Nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage bei urlaubsbedingter Abwesenheit
Gericht
LAG Köln
Art der Entscheidung
Beschluss über Beschwerde
Datum
04. 03. 1996
Aktenzeichen
10 Ta 322/95
Wird die Klagefrist gem. § 4 KSchG wegen urlaubsbedingter Ortsabwesenheit des Arbeitnehmers versäumt, ist die nachträgliche Zulassung der Klage in aller Regel geboten. Der Arbeitnehmer ist grundsätzlich nicht verpflichtet, für die Zeit der Urlaubsreise in seiner ständigen Wohnung besondere Vorkehrungen für den möglichen Zugang einer schriftlichen Kündigungserklärung und die Einhaltung der Klagefrist zu treffen.
Weitergehende Sorgfalt könnte rückschauend nur dann als zumutbar angesehen werden, wenn der Arbeitnehmer durch sonstiges Verschulden die rechtzeitige Kenntnisnahme und Klageerhebung behindert oder gar den Zugang der Kündigung vorsätzlich verhindert hätte. Der Umstand allein, daß die alsbaldige Kündigung nicht auszuschließen war und der Arbeitnehmer gleichwohl ohne Zurücklassung einer Urlaubsanschrift und ohne regelmäßige Kontrollmöglichkeit für Posteingänge für 5 Wochen einen Bootsurlaub auf der Nordsee verbringt, enthält keinen Verstoß gegen zumutbare Sorgfaltspflicht, wenn der Arbeitgeber die Urlaubspläne kannte und erkennbar keine Veranlassung bestand, die Kündigung bereits mehr als 3 Wochen vor der Rückkehr des Arbeitnehmers auszusprechen.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der Kl. hat zusammen mit der am 7. 9. 1995 bei dem ArbG eingereichten Kündigungsschutzklage wegen einer durch das Schreiben der Bekl. vom 7. 8. 1995 erklärten fristlosen Kündigung vorsorglich die nachträgliche Zulassung der Klage beantragt. Der am 10. 3. 1949 geborene Kl. ist seit dem 1. 4. 1979 als Heimerzieher in einer Einrichtung der Jugendhilfe tätig, deren Träger die Bekl. ist. Es oblag ihm die Betreuung der Gruppe "Michael" mit acht schwererziehbaren Jugendlichen gemeinsam mit einer weiteren Erzieherin während einer Freizeitmaßnahme, die vom 13. bis 23. 7. 1995 dauern sollte. Da der Kl. für die Zeit vom 21. 7. bis zum 31. 8. Erholungsurlaub genommen und eine Urlaubsreise geplant hatte, wurde er am 21. 7. 1995 durch einen anderen Gruppenleiter, den Zeugen S, abgelöst. Am Vorabend und in der Nacht zum 21. 7. 1995 kam es im Zusammenhang einer vom Kl. vorbereiteten "Abschiedsfeier" zu einer Auseinandersetzung, bei der einer der Jugendlichen von dem Rest der Gruppe zusammengeschlagen und mißhandelt wurde. Das Ausmaß der"Gruppenkeile", und die Frage, ob dem Kl. hierbei Pflichtverletzungen vorzuwerfen sind, ist zwischen den Parteien umstritten. Nach einem anfänglichen Kurzbericht des Kl. wäre es ihm gelungen, die Jugendlichen im Laufe der Nacht zur Ruhe zu bringen. Der Kl. verbrachte seinen Erholungsurlaub in der Zeit vom 22. 7. bis zum 31. 8. mit seiner Ehefrau auf einem Motorboot auf der Nordsee und lief während dieser Zeit nur in unregelmäßigen Abständen Häfen an. Die an der Prügelei beteiligten Jugendlichen äußerten sich am 25. 7. 1995 zu Protokoll des Erziehungsleiters W und in Gegenwart des Zeugen S in hohem Maße belastend über das Verhalten des Kl. und der Erzieherin Frau W. Die Bekl. forderte den Kl. mit einem an die Wohnadresse des Kl. gerichteten Einschreiben vom 26. 7. 1995 auf, nähere Fragen zu dem Vorfall zu beantworten. Am 31. 7. 1995 meldete sich der Kl. telefonisch bei der Bekl. Er sprach mit den Zeugen W und S; der Inhalt des Telefonats ist streitig. Mit Schreiben vom 4. 8. 1995, welches der Bekl. am 10. 8. 1995 zuging, beantwortete der Kl. die in dem Schreiben vom 26. 7. an ihn gerichteten Fragen. Das Kündigungsschreiben vom 7. 8. 1995 ist während der Urlaubsabwesenheit des Kl. seitens der Bekl. in einem neutralen, unbeschrifteten Briefumschlag durch Boten in die Wohnung des Kl. gesandt worden. Die Boten haben auf einer Kopie des Schreibens schriftlich vermerkt, daß sie dieses Schreiben um 15.40 Uhr dem erwachsenen Sohn des Kl. ausgehändigt hätten.
Das ArbG hat dem Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage stattgegeben. Die sofortige Beschwerde der Bekl. blieb erfolglos.
Auszüge aus den Gründen:
Der Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage gegen die mit Schreiben vom 7. 8. 1995 erklärte fristlose Kündigung ist zulässig und begründet. Das BeschwGer. läßt die Frage, für welchen Zeitpunkt im vorliegenden Fall der Zugang des Kündigungsschreibens gem. § 130 BGB festzustellen ist, dahinstehen. Der in einem Kündigungsschutzverfahren vorsorglich gestellte Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage bedarf stets dann der Entscheidung, wenn aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Möglichkeit der Versäumung der Klagefrist nicht auszuschließen ist (LAG Baden-Württemberg, Beschl. v. 26. 8. 1992 - 8 Ta 80/92; LAG Köln, LAGE § 5 KSchG Nr. 58 und Nr. 48; Friedrich, in: KR-KSchG, 4. Aufl., § 5 Rdnr. 134). In den rechtlichen Erwägungen, wonach der Zugang der Kündigung nicht generell auf das Ende der Urlaubsabwesenheit des Empfängers zu verlegen wäre, würde das BeschwGer. der angefochtenen Entscheidung des ArbG folgen (BAG, NZA 1988, 875 = NJW 1989, 606 = AP Nr. 16 zu § 130 BGB; Friedrich, in: KR-KSchG, § 5 Rdnr. 60). Gleichwohl kann hier nicht abschließend entschieden werden, ob und wann das Kündigungsschreiben unter den von der Bekl. behaupteten Umständen dem Kl. zugegangen ist; zum Datum und den Umständen des Zuganges bedarf es noch tatsächlicher Feststellungen, die letztlich Gegenstand eines Endurteils sein müssen, weil sie auch den Kündigungsgrund betreffen, der zum Gegenstand der nunmehr zugelassenen Klage gehört (§ 626 II BGB). Nach dem Akteninhalt stellt sich im vorliegenden Fall immerhin die Frage, ob der Zugang einer Kündigungserklärung auch dadurch bewirkt werden kann, daß ein verschlossener Briefumschlag ohne jede Beschriftung und mithin sogar ohne Kenntlichmachung des Absenders oder Auftraggebers in der Wohnung des ortsabwesenden Empfängers einem dort angetroffenen Familienmitglied ausgehändigt wird.
Die Kündigungsschutzklage ist gem. § 5 I KSchG nachträglich zuzulassen, weil der Kl. bei Anwendung aller ihm zuzumutenden Sorgfalt wegen seiner urlaubsbedingten Ortsabwesenheit die Klage nicht fristgerecht erheben konnte. Zutreffend geht die angefochtene Entscheidung des ArbG davon aus, daß eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage wegen urlaubsbedingter Abwesenheit schon im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG zur Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in aller Regel geboten ist (BAG, NZA 1988, 875 = NJW 1989, 606 = AP Nr. 16 zu § 130 BGB). Wer eine ständige Wohnung hat und diese nur vorübergehend während des Urlaubs nicht benutzt, braucht für diese Zeit keine besonderen Vorkehrungen hinsichtlich des möglichen Zuganges einerschriftlichen Kündigungserklärung und der daran anschließenden Notwendigkeit einer fristgerechten Klage zu treffen. Er darf gerade im Hinblick auf die zitierte Rechtsprechung des BAG damit rechnen, daß im Falle eines Fristablaufs die verspätete Klage nachträglich zugelassen wird. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn dem Arbeitnehmer ein sonstiges Verschulden zur Last gelegt werden kann, welches der rechtzeitigen Kenntnisnahme und damit der Fristwahrung im Wege gestanden hätte, oder wenn feststeht, daß er den erwarteten Zugang der Kündigungserklärung vorsätzlich gehindert hätte (Friedrich, in: KR-KSchG, § 5 Rdnr. 60). Der alleinige Umstand, daß ein Arbeitnehmer bei sorgfältiger Überlegung mit dem Zugang einer Kündigungserklärung rechnen konnte und gleichwohl ohne Zurücklassung einer Urlaubsanschrift und ohne eine regelmäßige Kontrollmöglichkeit von Posteingängen im Urlaub verweilt, kann nicht zu der Feststellung führen, daß er damit automatisch zumutbare Sorgfaltspflichten verletzt hätte, die ihn nach gesetzlicher Vorschrift erst im Falle des tatsächlichen Zuganges einer Kündigungserklärung treffen können.
Dies gilt ganz besonderes dann, wenn, wie es im vorliegenden Fall unstreitig geblieben ist, dem Arbeitgeber die Urlaubsabwesenheit und die genannte Besonderheit der Urlaubsgestaltung bekannt gewesen ist. Es ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, daß der Kl. über die geplante Verwirklichung seiner Urlaubsabsichten hinaus Zusätzliches unternommen hätte, was letztlich die Einhaltung der Klagefrist hätte verhindern können. Der Kl. brauchte insbesondere nach den bislang erkennbaren tatsächlichen Umständen, nämlich nach dem eigenen Vorbringen der Bekl., nicht damit zu rechnen, daß die Bekl. im Hinblick auf die Einhaltung der Erklärungsfrist gem. § 626 II BGB gezwungen wäre, eine etwa beabsichtigte außerordentliche Kündigung so frühzeitig zu erklären, daß die Einhaltung der Klagefrist bei planmäßiger Rückkehr des Kl. gefährdet gewesen wäre. Er konnte vielmehr davon ausgehen, daß die Bekl. den von ihm telefonisch angekündigten Eingang seines Antwortschreibens vom 4. 8. 1995 abwartete, und daß es voraussichtlich auch dann noch einer Beteiligung der Mitarbeitervertretung gem. § 31 MAVO bedürfte. Unter Berücksichtigung dieser Umstände mußte der Kl. durchaus nicht damit rechnen, daß die Kündigung bereits zu einem Zeitpunkt zugestellt würde, welcher die Einhaltung der Klagefrist unmöglich machte. Demgemäß hat das ArbG in der angefochtenen Entscheidung die nachträgliche Zulassung zutreffend allein auf die glaubhaften Tatsachen gestützt, welche der Kl. mit der Klageschrift vom 6. 9. 1995 dem Gericht mitgeteilt hat. Auf den weiteren Sachverhalt, den der Kl. mit den eidesstattlichen Versicherungen vom 22. 10. 1995 dem Gericht erst am 25. 10. 1995 ganz zweifellos in unzulässiger Weise verspätet mitteilt (§ 5 III 1 i.V. mit § 5 II 2 KSchG), kommt es hierfür nicht an.
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