Differenzierung zwischen Teil- und Vollzeitbeschäftigten hinsichtlich der zur Erlangung tarifvertraglicher Unkündbarkeit zurückzulegenden Dienstzeit

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

13. 03. 1997


Aktenzeichen

2 AZR 175/96


Leitsatz des Gerichts

Eine Tarifnorm, die für den Ausschluß einer ordentlichen Kündigung (sogenannte tarifvertragliche Unkündbarkeit) bei Teilzeitbeschäftigten die Zurücklegung einer längeren Dienstzeit fordert als bei Vollzeitbeschäftigten, verstößt gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 I GG.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die am 6. 7. 1939 geborene Kl. ist seit dem 1. 4. 1974 bei der Bekl. bzw. deren Rechtsvorgängerin als Reinigungskraft beschäftigt. Nach einer anfänglichen Wochenarbeitszeit von 22 Stunden ist sie seit dem 1. 8. 1979 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb) Anwendung. § 26a I TV Arb lautet wie folgt:

"Unkündbar ist ein ständiger Arbeiter, wenn er als

a) vollbeschäftigter Arbeiter eine Dienstzeit von 25 Jahren,

b) vollbeschäftigter Arbeiter nach Vollendung des 40. Lebensjahres eine Postdienstzeit von 15 Jahren,

c) nichtvollbeschäftigter Arbeiter mit einer arbeitsvertraglich vereinbarten durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von mindestens der Hälfte der jeweils geltenden regelmäßigen Arbeitszeit nach Vollendung des 40. Lebensjahres eine Postdienstzeit von 20 Jahren vollendet hat".

Vom 1. 10. 1991 bis zum 15. 4. 1992 wurde die Kl. nicht beschäftigt und bezog eine Rente aus der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost. Der Beginn ihrer sog. "Postdienstzeit" wurde in diesem Zusammenhang auf den 15. 10. 1974 festgesetzt. Mit Schreiben vom 12. 4. 1994 kündigte die Bekl. das Arbeitsverhältnis der Parteien krankheitsbedingt unter Einhaltung der tariflichen Kündigungsfrist zum 31. 12. 1994.

Die Kl. hat sich mit ihrer am 26. 4. 1994 beim ArbG eingegangenen Klage gegen die Kündigung gewandt. Sie hat die Auffassung vertreten, sie sei nach Maßgabe des § 26a TV Arb ordentlich nicht mehr kündbar. Zwar seien dieser Vorschrift zufolge Teilzeitbeschäftigte, die im Kündigungszeitpunkt das 40. Lebensjahr vollendet hätten, erst nach 20jähriger Dienstzeit unkündbar. Für Vollzeitkräfte genügten jedoch schon 15 Jahre Beschäftigung. Diese Differenzierung verstoße gegen höherrangiges Recht. Die Kl. hat beantragt festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis aufgrund der ordentlichen Kündigung vom 12. 4. 1994 nicht aufgelöst worden ist.

Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung und die Revision der Bekl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

B. I. Das LAG hat angenommen, die Kündigung der Bekl. sei unwirksam. Die Kl. sei gem. § 26a TV Arb ordentlich nicht mehr kündbar. Nach dem Wortlaut der Vorschrift habe die Kl. die Voraussetzungen für die Unkündbarkeit im Kündigungszeitpunkt zwar noch nicht erfüllt, die Vorschrift des § 26a I lit.c TV Arb sei jedoch gem. § 134 BGB wegen Verstoßes gegen Art. 1 § 2 BeschFG, Art. 3 I GG nichtig. Teilzeitbeschäftigte würden durch die tarifliche Vorschrift ohne rechtfertigenden Grund allein wegen ihrer Teilzeitarbeit benachteiligt. Die Benachteiligung könne nur dadurch ausgeglichen werden, daß auch auf Teilzeitbeschäftigte die Regelungen für Vollzeitbeschäftigte Anwendung fänden. Die danach geltenden Voraussetzungen für eine Unkündbarkeit würden durch die Kl. erfüllt.

II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung.

1. Gem. Art. 1 § 2 I BeschFG darf der Arbeitgeber einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer nicht wegen der Teilzeitarbeit gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandeln, es sei denn, daß sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen.

a) Art. 1 § 2 I BeschFG findet seit dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens am 1. 5. 1985 auf das im Jahre 1974 begründete Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Die vorgenannte Regelung gilt nicht nur für Verträge, die nach ihrem Inkrafttreten geschlossen worden sind, sondern auch für solche, die im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens bereits bestanden haben (vgl. BAGE 61, 43 (46) = NZA 1989, 209 = AP Nr. 2 zu § 2 BeschFG1985 (zu II 1); BAGE 63, 181 (186) = NZA 1990, 486 = AP Nr. 29 zu § 11 BUrlG (zu II 2, 3); BAG, NZA 1993, 511 = AP Nr. 5 zu § 10 TV Arb Bundespost).

b) Vorliegend will die Bekl. die Ungleichbehandlung der teilzeitbeschäftigten Kl. gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern damit begründen, daß § 26a I TV Arb dies vorsieht. Zwar kann nach dem Wortlaut des Art. 1 § 6 I BeschFG durch Tarifvertrag von den Vorschriften des zweiten Abschnitts des BeschFG (Teilzeitarbeit) auch zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Dies rechtfertigt aber keine Ungleichbehandlung von Teil- und Vollzeitbeschäftigten ohne sachlichen Grund, denn auch die Tarifvertragsparteien sind bei ihrer Normsetzung an die Grundrechte und damit auch an den Gleichheitssatz des Art. 3 I GG gebunden (vgl. BAG, NZA 1993, 511; vgl. auch BAGE 62, 334, 338 = NZA 1990, 37 = AP Nr. 6 zu § 2 BeschFG1985; BAGE 67, 367 = NZA 1991, 804 = AP Nr. 31 zu § 622 BGB; BAG, NZA 1994, 900 = AP Nr. 2 zu § 9 TVArbBundespost ).

2. Sachliche Gründe, die die unterschiedliche Behandlung der Teilzeitbeschäftigten gegenüber den Vollzeitbeschäftigten gem. § 26a I lit.b und c TV Arb rechtfertigen, bestehen nicht. Nach dem eindeutigen Tarifwortlaut erfolgt die Differenzierung nur nach den Kriterien der Teil- bzw. Vollzeitarbeit.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG rechtfertigt jedoch allein das unterschiedliche Arbeitspensum der Teilzeitbeschäftigten und der Vollzeitbeschäftigten eine unterschiedliche Behandlung noch nicht. Die Sachgründe müssen anderer Art sein, etwa auf Arbeitsleistung, Qualifikation, Berufserfahrung oder unterschiedlichen Anforderungen am Arbeitsplatz beruhen (statt vieler: BAG, NZA 1995, 730 = AP Nr. 40 zu § 2 BeschFG1985 (zu II 3), m.w. Nachw.). Die Menge der Arbeitsleistung stellt somit für sich genommen keinen sachlichen Grund dar, um unterschiedliche Voraussetzungen für den Eintritt der Unkündbarkeit zu rechtfertigen.

b) Soweit die Revision aus dem Urteil des BAG vom 25. 10. 1994 (NZA 1995, 730) etwas anderes herleiten zu können glaubt, kann dem nicht gefolgt werden. Das BAG hat in seiner Entscheidung darauf abgestellt, daß bei der Bemessung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung eine Anknüpfung an das unterschiedliche Arbeitsentgelt zulässig ist, da zwischen erbrachter Arbeitsleistung und zu zahlender Vergütung ein Austauschverhältnis besteht (vgl. BAG, NZA 1995, 730 (zu III 1a)). Gerade dies gilt im Hinblick auf einen Kündigungsausschluß aber nicht.

c) Wie das LAG zutreffend ausgeführt hat, soll durch die Garantie der Unkündbarkeit der Betriebstreue und der mit dem Lebensalter zunehmenden Schwierigkeit, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, Rechnung getragen werden. Hinsichtlich der Betriebstreue hat das BAG in der von der Revision zitierten Entscheidung (BAG, NZA 1995, 730 (zu II 3c cc (5))) ausdrücklich ausgeführt, daß insoweit gerade kein wesentlicher Unterschied zwischen Voll- und Teilzeitkräften besteht. Dies hat auch das LAG erkannt. Entgegen der Ansicht der Bekl. bemißt sich die Betriebstreue nicht nach den geleisteten Arbeitsstunden, sondern nach der Dauer des rechtlichen Bestandes des Arbeitsverhältnisses. Auch besteht kein Anhaltspunkt dafür, daß bezüglich der mit dem Lebensalter zunehmenden Schwierigkeit, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, zwischen Voll- und Teilzeitkräften ein Unterschied besteht.

d) Nicht zu überzeugen vermag auch die Ansicht der Bekl., eine Differenzierung sei aufgrund der unterschiedlichen wirtschaftlichen Bedeutung von Teil- und Vollzeitarbeitsverhältnissen für die jeweiligen Arbeitnehmer gerechtfertigt; die Sicherung des Arbeitsplatzes durch die Unkündbarkeit sei bei Teilzeitkräften existenziell nicht in dem Maße wichtig wie bei Vollzeitkräften. Diese Argumentation verkennt, daß vielen Arbeitnehmern als einzige Möglichkeit der Erwerbstätigkeit nur ein Teilzeitarbeitsverhältnis bleibt. Dies gilt im besonderen Maße für alleinerziehende Mütter und Väter, für die sich wegen der geringen täglichen Arbeitszeit und der flexibleren Gestaltbarkeit deren Lage häufig nur eine Teilzeitbeschäftigung mit den erzieherischen Aufgaben in Einklang bringen läßt. Solche Arbeitnehmer sind zur Sicherung ihrer Existenz in gleicher Weise auf ihren Arbeitsplatz angewiesen wie Vollzeitbeschäftigte. Aber auch bei Teilzeitbeschäftigten, die anderweitig finanziell abgesichert sind (z.B. über Einkünfte des Ehepartners oder aus einer weiteren Teilzeitbeschäftigung), kann nicht generell von einer geringeren Schutzbedürftigkeit ausgegangen werden. Auch soweit es sich nur um einen Zusatzerwerb handelt, ist dieser häufig für das Auskommen der Familien notwendig oder gar unverzichtbar.

e) Schließlich ist entgegen der Ansicht der Bekl. auch unerheblich, ob die Tarifvertragsparteien davon ausgegangen sind, daß für die getroffene Regelung ein sachlicher Grund im Sinne der Rechtsprechung vorliegt. Trotz der besonderen Sachkunde der Tarifvertragsparteien kann nicht unterstellt werden, daß ihre Regelungen stets den Anforderungen des Gleichheitssatzes genügen.

3. Fehlt es somit an sachlichen Gründen für die in § 26a I lit.b und c TV Arb vorgenommene Differenzierung, ist diese Tarifregelung wegen Verstoßes gegen Art. 3 I GG insgesamt nichtig. Für die Vergangenheit läßt sich - unbeschadet der Möglichkeit der Tarifvertragsparteien, eine neue Regelung für die Zukunft zu treffen - die verfassungsrechtlich gebotene Gleichbehandlung von Voll- und Teilzeitkräften nach Vollendung des 40. Lebensjahres nur dadurch verwirklichen, daß auch den Teilzeitkräften die Unkündbarkeit bereits ab einer Postdienstzeit von 15 Jahren gewährt wird (vgl.BAGE 50, 137 = NZA 1986, 321 = AP Nr. 136 zu Art. 3 GG). Dies gebietet auch Art. 1 § 2 I BeschFG. Danach konnte die Kl. nicht mehr ordentlich gekündigt werden. Auf Art. 119 I EGV oder andere Benachteiligungsverbote kommt es deshalb nicht mehr an.

Vorinstanzen

LAG Hamm, Urteil vom 25.09.1995 - 5 Sa 88/95

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

GG Art. 3 I; BeschFG Art. 1 §§ 2 I, 6 I; Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb) § 26a I