Entzug einer betrieblichen Pensionszusage nur bei schwersten Verfehlungen (AG-Vorstandsmitglied)

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

25. 11. 1996


Aktenzeichen

II ZR 118/95


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der am 6. 12. 1939 geborene Kl. war seit dem 1. 7. 1964 bei der bekl. AG beschäftigt, vom 21. 6. 1991 bis zu seiner Abberufung am 15. 2. 1993 als Vorstandsmitglied. Unter dem 8. 6. 1993 kündigte die Bekl. fristlos auch den mit dem Kl. geschlossenen Anstellungs- und Pensionsvertrag vom 26./29. 6. 1989. Mit der Klage hat der Kl. begehrt, die Unwirksamkeit der von der Bekl. ausgesprochenen Kündigung festzustellen und hat ferner Fortzahlung seiner Bezüge bis zum 15. 2. 1994 sowie Ersatz für den Entzug des ihm zustehenden Dienstwagens verlangt. Außerdem hat er die Feststellung beantragt, daß die Bekl. ihm vom 16. 2. 1994 an zur Zahlung eines monatlichen Ruhegehalts von 7500 DM - unter Anrechnung etwaiger anderweitiger Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit - verpflichtet sei. In § 9 des Anstellungs- und Pensionsvertrags heißt es hierzu:

§ 9. (1) Scheidet Herr S aus den Diensten der Gesellschaft aus

a) infolge körperlicher Gebrechen oder wegen Schwäche der körperlichen oder geistigen Kräfte, die ihn zur Erfüllung seiner Berufspflichten dauernd unfähig werden lassen oder

b) nach Vollendung des 65. Lebensjahres oder

c) infolge einseitiger Lösung des Anstellungsverhältnisses durch die Gesellschaft, ohne daß ein Grund zur fristlosen Kündigung gegeben wäre,

so erhält er von ihr auf Lebenszeit ein Ruhegehalt.

(2) Endet der Anstellungsvertrag vor Vollendung des 65. Lebensjahres, ohne daß ein Pensionsfall nach Absatz 1 lit. a oder lit. c gegeben ist, behält Herr S seine Anwartschaft auf Versorgungsleistungen, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen hierzu erfüllt sind.

Die Bekl. hat sich auf einen wichtigen Grund zur Kündigung berufen und widerklagend Erstattung von 20325,06 DM wegen einer vom Kl. für eigene Zwecke veranlaßten Zahlung an Anwaltskosten verlangt.

Das LG hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben, das OLG hat die Berufung des Kl. zurückgewiesen. Die hiergegen eingelegte Revision hat der Senat nur insoweit angenommen, als auch der Anspruch auf Zahlung von Ruhegeld abgewiesen worden ist. Im Umfang der Annahme führte die Revision zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Nach Auffassung des BerGer. entfallen Pensionsansprüche des Kl. aufgrund § 9 I lit. c des Anstellungsvertrags, weil er der Bekl. Grund zu einer fristlosen Kündigung gegeben habe. Der Kl. habe Patentakten, die er zur Führung eines Rechtsstreits gegen die Bekl. nutzen wollte, ohne Genehmigung aus den Geschäftsräumen der Bekl. entfernt. Darüber hinaus habe er über einen Strohmann einen - allerdings nicht durchgeführten - Kaufvertrag über ein Konkurrenzunternehmen (Werk K) geschlossen und hierfür mit einer wichtigen Abnehmerin derKl., der Firma F-GmbH & Co. KG, eine Kooperation vereinbart, um diese anstelle der Bekl. zu beliefern. Selbst wenn ein Erwerb des Werks K - wie der Kl. es darzustellen versuche - von ihm zum Wohle der Bekl. betrieben worden sein sollte, sei dieser Alleingang gegen die ihm bekannte Unternehmenspolitik der Bekl. nicht hinnehmbar gewesen. Im Zusammenhang damit stehe die vom Kl. veranlaßte Überweisung von 20365,06 DM an Rechtsanwaltskosten für die Beratungstätigkeit beim Ankauf des Werkes K.

II. Entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung der Bekl. ist die Revision auch in bezug auf die abgewiesenen Pensionsansprüche zulässig. Hierfür genügt es, daß die Revisionsbegründung insgesamt einen wichtigen Grund zur Kündigung des Anstellungsvertrags verneint und sich dieser Revisionsangriff ohne weiteres auf die Abweisung aller Ruhegehaltsansprüche erstreckt (§ 554 III Nr. 3 ZPO).

III. Mit der gegebenen Begründung durfte das BerGer. weder eine Versorgungsanwartschaft des Kl. nach Vollendung seines 65. Lebensjahres noch einen Anspruch auf sofortiges Ruhegeld verneinen.

1. Das BerGer. hat nur geprüft, ob der Kl. eine Rentenzahlung nach § 9 I lit. c des Anstellungs- und Pensionsvertrags verlangen kann. Es hat dabei übersehen, daß der für die Zukunft unbeschränkte Feststellungsantrag des Kl. neben dem ab 16. 2. 1994 verlangten vorgezogenen Ruhegehalt auch Ansprüche auf echtes Altersruhegeld nach Vollendung des 65. Lebensjahres umfaßt. Solche Ansprüche wären aber dann, wenn Versorgungsbezüge bei vorzeitigem Ausscheiden gem. § 9 I lit. c entfallen, was das BerGer. hier annimmt, zumindest auf der Grundlage des § 9 II und den dort in Bezug genommenen Vorschriften des Betriebsrentengesetzes (Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 9. 12. 1974 - BetrAVG) begründet. Nach dem unstreitigen Sachverhalt war im Kündigungszeitpunkt die Versorgungsanwartschaft des Kl. unverfallbar, weil er das 35. Lebensjahr vollendet hatte, der Beginn seiner Betriebszugehörigkeit über 12 Jahre zurücklag und die Versorgungszusage mehr als drei Jahre bestanden hatte (§§ 1 I , 17 I 2 BetrAVG). Daß die Bekl. dieses Pensionsversprechen widerrufen hätte, ist nicht festgestellt. Für ein Widerrufsrecht der Bekl. nach Treu und Glauben (§ 242 BGB), das keinen vertraglichen Vorbehalt erfordert, böte das Parteivorbringen auch keine Grundlage.

Ein betriebliches Ruhegeld hat, wie der Senat bereits mehrfach betont hat, Entgeltcharakter; es ist eine besondere Vergütung, dafür, daß der Dienstverpflichtete seine Arbeitskraft für lange Zeitin den Dienst des Unternehmens stellt. Zwischen der vom Unternehmer angebotenen Versorgung und dem mit ihr abgegoltenen Verzicht des Dienstverpflichteten auf einen möglichen Betriebswechsel besteht daher ein Austauschverhältnis. Das bei der Ruhegehaltszusage vorausgesetzte Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung kann zwar durch Treuepflichtverletzungen des Arbeitnehmers ebenso gestört werden wie durch ein verfrühtes Ausscheiden aus dem Dienst. Auf der anderen Seite ist die Versorgung aber für ihren Empfänger von lebenswichtiger Bedeutung, insbesondere für Mitglieder von Gesellschaftsorganen, die meist nicht ausreichend sozialversichert sind. Diese existentielle Bedeutung einer Versorgungszusage für den Begünstigten, der auch das Betriebsrentengesetz mit seinen sozialen Schutzvorschriften - und wohl hier auch § 9 II des zwischen den Parteien geschlossenen Anstellungs- und Pensionsvertrags - Rechnung trägt, schließt es aus, ihre Erfüllung von einem steten Wohlverhalten des Zusageempfängers während seiner Dienstzeit abhängig zu machen.

Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats und des BAG können deshalb nur schwerste Verfehlungen ausnahmsweise die Versagung von Ruhegeldansprüchen unter dem Gesichtspunkt rechtfertigen, daß es dann an der erwarteten Gegenleistung für die versprochene Pension fehlt und daß deren Inanspruchnahme darum rechtsmißbräuchlich wäre. Dies kann namentlich dann der Fall sein, wenn der Pensionsberechtigte das Unternehmen, aus dessen Erträgen seine Pension gezahlt werden soll, fortgesetzt schädigt und dadurch dessen wirtschaftliche Grundlage gefährdet. Der Senat hat dies in Fällen bejaht, in denen die Anstellungskörperschaft einen Schaden von 6 Mio. DM erlitten hatte und zu einer Kapitalerhöhung um 5 Mio. DM genötigt war (NJW 1984, 1529 = ZIP 1984, 307) oder der Kl. als Vorstandsmitglied einer Bank diese bewußt und gewollt geschädigt und dabei einen Verlust von mehr als 1 Milliarde DM verursacht hatte (Beschl. v. 20. 9. 1993 - II ZA 4/93; vgl. Goette, DStR 1994, 146). Pflichtverletzungen, die nach Art, Ausmaß und Folgen dieses außerordentliche Gewicht nicht haben, reichen dagegen für einen Pensionsentzug selbst dann nicht aus, wenn auf sie eine fristlose Kündigung des Dienstverhältnisses gestützt werden kann (vgl. BGHZ 55, 274 (277ff.) = NJW 1971, 1127; BGH, NJW 1981, 2407 (2408) = LM BetrAVG Nr. 6 = WM 1981, 940 (941); BGH, NJW 1984, 1529 = LM § 35 GmbHG Nr. 17 = ZIP 1984, 307 (308f.); BAGE32, 139 (145ff.) = NJW 1980, 1127; BAGE 41, 333 (335) = NJW 1984, 141 = AP Nr. 7 zu § 1 BetrAVG Treuebruch; BAG, AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Treuebruch; BAG, ZIP 1990, 1615; BAG, NZA 1990, 807 = AP Nr. 10 zu § 1 BetrAVG Treuebruch = ZIP 1990, 1612 (1613f.); BAG, AP Nr. 13 zu § 1 BetrAVG Hinterbliebenenversorgung; s. ferner BGH, NJW-RR 1989, 286 = LM § 1 KO Nr. 12 = WM 1989, 71 (77f.)).

An dieses außerordentliche Maß von Pflichtverletzungen reichen die im Streitfall gegen den Kl. erhobenen Vorwürfe, auchwenn man sie in vollem Umfang als wahr unterstellt, nicht heran. Der Senat hat durch teilweise Nichtannahme der Revision die Ansicht des BerGer. gebilligt, daß die Bekl. das Dienstverhältnis mit dem Kl. berechtigterweise aus wichtigem Grund gekündigt hat. Es ist aber nach dem bisherigen Vorbringen nicht ersichtlich, daß der Kl. der Bekl. durch die vom BerGer. festgestellten Pflichtverletzungen oder die nicht aufgeklärten, von der Bekl. behaupteten weiteren Vertragsverstöße einen durch Ersatzleistungen nicht wieder gutzumachenden, gar existenzbedrohenden Schaden zugefügt hätte, so daß sich die vergütete Betriebstreue des Kl. rückblickend als weitgehend wertlos herausstellte. Schon deswegen kann die Abweisung aller Ruhegehaltsansprüche nicht bestehenbleiben.

2. Von Rechtsfehlern beeinflußt sind aber ebenso die Erwägungen, mit denen das BerGer. einen Anspruch des Kl. auf vorzeitiges Ruhegeld nach § 9 I lit. c des Anstellungsvertrags verneint. Auch Organmitgliedern zugesagte vorzeitige Ruhestandsbezüge dürfen wegen Treuepflichtverstößen nur dann versagt werden, wenn es sich dabei im Einzelfall um grobe Pflichtverletzungen handelt, die selbst bei Berücksichtigung der erheblichen Bedeutung eines Pensionsversprechens für den Dienstverpflichteten dessen Verlangen nach sofortiger Versorgung als mißbräuchlich erscheinen lassen (vgl. hierzu Senat, LM § 242 (Cd ) BGB Nr. 223 = WM 1979, 1328 (1330) u. Senat, NJW 1981, 2407 (2408f.) = LM BetrAVG Nr. 6). Das hat das BerGer. verkannt; der in der Vertragsklausel hier enthaltene Vorbehalt, wonach bei einem Grund zur fristlosen Kündigung des Dienstverhältnisses seitens der Bekl. gleichzeitig die Versorgungsbezüge des Kl. entfallen, kann auch nur unter diesen Voraussetzungen wirksam sein. Bei einer Entlassung vor Erreichen der Altersgrenze und ohne daß ein Fall vorzeitiger Arbeitsunfähigkeit vorliegt, wird das Organmitglied allerdings nicht stets in gleichem Maße existentiell auf das Ruhegehalt angewiesen sein wie bei einem echten Altersruhegeld. Der Abschluß eines neuen Anstellungsvertrags kann jedoch aus den verschiedensten Gründen auf Schwierigkeiten stoßen. Sofern der Widerruf einer Versorgungszusage oder deren Wegfall von der Verletzung von Treuepflichten des Dienstverpflichteten während des bestehenden Arbeitsverhältnisses abhängt, ist deswegen zwar nicht wie beim Altersruhegeld ein ganz außerordentliches Ausmaß, gepaart mit schweren Schädigungen der Gesellschaft, zu fordern. Auf der anderen Seite kann dafür aber auch nicht jeder wichtige Grund zur fristlosen Kündigung des Arbeitsvertrags nach § 626 I BGB genügen, zumal dieser nicht verschuldet sein muß. Zu berücksichtigen sind vielmehr vor allem die Schwere und etwaige Folgen der Pflichtverstöße einerseits und Dauer der Betriebszugehörigkeit, Alter sowie anderweitige Erwerbsaussichten des Ausgeschiedenen andererseits.

Die danach erforderliche Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ist in erster Linie Aufgabe des Tatrichters. Da das BerGer. den Sachverhalt noch nicht unter diesen Gesichtspunkten geklärt und gewürdigt hat, ist sein Urteil auch insoweit aufzuheben. Durch die Zurückverweisung erhalten die Parteien zugleich Gelegenheit, zu diesen bisher nur teilweise behandelten Fragen weiter vorzutragen.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht; Sozialrecht

Normen

BetrAVG §§ 1, 17; BGB §§ 242, 626