Veranlassung zum Abschluß eines Aufhebungsvertrags durch widerrechtliche Drohung

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

21. 03. 1996


Aktenzeichen

2 AZR 543/95


Leitsatz des Gerichts

Ist der Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erschüttert, sondern besteht lediglich ein gewisser Anfangsverdacht, der Arbeitnehmer könne eine Erkankung vorgetäuscht haben, so ist der Arbeitgeber regelmäßig verpflichtet, die Verdachtsmomente (etwa durch eine Befragung des Arbeitnehmers über die Art der Erkrankung) näher aufzuklären, ehe er mit einer fristlosen Kündigung droht und den Arbeitnehmer dadurch zum Abschluß eines Aufhebungsvertrags veranlaßt.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die 1947 geborene Kl. ist seit 1974 als Schwesternhelferin in der von der Bekl. in H. betriebenen Thorax-Klinik beschäftigt. Sie verdiente zuletzt 3500 DM monatlich. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft einzelvertraglicher Bezugnahme der Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT) Anwendung. Von 1991 bis 1993 fehlte die Kl. an insgesamt ca. 600 Tagen. Deshalb war für den 25. 2. 1994 ein Personalgespräch mit ihr anberaumt. Einen Tag vor diesem Gespräch erfuhr die Bekl. von anderen Mitarbeitern gerüchtweise, die Kl. habe während einer längeren Arbeitsunfähigkeitsperiode im Jahre 1991 in ihrer tschechischen Heimat den Führerschein gemacht. Bei dem Personalgespräch wurde die Kl. hierzu befragt und mit dem Vorwurf konfrontiert, auch die seit 1991 aufgetretenen übrigen Fehlzeiten seien nur vorgetäuscht gewesen. Die Kl. wurde aufgefordert, ihren Führerschein vorzulegen, was sie schließlich auch tat. Der Führerschein trägt als Ausstellungsdatum den 24. 6. 1991; seine Gültigkeit ist auf den 20. 6. 1991 zurückdatiert. Der Personalleiter der Bekl. teilte der Kl. daraufhin mit, man beabsichtige, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, vor allem weil die Kl. während ihrer Krankheit in Urlaub gefahren sei und den Führerschein gemacht habe. Zugleich wurde der Kl. der Abschluß eines Aufhebungsvertrags angeboten. Ihr wurde ein Schreiben vorgelegt, mit dem sie um die sofortige Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses bat. Dieses Schreiben wurde von der Kl. und sodann mit dem handschriftlichen Vermerk „Zur Kenntnis genommen und einverstanden“ auch von dem Personalleiter und der Pflegedienstleisterin der Bekl. unterzeichnet. Nachdem die Kl. zunächst erfolglos über den Personalrat an die Bekl. herangetreten war mit dem Ziel, den Aufhebungsvertrag zu annullieren, focht sie ihn durch Schreiben ihrer jetzigen Prozeßbevollmächtigten vom 11. 3. 1994 gem. § 123 BGB an. Die Kl. hat geltend gemacht, zum Abschluß des Aufhebungsvertrags sei sie durch widerrechtliche Drohung bewogen worden. Es treffe nicht zu, daß sie die Fahrprüfung vom 20. 6. 1991 abgelegt habe. Die Fahrstunden habe sie vielmehr während ihres Urlaubs im März/April 1991 genommen und in dieser Zeit auch die Fahrprüfung bestanden. Während ihrer Arbeitsunfähigkeit sei sie nicht in ihrem Heimatland, sondern in H. gewesen. Dies ergebe sich schon daraus, daß sie am 25. 6. 1991 ihre Ärztin in der Sprechstunde aufgesucht habe. Bei dem Gespräch sei ihr nicht nur völlig unberechtigterweise mit einer Kündigung gedroht werden. Man habe ihr auch erklärt, sie habe sich schadensersatzpflichtig gemacht und müsse die Vergütung für die vorgetäuschten Krankheitszeiten in Höhe von ca. 100000 DM zurückzahlen. Die Kl. hat zuletzt beantragt, die Bekl. zu verurteilen, sie zu den bisherigen Bedingungen als Krankenschwesterhelferin weiterzubeschäftigen. Die Bekl. hat zur Stützung ihres Klageabweisungsantrags geltend gemacht, mit einer Schadensersatzforderung, erst recht in der genannten Höhe sei der Kl. nicht gedroht worden. Die Kl. habe bei dem Gespräch nach anfänglichem Leugnen zugegeben, ihren Führerschein wenige Tage vor dem 25. 6. 1991 gemacht zu haben. Wenn die Kl. ins Ausland habe reisen und dort die Fahrprüfung ablegen können, so begründe dies zusammen mit dem anfänglichen Leugnen der Kl. bei dem Personalgespräch den Verdacht, die Kl. sei in der fraglichen Zeit nicht arbeitsunfähig krank gewesen. Jedenfalls habe die Kl. gegen die ihr obliegende Pflicht verstoßen, sich gesundheitsfördernd zu verhalten.

Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Bekl. blieb erfolglos. Mit der Revision verfolgt die Bekl. ihren Klageabweisungsantrag, allerdings ohne Erfolg, weiter.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Nach dem in der Revisionsinstanz teilweise geänderten Klageantrag war festzustellen, daß die Bekl. vom 5. 10. 1994 bis zum 20. 3. 1996 zur Weiterbeschäftigung der Kl. verpflichtet gewesen ist. Für die Zeit ab 21. 3. 1996 sind die Entscheidungen der Vorinstanzen zu bestätigen, soweit die Bekl. verurteilt worden ist, die Kl. auch in Zukunft zu beschäftigen.

A. Gegen den teilweisen Übergang von der Leistungsklage auf Weiterbeschäftigung zur Klage auf Feststellung, daß in der Vergangenheit eine Weiterbeschäftigungspflicht der Bekl. bestanden hat, bestehen keine Bedenken. Es handelt sich um eine noch in der Revisionsinstanz zulässige Klageeinschränkung i.S. des § 264 Nr. 2 ZPO (vgl. BAGE 17, 331 (334) = NJW 1996, 517 = AP Nr. 104 zu § 242 BGB Ruhegehalt (zu I); Senat, NZA 1992, 1023 = EzA § 123 BGB Nr. 36 = RzK I 9i Nr. 23). Der Feststellungsantrag ist auch zulässig. Für die Vergangenheit hat sich der Weiterbeschäftigungsantrag der Kl. in der Hauptsache erledigt, es besteht aber schon im Hinblick auf die persönlichkeitsrechtliche Natur des Beschäftigungsanspruchs gem. § 256 I ZPO nach wie vor ein rechtliches Interesse der Kl. an der Feststellung, daß bis zur Entscheidung über die Revision eine Beschäftigungspflicht der Bekl. bestanden hat (vgl. Senat, NZA 1986, 562 = NJW 1987, 680 = AP Nr. 19 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht (zu A)).

B. Der Feststellungsantrag ist auch begründet. Die Bekl. war verpflichtet, die Kl. jedenfalls seit dem Erlaß des arbeitsgerichtlichen Urteils während der Dauer des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen Bedingungen weiterzubeschäftigen.

I. Die Vorinstanzen haben jedenfalls im Ergebnis zu Recht angenommen, daß das Arbeitsverhältnis der Kl. fortbesteht.

1. Das LAG hat ausgeführt, die Aufhebungsvereinbarung vom 25. 2. 1994 sei durch die Anfechtungserklärung der Kl. rückwirkend beseitigt worden. Die Drohung mit der angesichts der Beschäftigungszeit der Kl. allein noch zulässigen außerordentlichen Kündigung sei nach den Gesamtumständen als widerrechtlich anzusehen. Selbst wenn man zugunsten der Bekl. unterstelle, die Kl. habe sich in dem fraglichen Zeitraum in Tschechien aufgehalten und dort die Führerscheinprüfung abgelegt, so könne daraus noch nicht geschlossen werden, daß sie nicht arbeitsunfähig krank gewesen sei. Der Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei durch das Verhalten der Kl. nicht erschüttert gewesen, auch wenn man das anfängliche Leugnen der Kl. mitberücksichtige. Zahlreiche Krankheiten würden zwar die Vollzeittätigkeit als Schwesternhelferin, nicht aber eine Auslandsreise und das Ablegen einer Fahrprüfung ausschließen. Unter diesen Umständen habe die Bekl. jedenfalls nicht ohne weitere Aufklärung davon ausgehen dürfen, die Kl. habe ihre Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht bzw. durch ihr Verhalten den Genesungsprozeß verzögert. Eine außerordentliche Kündigung habe die Bekl. unter diesen Umständen, insbesondere auch unter Berücksichtigung des Lebensalters der Kl. und der fast 20jährigen Betriebszugehörigkeit, nicht ernsthaft in Erwägung ziehen dürfen. Die Anfechtung des Aufhebungsvertrages wegen widerrechtlicher Drohung greife deshalb durch und die Bekl. sei zur Weiterbeschäftigung der Kl. verpflichtet.

2. Dem folgt der Senat. Nach § 123 I BGB kann derjenige, der widerrechtlich durch Drohung zur Abgabe einer Willenserklärung bestimmt worden ist, die Erklärung mit der Nichtigkeitsfolge des § 142 I BGB anfechten.

a) Eine Drohung i.S. des § 123 I BGB setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird. Darunter fällt auch die Androhung einer außerordentlichen Kündigung (vgl. BAGE 32, 194 = NJW 1980, 2213 = AP Nr. 21 zu § 123 BGB m.w. Nachw.). Die Drohung muß nicht ausdrücklich ausgesprochen werden, sie kann vielmehr auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen (BAGE 74, 281 = NZA 1994, 209 = NJW 1994, 1021 = AP Nr. 37 zu § 123 BGB). Nach den Feststellungen des LAG hat der Personalleiter der Bekl. der Kl. erklärt, es sei eine Kündigung beabsichtigt, was die Kl. angesichts ihrer tariflichen Unkündbarkeit als Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung verstehen mußte.

b) Die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung ist widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Es ist nicht erforderlich, daß die angekündigte Kündigung, wenn sie ausgesprochen worden wäre, sich in einem Kündigungsschutzprozeß als rechtsbeständig erwiesen hätte (vgl. BAGE 74, 281 = NZA 1994, 209 = NJW 1994, 1021 = AP Nr. 37 zu § 123 BGB; BAG, NZA 1992, 1023 = EzA § 123 Nr. 36 = RzK I 9i Nr. 23; BAG, NZA 1996, 875 = BB 1996, 434). Die Widerrechtlichkeit der Kündigungsdrohung kann sich regelmäßig nur aus der Inadäquanz von Mittel und Zweck ergeben. Hat der Drohende an der Erreichung des verfolgten Zwecks (Eigenkündigung bzw. einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses) kein berechtigtes Interesse oder ist die Drohung (mit einer Kündigung) nach Treu und Glauben nicht mehr als angemessenes Mittel zur Erreichung dieses Zwecks anzusehen, so ist die Drohung widerrechtlich; dies ist dann der Fall, wenn ein verständiger Arbeitgeber die Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung gezogen hätte.

c) Ebenso wie bei der Anwendung der Rechtsbegriffe des wichtigen Grundes nach § 626 I BGB und der Sozialwidrigkeit einer Kündigung nach § 1 II 1 KSchG ist dem Tatsachengericht auch für die Würdigung des festgestellten Sachverhalts unter dem Gesichtspunkt der von einem verständigen Arbeitgeber anzustellenden Erwägungen ein Beurteilungsspielraum einzuräumen; das RevGer. kann nur prüfen, ob das Tatsachengericht ohne Verstoß gegen Denk- oder Erfahrungssätze alle wesentlichen Umstände des Falles berücksichtigt hat (vgl. BAGE 32, 194 = NJW 1980, 2213 = AP Nr. 21 zu § 123 BGB; Senat, NZA 1996, 875 = BB 1996, 434). Der Beurteilungsspielraum der Tatsachengerichte umfaßt dabei auch die Frage, ob eine Kündigung unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls die mildeste angemessene Reaktion auf ein pflichtwidriges Verhalten des Arbeitnehmer darstellt oder ob z.B. unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit auch eine Abmahnung noch ausreichend wäre. Dabei kann von einem verständigen Arbeitgeber zwar nicht generell verlangt werden, daß er bei seiner Abwägung die Beurteilung des Tatsachengerichts „trifft“. Nur wenn unter verständiger Abwägung aller Umstände des Einzelfalls der Arbeitgeber davon ausgehen muß, die angedrohte Kündigung werde im Falle ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten, darf er die Kündigungserklärung nicht in Aussicht stellen, um damit den Arbeitnehmer zu einer Eigenkündigung oder zum Abschluß eines Aufhebungsvertrages zu veranlassen (Senat, NZA 1996, 875 = BB 1996, 434). Unter Berücksichtigung dieses Beurteilungsspielraums ist das angefochtene Urteil revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

d) Zu Unrecht rügt die Revision, das LAG habe den von ihm festgestellten Sachverhalt nicht unter dem Gesichtspunkt der von einem verständigen Arbeitgeber anzustellenden Erwägungen geprüft, sondern einen schärferen Maßstab angelegt. Einzuräumen ist der Revision insoweit, daß der vom LAG in diesem Zusammenhang im Anschluß an Falk (Aufhebungserträge zur Beendigung von Arbeitsverhältnisses, S. 235) verwandte Begriff des „Idealarbeitgebers“ mißverständlich ist und deshalb vermieden werden sollte. Wäre damit gemeint, es müsse nicht nur auf die Erwägungen abgestellt werden, die ein „verständiger Arbeitgeber“ im Sinne der Senatsrechtsprechung angestellt hätte, sondern es sei auf einen „idealen Arbeitgeber“ mit ganz hervorragenden Arbeitsrechtskenntnissen und einem außergewöhnlichen sozialen Engagement abzustellen, so würde dies in der Tat bei der Prüfung der Widerrechtlichkeit der Drohung die Anforderungen in unzulässiger Weise verschärfen. Der Zusammenhang der Passage des Berufungsurteils, in dem der Begriff des „Idealarbeitgebers“ verwandt wird, zeigt jedoch, daß das LAG damit ebenso wie Falk in seiner Monographie exakt den „verständigen Arbeitgeber“ der Senatsrechtsprechung meint. Der mißverständliche Begriff des „Idealarbeitgebers“ wird nur verwandt, um damit den „verständigen Arbeitgeber“ von dem konkreten Arbeitgeber abzugrenzen und im Sinne der Senatsrechtsprechung klarzustellen, daß es nicht auf die Erwägungen ankommt, die der konkrete Arbeitgeber angestellt hat, sondern auf die, die ein verständiger Arbeitgeber angestellt hätte.

e) Unterstellt man zugunsten der Bekl., die Kl. sei während ihrer Krankheit in ihr Heimatland gefahren und habe dort die Führerscheinprüfung abgelegt, wobei die Ableistung der erforderlichen Fahrstunden von der Bekl. nicht hinreichend substantiiert dargelegt ist, so ist dem LAG entgegen der Ansicht der Revision auch darin zu folgen, daß ein verständiger Arbeitgeber bei dem hier zugrundeliegenden Sachverhalt zumindest im Rahmen einer Interessenabwägung nach den Gesamtumständen eine außerordentliche Kündigung nicht ernsthaft in Betracht gezogen hätte. Kündigungsgrund für die angedrohte außerordentliche Kündigung sollte sein, daß bei der Bekl. zumindest der Verdacht bestand, die Kl. habe ihre Arbeitsunfähigkeit im Jahre 1991 nur vorgetäuscht oder sich durch die Auslandsreise und die Ablegung der Fahrprüfung jedenfalls nicht gesundheitsförderlich verhalten. Täuscht ein Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeit nur vor, so begeht er dadurch eine schwere Vertragsverletzung, die je nach den Umständen des Einzelfalls eine fristlose Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen kann (BAGE74, 127 = NZA 1994, 63 = NZA 1994, 2439 L = AP Nr. 112 zu § 626 BGB).

Auch der dringende Verdacht, die Kl. habe sich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit unlauteren Mitteln erschlichen, kann einen wichtigen Grund zu fristlosen Kündigung darstellen (Hillebrecht, in: KR, 4. Aufl., § 626 BGB Rdnr. 320; BAGE 74, 127 = NZA 1994, 63 = NJW 1994, 2439 L = AP Nr. 112 zu § 626 BGB). Unstreitig hat die Kl. der Bekl. ein ärztliches Attest vorgelegt, nach dem sie in der Zeit, in der sie nach der Behauptung der Bekl. in ihr Heimatland gefahren ist und dort die Führerscheinprüfung abgelegt hat, arbeitsunfähig krank war. Einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu (BAGE 28, 144 (146) = NJW 1977, 350 = AP Nr. 2 zu § 3 LohnFG). Eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat zunächst die Vermutung der Richtigkeit für sich (BAG, NZA 1993, 23 = NJW 1993, 809 = AP Nr. 98 zu § 1 LohnFG). Der Arbeitgeber, der das Vorliegen einer durch ärztliche Bescheinigung belegten Arbeitsunfähigkeit bestreiten will, muß Umstände darlegen und gegebenenfalls beweisen, die zu ernsthaften Zweifeln an einer Arbeitsunfähigkeit Anlaß geben. Der Senat hat den Beweiswert des ärztlichen Attestes etwa als erschüttert angesehen, wenn der Arbeitnehmer während seiner Arbeitsunfähigkeit vollschichtig einer gleichschweren Arbeit nachgegangen ist, wie er sie bei seinem Arbeitgeber zu verrichten hatte (BAGE 74, 127 = NZA 1994, 63 = NJW 1994, 2439 L = AP Nr. 112 zu § 626 BGB).

Es ist aber nach den Gesamtumständen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das LAG im konkreten Fall den Beweiswert des ärztlichen Attestes allein durch die Tatsache, daß die Kl. ins Ausland gereist ist und dort die Führerscheinprüfung abgelegt hat, noch nicht als erschüttert angesehen hat. Mit der Auslandsreise und der Führerscheinprüfung lagen zwar Umstände vor, die bei der Bekl. Bedenken aufkommen lassen konnten, ob die Kl. wirklich in dem fraglichen Zeitraum krank war. Ohne weitere Sachverhaltsaufklärung waren diese Bedenken jedoch nicht geeignet, den Beweiswert des ärztlichen Attestes zu erschüttern: Eine Auslandsreise konnte bequem nachts mit dem Zug erfolgt sein. Eine Führerscheinprüfung war mit einem geringen Zeitaufwand zu absolvieren, wobei nicht einmal klar war, ob die Kl. nicht ohnehin berechtigt war, sich zum Auskurieren ihrer Krankheit an ihrem Heimatort aufzuhalten. Zutreffend hat das LAG darauf abgestellt, daß zahlreiche Krankheiten denkbar sind, die zwar eine vollschichtige Arbeit der Kl. als Krankenschwesternhelferin ausgeschlossen, eine Auslandsreise und das Ablegen einer Fahrprüfung aber ohne weiteres zugelassen hätten.

Ist der Beweiswert eines ärztlichen Attestes nicht erschüttert, sondern bestehen nur gewisse Verdachtsmomente, der Arbeitnehmer könne eine Erkrankung vorgetäuscht haben, so ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Verdachtsmomente näher aufzuklären. Gründet sich der Verdacht des Arbeitgebers darauf, daß der Arbeitnehmer andere Tätigkeiten verrichtet hat, die der Arbeitgeber mit der Erkrankung nicht für vereinbar hält, so muß er den Arbeitnehmer konkreter zu der Art seiner Erkrankung befragen und ihm Gelegenheit zu der Erklärung geben, weshalb die Krankheit diese anderen Tätigkeiten zuließ, aber der vertragsgemäßen Arbeit im Betrieb entgegenstand. Eine solche Aufklärungspflicht traf die Bekl. hier in besonderem Maße, denn das ärztliche Attest bezog sich nicht auf eine kürzere Erkrankung, die einem Arzt erfahrungsgemäß leichter vorzuspiegeln ist, die Kl. war vielmehr nach den vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bereits seit mehreren Monaten erkrankt, als sie ihre Führerscheinprüfung ablegte. Im Kündigungszeitpunkt wußte die Bekl. zudem, daß der Kl. auch nach der angeblichen Ablegung der Führerscheinprüfung während der letzten drei Jahre ganz erhebliche Arbeitsunfähigkeitszeiten attestiert worden waren, bei denen mangels Kenntnis der näheren Umstände kaum davon ausgegangen werden kann, sie beruhten lediglich auf vorgetäuschten Krankheiten. Zutreffend ist das LAG davon ausgegangen, daß zahlreiche Krankheiten denkbar sind, bei denen durch eine weitere Sachaufklärung der bei der Bekl. bestehende Anfangsverdacht ohne weiteres hätte entkräftet werden können. Jedenfalls ist dem LAG darin zuzustimmen, daß es angesichts der Gesamtumstände, vor allem im Hinblick auf den erheblichen sozialen Besitzstand der Kl. aus der Sicht eines verständigen Arbeitgebers eine völlig überzogene Reaktion darstellte, wenn die Bekl. ohne weitere Sachaufklärung sofort an das äußerste Mittel der fristlosen Kündigung dachte, eine solche der Kl. androhte und die Kl. damit zum Abschluß eines Aufhebungsvertrags bewog. Dies macht die Drohung widerrechtlich.

II. Besteht das Arbeitsverhältnis der Kl. fort, so hatte sie in der Zeit von der Verkündung des arbeitsgerichtlichen Urteils an während der Dauer des Rechtsstreits bis zum Erlaß des Revisionsurteils einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen. Der Beschluß des Großen Senats vom 27. 2. 1985 (BAGE 48, 122 = NZA 1985, 702 = NJW 1985, 2968 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) zum allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch gilt auch, wenn die Parteien nicht über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine Kündigung des Arbeitgebers streiten, sondern der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses wegen eines Aufhebungsvertrages streitig ist (Senat, NZA 1992, 1023). Der Arbeitnehmer kann in einem derartigen Fall unmittelbar eine Leistungsklage auf Wiederbeschäftigung erheben, die Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages ist dann als Vorfrage zu prüfen (vgl. Senat, NZA 1986, 562 = NJW 1987, 680 = AP Nr. 19 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht). Mit dem erstinstanzlichen Urteil, das inzidenter die Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags feststellte, überwog das Interesse der Kl. an einer Beschäftigung das Interesse der Bekl. an ihrer Nichtbeschäftigung. Zusätzliche Umstände, aus denen sich ein überwiegendes Interesse der Bekl. an der Nichtbeschäftigung der Kl. ergeben könnte, sind nicht geltend gemacht. Wie bereits ausgeführt, hat sich der Weiterbeschäftigungsantrag der Kl. für die Zeit bis zur Entscheidung über die Revision zwar infolge Zeitablaufs in der Hauptsache teilweise erledigt, die Kl. konnte jedoch von der Beschäftigungsklage zu einer entsprechenden Feststellungsklage übergehen.

C. Für die Zeit ab Verkündung des Revisionsurteils steht der Kl. der allgemeine Beschäftigungsanspruch bei unangefochten bestehendem Arbeitsverhältnis zu, da nunmehr rechtskräftig auch über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses entschieden ist. Diesen Anspruch kann die Kl. nach § 259 ZPO geltend machen (vgl. Senat, NZA 1986, 562 = NJW 1987, 680 = AP Nr. 19 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht).

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BGB §§ 123, 626; ZPO § 264