Wiedereinstellungsanspruch nach betriebsbedingter Kündigung

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

27. 02. 1997


Aktenzeichen

2 AZR 160/96


Leitsatz des Gerichts

Beruht eine betriebsbedingte Kündigung auf der Prognose des Arbeitgebers, bei Ablauf der Kündigungsfrist könne er den Arbeitnehmer (z.B. wegen Betriebsstillegung) nicht mehr weiterbeschäftigen, und erweist sich die Prognose noch während des Laufs der Kündigungsfrist als falsch (etwa weil es doch zu einem Betriebsübergang kommt), so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, wenn der Arbeitgeber mit Rücksicht auf die Wirksamkeit der Kündigung noch keine Dispositionen getroffen hat und ihm die unveränderte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die 1947 geborene Kl. war seit dem 11. 8. 1980 bei der D - GmbH & Co. KG (im folgenden: Gemeinschuldnerin) als Montage- und Maschinenarbeiterin im Werk R. tätig. Unternehmensgegenstand der Gemeindeschuldnerin war die Herstellung von Werkzeugen, schwerpunktmäßig die Produktion von Rohrzangen. Nachdem ein von der Gemeinschuldnerin angestrebter Vergleich mit ihren Gläubigern nicht zustande kam, wurde am 30. 9. 1994 über ihr Vermögen das Anschlußkonkursverfahren eröffnet und der Bekl. zum Konkursverwalter bestellt. Er führte die Produktion fort, um die vorhandenen Rohmaterialien, Halb- und Fertigwaren zu Fertigprodukten zu verarbeiten und zu Marktpreisen zu verkaufen. Der Einkauf von neuem Schmiedematerial für die Produktion erfolgte ab Konkurseröffnung nicht mehr. Am 19. 10. 1994 vereinbarte der Bekl. mit dem im Betrieb der Gemeinschuldnerin bestehenden Betriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan. Danach sollte der Betrieb zum 31. 10. 1994 stillgelegt und sollten über diesen Zeitpunkt hinaus nur noch die zur Konkursabwicklung benötigten Arbeitnehmer beschäftigt werden. Am 26. 10. 1994 kündigte der Bekl. mit Zustimmung des Betriebsrats der Kl. fristgerecht zum 31. 3. 1995 wegen beabsichtigter Betriebsstillegung. Zugleich kündigte er aus diesem Grund auch den übrigen Arbeitnehmern der Gemeinschuldnerin. Mit Vertrag vom 7. 12. 1994 erwarb die A-KG das Anlage- und Vorratsvermögen der Gemeinschuldnerin sowie das Betriebsgrundstück. Die Produktion im Werk R. wurde ohne Unterbrechung von der Erwerberin fortgesetzt. Diese bot der Kl. die Weiterbeschäftigung über den 31. 3. 1995 hinaus zu geänderten Arbeitsbedingungen (vierwöchige Probezeit, Untersuchung durch den Werksarzt, Tariflohn etc.) an. Die Kl. lehnte dies ab und forderte ihre Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Vertragsbedingungen. Mit ihrer am 27. 10. 1994 beim ArbG eingegangenen Klage hat sich die Kl. gegen die Kündigung vom 26. 10. 1994 gewandt.

Das ArbG hat die Kündigungsschutzklage auch mit dem Weiterbeschäftigungsantrag abgewiesen und lediglich festgestellt, daß zwischen dem Bekl. und der Erwerberin ein Betriebsübergang nach § 613a BGB vorliegt. Auf die Berufung des Kl. gab das LAG der Klage statt. Die Revision des Bekl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das LAG hat angenommen, es könne dahinstehen, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt sei. (Wird ausgeführt.)

II. Dem folgt der Senat im Ergebnis, wenn auch nicht in allen Teilen der Begründung.

1. Der Hauptantrag der Kl. auf Feststellung ist zulässig. Zu Unrecht bestreitet die Revision das nach § 256 I ZPO erforderliche Interesse der Kl. an der begehrten Feststellung mit der Begründung, die Kl. habe ihr Klageziel wirksam nur durch eine Leistungsklage auf Abgabe einer Willenserklärung erreichen können.

a) Das BerGer. hat zwar das vor allem mit dem erstinstanzlichen gestellten Weiterbeschäftigungsantrag verfolgte Klageziel dahingehend ausgelegt, die Kl. begehre den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und insbesondere der daraus resultierenden Hauptpflichten auch unabhängig von der Wirksamkeit der Kündigung des Bekl.; von diesem Klageziel sei auch ein Anspruch auf Wiederbegründung der vertraglichen Hauptpflichten, d.h. auf Abgabe einer entsprechenden Willenserklärung umfaßt gewesen. Diese Auslegung ist rechtlich nicht zu beanstanden, zumal auch in der Literatur der von der Kl. geltend gemachte „Wiedereinstellungsanspruch“ teilweise ausdrücklich als „Weiterbeschäftigungsanspruch“ behandelt wird (Wank, in: Münchener Hdb. z. ArbeitsR, II, § 118 Rdnr. 118).

b) Unter den gegebenen Umständen entsprach aber der auf Anregung des LAG (vgl. dazu BAGE 15, 284 (288f.) = NJW 1964, 1043 = AP Nr. 3 zu § 34 SchwBeschG 1961 (zu II); BAG, NZA 1994, 35 = AP Nr. 5 zu § 1 TVG Tarifverträge: Süßwarenindustrie (zu I 2c)) gestellte Feststellungsantrag jedenfalls der Prozeßökonomie. Es ist zu erwarten, daß schon auf ein Feststellungsurteil hin der Streit der Parteien über die Wirksamkeit der Kündigung und einen etwaigen Anspruch der Kl. auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bzw. Wiedereinstellung endgültig erledigt ist. Ein fortbestehendes Arbeitsverhältnis ist nach § 613a BGB auf die Erwerberin übergegangen. Diese hat sich aber in dem Parallelprozeß dem Ausgang des vorliegenden, auf Feststellung gerichteten Verfahrens unterworfen und damit die etwa erforderliche Abgabe einer auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gerichteten Willenserklärung durch den Bekl. (§ 894 ZPO) überflüssig gemacht.

2. Die Kündigung des Bekl. vom 26. 10. 1994 ist nicht sozial ungerechtfertigt i.S. des § 1 II KSchG, denn sie war im allein maßgeblichen Zeitpunkt ihres Anspruchs durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung der Kl. im Betrieb entgegenstanden, bedingt.

a) Die Stillegung des gesamten Betriebes durch den Arbeitgeber zählt gem. § 1 II 1 KSchG zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen, die einen Grund zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung abgeben können. Unter Betriebsstillegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und zugleich ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, daß der Arbeitgeber die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, den bisherigen Betriebszweck dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen. Der Arbeitgeber muß endgültig entschlossen sein, den Betrieb stillzulegen. Er ist jedoch nicht gehalten, eine Kündigung erst nach Durchführung der Stillegung auszusprechen. Es kommt auch eine Kündigung wegen beabsichtigter Stillegung in Betracht. Wird die Kündigung auf die künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, so kann sie ausgesprochen werden, wenn die betrieblichen Umstände greifbare Formen angenommen haben. Dies ist dann der Fall, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung aufgrund einer vernünftigen, betriebswirtschaftlichen Betrachtung davon auszugehen ist, zum Zeitpunkt des Kündigungstermins sei mit einiger Sicherheit der Eintritt eines die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes gegeben (st. Rspr., vgl. BAG, NZA 1989, 265 = AP Nr. 74 zu § 613a BGB; BAG, NZA 1991, 891 = AP Nr. 54 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung jew. m.w. Nachw.; zuletzt BAG, NZA 1997, 251).

b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Kündigung sozial gerechtfertigt, denn nach den Feststellungen des LAG war der Bekl. bei Ausspruch der Kündigung ernsthaft zur endgültigen Betriebsstillegung entschlossen. Das BerGer. hat berücksichtigt, daß der Bekl. unstreitig bei Ausspruch der Kündigung die zu einer Auflösung der Betriebs- und Produktionsgemeinschaft spätestens Ende 1994 führenden Maßnahmen (Einstellung des Einkaufs von neuem Schmiedematerial, die damit eingeleitete nur befristete Fortsetzung der Produktion, Abschluß eines Interessenausgleichs und Sozialplans, Massentlassungsanzeige etc.) bereits eingeleitet hatte. Das LAG hat weiter festgestellt, die Behauptung des Bekl., er sei zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs zur Stillegung des Betriebes endgültig entschlossen gewesen, könne nur vom Ergebnis der tatsächlich nicht vollzogenen Stillegung her substantiiert bestritten werden. Damit ist gleichzeitig festgestellt, daß die Kl. das entsprechende Vorbringen des Bekl. - bezogen auf den Kündigungszeitpunkt - nicht substantiiert bestritten hat; sie hat nur den nach der Rechtsprechung unerheblichen Einwand vorgebracht, die Stillegungsabsicht des Bekl. habe bis zu ihrem tatsächlichen Vollzug lediglich unter dem Vorbehalt einer sich wider Erwarten doch noch ergebenden Veräußerungsmöglichkeit gestanden (vgl. BAG, RzK I 5f. Nr. 22).

c) Eine andere rechtliche Beurteilung hat das LAG, ohne darauf entscheidend abzustellen, nur erwogen für den Fall, daß die Endgültigkeit der Stillegungsabsicht im Gegensatz zu der bisherigen Rechtsprechung nicht bezogen auf den Kündigungszeitpunkt, sondern im Wege der ex-post-Betrachtung unter Einbeziehung der tatsächlich erfolgten Betriebsübernahme zu prüfen ist. Diesem Begründungsansatz folgt der Senat nicht. Das BAG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß die Wirksamkeit einer Kündigung nur nach den objektiven Verhältnissen zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs beurteilt werden kann. Später eintretende Veränderungen bezüglich der Kündigungsgründe können die Wirksamkeit einer Kündigung nicht hindern (vgl. z.B. BAGE 59, 12 (26) = NZA 1989, 461 = AP Nr. 75 zu § 613a BGB (zu V 2b) m.w. Nachw. und zuletzt BAG, NZA 1997, 251). Diese Ansicht wird im Schrifttum nahezu ausnahmslos geteilt (vgl. z.B. Etzel, in: KR, 4. Aufl., § 1 KSchG Rdnr. 235; Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 6. Aufl., Rdnr. 617; Hueck/v. Hoyningen-Huene, KSchG, 12. Aufl., § 1 Rdnr. 156; Löwisch, KSchG, 7. Aufl., § 1 Rdnr. 70 jew. m.w. Nachw.; für Fälle wie den vorliegenden eingehend Hillebrecht, NZA, Beil. 4/1989, S. 10ff.). An ihr ist festzuhalten. Eine im Zeitpunkt ihres Anspruchs wirksame Kündigung kann nicht nachträglich wegen Veränderung der Umstände, also z.B. wegen Wegfalls eines bei Ausspruch der Kündigung vorliegenden Kündigungsgrundes unwirksam werden.

3. Auch dem weiteren Begründungsansatz des BerGer., bei einem Wegfall des Kündigungsgrundes während der Kündigungsfrist könne sich der Arbeitgeber nach Treu und Glauben nicht auf die Wirksamkeit der Kündigung berufen, folgt der Senat nicht. Ist dem Arbeitnehmer eine wirksame Kündigung zugegangen, so tritt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses unabhängig von der weiteren Entwicklung der Umstände ein. Der Arbeitgeber braucht sich auf die Wirksamkeit der Kündigung nicht zu berufen, er ist nicht einmal ohne weiteres in der Lage, die Kündigung nach ihrem ordnungsgemäßen Zugang zurückzunehmen. Der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus setzt vielmehr grundsätzlich eine Einigung der Parteien über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses voraus. Mit der Argumentation, der Arbeitgeber könne sich unter bestimmten Umständen nicht auf die Wirksamkeit der Kündigung berufen, wird lediglich auf einem Umweg doch wieder der Beurteilungszeitpunkt für die Wirksamkeit der Kündigung verschoben und es werden zur Beurteilung Gründe herangezogen, die erst nach Zugang der Kündigung entstanden sind.

4. Der Kl. ist allerdings trotz der wirksamen Kündigung des Bekl. mit Rücksicht auf die noch während der Kündigungsfrist erfolgte Betriebsübernahme ein Anspruch auf Wiederbegründung der vertraglichen Hauptpflichten zuzuerkennen.

a) Beruht eine betriebsbedingte Kündigung auf der Prognose des Arbeitgebers, bei Ablauf der Kündigungsfrist könne er den Arbeitnehmer (z.B. wegen Betriebsstillegung) nicht mehr weiterbeschäftigen, und erweist sich die Prognose noch während des Laufs der Kündigungsfrist als falsch (z.B. weil es doch zu einem Betriebsübergang kommt), so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, wenn der Arbeitgeber mit Rücksicht auf die Wirksamkeit der Kündigung noch keine Dispositionen getroffen hat und ihm die unveränderte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist (so auch die ganz überwiegende Ansicht in der Literatur und der Rspr. der Instanzgerichte: Etzel, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 518; Löwisch, KSchG, 7. Aufl., § 1 Rdnr. 74; Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 1 Rdnrn. 407, 156a ff.; Kittner/Trittin, KSchG, 2. Aufl., § 1 KSchG Rdnr. 298; Zwanziger, BB 1997, 42; LAG Köln, LAGE Nr. 1 zu § 611 BGB Einstellungsanspruch m. Anm. Preis; LAG Hamburg, LAGE Nr. 2 zu § 611 BGB Einstellungsanspruch; a.A. Boemke, AR-Blattei, Arbeitsvertrag-Arbeitsverhältnis X Rdnrn. 165ff.).

b) Ein solcher Wiedereinstellungsanspruch stellt ein notwendiges Korrektiv dafür dar, daß die Rechtsprechung allein aus Gründen der Rechtssicherheit, Verläßlichkeit und Klarheit bei der Prüfung des Kündigungsgrundes auf den Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs abstellt und schon eine Kündigung aufgrund einer Prognoseentscheidung (z.B. „wegen beabsichtigter Betriebsstillegung“) zuläßt, obwohl der Verlust des Arbeitsplatzes, vor dem die Arbeitnehmer durch § 1 KSchG geschützt werden sollen, erst mit der Entlassung, also dem Ablauf der Kündigungsfrist eintritt. Würde man den Arbeitgeber in derartigen Fällen nicht im Sinne einer „Geschäftsgrundlage“ daran festhalten, daß er „wegen beabsichtigter Betriebsstillegung“ gekündigt hat, so könnte er sich nach Wegfall des eigentlichen Kündigungsgrundes - ungebunden durch die Pflichten aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis - überlegen, ob z.B. die Weiterbeschäftigung einer gekündigten Arbeitnehmerin für ihn vorteilhaft ist, oder ob ihn nicht der ganze Vertrag reut und er es deshalb besser - etwa im Hinblick auf eine inzwischen eingetretene Schwangerschaft - bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die inzwischen grundlos gewordene Kündigung beläßt. Dies käme im Ergebnis der Einräumung eines „Reurechts“ nahe, das die Rechtsordnung nicht kennt (so im Ansatz schon Gradenwitz, Anfechtung und ReuR beim Irrthum, 1902, 1ff.). Ein solches Ergebnis wäre im Rahmen des Kündigungsschutzgesetzes völlig systemfremd: Die Arbeitnehmer mit einem hohen sozialen Besitzstand wären am ehesten gefährdet, ohne rechtfertigenden Grund ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Ihnen müßte aufgrund ihrer langen Kündigungsfristen z.B. bei einer beabsichtigten Betriebsstillegung zuerst gekündigt werden, während bei den Arbeitnehmern mit entsprechend geringem sozialen Besitzstand gegebenenfalls nach inzwischen erfolgter Betriebsübernahme eine Kündigung nach § 613a IV BGB ausgeschlossen wäre.

Ist mit Rücksicht auf eine beabsichtigte Betriebsstillegung ein Vertrag, etwa ein Aufhebungsvertrag, abgeschlossen worden, so ist dieser Vertrag nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage anzupassen, wenn es doch noch zu einer Betriebsübernahme kommt. Dies gilt selbst für einen im Hinblick auf die geplante Betriebsstillegung abgeschlossenen Sozialplan (BAG, NZA 1997, 109). Es würde den Schutzzweck des § 1 KSchG mißachten, wollte man allein im Hinblick darauf, daß die Vertragsbeendigung nicht durch einen Aufhebungsvertrag, sondern eine Kündigung, also eine einseitige Willenserklärung erfolgt, dem betroffenen Arbeitnehmer eine solche Anpassung an die veränderten Umstände versagen. Ob eine Auslegung des geltenden Rechts, ein derartiges Arbeitgeberverhalten sanktionslos zuzulassen, nicht auch verfassungsrechtlich bedenklich und mit dem Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes unvereinbar wäre (vgl. BVerfG, RzK I 8 m ee Nr. 36), ist zumindest fraglich.

c) Der Arbeitgeber verhält sich rechtsmißbräuchlich (§ 242 BGB), wenn er bei Wegfall des betriebsbedingten Kündigungsgrundes noch während der Kündigungsfrist den veränderten Umständen nicht Rechnung trägt und dem Arbeitnehmer nicht die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den Kündigungszeitpunkt hinaus anbietet bzw. sich mit einem regelmäßig in der Wiedereinstellungsklage liegenden entsprechenden Vertragsangebot des Arbeitnehmers einverstanden erklärt. Es ist allgemein anerkannt, daß in derartigen Fällen die Anwendung des § 242 BGB ausnahmsweise anspruchsbegründende Wirkung haben kann (zum Recht des Anfechtungsgegners, bei der Irrtumsanfechtung die angefochtene Erklärung so gelten zu lassen, wie der Erklärende selbst sie verstanden hatte, und damit die Nichtigkeitsfolge abzuwenden vgl. Larenz, BGB-AT, 7. Aufl., § 20 IIc m.w. Nachw.; Flume, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl., § 21 Tz. 6, S. 421f.; ebenso Schweizerisches Obligationenrecht Art. 25 II; ; zur Berücksichtigung eines nachträglichen Wegfalls des Eigenbedarfs bei der Kündigung eines Mietverhältnisses OLG Karlsruhe, NJW 1982, 54 und OLG Karlsruhe, NJW-RR 1994, 80; ; zur Wandlung trotz inzwischen behobenen Sachmangels BGHZ 90, 198 = NJW 1984, 2287 = LM § 242 BGB Nr. 257). In all diesen Fällen wird der Kündigende, Anfechtende etc. an seiner ursprünglich geäußerten Absicht festgehalten und es wird als rechtsmißbräuchlich angesehen, wenn er eine spätere Änderung der Umstände, auf die der Gegner keinen Einfluß hatte, zum Anlaß nimmt, es bei der nur nach dem ursprünglichen Sachverhalt gerechtfertigten Rechtsfolge zu belassen, weil ihn nunmehr das ganze Geschäft reut. Der gleiche Rechtsmißbrauch (§ 242 BGB) ist dem Arbeitgeber vorzuwerfen, der trotz des Wegfalls eines betriebsbedingten Kündigungsgrundes noch während der Kündigungsfrist eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit seinem Arbeitnehmer ablehnt, obwohl inzwischen für eine derartige Beendigung des Arbeitsverhältnisses kein dringendes betriebliches Erfordernis mehr besteht und ihm deshalb die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist.

d) Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung, wobei eine gegen § 242 BGB verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage wegen der Rechtsüberschreitung als unzulässig angesehen wird ( BAGE 77, 128 (132) = NJW 1995, 275 = NZA 1994, 1080 = AP Nr. 9 zu § 242 BGB Kündigung (zu II 2b) m.w. Nachw.). Im noch bestehenden Arbeitsverhältnis hat der Arbeitgeber seine Verpflichtungen aus diesem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen, seine Rechte so auszuüben und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitnehmers so zu wahren, wie dies unter Berücksichtigung der Belange des Betriebs und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann (ebenso § 69 des Entwurfs der Arbeitsgesetzbuchkommission 1977). Welche Anforderungen sich aus Treu und Glauben ergeben, läßt sich dabei nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls entscheiden.

aa) Kündigt der Arbeitgeber etwa wegen beabsichtigter Betriebsstillegung, so schafft er damit eine Situation, auf die der Arbeitnehmer notgedrungen seine Disposition einrichten muß. Die unternehmerische Entscheidung, den Betrieb zu einem bestimmten Zeitpunkt stillzulegen, kann der Arbeitnehmer regelmäßig kaum dezidiert nachprüfen. Überzeugt ihn die Argumentation des Arbeitgebers, so wird er eine Kündigungsschutzklage zurücknehmen oder gar nicht erst erheben oder gegebenenfalls im Hinblick auf die beabsichtigte Betriebsstillegung einen Aufhebungsvertrag schließen. In letzterem Fall würde seine Rechtsposition unter Umständen sogar noch günstiger sein, als wenn er es bei der Kündigung beläßt, denn bei Änderung der Sachlage wäre der Aufhebungsvertrag nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu überprüfen. Jedenfalls ist das Vertrauen des Arbeitnehmers schutzwürdig, daß es nur dann zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses kommt, wenn bei Ablauf der Kündigungsfrist, also dem vorgesehenen Beendigungszeitpunkt die geltend gemachten betriebsbedingten Kündigungsgründe fortbestehen. Das letztlich durch Art. 12 GG geschützte Recht des Arbeitnehmers, seinen Arbeitsplatz und damit seinen sozialen Besitzstand nicht grundlos zu verlieren, würde in unerträglicher Weise beeinträchtigt, wenn der Arbeitgeber allein im Hinblick darauf, daß die Rechtsprechung bei der Prüfung des Kündigungsgrundes auf den Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs abstellt, nunmehr ohne rechtfertigenden Grund frei über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses entscheiden könnte.

bb) Ist der betriebsbedingte Kündigungsgrund noch während der Kündigungsfrist weggefallen, so hat der Arbeitgeber, jedenfalls wenn er bisher keine weiteren Dispositionen getroffen hat, regelmäßig kein schutzwürdiges Interesse daran, es bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu belassen. Das Recht, aufgrund einer im Kündigungszeitpunkt anzustellenden Prognose über die weitere betriebliche Entwicklung Kündigungen auszusprechen, wird ihm nur in seinem eigenen Interesse eingeräumt. Darf er nicht erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Betriebsstillegung, sondern schon wegen beabsichtigter Betriebsstillegung so rechtzeitig kündigen, daß er alle Kündigungsfristen einhalten kann, so spart er den sonst fälligen Annahmeverzugslohn. Die inner- bzw. außerbetrieblichen Umstände, die der Arbeitgeber seiner Prognoseentscheidung zugrundelegt, stammen bei der betriebsbedingten Kündigung allein aus seiner Sphäre (Arbeitsmangel, Rationalisierungsmaßnahmen, Betriebsstillegung etc.). Die Rechtsprechung gewährt dem Arbeitgeber damit die Möglichkeit, durch eine frühzeitige Kündigung weitgehend den betrieblichen Erfordernissen Rechnung zu tragen. Diese Interessenlage verkehrt sich aber in ihr Gegenteil, wenn sich während des Laufs der Kündigungsfrist herausstellt, daß sich der Arbeitgeber in seiner Prognose geirrt hat und ein betriebsbedingter Kündigungsgrund weggefallen ist (z.B. weil ein plötzlich erteilter Großauftrag anstatt der geplanten Betriebsstillegung eine Fortführung des Betriebes ermöglicht). Jetzt fehlt ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers, sich von den betroffenen Arbeitnehmern zu trennen. Da die Kündigungsfrist noch nicht abgelaufen ist, kann er regelmäßig auch keine anderen Dispositionen getroffen haben, die die Interessenabwägung möglicherweise beeinflussen könnten. Erst recht hat der Arbeitgeber kein schutzwertes Interesse, seinen eigenen Irrtum bei der Beurteilung der weiteren betrieblichen Entwicklung für sich auszunutzen und nunmehr frei zu entscheiden, ob er z.B. anstatt des zunächst wirksam gekündigten Arbeitnehmers einen jüngeren Arbeitnehmer zu einem geringen Lohn einstellen oder gar, nachdem er von der Betriebsstillegung Abstand genommen hat, den Betrieb anstatt mit der bisherigen mit einer neuen Belegschaft weiterführen möchte. Ein Arbeitgeber, der ohne schutzwertes Interesse auch nach Wegfall des Kündigungsgrundes auf seiner Kündigung beharrt, handelt rechtsmißbräuchlich.

cc) Wenn der Kündigungsgrund der beabsichtigten Betriebsstillegung durch eine bei Ausspruch der Kündigung nicht absehbare Betriebsübernahme überholt wird, kommt folgendes hinzu: Entschließt sich der Arbeitgeber zunächst endgültig, seinen Betrieb stillzulegen, zeigt er sich aber nach wie vor Übernahmeangeboten gegenüber aufgeschlossen und kommt es dann noch während der Kündigungsfrist der gekündigten Arbeitnehmer zu einem Betriebsübergang, so würde eine objektive Gesetzesumgehung (§ 613a IV BGB) zugelassen, wenn der Arbeitgeber nach § 613a BGB einen Betrieb übertragen könnte, dessen Arbeitsverhältnisse sämtlich wirksam gekündigt sind. Er könnte damit im Zweifel auf Kosten der gekündigten Arbeitnehmer einen höheren Kaufpreis erzielen. Stellt sich noch während der Kündigungsfrist heraus, daß anstatt der ursprünglich beabsichtigten Betriebsstillegung nunmehr eine Betriebsübernahme erfolgt, die nach § 613a IV BGB keine Kündigung rechtfertigen kann, so handelt der Arbeitgeber erst recht rechtsmißbräuchlich, wenn er sich nicht mit dem ihm zumutbaren Weiterbeschäftigungsverlangen des Arbeitnehmers einverstanden erklärt. Der Wille des Arbeitgebers, in einem derartigen Fall im Ergebnis praktisch den sozialen Besitzstand des Arbeitnehmers zu „versilbern“, ist nach § 242 BGB unbeachtlich.

dd) Einen Anspruch auf unveränderte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer allerdings nur, wenn unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls seine schutzwerten Interessen wirklich das Interesse des Arbeitgebers überwiegen, es beim Ergebnis der Kündigung, also der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu belassen. Ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann anzunehmen sein, wenn der Arbeitgeber im Hinblick auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Kündigung bereits Dispositionen getroffen hat, etwa bei einer krankheitsbedingten Kündigung in gutem Glauben an die Wirksamkeit der Kündigung den Arbeitsplatz neu besetzt hat. Ebenso kann bei einer im Kündigungszeitpunkt beabsichtigten Betriebsstillegung die spätere Chance, den Betrieb zu veräußern, davon abhängen, daß der Erwerber den Kauf von der vorherigen Durchführung von Rationalisierungsmaßnahmen oder der Änderung der Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer abhängig macht (vgl. zur Kündigungsmöglichkeit in derartigen Fällen, BAG, NZA 1996, 148 = NJW 1997, 611 L = AP Nr. 147 zu § 613a BGB). Dann wird es dem Arbeitgeber regelmäßig unzumutbar sein, den wirksam gekündigten Arbeitnehmern die Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses zumindest zu den bisherigen Arbeitsbedingungen anzubieten, denn ohne die Rationalisierung würde der Verkauf scheitern und es müßte deshalb zu der von Anfang an geplanten Betriebsstillegung kommen. Insoweit kann es dem Arbeitgeber gegebenenfalls zumutbar sein, den Arbeitnehmern die Weiterbeschäftigung zu Arbeitsbedingungen anzubieten, unter denen ein Interessent zum Betriebserwerb bereit ist.

e) Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so hat das LAG zu Recht angenommen, daß die Kl. gegen den Bekl. einen Anspruch auf Wiederbegründung der vertraglichen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis hat. Entgegen der ursprünglich vom Bekl. gefaßten Stillegungsabsicht ist es während des Laufs der Kündigungsfrist doch noch zu einer Betriebsübernahme gekommen. Der Bekl. hat auch mit Rücksicht auf die Wirksamkeit der Kündigung keine Dispositionen getroffen, die die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der Kl. unzumutbar erscheinen lassen. Der Verkauf des Betriebes an die Erwerberin konnte nach den Feststellungen des BerGer. auch nicht an der Übernahme der gekündigten Arbeitnehmer scheitern, denn die Erwerberin hat den Betrieb im wesentlichen mit den bisher beschäftigten Arbeitnehmern weitergeführt. Der Bekl. hat schließlich nichts dafür vorgetragen, daß etwa der Betriebsübergang daran hätte scheitern können, daß die gekündigten Arbeitnehmer teilweise auf der Einhaltung der bisherigen Arbeitsbedingungen bestanden, also eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gegebenenfalls nur zu veränderten Bedingungen zumutbar gewesen wäre. Nach den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist dieser Punkt offenbar zwischen dem Bekl. und der Erwerberin bei den Verkaufsverhandlungen überhaupt nicht zur Sprache gekommen.

5. Da die Kündigung das Arbeitsverhältnis beendet hat, richtete sich der Wiedereinstellungsanspruch der Kl. ursprünglich auf Abgabe einer Willenserklärung. Bietet der Arbeitgeber nicht von sich aus den Abschluß eines Vertrages über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Ablauf der Kündigungsfrist an, so kann in dem Klageantrag des Arbeitnehmers auf „Weiterbeschäftigung“ bzw. „Wiedereinstellung“ dessen Angebot auf Abschluß eines derartigen Vertrages gesehen werden. Der Arbeitgeber ist dann nach Treu und Glauben zur Annahme verpflichtet. Ob man den vom Arbeitnehmer geltend gemachten Anspruch als „Weiterbeschäftigungsanspruch“, „Fortsetzungsanspruch“ oder „Wiedereinstellungsanspruch“ bezeichnet, ist dann lediglich eine Frage der Benennung. In der Sache geht es darum, durch einen neuen Vertrag das aufgrund der Kündigung wirksam endende Arbeitsverhältnis für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist neu zu begründen, was die herkömmliche Bezeichnung als „Wiedereinstellungsanspruch“ sinnvoll erscheinen läßt.

Hat der Arbeitnehmer einen Wiedereinstellungsanspruch geltend gemacht und der Arbeitgeber die Abgabe der entsprechenden Willenserklärung verweigert, so kann sich dieser nach Treu und Glauben nicht auf das eigene pflichtwidrige Verhalten berufen und den Arbeitnehmer auf den Umweg einer Vollstreckung nach § 894 ZPO verweisen. Der Arbeitnehmer kann dann sofort, wovon das LAG im Ergebnis zutreffend ausgegangen ist, auf Erfüllung der Hauptpflichten aus dem fortbestehenden Arbeitsverhältnis, also auf Weiterbeschäftigung klagen.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

KSchG § 1; BGB §§ 242, 613a; GG Art. 12; ZPO §§ 256, 894