadurch gehindert wird, daß ihr das Kündigungsschreiben während einer Auslandsreise an ihrem Wohnort zugeht und sie erst nach Ablauf der ZweiWochen-Frist Kenntnis von der Kündigung erlangt (Wenzel, S. 678).

4. Die von der Revision geforderte Einschränkung des § 9 I 1 Halbs. 2 MuSchG auf Fälle, in denen die Arbeitnehmerin bei Zugang der Kündigung keine Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hatte, würde auch verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen. § 9 I 1 MuSchG würde dann insoweit eine starre Ausschlußfrist darstellen, was nach der Rechtsprechung des BVerfG mit Art. 6 IV BVerfGereinbar ist. Geht es, wie im vorliegenden Fall, um den Zugang einer Kündigung während einer Urlaubsreise, so würde es zudem im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 103 BVerfGl. z. B. BVerfGE 34, 154 = NJW 1973, 187 = AP Nr. 28 zu Art. 103 GG) Bedenken unterliegen, der schwangeren Arbeitnehmerin die Möglichkeit einer nachträglichen Mitteilung der Schwangerschaft zu versagen.

5. Auch die Vorschrift des § 5 I MuSchG, wonach werdende Mütter dem Arbeitgeber ihre Schwangerschaft mitteilen sollen, sobald ihnen ihr Zustand bekannt ist, rechtfertigt kein anderes Ergebnis, insbesondere ist nicht in Fällen, in denen diese Mitteilung unterblieben ist, ohne Berücksichtigung anderer Hinderungsgründe stets von einem Verschulden der Arbeitnehmerin an der verspäteten Mitteilung auszugehen.

a) Nach der Senatsrechtsprechung (BAGE 43, 331 = NJW 1984, 1418 = AP Nr. 12 zu § 9 MuSchG 1968), an der festzuhalten ist, liegt eine schuldhafte Versäumung der Zwei-Wochen-Frist des § 9 I 1 MuSchG nur dann vor, wenn sie auf einem gröblichen Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse billigerweise zu erwartende Verhalten zurückzuführen ist.

b) § 5 I 1 MuSchG enthält keine gesetzlich verbindliche Pflicht der Arbeitnehmerin zur Offenbarung ihres Zustandes. Die Fassung als Sollvorschrift bedeutet vielmehr lediglich eine nachdrückliche Empfehlung an die Frau, im eigenen Interesse dem Arbeitgeber ihren Zustand zu offenbaren, sobald sie ihn selbst kennt (Gröninger/Thomas, Stand: November 1991, § 5 MuSchG Rdnr. 3 m.w. Nachw.). Da die Arbeitnehmerin grundsätzlich nicht verpflichtet ist, dem Arbeitgeber unaufgefordert ihre persönlichen Verhältnisse zu offenbaren, ist die Mitteilungs“pflicht“ der Arbeitnehmerin nicht als einklagbare und mit Buße oder Strafe bewehrte gesetzliche Pflicht ausgestaltet worden. Damit verbietet sich die Annahme, eine Arbeitnehmerin, die zwar von ihrer Schwangerschaft Kenntnis hat, aber zunächst ihrem Arbeitgeber ihren Zustand noch nicht offenbart, verstoße gröblich gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse billigerweise zu erwartende Verhalten (vgl.BAGE 43, 331 = NJW 1984, 1418 = AP Nr. 12 zu § 9 MuSchG 1968). Solange keine Kündigung ausgesprochen ist oder zumindest droht, verstößt die Arbeitnehmerin lediglich gegen eine in ihrem Interesse erlassene Sollvorschrift, von der die Literatur sagt, die Verletzung der „Pflicht“ habe praktisch keine Rechtsfolgen (Gröninger/Thomas, Stand: Oktober 1994, § 5 MuSchG Rdnr. 3). Erst mit Zugang der Kündigung ist die Arbeitnehmerin nach § 9 MuSchG im eigenen Interesse verpflichtet, nunmehr dem Arbeitgeber ihre Schwangerschaft anzuzeigen. Liegen keine anderen Hinderungsgründe vor, so ist bei der Prüfung des Verschuldens der Arbeitnehmerin insoweit § 5 MuSchG zu berücksichtigen, und es ist regelmäßig als verschuldet anzusehen, wenn die Arbeitnehmerin die Zwei-Wochen-Frist nicht einhält, obwohl sie bei Zugang der Kündigung Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hatte. Dies schließt es aber nicht aus, es als unverschuldet anzusehen, wenn andere Hinderungsgründe (Krankheit, Urlaub etc.), die die Arbeitnehmerin nicht zu vertreten hat, eine rechtzeitige Mitteilung der bei Zugang der Kündigung bekannten Schwangerschaft verhindert haben.

6. Es ist nach alledem revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das LAG angenommen hat, die geringfügige Überschreitung der Frist des § 9 I 1 MuSchG beruhe nicht auf einem von der Kl. zu vertretenden Grund. Daß die Kl. die nicht mit einer Kündigung zu rechnen brauchte und ohnehin erst wenige Wochen vor dem Kündigungszugang von ihrer Schwangerschaft erfahren hat, der Bekl. nicht nach § 5 MuSchG bereits vor ihrer Abreise ihre Schwangerschaft offenbart hat, ist mit dem LAGnicht als gröbliches Verschulden gegen sich selbst zu bewerten. Man würde auch die Sorgfaltspflichten der Kl. überspannen, wollte man, wie dies die Revision geltend macht, von ihr verlangen, sie hätte im Fall einer mehrwöchigen Urlaubsreise mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des BAG zum Kündigungszugang bei Urlaubsabwesenheit (BAGE 58, 9 = NZA 1988, 875 = AP Nr. 16 zu § 130 BGB) die Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist dadurch sicherstellen müssen, daß sie der Bekl. vor Urlaubsantritt Mitteilung von ihrer Schwangerschaft gemacht hätte. Ohne gröbliches Verschulden konnte die Kl. davon ausgehen, daß die Folgen einer durch den Zugang des Kündigungsschreibens während ihres Urlaubs verursachten Fristversäumnis im Sinne der zitierten Rechtsprechung des BVerfG durch eine Nachholung der versäumten Handlung geheilt werden konnten.

Daß die Kl. nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 I BGB) die versäumte Mitteilung nachgeholt hat, hat das LAG mit zutreffender Begründung ausgeführt, ohne daß die Revision dagegen erhebliche Rügen vorgebracht hätte.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

MuSchG §§ 9 I 1, 5