Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

09. 10. 1997


Aktenzeichen

2 AZR 64/97


Leitsatz des Gerichts

Die Voraussetzungen des § 23 I 2 KSchG (Betriebsbegriff im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes) müssen im Inland erfüllt werden; etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Rechtsgrundsätzen der Europäischen Union.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. war seit dem 20. 9. 1993 bei der Bekl. bzw. deren Rechtsvorgängerin als Sekretärin-Assistentin des Geschäftsführers zu einem monatlichen Gehalt in Höhe von 5960 DM brutto in deren Büro in D. beschäftigt. Die Bekl. ist eine Vertriebsgesellschaft für den deutschen Markt. Ihre Gesellschaftsanteile werden von der P-Inc. in den USA gehalten. Diese verfügt über eine weitere Tochtergesellschaft mit Sitz in Großbritannien, die P-U. K. Ltd. Sowohl die P-Inc. USA als auch die P-U. K. Ltd. beschäftigen in der Regel mehr als fünf Arbeitnehmer. Die Bekl. beschäftigte lediglich eine Arbeitnehmerin, die Kl. In der Zeit von September-Oktober 1994 bis zum 23. 2. 1996 war Geschäftsführer der Bekl. Herr C, zugleich der Exportleiter der P-U. K. Ltd., der von Großbritannien aus agierte. Prokurist der Bekl. war ein Mitarbeiter der P-Inc. USA, Herr L, der zugleich als Europamanager nach Großbritannien abgeordnet war. Entscheidungen über geschäftliche Maßnahmen der Bekl., sei es den Arbeitsvertrag der Kl., die Vertragsgestaltung mit Handelsvertretern, deren Gebietszuteilung oder -änderung, die Entscheidung über Werbemaßnahmen wie z. B. Zeitungsanzeigen und Sponsoring-Verträge waren mit dem jeweiligen Europamanager in Großbritannien abzustimmen, der seinerseits die Zustimmung der P-Inc. USA einholen mußte. Die Abwicklung des gesamten Zahlungsverkehrs der Bekl. erfolgte über die P-U. K. Ltd. Die Kl. versandte die Rechnungen nach England, nachdem sie diese auf ihre Richtigkeit hin überprüft hatte, und erhielt von dort die unterschriebenen Schecks, u. a. auch ihre Gehaltsschecks und die Schecks für ihre Sozialversicherung. Insgesamt beschränkten sich die Handlungen der Kl. auf den Vollzug von Anordnungen der P-U. K. Ltd. und der P-Inc. USA. Mit Schreiben vom 10. 5. 1995 kündigte die Bekl. das Arbeitsverhältnis mit der Kl. zum 30. 6. 1995, und zwar mit der Begründung, es sei die Auflösung der Gesellschaft beabsichtigt, da die Geschäfte in Deutschland künftig zentral durch die P-U. K. Ltd. betreut würden. Die Kl. hat geltend gemacht, die Kündigung sei im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes sozialwidrig. Das Kündigungsschutzgesetz finde auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung, da die Bekl. mit der P-Inc. USA und der P-U. K. Ltd. einen gemeinsamen Betrieb bilde mit der Folge, daß die Anzahl der im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer im Rahmen des § 23 I 2 KSchG zu berücksichtigen sei. Es bestehe eine einheitliche Leitungsstruktur. Die Bekl. sei mangels eigener Entscheidungsbefugnis eher einem Boten vergleichbar. Die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes auf den vorliegenden Sachverhalt sei auch vor dem Hintergrund der europäischen Verflechtung der Unternehmen interessengerecht, da europaweit tätige Unternehmen ansonsten durch Aufspaltung in auf verschiedene Länder verteilte Betriebe die Regelungen des Kündigungsschutzes umgehen könnten. Dies widerspreche den Grundsätzen des gemeinsamen europäischen Marktes. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung habe die beabsichtigte Betriebsstillegung noch keine greifbaren Formen angenommen, außerdem sei es möglich gewesen, sie in Großbritannien weiterzubeschäftigen.

Die Kündigungsschutzklage der Kl. hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit ihrer vom LAG zugelassenen Revision verfolgt die Kl. ihre Klageanträge weiter. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Das Kündigungsschutzgesetz findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung; die Kündigung ist auch nicht aus anderen Gründen unwirksam. Das haben die Vorinstanzen zutreffend entschieden.

I. Das LAG ist der Begründung des ArbG gefolgt, wonach es eines besonderen Kündigungsgrundes nicht bedurft habe, da das Kündigungsschutzgesetz mangels der erforderlichen Arbeitnehmerzahl keine Anwendung findet. Die Bekl. habe in ihrem Büro in D. nur eine Arbeitnehmerin, nämlich die Kl. beschäftigt. Zwar könnten mehrere Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb bilden. Selbst wenn jedoch vorliegend ein gemeinsamer Betrieb bestehend aus der Betriebsstätte der Bekl. und den Betriebsstätten der P-Inc. USA und-oder der P-U. K. Ltd. bestanden habe, könnten die im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer bei der Feststellung der Beschäftigtenzahl i. S. von § 23 I 2 KSchG nicht mitgezählt werden.

II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und in Teilen der Begründung.

1. Nach § 23 I 2 KSchG in der bei Ausspruch der Kündigung geltenden Fassung finden die Vorschriften des ersten Abschnitts über den allgemeinen Kündigungsschutz nicht auf Betriebe und Verwaltungen Anwendung, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten tätig sind. Unstreitig waren in der Betriebsstätte der Bekl. in D. im Kündigungszeitpunkt regelmäßig nicht mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt.

2. Das Kündigungsschutzgesetz kann somit vorliegend nur dann zur Anwendung kommen, wenn die Mitarbeiter der P-U. K. Ltd. und-oder die Mitarbeiter der P-Inc. USA bei der Ermittlung der Zahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer i. S. des § 23 I KSchG zu berücksichtigen sind. Dies ist jedoch nicht gerechtfertigt. Zwar können nach der ständigen Rechtsprechung des BAG mehrere Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb bilden mit der Folge, daß die in den beiden Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer bei der Ermittlung der nach § 23 I 2 KSchG maßgebenden Arbeitnehmerzahl zusammenzurechnen sind (vgl. z. B. BAGE 4, 203 [205] = AP Nr. 1 zu § 21 KSchG [zu 2]; BAGE 45, 259 [265] = NZA 1984, 88 = AP Nr. 4 zu § 23 KSchG 1969 [zu I 2 a]; BAG, NZA 1990, 977 = AP Nr. 9 zu § 23 KSchG 1969 [zu III 1] und zuletzt BAG, Urt. v. 7. 11. 1996 - 2 AZR 648-95 unveröff.). Es bestehen bereits erhebliche Bedenken gegen die Annahme, das Büro der Bekl. in D. bilde mit den Betriebsstätten der P-U. K. Ltd. in Großbritannien und-oder der P-Inc. in den Vereinigten Staaten einen gemeinsamen Betrieb im Sinne der oben erwähnten Rechtsprechung. Jedenfalls ist aber eine Zusammenrechnung der Arbeitnehmerzahlen dieser Betriebe im Hinblick auf § 23 I 2 KSchG nicht möglich. Den Vorinstanzen ist mit der wohl einhelligen Auffassung in Literatur und der Rechtsprechung der Instanzgerichte (vgl. Weigand, in: KR, 4. Aufl., § 23 KSchG Rdnr. 26; Hueck-v. Hoyningen-Huene, KSchG, 12. Aufl., § 23 Rdnr. 16 b; Kittner-Trittin, KSchR, 2. Aufl., § 23 KSchG Rdnr. 16; Birk, in: Münchener Hdb. z. ArbeitsR § 19 Rdnr. 193; Küttner-Kreitner, Personalbuch 1997, Betrieb Rdnr. 13; LAG Hamm, LAGE § 23 KSchG Nr. 4; LAG Köln, LAGE § 23 KSchG Nr. 10; LAG Düsseldorf, BB 1996, 2411; LAG Köln, NZA-RR 1997, 429 = LAGE § 23 KSchG Nr. 12) darin zu folgen, daß die Voraussetzungen des § 23 I 2 KSchG regelmäßig - vorbehaltlich von Sonderregelungen des Gemeinschaftsrechts (vgl. dazu nachfolgend zu b) - im Inland erfüllt werden müssen.

a) Nach dem Wortlaut des § 23 I 2 KSchG muß die geforderte Mindestzahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer in einem Betrieb erreicht werden, der generell vom räumlichen Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes umfaßt wird. Gem. § 23 I 2 KSchG gilt der erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes nicht für Betriebe, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer beschäftigt werden. Der räumliche Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ist aber auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt. Die räumliche Geltung eines Gesetzes erstreckt sich maximal auf den örtlichen Zuständigkeitsbereich des rechtsetzenden Organs (vgl. Wolff-Bachof-Stober, VerwR, I, 10. Aufl., § 27 Rdnr. 13; Badura-Ehlers-Erichsen-Ossenbühl-Rudolf-Rüfner-Salzwedel, Allg. VerwR, 10. Aufl., § 8 Rdnr. 8). Die Rechtssetzungsbefugnis der deutschen Gesetzgebungsorgane beschränkt sich im Grundsatz (vgl. dazu Senat, NZA 1997, 493 = AP Nr. 10 zu § 79 BPersVG [zu II 1] m. w. Nachw.) auf den Geltungsbereich des Grundgesetzes und damit auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Das Kündigungsschutzgesetz gilt somit grundsätzlich nur für Betriebe auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Etzel, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 155; Hueck-v. Hoyningen-Huene, § 23 Rdnr. 3 und Einl. Rdnr. 77; Löwisch, KSchG, 7. Aufl., Vorb. § 1 Rdnr. 36; Bader-Bram-Dörner-Wenzel, KSchG, Stand: Juli 1997, § 1 Rdnr. 103). „In denen“ bedeutet, daß die regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer in den Betrieben auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt sein müssen.

b) Etwas anderes ergibt sich entgegen der von der Kl. vertretenen Ansicht auch nicht aus den Rechtsgrundsätzen der Europäischen Union. Insoweit ist bereits nicht nachvollziehbar, wie die Kl. durch die Anwendung Europäischen Gemeinschaftsrechts eine Einbeziehung der bei der P-Inc. USA beschäftigten Arbeitnehmer erreichen will. Das Recht der Europäischen Union gebietet aber auch keine Berücksichtigung der Arbeitnehmer der P-U. K. Ltd. im Rahmen des § 23 I 2 KSchG. Das Gemeinschaftsrecht enthält bis auf wenige Ausnahmen (z. B. Art. 4 der Richtlinie 77-187 EWG) keine Regelungen über den Kündigungsschutz von Arbeitnehmern. Es gelten vielmehr die jeweiligen Vorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten beschränkt auf deren jeweiliges Hoheitsgebiet. Dies spiegelt sich auch in Art. 48 III EGV wieder, der bestimmt, daß den Arbeitnehmern der Mitgliedstaaten das Recht zusteht, sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben. Erst durch das Abkommen über die Sozialpolitik ist der Europäischen Union überhaupt die Kompetenz zugewachsen, Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu treffen. Dieses Abkommen hat Großbritannien jedoch nicht unterzeichnet. Dies spricht ebenfalls gegen die Notwendigkeit einer Berücksichtigung der Arbeitnehmer der P-U. K. Ltd. im Rahmen des § 23 I 2 KSchG. Im übrigen geht auch der EuGH (EuGH, Slg. I 1993, 6185 = EuZW 1994, 91 = AP Nr. 13 zu § 23 KSchG 1969 - Kirsammer-Hack) davon aus, daß es sich bei § 23 I 2 KSchG um eine nationale Sonderbestimmung handelt, deren Geltungsbereich auf die Bundesrepublik Deutschland beschränkt ist.

3. Es braucht daher nicht mehr weiter auf die Zweitbegründung der Vorinstanzen eingegangen zu werden, die Betriebsstätten der P-Inc. USA und-oder der P-U. K. Ltd. bildeten mit der Bekl. keinen gemeinsamen Betrieb. Da andere außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes liegende Unwirksamkeitsgründe bezüglich der Kündigung vom 10. 5. 1995 nicht angeführt sind, ist daher die Klage zu Recht abgewiesen worden.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

KSchG §§ 1, 23 I