Tarifliche Unkündbarkeit von Teilzeitbeschäftigten nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag
Gericht
BAG
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
18. 09. 1997
Aktenzeichen
2 AZR 592/96
Eine Tarifnorm, die wie § 53 III BAT den Ausschluß der ordentlichen Kündigung (sogenannte tarifliche Unkündbarkeit) Teilzeitbeschäftigten nur dann gewährt, wenn deren Arbeitszeit mindestens die Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollbeschäftigten beträgt, verstößt gegen Art. 3 I GG.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der 1951 geborene Kl. ist seit 1974 als teilzeitbeschäftigter Lehrer an der von der Bekl. betriebenen Musikschule tätig. Während der gesamten Dauer des Vertragsverhältnisses war der Kl. unterhälftig, jedoch oberhalb der jeweiligen Geringfügigkeitsgrenze beschäftigt. Zuletzt erzielte er bei einer Arbeitszeit von 12,33 Arbeitsstunden je Woche eine Bruttomonatsvergütung in Höhe von 2033 DM. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. § 53 III BAT lautet wie folgt:
§ 53. (3) Nach einer Beschäftigungszeit (§ 19 und ohne die nach § 72 Abschn. A Nr. I berücksichtigten Zeiten) von 15 Jahren, frühestens jedoch nach Vollendung des 40. Lebensjahres, ist der Angestellte unkündbar, wenn die arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit mindestens die Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit eines entsprechenden vollbeschäftigten Angestellten beträgt.
Während der allgemeinen Schulferien wird an der Musikschule der Bekl. nicht unterrichtet. Mit Rücksicht darauf, daß Musikschullehrer im Angestelltenverhältnis nur einen jährlichen Urlaubsanspruch von sechs Wochen haben, tatsächlich jedoch in der Regel 14 Wochen im Jahr von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt sind, beschloß der Rat der Bekl. aus Gründen der Haushaltskonsolidierung am 28. 9. 1994, die sogenannten Ferienüberhänge bei den Musikschullehrern unverzüglich abzubauen. Die Bekl. bemühte sich daraufhin um eine einvernehmliche Regelung mit dem Kl. dahingehend, daß er bei gleichbleibender Vergütung wöchentlich 1,61 Stunden zusätzlich arbeiten sollte. Diese kam nicht zustande. Daraufhin kündigte die Bekl. mit Schreiben vom 22. 3. 1995, dem Kl. einige Tage später zugegangen, das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zum 30. 9. 1995 und bot dem Kl. gleichzeitig an, ihn ab dem 1. 10. 1995 bei gleichbleibender Wochenstundenzahl zu einem um 234 DM brutto verringerten Monatsentgelt an der Musikschule weiter zu beschäftigen. Der Kl. nahm das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung an. Mit seiner am 13. 4. 1995 beim ArbG eingegangenen Klage hat sich der Kl. gegen die Änderung seiner Arbeitsbedingungen gewandt. Nachdem er zunächst die Ansicht vertreten hat, die Kündigung sei sozialwidrig, hat er sich zweitinstanzlich nur noch darauf berufen, er sei gem. § 53 III BAT im Zeitpunkt des Zugangs der Änderungskündigung unkündbar gewesen. Die Tatsache, daß er nicht mit mindestens der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit eines entsprechenden vollbeschäftigten Angestellten tätig geworden sei, schließe die Unkündbarkeit nicht aus. Die entsprechende Regelung in § 53 III BAT sei wegen Verstoßes gegen § 2 I BeschFG unwirksam. Der Kl. hat beantragt festzustellen, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen nach Änderungskündigung der Bekl. vom 22. 3. 1995 unwirksam ist.
Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Kl. hat das LAG das Urteil des ArbG abgeändert und festgestellt, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen gemäß Änderungskündigung vom 22. 3. 1995 unwirksam ist. Mit ihrer Revision erstrebt die Bekl. die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Revision hatte keinen Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
I. Das LAG hat angenommen, die Kündigung der Bekl. sei unwirksam.
Der Kl. sei gem. § 53 III BAT ordentlich nicht mehr kündbar. Nach dem Wortlaut der Vorschrift gelte die Regelung über die Unkündbarkeit zwar nicht für unterhälftig teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer, die Vorschrift des § 53 III BAT sei jedoch insoweit gem. § 134 BGB wegen Verstoßes gegen Art. 1 § 2 BeschFG unwirksam. Unterhälftig Teilzeitbeschäftigte würden durch die tarifliche Vorschrift ohne rechtfertigenden Grund allein wegen ihrer Teilzeitarbeit benachteiligt. Dies habe zur Folge, daß der Kl. einem mindestens hälftig beschäftigten Arbeitnehmer gleichzustellen und er damit gem. § 53 III BAT unkündbar geworden sei.
II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung.
1. Gem. Art. 1 § 2 I BeschFG darf der Arbeitgeber einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer nicht wegen der Teilzeitarbeit gegenüber vollbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandeln, es sei denn, daß sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen.
a) Art. 1 § 2 I BeschFG findet seit dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens am 1. 5. 1985 auf das im Jahre 1974 begründete Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Die vorgenannte Regelung gilt nicht nur für Verträge, die nach ihrem Inkrafttreten geschlossen worden sind, sondern auch für solche, die im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens bereits bestanden (st. Rspr., vgl. u.a. BAGE 61, 43 (46) = NZA 1989, 209 = AP Nr. 2 zu § 2 BeschFG1985 (zu II 1) und zuletzt BAG, NZA 1997, 842 = AP Nr. 54 zu § 2 BeschFG1985 (zu B II 1a) m.w. Nachw.).
b) Vorliegend will die Bekl. die Ungleichbehandlung des unterhälftig teilzeitbeschäftigten Kl. gegenüber überhälftig teilzeit- und vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern damit begründen, daß § 53 III BAT dies vorsieht. Zwar kann nach dem Wortlaut des Art. 1 § 6 I BeschFG durch Tarifvertrag von den Vorschriften des zweiten Abschnitts des Beschäftigungsförderungsgesetzes (Teilzeitarbeit) auch zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Dies rechtfertigt aber keine Ungleichbehandlung von Teil- und Vollzeitbeschäftigten ohne sachlichen Grund, denn auch die Tarifvertragsparteien sind bei ihrer Normsetzung an die Grundrechte und damit auch an den Gleichheitssatz des Art. 3 I GG gebunden (vgl. BAG, NZA 1993, 511 = AP Nr. 5 zu § 10 TVArbBundespost; BAG, NZA 1997, 842 = AP Nr. 54 zu § 2 BeschFG1985 m.w. Nachw.).
2. Sachliche Gründe, die die unterschiedliche Behandlung der unterhälftig Teilzeitbeschäftigten gegenüber den Vollzeitbeschäftigten gem. § 53 III BAT rechtfertigen, bestehen nicht. Nach dem eindeutigen Tarifwortlaut erfolgt die Differenzierung nur nach dem Kriterium der Länge der Arbeitszeit.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG rechtfertigt jedoch allein das unterschiedliche Arbeitspensum der Teilzeitbeschäftigten und der Vollzeitbeschäftigten eine unterschiedliche Behandlung noch nicht. Die Sachgründe müssen anderer Art sein, etwa auf Arbeitsleistung, Qualifikation, Berufserfahrung oder unterschiedlichen Anforderungen am Arbeitsplatz beruhen (statt vieler: BAG, NZA 1995, 730 = AP Nr. 40 zu § 2 BeschFG1985 (zu II 3) m.w. Nachw.). Die Menge der Arbeitsleistung stellt somit für sich genommen keinen sachlichen Grund dar, um unterschiedliche Voraussetzungen für den Eintritt der Unkündbarkeit zu rechtfertigen.
b) Soweit die Revision meint, einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung daraus herleiten zu können, daß der nach ihrer Ansicht der tariflichen Unkündbarkeit vergleichbare Status des Lebenszeitbeamten nur bei einer Arbeitszeit bis zur Hälfte der Normalarbeitszeit erlangt werden könne, kann dem nicht gefolgt werden. Arbeits- und Beamtenverhältnisse unterscheiden sich so wesentlich voneinander, daß sie miteinander nicht verglichen werden können (BAG, NZA 1993, 691 = AP Nr. 105 zu § 242 BGB Gleichbehandlung (zu II)). Die Unkündbarkeit eines Beamten resultiert aus dem Bestehen eines besonderen Dienst- und Treueverhältnisses und ist ein, unter dem verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 33 V GG stehender, hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums. Gründe, die ausschließlich im Bereich des Beamtenrechts liegen, können einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung der Angestellten untereinander nicht darstellen (BAGE 73, 262 (267) = AP Nr. 32 zu § 2 BeschFG1985 (zu B II 2d bb)).
c) Sieht man es in Übereinstimmung mit dem LAG als möglich an, daß durch die Garantie der Unkündbarkeit zumindest auch eine langjährige Treue zum öffentlichen Arbeitgeber belohnt werden soll, so besteht insoweit kein wesentlicher Unterschied zwischen Voll- und Teilzeitkräften (vgl. BAG, NZA 1995, 730 = AP Nr. 40 zu § 2 BeschFG1985 (zu II 3c cc (5))). Die Betriebstreue bemißt sich nach der Dauer des Bestehens des Arbeitsverhältnisses, nicht nach dem Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit.
d) Selbst wenn man aber mit der Revision unterstellt, daß die Vorschrift des § 53 III BAT nicht die Belohnung der Treue zum öffentlichen Arbeitgeber, sondern die Schaffung einer zusätzlichen sozialen Absicherung für Arbeitnehmer zum Ziel hat, die längere Zeit bei demselben Arbeitgeber beschäftigt sind und ein gewisses Alter erreicht haben, läßt sich sich daraus eine sachliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung nicht herleiten. Soweit die Revision die Ansicht vertritt, unterhälftig teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer bedürften einer derartigen Absicherung nicht, vermag dies nicht zu überzeugen. Diese Argumentation verkennt, daß vielen Arbeitnehmern als einzige Möglichkeit der Erwerbstätigkeit nur ein Teilzeitarbeitsverhältnis bleibt. Dies gilt in besonderem Maße für alleinerziehende Mütter und Väter, für die sich wegen der geringeren täglichen Arbeitszeit und der flexibleren Gestaltungsmöglichkeiten häufig nur eine Teilzeitbeschäftigung mit den erzieherischen Aufgaben in Einklang bringen läßt. Solche Arbeitnehmer sind zur Sicherung ihrer Existenz in gleicher Weise auf ihren Arbeitsplatz angewiesen wie Vollzeitbeschäftigte. Aber auch bei Teilzeitbeschäftigten, die anderweitig finanziell abgesichert sind (z.B. über Einkünfte des Ehepartners oder aus einer weiteren Teilzeitbeschäftigung), kann nicht generell von einer geringeren Schutzbedürftigkeit ausgegangen werden. Auch soweit es sich nur um einen Zusatzerwerb handelt, ist dieser häufig für das Auskommen der Familie notwendig oder gar unverzichtbar (BAG, NZA 1997, 842 = AP Nr. 54 zu § 2 BechFG1985 (zu B II 2d)).
3. Verstößt somit der Ausschluß der unterhälftig Teilzeitarbeitnehmer aus dem Geltungsbereich des § 53 III BAT mangels eines sachlichen Grundes gegen Art. 3 I GG, so war der Kl. bei Ausspruch der Kündigung ordentlich unkündbar. Es kann dabei offenbleiben, ob der Verstoß gegen Art. 3 I GG dazu führt, daß lediglich der Ausschluß der unterhälftig beschäftigten Teilzeitarbeitnehmer aus dem Geltungsbereich des § 53 III BAT unwirksam ist und deshalb § 53 III BAT bis zu einer tariflichen Neuregelung unabhängig von der Dauer der Arbeitszeit für alle Beschäftigten gilt oder ob der Verfassungsverstoß zu einer Tariflücke führt, die eventuell durch die Gerichte gefüllt werden muß. Soweit das Senatsurteil vom 13. 3. 1997 (NZA 1997, 842 = AP Nr. 54 zu § 2 BeschFG1985) dahingehend verstanden werden könnte, es trete in derartigen Fällen stets eine vollständige Unwirksamkeit der Tarifregelung ein, die nur durch eine tarifliche Neuregelung behoben werden könnte, nimmt der Senat die Gelegenheit wahr, folgendes klarzustellen: Auch wenn infolge des Verfassungsverstoßes von einer Nichtigkeit der Tarifnorm auszugehen ist, ist zu prüfen, ob eine geltungserhaltende Reduktion möglich ist. Dies könnte bei einer Tarifnorm, die die tarifliche Unkündbarkeit bei Teilzeitbeschäftigten von einer längeren Beschäftigungsdauer als bei Vollbeschäftigten abhängig macht, dazu führen, daß die ordentliche Unkündbarkeit sowohl der Teilzeit- als auch der Vollbeschäftigten wenigstens nach Zurücklegen der längeren Beschäftigungszeit angenommen werden muß. All dies kann im vorliegenden Fall aber dahinstehen. Jedenfalls für die Vergangenheit läßt sich - unbeschadet der Möglichkeit der Tarifvertragsparteien, eine neue Regelung für die Zukunft zu treffen - die verfassungsrechtlich gebotene Gleichbehandlung von Voll- und Teilzeitkräften nur dadurch verwirklichen, daß auch den unterhälftig beschäftigten Teilzeitkräften die Unkündbarkeit gewährt wird (vgl. auch BAG, NZA 1997, 842 = AP Nr. 54 zu § 2 BeschFG1985; BAGE 50, 137 (144ff.) = NZA 1986, 321 = NJW 1986, 1006 = AP Nr. 136 zu Art. 3 GG). Dies gebietet auch Art. 1 § 2 I BeschFG. Da der Kl. die übrigen Voraussetzungen des § 53 III BAT zum Zeitpunkt des Zugangs der Änderungskündigung erfüllte (vgl. zur Anrechnung der früheren Beschäftigungszeit nach § 19 BAT BAG, NZA 1997, 1355), konnte ihm ordentlich nicht mehr gekündigt werden.
4. War der Kl. zum Zeitpunkt des Zugangs der Änderungskündigung gem. § 53 III BAT unkündbar, so führt dies entgegen der Ansicht der Revision zur Unwirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen. § 53 III BAT gilt allgemein für Kündigungen, also auch für Änderungskündigungen. § 55 II BAT läßt sogar ausdrücklich unter besonderen Voraussetzungen die Änderungskündigung nach § 53 III BAT unkündbarer Angestellter zu. Diese Vorschrift wäre überflüssig, wenn § 53 III BAT nur die Beendigungskündigung beträfe. Dem steht auch nicht entgegen, daß der Kl. das Änderungsangebot der Bekl. unter Vorbehalt angenommen hat. Im Rahmen einer Änderungsschutzklage nach § 4 S. 2 KSchG können neben der fehlenden sozialen Rechtfertigung auch andere Unwirksamkeitsgründe geltend gemacht werden (BAGE 42, 142 (147) = NJW 1983, 2719 = AP Nr. 1 zu § 6 KSchG1969 (zu I 3); Rost, in: KR, 4. Aufl., § 2 KSchG Rdnr. 155; Hueck/v. Hoyningen-Huene, KSchG, 12. Aufl., § 4 Rdnr. 44; Löwisch, KSchG, 7. Aufl., § 2 Rdnr. 50; Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 6. Aufl., Rdnr. 1245).
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