Kinderlastenausgleich 1991 nicht verfassungswidrig
Gericht
BFH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
22. 07. 1997
Aktenzeichen
VI R 114/96
Der steuerliche Kinderlastenausgleich im Jahre 1991 für Eltern mit zwei Kindern und einem Anspruch auf das auf den Sockelbetrag geminderte Kindergeld ist verfassungsgemäß.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) setzte im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1991 die Einkommensteuer der Kläger und Revisionskläger (Kl.) unter Berücksichtigung von Kinderfreibeträgen für zwei Kinder von insgesamt 6 048 DM fest. Der Bescheid erging nach § 165 Abs. 1 AO 1977 u.a. hinsichtlich der Höhe der Kinderfreibeträge vorläufig. Für ihre zwei Kinder erhielten die Kl. das gemäß § 10 Abs. 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) auf den Sockelbetrag von monatlich insgesamt 120 DM geminderte Kindergeld.
Mit der Klage begehrten die Kl. aus verfassungsrechtlichen Gründen die Anwendung eines Splittingtarifs für die Familie. Das FG wies die Klage ab. Es entschied, daß die Verfassung nicht die Einführung des Familiensplittings gebiete und der angefochtene Bescheid dem Gesetz entspreche. Die sich aus Kinderfreibetrag und Sockelbeträgen des Kindergeldes für 1991 bei zwei Kindern ergebende Entlastungswirkung entspreche noch den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Das Urteil ist in EFG 1996, 922 veröffentlicht.
Die Kl. machen mit der Revision geltend, daß der angefochtene Bescheid zwar der einfach-gesetzlichen Rechtslage entspreche, diese aber Art. 6 des GG mißachte. Verfassungskonform wäre nur, wenn auf das steuerpflichtige Einkommen der Tarif dahingehend angewandt werde, daß das Einkommen durch die Anzahl der Familienmitglieder dividiert und der dann festgestellte Steuerbetrag mit der Zahl der Familienangehörigen multipliziert werde, also eine Regelung analog derjenigen beim Familiensplitting in der Vermögensteuer gewählt werde. Im übrigen wurden die Belastungen, die einer Durchschnittsfamilie durch zwei Kinder erwachsen, durch die Kinderfreibeträge und das Kindergeld nicht annähernd ausgeglichen. Eine Richtervorlage an das BVerfG werde deshalb angeregt.
Die Kl. beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer um 5 000 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Auszüge aus den Gründen:
Die Revision der Kl. ist unbegründet. Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der angefochtene Steuerbescheid entspricht nach zutreffender und übereinstimmender Auffassung der Beteiligten der einfachen Gesetzeslage. Denn die vom FA berücksichtigten Kinderfreibeträge von 2 x 3 024 DM stimmen mit der gesetzlichen Regelung in § 32 Abs. 6 EStG 1990 (BGBl I, 1898, BStBl I, 453) überein.
1. Der Senat hat zwar Zweifel, ob § 32 Abs. 6 EStG 1990 i. V. m. § 10 Abs. 1 und 2 BKGG vom 30. 1. 1990 (BGBl I, 149) unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG noch mit dem GG vereinbar ist, soweit - wie im Streitfall - Steuerpflichtige mit zwei Kindern und einem auf den Sockelbetrag geminderten Kindergeld (§ 10 Abs. 2 BKGG) betroffen sind. Er ist jedoch angesichts der unterschiedlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen, auf die die Prüfung der in Frage stehenden Regelungen in vertretbarer Weise gestützt werden kann, nicht überzeugt davon, daß diese Regelungen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG und bei Berücksichtigung des dem Gesetzgeber einzuräumenden Ermessenspielraums mit dem GG nicht vereinbar seien. Eine derartige Überzeugung wäre aber für eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG erforderlich. Denn Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes oder bloße Bedenken reichen nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG für eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG - im Gegensatz zur Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG - nicht aus (vgl. Urt. v. 20. 3. 1952, 1 BvL 12, 15, 16, 24, 28/51, BVerfGE 1, 184, 188 f.; Beschl. v. 6. 4. 1989, 2 BvL 8/87, BVerfGE 80, 59, 65).
2. Das BVerfG hat unter teilweiser Korrektur seiner früheren Rechtsprechung (vgl. Beschl. v. 23. 11. 1976, 1 BvR 150/75, BVerfGE 43, 108, BStBl II 1977, 135, 138, unter C. I. 2. a) entschieden, der Gesetzgeber müsse den Unterhaltsaufwand für Kinder des Steuerpflichtigen in dem Umfang als besteuerbares Einkommen außer Betracht lassen, in dem die Unterhaltsaufwendungen zur Gewährleistung des Existenzminimums der Kinder erforderlich sind; geschehe dies nicht, so liege ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor, weil Steuerpflichtige mit Kindern gegenüber Kinderlosen benachteiligt würden (Beschl. v. 29. 5. 1990, 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653, DStR 1990, 430; v. 14. 6. 1994, 1 BvR 1022/88, BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, DStR 1994, 1222). Bei der Beurteilung, ob der Gesetzgeber diesen Anforderungen gerecht wird, müssen die steuerlichen Kinderfreibeträge und das Kindergeld in ihrem Zusammenwirken berücksichtigt werden. Das in einen fiktiven Kinderfreibetrag umzurechnende Kindergeld und der im Einkommensteuerrecht vorgesehene Kinderfreibetrag sind dem Betrag des Existenzminimums gegenüberzustellen (BVerfG in BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653, 660, DStR 1990, 430).
Es bestehen nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung noch erhebliche Unsicherheiten darüber, wie das für steuerliche Zwecke maßgebliche Existenzminimum zu ermitteln, mit welchem Steuersatz das Kindergeld in einen fiktiven Kinderfreibetrag umzurechnen und in welchem Umfang es verfassungsrechtlich hinzunehmen ist, daß der steuerliche Entlastungsbetrag das Existenzminimum unterschreitet.
a) Bei der Ermittlung des steuerlichen Existenzminimums eines Kindes ist grundsätzlich davon auszugehen, daß der Mindestbedarf, den der Gesetzgeber im Sozialrecht festgelegt hat, nicht unterschritten werden darf (vgl. BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653, DStR 1990, 430; BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, 915, DStR 1994, 1222). Nach der Rechtsprechung des BFH ist dieser Mindestbedarf nach dem durchschnittlichen Sozialhilferegelsatz, einem Zuschlag von 20 v. H. des Regelsatzes für sog. Einmalbeihilfen sowie einem Zuschlag für den Wohn- und Heizbedarf zu ermitteln (vgl. Vorlagebeschl. v. 16. 7. 1993, III R 206/90, BFHE 171, 534, BStBl II 1993, 755, unter B. II. 2. a der Gründe, DStR 1993, 1476; Urt. v. 21. 12. 1993, VIII R 13/89, BFHE 174, 328, BStBl II 1994, 734, DStR 1994, 1225; v. 14. 1. 1994, III R 194/90, BFHE 173, 528, BStBl II 1994, 429, DStR 1994, 1006; v. 24. 7. 1996, X R 152/90, BFH/NV 1996, 889; Beschl. v. 28. 7. 1994, III B 37/90, BFHE 175, 96, BStBl II 1994, 795, DStR 1994, 1492).
aa) Das BVerfG hat in seinem Beschluß in BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909 (DStR 1994, 1222), den Kinderlastenausgleich in den Jahren 1986 und 1987 jedenfalls für Kindergeldberechtigte mit drei und mehr Kindern für mit dem GG vereinbar gehalten. Es hat dabei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß bei der Bildung des gewichteten Durchschnitts der Sozialhilferegelsätze unsicher sei, welche Altersgruppen zu berücksichtigen seien. Es hat außerdem darauf aufmerksam gemacht, daß bei der Ermittlung des Wohn- und Heizbedarfs unterschiedliche Vorstellungen darüber bestehen, ob der notwendige Mehrbedarf an Wohnraum zu berücksichtigen (sog. Differenzmethode) oder ob eine Aufteilung der Wohnkosten nach Kopfteilen der Familienmitglieder vorzunehmen ist (BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, 916, DStR 1994, 1222). Das BVerfG brauchte jedoch nicht abschließend zu entscheiden, welche Methode zur Ermittlung des Existenzminimums der Realität näher kommt. Es konnte vielmehr in seinem Beschluß in BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, 915 (DStR 1994, 1222), schon deshalb den höheren durchschnittlichen jährlichen Sozialhilfebedarf entsprechend den Angaben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - BMFSFJ - (im Jahre 1987 für zwei Kinder 11 232 DM) zugrunde legen, weil es auch bei Berücksichtigung dieser höheren Werte zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die zur Prüfung gestellten Regelungen bei drei und mehr Kindern verfassungsgemäß sind.
bb) Der III., VIII. und X. Senat des BFH haben bei der Ermittlung des als Existenzminimum zu berücksichtigenden Wohn- und Heizbedarfs eines Kindes übereinstimmend die sog. Differenzmethode angewendet, bei der auf den für die Kinder notwendigen Mehrbedarf abgestellt wird; sie haben dabei 10 qm Wohnfläche für ein Kind angesetzt (vgl. BFH in BFHE 171, 534, BStBl II 1993, 755, 758, DStR 1993, 1476; BFHE 173, 528, BStBl II 1994, 429, 432, DStR 1994, 1006; BFHE 174, 328, BStBl II 1994, 734, 738, DStR 1994, 1225; BFH/NV 1996, 889, 890). Die Bundesregierung geht ebenfalls davon aus, daß das für steuerliche Zwecke maßgebende Existenzminimum eines Kindes nach der sog. Differenzmethode zu ermitteln ist (vgl. dazu BT-Drs. 12/6224, 5; vgl. auch BVerfG, 3. Kammer des 1. Senats, Beschl. v. 30. 1. 1997, 1 BvR 746/86, Inf 1997, 286).
cc) Die unterschiedlichen Methoden der Ermittlung des Existenzminimums führen zu Ergebnissen, die erheblich voneinander abweichen. Während z. B. nach Angaben der Bundesregierung (vgl. BT-Drs. 12/6224, 5) der nach Kopfteilen ermittelte durchschnittliche Sozialhilfebedarf eines Kindes für das Jahr 1993 in den alten Bundesländern 7 100 DM und in den neuen Bundesländern 6 250 DM betragen hat, hat die Bundesregierung das für steuerliche Zwecke ermittelte durchschnittliche Existenzminimum eines Kindes für das Jahr 1993 auf ca. 5 940 DM beziffert. Für das Jahr 1987 und zwei Kinder hat das BVerfG in BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, 915 (DStR 1994, 1222), als Existenzminimum gemäß den Angaben des BMFSFJ einen Richtwert von 11 232 DM angeführt, während der III. Senat des BFH das Existenzminimum für ein Kind auf 4 872 DM, mithin also für zwei Kinder auf 9 744 DM geschätzt hat (Beschl. in BFHE 171, 534, BStBl II 1993, 755, 757 f., DStR 1993, 1476; in BFHE 175, 96, BStBl II 1994, 795). Dies entspricht einer Abweichung von 13,25 v. H.
b) Es ist auch unsicher, mit welchem Steuersatz das tatsächlich gezahlte Kindergeld in einen fiktiven Kinderfreibetrag umzurechnen ist. Das BVerfG hat in seinem Beschluß in BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653, 661 darauf hingewiesen, daß ein Spitzensteuersatz von 40 v. H. von einer großen Zahl von Steuerpflichtigen erreicht werde. Dementsprechend haben der III., VIII. und X. Senat des BFH übereinstimmend die Umrechnung mit einem Steuersatz von 40 v. H. vorgenommen (in BFHE 171, 534, BStBl II 1993, 755, 758, DStr 1993, 1476; BFHE 173, 528, BStBl II 1994, 429, 432, DStR 1994, 1006; BFHE 174, 328, BStBl II 1994, 734, 738, DStr 1994, 1225; BFH/NV 1996, 889, 890). Allerdings hat das BVerfG in der Entscheidung in BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, 915 f., die Auswirkungen bei einer Umrechnung mit den verschiedenen Steuersätzen (30 v. H.,40 v. H., 45 v. H., 56 v. H.) tabellarisch dargestellt und sodann ausgeführt, eine duale Ausgleichsregelung könne von Verfassungs wegen jedenfalls nicht mehr beanstandet werden, wenn sie für Steuerpflichtige, die in der Einkommensspitze einem Steuersatz bis zu 45 v. H. unterlägen, zu einer Entlastung führe, die einem (fiktiven) Steuerfreibetrag in Höhe des vollen Existenzminimums gleichkomme.
c) Eine weitere Unsicherheit bringt die Rechtsprechung des III. Senats des BFH mit sich, nach der zu berücksichtigen ist, daß die elterliche Unterhaltspflicht auch Vorsorgeleistungen für die Kinder (Beiträge zur Krankenversicherung) mitumfaßt. In dem Urteil in BFHE 173, 528, BStBl II 1994, 429, 432 f. (DStR 1994, 1006), hat der III. Senat es für notwendig erachtet, den tatsächlich gewährten Kinderfreibetrag deshalb i. H. von 200 DM pro Jahr und Kind nicht in die Ermittlung des fiktiven Kinderfreibetrages einzubeziehen, weil Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht u. a. auch Vorsorge zum Schutz der Kinder vor Krankheit, Unfall und Haftpflichtfällen treffen müßten. Der Auffassung, daß dies zu einer Kürzung des in einen steuerlichen Freibetrag umzurechnenden Kindergeldes führen müsse, könnte jedoch entgegengehalten werden, daß Krankheitskosten oder entsprechende Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der gebotenen typisierenden Betrachtung außer Betracht bleiben können. Dabei könnte eine Rolle spielen, daß bei der Veranlagung zur Einkommensteuer die tatsächlichen Krankheitskosten nach § 33 EStG steuermindernd berücksichtigt werden. Außerdem entsteht für die überwiegende Zahl der Steuerpflichtigen, die als Arbeitnehmer pflichtversichert sind, wegen der Krankenversicherung ihrer Kinder kein Mehraufwand. Denn in den gesetzlichen Krankenkassen richten sich die Beiträge ausschließlich nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Versicherten; Familienmitglieder sind mitversichert, ohne daß für sie Beiträge erhoben werden (vgl. § 3 und § 10 SGB V; § 205 RVO). Dem Beschluß in BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653, 660 (DStR 1990, 430), könnte im übrigen zu entnehmen sein, daß Vorsorgeaufwendungen nicht in dem vom Existenzminimum abgedeckten Grundbedarf enthalten seien und deshalb nicht in den Vergleich einzustellen sind.
d) Unsicher ist ferner, in welchem Umfang es von Verfassungs wegen hinzunehmen ist, daß der fiktive Kinderfreibetrag das Existenzminimum unterschreitet.
Nach dem Beschluß in BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653, 659 f., hat sich das BVerfG bei der Nachprüfung, ob die steuerlichen Entlastungsbeträge den verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen genügen, auf eine Evidenzkontrolle zu beschränken; die gesetzliche Regelung könne nur dann beanstandet werden, wenn der Gesetzgeber die maßgeblichen Pflichten entweder überhaupt außer acht gelassen oder ihnen offensichtlich nicht genügt habe. In dem Beschluß in BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, 916, hat das BVerfG aus der Erkenntnis, daß sich der durchschnittliche jährliche Sozialhilfebedarf nur annäherungsweise ermitteln läßt, abgeleitet, daß dem Gesetzgeber bei der Festlegung des Entlastungsbetrages ein gewisser Einschätzungsspielraum zugebilligt werden muß. Es hat entschieden, daß die gesetzliche Regelung erst dann verfassungsrechtlich beanstandet werden könne, wenn die Unterschreitung der zum Vergleich herangezogenen Richtwerte ein Ausmaß erreiche, das selbst unter Berücksichtigung des Einschätzungsspielraums des Gesetzgebers und der in Betracht kommenden Ungenauigkeiten der Berechnung nicht mehr vertretbar erscheine. Wo diese Grenze zu ziehen sei, hänge insbesondere vom Ausmaß der Unsicherheit ab, die der zum Vergleich herangezogenen Berechnung des durchschnittlichen Sozialhilfebedarfs anhafte; ein allgemeiner Grenzwert lasse sich danach nicht für alle in Betracht kommenden Vergleichsberechnungen aufstellen. Jedenfalls könne aber bei Richtwerten, wie sie hier nach der Berechnung des BMFSFJ zum Vergleich herangezogen würden, die Verfassungswidrigkeit einer bestehenden Regelung noch nicht festgestellt werden, wenn diese Richtwerte um weniger als 15 v. H. unterschritten würden; das BVerfG hat dabei vergleichend auf den Vorlagebeschluß in BFHE 171, 534, 545, BStBl II 1993, 755 verwiesen (BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, 916, li. Sp., letzter Absatz).
In dem vergleichend in Bezug genommenen Vorlagebeschluß hat der III. Senat den als Existenzminimum zu berücksichtigenden Wohn- und Heizbedarf nicht nach den höheren, durch Aufteilung nach Kopfteilen der Familienmitglieder ermittelten durchschnittlichen Richtwerten, sondern als Mehrbedarf für ein Kind nach der sog. Differenzmethode berechnet. Unter diesen Umständen läßt die Bezugnahme des BVerfG auf den Vorlagebeschluß des III. Senats jedenfalls auch die Deutung zu, daß das BVerfG die gesetzliche Regelung selbst dann noch für vertretbar und mithin für verfassungsgemäß hält, wenn der Entlastungsbetrag den nach der Differenzmethode ermittelten Sozialhilfebedarf jedenfalls um nicht mehr als 15 v. H. unterschreitet. Für dieses Verständnis spricht auch, daß die 3. Kammer des 2. Senats des BVerfG mit Beschluß vom 11. 10. 1996, 2 BvR 1929/96, die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des X. Senats in BFH/NV 1996, 889 nicht zur Entscheidung angenommen hat. Der X. Senat hat den als Existenzminimum zu berücksichtigenden Wohn- und Heizbedarf nach der Differenzmethode (10 qm) und den fiktiven Kinderfreibetrag durch die Umrechnung des tatsächlich gezahlten Kindergeldes mit einem Steuersatz von 40 v. H. errechnet; er hat die sich danach ergebenden Unterschreitungen von 9,73 v. H. und 14,13 v. H. als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen.
3. Für das Streitjahr 1991 unterschreitet der fiktive Kinderfreibetrag für zwei Kinder bei einem Anspruch auf das auf den Sockelbetrag geminderte Kindergeld das steuerliche Existenzminimum um 1 534 DM, was einer Abweichung von 13,72 v. H. entspricht. Der fiktive Kinderfreibetrag beträgt bei einer Umrechnung des tatsächlich gezahlten Kindergeldes mit einem Steuersatz von 40 v. H. 9 648 DM (1 440 DM x 100 : 40 = 3 600 DM zuzüglich 2 x 3 024 DM = 6 048 DM gesetzlicher Kinderfreibetrag). Für das Kalenderjahr 1990 hat das Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler (Steuern in Deutschland, Heft 72, Anlage 2, S. 178) das steuerliche Existenzminimum für ein Kind mit 5 404 DM beziffert. Rechnet man den für zwei Kinder anzusetzenden Betrag von 10 808 DM mit dem Preisindex für die Lebenshaltung insgesamt von 107 Punkten für 1990 auf 110,7 Punkte für 1991 hoch (vgl. Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1994, herausgegeben v. Statistischen Bundesamt, 23.13.1, S. 660), so führt dies zu einem steuerlichen Existenzminimum von 11 182 DM.
Ließe man wegen der Vorsorgeaufwendungen bei der Umrechnung des Kindergeldes in einen steuerlichen Entlastungsbetrag das tatsächlich gezahlte Kindergeld i. H. von 200 DM pro Jahr und Kind außer Betracht, so ergäbe sich eine steuerliche Gesamtentlastung von 9 248 DM, was zu einer Unterdeckung von 1 934 DM und einer Abweichung von 17,30 v. H. führen würde.
Hielte man den Prozentsatz von 15 v. H. für eine unverrückbare Toleranzgrenze, bei deren Überschreitung eine Verfassungswidrigkeit zwingend anzunehmen wäre, könnte möglicherweise die Verfassungsmäßigkeit der zur Prüfung stehenden Regelungen davon abhängen, ob die Vorsorgeaufwendungen bei typisierender Betrachtung zu berücksichtigen sind. Es wäre aber auch denkbar, daß insoweit wiederum nur eine Evidenzkontrolle oder Vertretbarkeitskontrolle durchzuführen wäre. Dies kann aber dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls angesichts dessen, daß das BVerfG das tatsächlich gezahlte Kindergeld ohne Kürzung wegen der Vorsorgeaufwendungen in einen steuerlichen Entlastungsbetrag umgerechnet hat (vgl. die Tabelle in BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, 915), hat der Senat auch insoweit nicht die für eine Richtervorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG erforderliche Überzeugung gewinnen können, daß der Gesetzgeber bei der Regelung des steuerlichen Kinderlastenausgleichs im Jahr 1991 für zwei Kinder und dem auf den Sockelbetrag geminderten Kindergeld (§ 10 Abs. 2 BKGG) den ihm zustehenden Einschätzungsspielraum überschritten hat.
4. Der Auffassung der Kl., es stelle einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG dar, daß der Gesetzgeber den Kinderlastenausgleich nicht durch die Einführung eines Familiensplittings gestaltet hat, vermag der Senat ebensowenig zu folgen wie die Vorinstanz. Nach der dargestellten Rechtsprechung des BVerfG in BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653, ist der Gesetzgeber von Verfassungs wegen lediglich verpflichtet, Unterhaltsaufwendungen mindestens in Höhe des Existenzminimums der Kinder von der Besteuerung auszunehmen oder statt dessen im Sozialrecht ein ausreichendes Kindergeld zu gewähren. Diese Aussage beinhaltet die Entscheidung, daß die Verfassung nicht die Einführung des Familiensplittings gebietet.
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