Betriebsübergang bei erneuter Fremdvergabe eines Reinigungsauftrags
Gericht
BAG
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
13. 11. 1997
Aktenzeichen
8 AZR 295/95
Eine Funktionsnachfolge allein ist kein Betriebsübergang.
Endet ein Reinigungsauftrag und liegen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vor, daß nach der Rechtsprechung des EuGH von der Wahrung der Identität auszugehen ist, weil der neue Auftragnehmer kraft eigenen Willensentschlusses eine organisierte Gesamtheit von Arbeitnehmern übernehmen wird, kann der frühere Auftragnehmer solchen Arbeitnehmern wirksam betriebsbedingt kündigen, für die er keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr hat.
Kommt es nach Zugang der Kündigung zu einem Betriebsübergang im Sinne der Rechtsprechung des EuGH, haben die gekündigten Arbeitnehmer, die in der Einheit beschäftigt waren, einen Anspruch gegen den neuen Auftragnehmer, zu unveränderten Arbeitsbedingungen unter Wahrung ihres Besitzstandes eingestellt zu werden.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung. Die Kl. arbeitet seit 1978 als Gebäudereinigerin im S in H. In den Jahren 1978 bis 1984 war sie bei der Firma N beschäftigt, die seinerzeit den Reinigungsauftrag innehatte. Seit 1. 1. 1985 war die Bekl. mit der Reinigung des Krankenhauses beauftragt und Arbeitgeberin der Kl. Das Bruttoeinkommen der Kl. betrug zuletzt monatlich 1316,64 DM. Die Bekl. ist ein überörtlich tätiges Reinigungsunternehmen und beschäftigt weit mehr als 1000 Arbeitnehmer. Im S waren insgesamt 87 Arbeitnehmer der Bekl. tätig. Arbeitsvertraglich war die Kl. allein für das Reinigungsobjekt S in H. eingestellt. Das S kündigte den mit der Bekl. bestehenden Reinigungsvertrag zum 30. 9. 1993. Das Krankenhaus vergab den Reinigungsvertrag für die Zeit ab 1. 10. 1993 an die Firma P. Nach Erhalt der Kündigung des Reinigungsvertrags kündigte die Bekl. ihren im S beschäftigten Arbeitnehmern. Der Kl. ging die ordentliche Kündigung vom 1. 6. 1993 zum 30. 9. 1993 am 14. 6. 1993 zu. Bei Übernahme des Reinigungsauftrags durch die Firma P verteilte diese an alle im S tätigen Mitarbeiter der Bekl. einen Fragebogen, mit dem sich die Firma P nach der bisherigen Beschäftigung und den individuellen Beschäftigungswünschen erkundigte. Die Firma P stellte zum 1. 10. 1993 insgesamt 75 der früheren Beschäftigten der Bekl. ein. Sie wurden sämtlich in den alten Positionen eingesetzt. Auch die Kl. nahm den ihr von der Firma P angebotenen Arbeitsvertrag an. Mit der am 29. 6. 1993 beim ArbG eingereichten Klage hat die Kl. geltend gemacht, die Kündigung sei wegen eines Betriebsübergangs ausgesprochen worden und deshalb unwirksam. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt.
Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat auf die Berufung der Kl. festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 1. 6. 1993 nicht beendet worden sei. Mit der zugelassenen Revision begehrt die Bekl. die Zurückweisung der Berufung der Kl. Die Revision hatte Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 1. 6. 1993 mit Ablauf des 30. 9. 1993 aufgelöst worden.
I. Die Kündigung ist nicht sozial ungerechtfertigt i. S. von § 1 I des anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes, denn sie ist, wie bereits das ArbG ausgeführt hat, durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die einer Weiterbeschäftigung der Kl. im Betrieb der Bekl. entgegenstehen. Die Kl. war arbeitsvertraglich allein zur Reinigung im S in H. verpflichtet. Diese Beschäftigungsmöglichkeit ist durch den Verlust des Reinigungsauftrags zum 30. 9. 1993 untergegangen. Eine anderweitige Beschäftigung in H. war der Bekl. nicht möglich. Deshalb konnte sie der Kl. ordentlich betriebsbedingt kündigen.
II. Abweichend von der Auffassung des BerGer. folgt die Unwirksamkeit der Kündigung auch nicht aus § 613 a IV BGB. Die Kündigung ist nicht wegen eines Betriebsübergangs ausgesprochen worden.
1. Wegen eines Betriebsübergangs im Sinne dieser Norm wird eine Kündigung nur dann ausgesprochen, wenn der Betriebsübergang die überwiegende Ursache der Kündigung bildet. Der Betriebsübergang muß der Beweggrund für die Kündigung gewesen sein (st. Rspr., vgl. nur BAGE 43, 13 = NJW 1984, 627 = AP Nr. 34 zu § 613 a BGB). Dabei ist ausschließlich auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung, also bei Zugang der Kündigung abzustellen (st. Rspr., vgl. nur BAG, NJW 1997, 2257 = NZA 1997, 757 = AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Wiedereinstellung). Damit kann ein bevorstehender Betriebsübergang nur dann zur Unwirksamkeit der Kündigung gem. § 613 a IV BGB führen, wenn die den Betriebsübergang ausmachenden Tatsachen im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits feststehen oder zumindest greifbare Formen angenommen haben (BAGE 59, 12 = NZA 1989, 461 = AP Nr. 75 zu § 613 a BGB).
2. Im Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigung am 14. 6. 1993 lagen weder die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs von der Bekl. auf die Firma P bereits vor, noch hatten sie greifbare Formen angenommen, denn entgegen der Auffassung des BerGer. erfüllt allein eine Funktionsnachfolge nicht die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs i. S. von § 613 a BGB (vgl. dazu nur den Vorlagebeschluß des erkennenden Senats, NZA 1996, 869 = AP Nr. 10 zu EWG-Richtlinie Nr. 77-187 mit der Zusammenfassung der früheren Rspr. des BAG). Diese Rechtsprechung des BAG ist mit den europarechtlichen Vorgaben der Richtlinie 77-187 vereinbar. Dies hat der EuGH mit Urteil vom 11. 3. 1997 (NJW 1997, 2039 = NZA 1997, 433 = EuZW 1997, 244 = DB 1997, 628 - Ayse Süzen) bestätigt. Wie der EuGH unter Tz. 15 der Entscheidungsgründe ausführt, darf eine Einheit im Sinne der Richtlinie nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden. Für den Fall des Wechsels eines Reinigungsauftrags hat der EuGH unter Tz. 16 der Gründe ausdrücklich hinzugefügt, daß der bloße Verlust eines Auftrags an einen Mitbewerber für sich genommen keinen Übergang im Sinne der Richtlinie darstellt. Damit entspricht die Entscheidung des EuGH der im Vorlagebeschluß des Senats wiedergegebenen früheren Rechtsprechung des BAG.
3. Soweit der EuGH abweichend von der früheren Rechtsprechung des BAG für Branchen, in denen es im wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, in einer organisierten Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sind, eine übernahmefähige wirtschaftliche Einheit gesehen hat (vgl. Tz. 21 der Gründe), die im Falle ihrer Übernahme einen Betriebsübergang darstellen kann, hat sich der erkennende Senat dieser Rechtsprechung des EuGH bereits mit Urteil vom 22. 5. 1997 (NJW 1997, 3188 = NZA 1997, 1050 = ZIP 1997, 1555) angeschlossen. Hieran ist festzuhalten. Gleichwohl folgt hieraus nicht, daß im Zeitpunkt der Kündigung die tatsächlichen Voraussetzungen des Betriebsübergangs bereits vorgelegen oder greifbare Formen angenommen hätten.
a) Ausgehend von dem Schlußantrag des Generalanwalts La Pergola in der Rechtssache C-13-95 vom 15. 10. 1996 sowie den vom EuGH im Urteil vom 11. 3. 1997 mitgeteilten Stellungnahmen des Vereinigten Königreiches und der Kommission der EG ist im Rahmen der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „durch Rechtsgeschäft“ i. S. von § 613 a I BGB anzunehmen, daß in Branchen, in denen es im wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, die Übernahme einer organisierten Gesamtheit von Arbeitnehmern einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang darstellt, wenn der neue Auftragnehmer aufgrund eigenen Willensentschlusses diese durch ihre gemeinsame Tätigkeit verbundenen Arbeitnehmer übernommen hat, weil sie in der Lage sind, den Neuauftrag wie bisher auszuführen.
b) Diese Voraussetzungen dürften im vorliegenden Fall gegeben sein, was aber keiner abschließenden Beurteilung bedarf, denn die willentliche Übernahme der zur Erledigung des Reinigungsauftrags S eingesetzten Hauptbelegschaft der Bekl. durch die Firma P hatte zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der streitgegenständlichen Kündigung am 14. 6. 1993 noch keine greifbaren Formen angenommen. Vielmehr wurden die Fragebogen seitens der Firma P erst bei Übernahme des Reinigungsauftrags an die Beschäftigten ausgegeben und die neuen Arbeitsverträge erst danach abgeschlossen.
c) Der nach Zugang der Kündigung eingetretene Betriebsübergang konnte die einmal gegebene Wirksamkeit der Kündigung nicht mehr beseitigen, vielmehr begründete er einen Anspruch der Kl. auf Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen mit der Firma P. Diese Rechtsfolge ergibt sich aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 613 a I BGB.
aa) Der 2. Senat hat bereits mit Urteil vom 27. 2. 1997 (NJW 1997, 2257 = NZA 1997, 757) entschieden, daß dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zusteht, wenn im Zeitraum zwischen Ausspruch einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung und dem Kündigungstermin ein bei Ausspruch der Kündigung noch nicht abzusehender Betriebsübergang stattfindet.
bb) Für den Fall einer durch die willentliche Übernahme der Hauptbelegschaft und nicht durch die Übernahme materieller und-oder immaterieller Betriebsmittel begründeten Übernahme des Betriebs oder Betriebsteiles ist diese Rechtsprechung dahingehend zu ergänzen, daß eine im Anschluß an den Wechsel der beauftragten Unternehmen erfolgende willentliche Übernahme der Hauptbelegschaft den Fortsetzungsanspruch der Arbeitnehmer auslöst. Während die vom bisherigen Auftragnehmer nicht gekündigten Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes (§ 613 a I BGB) auf den Auftragsnachfolger übergehen, wenn dieser die Hauptbelegschaft willentlich übernimmt, haben die gekündigten Arbeitnehmer einen Anspruch auf Abschluß eines Arbeitsvertrags zu unveränderten Arbeitsbedingungen und unter Wahrung ihres Besitzstands. Es kann vorliegend als nicht entscheidungserheblich dahingestellt bleiben, ob dieser Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aus Gründen der Rechtssicherheit unverzüglich nach Kenntniserlangung von den den Betriebsübergang ausmachenden tatsächlichen Umständen geltend zu machen ist.
cc) Diese Auslegung des § 613 a BGB folgt den vom EuGH mit Urteil vom 14. 11. 1996 (AP Nr. 12 zu EWG-Richtlinie Nr. 77-187) aufgezeigten Grundsätzen. Der Übergang der Arbeitsverhältnisse auf den Betriebserwerber tritt auch in diesen Fällen „ipso iure“ ein und ist nicht von einem Willensentschluß des Betriebsübernehmers abhängig. Der Willensentschluß des Übernehmers betrifft allein die Voraussetzungen des Betriebsübergangs selbst und nicht die Rechtsfolgen des Betriebsübergangs. Ebenso wie es dem Übernehmer freisteht, ob er materielle und-oder immaterielle Betriebsmittel des Veräußerers übernimmt und damit einen Betriebsübergang auslöst, steht es dem Auftragsnachfolger frei, ob er willentlich die Hauptbelegschaft des früheren Auftragnehmers übernimmt oder nicht. Entscheidet er sich für die Übernahme der Hauptbelegschaft, gehen alle ungekündigten Arbeitsverhältnisse der im Betrieb oder Betriebsteil beschäftigten Arbeitnehmer des früheren Auftragnehmers auf ihn über bzw. löst er damit den Fortsetzungsanspruch der entlassenen Arbeitnehmer aus. Ob diese so berechtigten Arbeitnehmer von ihrem Anspruch auf Fortsetzung der Beschäftigung Gebrauch machen, unterliegt allein ihrer rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit (vgl. hierzu EuGH, NZA 1993, 169 = EuZW 1993, 161 = AP Nr. 97 zu § 613 a BGB - Katsikas).
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