Kirchenaustritt als wichtiger Grund i.S. des § 626 I BGB

Gericht

LAG Rheinland-Pfalz


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

09. 01. 1997


Aktenzeichen

11 Sa 428/96


Leitsatz des Gerichts

  1. Eine im Bereich der Evangelischen Kirche beschäftigte Sozialpädagogin in einer Beratungsstelle für Erziehungs-, Ehe- und Lebensfragen wirkt unmittelbar an der Verwirklichung der caritativen Aufgabe dieser von der Kirche getragenen Einrichtung mit.

  2. Da sie daher unmittelbar in den Verkündungsauftrag der Kirche einbezogen ist, verstößt sie durch ihren Kirchenaustritt in so schwerwiegender Weise gegen ihre Loyalitätsobliegenheit, daß ein wichtiger Grund i.S. des § 626 I BGB vorliegt.

  3. Da ein Kirchenaustritt nicht nur den Leistungs-, sondern auch den Vertrauensbereich berührt, bedurfte es vor Ausspruch der Kündigung keiner Abmahnung.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten über die Frage der Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung sowie um die sich daraus ergebende Verpflichtung der Kl. zur Rückzahlung von Arbeitsvergütung für den Monat November 1995. Die am 17. 6. 1955 geborene Kl. war bei dem Bekl. seit März 1978 als Sozialpädagogin in einer Beratungsstelle für Erziehungs-, Ehe- und Lebensfragen tätig. Die näheren Modalitäten des Arbeitsverhältnisses bestimmten sich zuletzt nach einem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 30. 11. 1984, der u.a. folgende Bestimmungen enthält:

Der kirchliche Dienst ist durch den Auftrag der Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat bestimmt. Nach ihren Gaben, Aufgaben und Verantwortungsbereichen tragen die kirchlichen Mitarbeiter zur Erfüllung dieses Auftrages bei. Ihr gesamtes Verhalten im Dienst und außerhalb des Dienstes muß der Verantwortung entsprechen, die sie als Mitarbeiter im Dienst der Kirche übernommen haben. Auf dieser Grundlage wird folgender Vertrag geschlossen. ...

§ 2. Für das Arbeitsverhältnis gelten

1. die Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages in der für die Angestellten im Bereich der Evangelischen Kirche im Rheinland jeweils geltenden Fassung (BAT-KF),

2. die sonstigen für die Angestellten im Bereich der Evangelischen Kirche im Rheinland beschlossenen arbeitsrechtlichen Bestimmungen,

wie sie aufgrund des Kirchengesetzes über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter im kirchlichen Dienst (Arbeitsrechtsregelungsgesetz-ARRG) vom 19. 1. 1979 (KABL. S. 223) und seinen Änderungen geregelt sind.

§ 3. die Aufgaben von Frau K sind - soweit nicht durch allgemeine Dienst-/Geschäftsanweisung geregelt - durch die Dienstanweisung vom 1. 3. 1978 festgelegt. ...

Die in § 2 des Arbeitsvertrages in Bezug genommene Dienstanweisung vom 1. 3. 1978 enthält folgende Präambel: Alle kirchlichen Mitarbeiter stehen an ihrer Stelle unter dem Auftrag, den die Kirche von ihrem Herrn Jesus Christus erhalten hat. Dieser Auftrag fordert von ihnen die gewissenhafte Erfüllung ihrer Dienstpflichten und Einfügung in die Dienstgemeinschaft, Teilnahme am Leben der Gemeinde und eine christliche Lebensführung.

Am 24. 10. 1995 trat die Kl. aus der evangelischen Kirche aus. Mit Schreiben vom 30. 10. 1995 kündigte sie das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 30. 6. 1996. Der Bekl. erfuhr am 30. 10. 1995 von dem Kirchenaustritt der Kl. Nachdem die Kl. von dem Bekl. darauf hingewiesen worden war, daß der Kirchenaustritt eine fristlose Kündigung zur Folge habe, versuchte die Kl. erfolglos, wieder in die Kirche einzutreten. Mit Schreiben vom 8. 11. 1995 kündigte der Bekl. das Arbeitsverhältnis fristlos. Zu diesem Zeitpunkt war der Kl. bereits die Arbeitsvergütung für den Monat November 1995 ausgezahlt worden. Mit ihrer Klage hat die Kl. sich gegen den Ausspruch der fristlosen Kündigung gewandt. Die Kl. hat erstinstanzlich vorgetragen, der Kirchenaustritt könne den Ausspruch einer fristlosen Kündigung nicht rechtfertigen. Aufgrund der Umstände des Einzelfalles käme nur eine fristgerechte Kündigung in Betracht. Da sie - die Kl. - ordentlich unkündbar sei, könne der Bekl. nur unter Gewährung einer sozialen Auslauffrist kündigen. Es sei dem Bekl. auch nicht unzumutbar, sie bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen. Sie sei nicht im eigentlichen kirchlichen Bereich tätig. Die Familienberatung stelle keine spezifisch-kirchliche Aufgabe dar.

Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl. blieb ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I ... II. Die Berufung der Kl. hat in der Sache ... keinen Erfolg. Das ArbG hat vielmehr zu Recht die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben.

1. Die gegen die Kündigung vom 8. 11. 1995 gerichtete Klage ist nicht begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde vielmehr durch die streitbefangene außerordentliche Kündigung aufgelöst. Die Kündigung erweist sich als rechtswirksam, da ein wichtiger Grund i.S. von § 626 I BGB vorliegt, welches es dem Bekl. unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar gemacht hat, das Arbeitsverhältnis bis zu dessen Ablauf, dem 30. 6. 1996, fortzusetzen.

Die Kl. hat durch ihren Kirchenaustritt in schwerwiegender Weise gegen ihre Loyalitätsobliegenheit verstoßen. Der Kirchenaustritt berührt die Glaubwürdigkeit und damit die Eignung des kirchlichen Arbeitnehmers in besonders starker Form. Durch diesen Schritt macht der Arbeitnehmer nämlich deutlich, daß er mit der aktiv tätigen Glaubensgemeinschaft bricht (vgl. BAG, AP Nr. 4 zu Art. 140 GG und BAG, NZA 1986, Beil. 1, S. 32 = AP Nr. 21 zu Art. 140 GG). Der Kirchenaustritt gehört nach kirchlichem Recht zu den schwersten Vergehen gegen den Glauben und die Einheit der Kirche. Er verträgt sich aus der Sicht der Kirche weder mit ihrer Glaubwürdigkeit noch mit der von ihr geforderten vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien (vgl. BVerfG, NZA 1986, 28 = AP Nr. 24 zu Art. 140 GG).

Die Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche gehörte zu den der Kl. obliegenden vertraglichen Loyalitätspflichten. Welche kirchlichen Grundverpflichtungen als Gegenstand des Arbeitsverhältnisses bedeutsam sind, richtet sich nämlich nach den von der verfaßten Kirche anerkannten Maßstäben. Auch die Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine Abstufung der Loyalitätspflichten eingreifen soll, ist grundsätzlich eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit (vgl. BVerfG, NZA 1986, 28). Im vorliegenden Fall wurde die der Kl. obliegende Loyalitätspflicht zur Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche ausdrücklich durch die arbeitsvertraglich in Bezug genommene Dienstanweisung vom 1. 3. 1978 vereinbart, da dort u.a. die "Teilnahme am Leben der Gemeinde" von der Kl. gefordert wird.

Der Verstoß der Kl. gegen ihre Loyalitätsobliegenheit wiegt besonders schwer, da das Arbeitsverhältnis eine solche Nähe zu spezifisch-kirchlichen Aufgaben hat, daß die Glaubwürdigkeit des Bekl. durch den Kirchenaustritt der Kl. in Frage gestellt wird. Als Sozialpädagogin in einer Beratungsstelle für Erziehungs-, Ehe- und Lebensfragen wirkte die Kl. unmittelbar an der Verwirklichung einer karitativen Aufgabe der vom Bekl. getragenen Einrichtung mit. Der in der Beratungsstelle geleistete Dienst am ratsuchenden Menschen ist eine Lebens- und Wesensäußerung der Kirche, die als solche auch in Erscheinung treten soll. Es soll deutlich werden, daß hier nicht nur aus allgemeiner sozialer Einstellung und Mitmenschlichkeit Menschen geholfen wird, sondern daß dies als Ausdruck gelebten Glaubens geschieht. Die Kl. war daher unmittelbar in den Verkündigungsauftrag des Bekl. einbezogen. Sie konnte die vom Bekl. erstrebte Verkündigung nur glaubhaft vermitteln, wenn sie sich selbst zur evangelischen Kirche bekannte. Es genügt diesbezüglich nicht, daß ein Bekenntnis zu den Grundsätzen christlicher Ethik besteht und die Auffassung der Kirche respektiert wird. Der Erfolg der Arbeit in der Beratungsstelle hängt auch gegenüber den Ratsuchenden maßgeblich davon ab, daß die dort beschäftigten Pädagogen sich in ihren Verhaltensweisen an den vom Bekl. verfolgten grundlegenden Glaubens- und Wertvorstellungen orientieren.

Entgegen der Auffassung der Kl. verstößt der Ausspruch der streitbefangenen außerordentlichen Kündigung auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es bedurfte vor Ausspruch der Kündigung keiner Abmahnung, da besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer eine Abmahnung als entbehrlich angesehen werden durfte. Ein Kirchenaustritt berührt nicht nur den Leistungs-, sondern auch den Vertrauensbereich. Das durch den Kirchenaustritt gestörte Vertrauensverhältnis zwischen den Arbeitsvertragsparteien steht dem Erfordernis einer vorherigen Abmahnung entgegen (vgl. BAG, NZA 1986, Beil. 1, S. 32 = AP Nr. 21 zu Art. 140 GG). Selbst bei einem Wiedereintritt in die Kirche mußte der Bekl. befürchten, daß die Kl. nicht in freier Selbstbestimmung, sondern nur unter Druck erneut Mitglied der Kirche geworden ist.

Der Ausspruch einer ordentlichen Kündigung schied vorliegend aus, da die Kl. im Hinblick auf ihre Beschäftigungszeiten und ihr Lebensalter gem. § 53 IV BAT-KF ordentlich unkündbar war. Zur einseitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses verblieb dem Bekl. daher ohnehin nur der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung. Bei der im Rahmen des § 626 I BGB durchzuführenden Interessenabwägung war infolge der Unkündbarkeit der Kl. nicht auf die fiktive Frist für eine ordentliche Kündigung, sondern auf die tatsächliche künftige Vertragsbindung abzustellen (vgl. BAG, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 93). Da die Kl. selbst das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. 6. 1996 gekündigt hatte, belief sich die Dauer der künftigen Vertragsbindung bei Ausspruch der streitbefangenen Kündigung noch auf ca. acht Monate. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für diesen relativ langen Zeitraum war dem Bekl. unzumutbar. Zwar ist zu Gunsten der Kl. zu berücksichtigen, daß sie bereits 17 Jahre bei dem Bekl. beschäftigt war. Dem steht jedoch gegenüber, daß ihr Kirchenaustritt - wie bereits ausgeführt - zu den schwersten Loaylitätspflichtverletzungen zählt und darüber hinaus auch die Glaubwürdigkeit des Bekl. gegenüber den in der Beratungsstelle ratsuchenden Menschen beeinträchtigt. Mit dem Austritt aus der Kirche, der im übrigen auf ihrer freien Willensentscheidung beruhte, hat sich die Kl. unmittelbar gegen die evangelische Kirche gewandt und die Erfüllung ihrer Grundpflichten verweigert. Außer der langjährigen Beschäftigungszeit der Kl. sind keine sonstigen Umstände, wie z.B. Unterhaltsverpflichtungen, vorgetragen oder ersichtlich, die im Rahmen der Interessenabwägung zu Gunsten der Kl. zu berücksichtigen wären. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum 30. 6. 1996, d.h. für den noch relativ langen Zeitraum von ca. acht Monaten, war dem Bekl. unter Berücksichtigung aller Umstände nicht zumutbar. Die umfassende Abwägung aller Interessen ergibt nach Auffassung des BerGer. vielmehr, daß diejenigen des Bekl. an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiegen.

Der Bekl. war auch nicht gehalten, eine der Frist für die ordentliche Kündigung entsprechende Auslauffrist einzuhalten. Zwar gebietet es die durch die Unkündbarkeit eines Arbeitnehmers bezweckte besondere Sicherung des Arbeitsplatzes im Einzelfall, zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs nur eine außerordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber unter Einhaltung der gesetzlichen oder tariflichen Kündigungsfrist (Auslauffrist) zuzulassen. Auf die Frist für die ordentliche Kündigung ist der Arbeitgeber allerdings dann nicht zu verweisen, wenn die Gründe für die Kündigung - wie vorliegend - nicht im betrieblichen Bereich, sondern in der Sphäre des Arbeitnehmers selbst liegen (vgl. Hillebrecht, in: KR, 4. Aufl., § 626 BGB, Rdnr. 207 m.w. Nachw.). Darüber hinaus besteht im vorliegenden Fall auch kein solcher Wertungswiderspruch. Die Kündigungsfrist der Kl. beläuft sich nämlich gem. § 53 II BAT-KF auf sechs Monate zum Quartalsende, so daß eine etwa einzuhaltende Auslauffrist erst am 30. 6. 1996 geendet hätte. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zu diesem Zeitpunkt war dem Bekl. - wie bereits ausgeführt - jedoch bereits ohnehin unzumutbar.

2. Die Widerklage ist begründet. Der Bekl. hat gegen die Kl. Anspruch auf Rückzahlung des auf die Zeit nach Kündigungsausspruch entfallenden Anteils der der Kl. bereits ausgezahlten Arbeitsvergütung für den Monat November 1995 gem. § 812 I 1 BGB. Die Kl. ist insoweit durch die Leistung des Bekl. ungerechtfertigt bereichert, da nach Kündigungsausspruch kein Arbeitsverhältnis und somit auch kein Rechtsgrund für die Zahlung von Arbeitsvergütung mehr bestand. Nach der vom Bekl. erstinstanzlich im Schriftsatz vom 12. 12. 1995 vorgenommenen Berechnung, welche die Kl. nicht bestritten hat, entfällt auf den Zeitraum vom 9. 11.-30. 11. 1995 ein Betrag in Höhe von 4372,86 DM. Unter Berücksichtigung des vom Bekl. selbst in Abzug gebrachten Urlaubsabgeltungsanspruchs der Kl. i.H. von 766,89 DM verbleibt somit ein Betrag in Höhe von 3605,97 DM, zu dessen Rückzahlung die Kl. verpflichtet ist.

Keine Bedenken bestehen dahingehend, daß der Bekl. die Rückzahlung des geleisteten Bruttobetrages geltend macht. Die Rückzahlung stellt steuerrechtlich "negatives Einkommen" dar, was die Kl. steuerlich geltend machen kann. Beitragsrechtlich kann der Arbeitnehmer die Erstattung der zuviel entrichteten Sozialversicherungsbeiträge verlangen (§ 26 SGB IV; vgl. auch BSG, AP Nr. 59 zu § 611 BGB Gratifikation).

Der Rückzahlungsanspruch ist auch nicht infolge Entreicherung der Kl. gem. § 818 III BGB ausgeschlossen. Eine Entreicherung liegt vor, wenn der Schuldner den überbezahlten Betrag ausgegeben hat, ohne daß hierfür noch ein Gegenwert in seinem Vermögen vorhanden ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn er sogenannte Luxusaufwendungen gemacht oder geringfügige Überzahlungen für seinen Lebensunterhalt verbraucht hat. Hierfür trifft den Schuldner die Darlegungs- und Beweislast. Der diesbezügliche pauschale Sachvortrag der Kl., sie habe den betreffenden Betrag im Rahmen der privaten Lebensführung verbraucht, erweist sich als unsubstantiiert. Da nicht eine lediglich geringfügige Überzahlung vorliegt, hätte es einer konkreten Darlegung bedurft über die Verwendung der zu Unrecht erhaltenen Arbeitsvergütung.

Vorinstanzen

ArbG Neuwied, 6 Ca 2322/95 N, 29.02.1996

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

§ 626 I BGB