Schulgeldabzug bei genehmigter Ersatzschule
Gericht
BFH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
11. 06. 1997
Aktenzeichen
X R 77/94
Schulgeld für den Besuch einer „Ersatzschule“ ist als Sonderausgabe (§ 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG) nur abziehbar, wenn die Schule tatsächlich als Ersatzschule genehmigt worden ist.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
I. Die Tochter der Kläger und Revisionskläger (Kl.) besuchte im Streitjahr 1991 den Orientierungslehrgang für Krankengymnastik an der L-Schule in W. In ihrer Einkommensteuererklärung für 1991 begehrten die Kl. den Abzug von 30 v. H. des für vier Monate an die Schule bezahlten Schulgeldes i. H. von insgesamt 2 360 DM als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid für 1991 die Schulgeldzahlung nicht.
Das FG wies die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage als unbegründet ab. Da das niedersächsische Schulgesetz die Schulen für nichtärztliche Berufe ausdrücklich nicht umfasse und dessen Anwendungsbereich auch nicht durch - grundsätzlich mögliche - Verordnung auf Schulen für Krankengymnasten ausgedehnt worden sei, sei die Schule nicht als Ersatzschule nach niedersächsischem Landesschulrecht genehmigt. Die bundesrechtliche Genehmigung nach § 7 des Gesetzes über die Ausübung der Berufe des Masseurs, des Masseurs und Bademeisters und des Krankengymnasten - Masseurgesetz - (BGBl I 1958, 985) genüge nicht. Das Urteil ist in EFG 1994, 873 abgedruckt.
Mit der Revision rügen die Kl. Verletzung von § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG. Das FG habe zu Unrecht darauf abgestellt, daß die Schule nicht als Ersatzschule im Sinne des jeweiligen Landesrechts eingestuft und nicht durch das Kultusministerium des Landes genehmigt worden sei. Die L-Schule sei eine staatlich genehmigte Ersatzschule i. S. des Art. 7 Abs. 4 GG. Eine landesrechtliche Genehmigung als Ersatzschule sei nicht Tatbestandsmerkmal des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG, die Vorschrift lasse eine staatliche Genehmigung genügen.
Die Kl. beantragen, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und 30 v. H. des Schulgeldes (708 DM) als Sonderausgaben zu berücksichtigen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Auszüge aus den Gründen:
II. Die Revision ist unbegründet. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß Schulgeld für den Besuch einer „Ersatzschule“ nur nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG abziehbar ist, wenn diese tatsächlich als Ersatzschule genehmigt oder erlaubt worden ist.
1. Nach dieser Vorschrift können 30 v. H. des Entgelts, das der Steuerpflichtige für ein Kind, für das er einen Kinderfreibetrag oder Kindergeld erhält, für den Besuch einer gemäß Art. 7 Abs. 4 GG staatlich genehmigten oder nach Landesrecht erlaubten Ersatzschule sowie einer nach Landesrecht anerkannten allgemeinbildenden Ergänzungsschule entrichtet, als Sonderausgaben abgezogen werden. Ausgenommen ist das Entgelt für Beherbergung, Betreuung und Verpflegung.
2. Mit den in § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG genannten Schulen knüpft der Gesetzgeber erkennbar an schulrechtliche Begriffe an, die durch Art. 7 Abs. 4 GG vorgeprägt und in den Gesetzen der Bundesländer, welche die staatliche Schulaufsicht über Schulen in freier Trägerschaft regeln, konkretisiert sind.
a) Ersatzschulen gemäß Art. 7 Abs. 4 GG sind nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG Schulen, die nach dem mit ihrer Errichtung verfolgten Gesamtzweck als Ersatz für eine in dem jeweiligen Bundesland vorhandene oder grundsätzlich vorgesehene öffentliche Schule dienen sollen (BVerfG v. 14. 11. 1969, 1 BvL 24/64, BVerfGE 27, 195; v. 9. 3. 1994, 1 BvR 682, 712/88, BVerfGE 90, 107). Solche Ersatzschulen bedürfen nach Art. 7 Abs. 4 GG der staatlichen Genehmigung und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter öffentlichen Schulen zurückstehen und eine „Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird“.
b) Nach dem GG haben die Länder die ausschließliche Zuständigkeit zur Regelung des Privatschulwesens (vgl. Art. 30, 70 ff. . GG). Ihre Gesetzgebungsbefugnis ist in sachlicher Hinsicht durch Art. 7 Abs. 4 und 5 GG eingeschränkt. Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet zwar das Recht, Privatschulen zu errichten. Das Recht zur Errichtung von Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen (Ersatzschulen) ist jedoch durch den Vorbehalt staatlicher Genehmigung beschränkt (Art. 7 Abs. 4 Satz 2 GG). Ein Anspruch auf Genehmigung besteht verfassungsrechtlich (nur) bei Vorliegen der in Art. 7 Abs. 4 und 5 GG aufgeführten Voraussetzungen (BVerfG in BVerfGE 27, 195). Abgesehen hiervon haben die - auch für die Genehmigung von Ersatzschulen allein zuständigen - Länder einen weiten Gestaltungsspielraum mit der Folge, daß in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Rechtsverhältnisse möglich sind. Das gilt sowohl hinsichtlich der Ersatzschulen als auch der Anerkennung von Ergänzungsschulen. Da es grundsätzlich Sache der Länder ist, die Schultypen des öffentlichen Schulwesens zu bestimmen, kann es vorkommen, daß ein und derselbe Privatschultyp nicht in allen Ländern eine Ersatzschule ist (Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 7 Rz. 73, m. w. N.). Andererseits sehen einzelne Landesgesetze die Genehmigung von Schulen als Ersatzschulen vor, welche die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 4 GG deswegen nicht erfüllen, weil eine vergleichbare Schule in dem jeweiligen Bundesland weder vorhanden noch vorgesehen ist, die aber nach dem Landesrecht als Ersatzschulen erlaubt sind. Durch die Aufzählung von Ersatzschulen i. S. des Art. 7 Abs. 4 GG einerseits und der nach Landesrecht erlaubten Ersatzschulen andererseits werden alle Ersatzschulen erfaßt, die nach Landesrecht zulässigerweise als Ersatzschule betrieben werden dürfen.
Ergänzungsschulen sind inländische Schulen, die keine Ersatzschulen sind (vgl. BVerfG in BVerfGE 27, 195, 201; und Urt. v. 8. 4. 1987, 1 BvL 8, 16/84, BVerfGE 75, 40, 62); sie bedürfen - im Gegensatz zu Ersatzschulen - keiner Genehmigung und müssen lediglich die Aufnahme des Betriebs anzeigen (vgl. z. B. Heckel/Avenarius, Schulrechtskunde, 6. Aufl. 1986, 155); Schulgeld für den Besuch von Ergänzungsschulen ist nur begünstigt, wenn es sich um eine nach Landesrecht anerkannte allgemeinbildende Ergänzungsschule handelt.
c) Schon die Anknüpfung an die schulrechtlichen Begriffe „Ersatzschule“ und „Ergänzungsschule“ und das Erfordernis der staatlichen Genehmigung, landesrechtlichen Erlaubnis bzw. Anerkennung legen nahe, daß die Qualifizierung der Schule im Einzelfall nicht den Finanzämtern überlassen sein soll, sondern diese an die Entscheidungen der hierfür zuständigen obersten Kultusbehörden der Länder gebunden sind (zur Bindungswirkung vgl. §§ 171 Abs. 10 , 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977). Die unterschiedliche Wortwahl - staatlich genehmigte und nach Landesrecht erlaubte Ersatzschule - gestattet entgegen der vom FG Köln (Urt. v. 12. 10. 1994, 11 K 4918/93, EFG 1996, 747) vertretenen Auffassung keine andere Auslegung. Abgesehen davon, daß die Vorschrift mit dem Tatbestandsmerkmal „gemäß Art. 7 Abs. 4 des Grundgesetzes staatlich genehmigte“ Ersatzschulen offensichtlich die Formulierung des Art. 7 Abs. 4 GG übernimmt, berücksichtigt die Aufzählung erkennbar, daß der Ersatzschulbegriff des GG mit den Ersatzschulregelungen der Länder nicht deckungsgleich ist und der Erfassung aller genehmigten Ersatzschulen dient. Voraussetzung für die Begünstigung ist deshalb die tatsächliche Erteilung der staatlichen Genehmigung als Ersatzschule; die Genehmigungsfähigkeit reicht nicht aus (ebenso für die insoweit gleichlautenden Befreiungsvorschriften: BFH v. 27. 3. 1996, I R 182/94, BFHE 180, 444 zu § 3 Nr. 13 GewStG, DStR 1996, 1851; v. 3. 5. 1989, V R 83/84, BFHE 157, 458, BStBl II 1989, 815 zu § 4 Nr. 21 b UStG 1980, jeweils m. w. N.; Stephan, in: Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, § 10 EStG Rz. 221 c; Nolde, in: H/H/R, EStG, 21. Aufl., § 10 Rz. 334 c); OFD Münster v. 4. 9. 1992, S 2221 - 184 - St 12-31, FR 1992, 698).
3. Entstehungsgeschichte und Zweck der Vorschrift bestätigen diese Auslegung.
Der mit dem Kultur- und Stiftungsförderungsgesetz vom 13. 12. 1990 (BGBl I 1990, 2775, BStBl I 1991, 51) eingeführte Sonderausgabenabzug ersetzte den zuvor durch Ländererlasse gestatteten, aber rechtswidrigen (vgl. BFH v. 25. 8. 1987, IX R 24/85, BFHE 151, 39, BStBl II 1987, 850, DStR 1988, 72) Spendenabzug von Schulgeld für den Besuch gemeinnütziger Privatschulen (Nolde, in: H/H/R, a. a. O., § 10 EStG Rz. 334 a; Stäuber, in: Blümich, EStG, § 10 b Rz. 3; Thiel/Eversberg, DB 1991, 118, 127). Die Vorschrift bezweckt die Förderung von Privatschulen und sollte zunächst beschränkt sein auf nach Art. 7 Abs. 4 GG staatlich genehmigte und nach Landesrecht erlaubte Ersatzschulen (BT-Drs. 11/7833, 8). Aufgrund der Beschlußempfehlung des Finanzausschusses wurden auch die nach Landesrecht anerkannten allgemeinbildenden Ergänzungsschulen in die Förderung einbezogen (BT-Drs. 11/8346, 21). Die Beschränkung auf die bezeichneten Schultypen zeigt, daß nicht alle Privatschulen gefördert werden sollen, sondern nur solche, die bestimmte staatliche Anforderungen erfüllen und dadurch in besonderer Weise staatlicher Unterstützung bedürfen; das gilt vor allem für Ersatzschulen, die einerseits die Gleichwertigkeitsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 4 GG erfüllen müssen, andererseits aber nur einen Anspruch auf Genehmigung haben, wenn die Schule grundsätzlich von allen Eltern und Schülern ohne Rücksicht auf ihre wirtschaftliche Lage in Anspruch genommen werden kann (ausführlich BVerfG in BVerfGE 90, 107). Mit dem Erfordernis der staatlichen Genehmigung soll - ebenso wie mit dem der landesrechtlichen Erlaubnis bzw. Anerkennung - erkennbar sichergestellt werden, daß nur der Besuch solcher Privatschulen gefördert wird, deren Qualifizierung die hierfür nach der Verfassung zuständigen Landesbehörden festgestellt haben, die also als Ersatzschule tatsächlich genehmigt worden sind.
4. Dieser Auslegung steht - entgegen der Auffassung der Kl. - nicht entgegen, daß nach den für den Senat bindenden (§ 118 Abs. 1 Satz 2 FGO; vgl. Urt. v. 11. 5. 1983, III R 112-113/79, BFHE 139, 88, BStBl II 1983, 657, DStR 1983, 690) Feststellungen des FG das Niedersächsische Schulgesetz (NSchG) für Schulen für nichtärztliche Heilberufe nicht galt und im Streitjahr 1991 auch keine Landesverordnung anderes bestimmte (§ 1 Abs. 5 Sätze 1 und 2 NSchG in der im Streitjahr geltenden Fassung).
Ob eine Schule begrifflich eine Ersatzschule ist und als solche einen Anspruch auf Genehmigung hat, bestimmt sich allein nach Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG (vgl. BVerfG in BVerfGE 27, 195; in BVerfGE 90, 107; V. 9. 3. 1994, 1 BvR 1369/90, Deutsches Verwaltungsblatt - DVBl - 1994, 751). Erfüllt eine Schule die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 4 GG, so ist kein Platz mehr für eine gegenteilige, auf Landesrecht gründende Entscheidung (BVerwG v. 10. 9. 1990, 7 B 119.90, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des BVerwG 11 Nr. 34 zu Art. 7 Abs. 4 GG; v. 3. 4. 1990, 7 B 32.90, Buchholz, a. a. O., 11 Nr. 32 zu Art. 7 Abs. 4 GG; ausführlich Urt. des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) v. 10. 6. 1993, 13 L 4856/93, nicht veröffentlicht (NV); vgl. BVerfG in BVerGE 90, 107; in DVBl 1994, 751). Dem Landesgesetzgeber bleibt es zwar überlassen, in welcher Weise er Ersatzschulen rechtstechnisch behandelt; er muß dabei jedoch den Vorgaben des GG genügen (BVerfG in DVBl 1994, 751). Auch wenn eine Schule aufgrund anderer Rechtsvorschriften genehmigt ist und insoweit eine schulrechtliche Genehmigung nicht benötigt, hat diese nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte grundsätzlich einen - auch gerichtlich durchsetzbaren - Anspruch auf Genehmigung als Ersatzschule, weil dies Voraussetzung für die Ersatzschulen i. S. des Art. 7 Abs. 4 GG grundsätzlich zustehende staatliche Finanzhilfe ist (ausführlich Niedersächsisches OVG v. 10. 6. 1993, 13 L 4856/93, NV; BVerwG-Beschl. in Buchholz, a. a. O., 11 Art. 7 Abs. 4 GG Nr. 32 und 34).
5. Bei Anwendung dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen für den Schulgeldabzug im Streitfall nicht vor. Die L-Schule ist weder als Ersatzschule tatsächlich genehmigt noch als Landesrecht erlaubt.
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