Übersehen von Werbungskosten kein grobes Verschulden i. S. des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2

Gericht

FG Baden-Württemberg


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

17. 10. 1996


Aktenzeichen

14 K 95/92


Leitsatz des Gerichts

  1. Das Übersehen eines nicht jährlich wiederkehrenden Werbungskostenbetrags stellt im allgemeinen ein schlichtes Versehen und keine grobe Fahrlässigkeit i. S. des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar.

  2. Ein schlichtes Versehen ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Steuererklärungen des Stpfl. im allgemeinen sehr sorgfältig gearbeitet sind und das Übersehen vor allem darauf zurückgeführt werden kann, daß dem Werbungskostenbetrag kein konkreter Geldabfluß auf einem Bankkonto gegenübersteht.

  3. Die genannten Grundsätze gelten auch zugunsten eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Streitig ist, ob die Kl. ein grobes Verschulden i. S. von § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO daran trifft, daß sie eine Bausparerhöhungsgebühr i. H. v. 2 560 DM erst nach Bestandskraft des Einkommensteuer-(ESt-)Bescheides 1989 als Werbungskosten geltend gemacht haben, da sie den betreffenden Beleg angeblich falsch abgeheftet hatten.

Der Kl. ist Fachanwalt für Steuerrecht. Die Kl. sind je zur Hälfte Miteigentümer eines am 30. 9. 1986 angeschafften Zweifamilienhauses, dessen Hauptwohnung sie mit ihren Kindern selbst bewohnen und dessen Einliegerwohnung sie vermietet haben.

Zur Finanzierung des Hauskaufs hatten sie ein durch eine Lebensversicherung gesichertes Darlehen aufgenommen, für das sie im Jahr 1989 Schuldzinsen bezahlten. Außerdem schlossen sie am 1. 9. 1986 zwei Bausparverträge und am 18. 3. 1987 einen weiteren Bausparvertrag (Vertrags-Nr. 03) ab, dessen Bausparsumme sie im Jahr 1989 erhöhten. Dieses Bausparkonto wurde - wie sich aus dem Jahreskontoauszug für 1989 ergibt - zum 30. 6. 1989 mit einer Erhöhungsgebühr von 2 560 DM belastet.

Die Sparleistungen sind sowohl aus den Jahreskontoauszügen der Bausparkasse für 1989 als auch aus den von ihr erteilten Steuerbescheinigungen für 1989 ersichtlich. Die Guthabenzinsen und die Bausparerhöhungsgebühr von 2 560 DM ergeben sich dagegen ausschließlich aus den Jahreskontoauszügen für 1989.

In ihrer gemeinsamen ESt-Erklärung 1989 vom 1. 1. 1991 machten die Kl. einen Verlust aus Vermietung und Verpachtung (VuV) geltend. Dabei berücksichtigten sie die Guthabenzinsen aus Bausparverträgen als Einnahmen und die Schuldzinsen als Werbungskosten. Außerdem machten sie die Bausparkassenbeiträge als Sonderausgaben geltend. Die Bausparerhöhungsgebühr i. H. v. 2 560 DM berücksichtigten sie nicht als Werbungskosten.

Im Gegensatz hierzu hatten sie in der ESt-Erklärung 1986 vom 24. 5. 1987 die Anerkennung der Bausparabschlußgebühren für die Verträge 01 und 02 i. H. v. insgesamt 3 022 DM als Werbungskosten beantragt, was das FA anerkannte.

Im ESt-Bescheid 1989 vom 21. 2. 1991 berücksichtigte das FA den Verlust aus VuV in der erklärten Höhe. Der Bescheid erging ohne Vorbehalt der Nachprüfung und war teilweise vorläufig hinsichtlich des Grundfreibetrages und der Kinderfreibeträge. Auf den Einspruch der Kl. hin änderte das FA den ESt-Bescheid 1989 durch Bescheid vom 2. 4. 1991 und berücksichtigte die versehentlich nicht angesetzte Steuerermäßigung nach § 34 f EStG.

Etwa sechs Monate nach Ergehen des Änderungsbescheides beantragten die Kl. mit Schreiben vom 27. 8. 1991, den geänderten ESt-Bescheid 1989 vom 2. 4. 1991 erneut zu ändern mit der Begründung, bei Anfertigung der ESt-Erklärung 1990 habe der Kl. festgestellt, daß er in der Anlage V 1989 versehentlich die entrichtete Erhöhungsgebühr von 2 560 DM, die sich aus dem in der Anlage beigefügten Kontoauszug der Bausparkasse ergebe, nicht berücksichtigt habe. Das Versehen sei darauf zurückzuführen, daß der Beleg der Bausparkasse in einer anderen Akte abgeheftet gewesen sei und die Zahlung bei Durchsicht der Bankkonten nicht aufgetaucht sei. Der Änderungsantrag stützte sich auf § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Es könne nicht davon gesprochen werden, daß die übliche Sorgfalt in besonders starkem Maße außer Acht gelassen worden sei. Bei der Beurteilung des Verschuldens des Stpfl. solle nach der Rechtsprechung der Finanzgerichte und der Literatur nicht kleinlich verfahren werden.

Das FA lehnte den Änderungsantrag mit Schreiben vom 18. 10. 1991 mit der Begründung ab, den Kl. treffe ein grobes Verschulden i. S. von § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO daran, daß der betreffende Bausparbeleg bei der Erstellung der ESt-Erklärung 1989 nicht greifbar gewesen sei. Die sorgfältige Zusammenstellung der für die Steuererklärung benötigten Belege sei Teil der Mitwirkungspflichten des Stpfl.

Drei Tage nach der Ablehnung des Änderungsantrages änderte das FA den ESt-Bescheid 1989 durch Bescheid vom 21. 10. 1991 gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO und berücksichtigte darin den aufgrund des Gewinnfeststellungsbescheides vom 26. 9. 1991 festgestellten Gewinn des Kl. aus der Rechtsanwaltssozietät für 1989, der niedriger als bisher vom Kl. und vom FA angenommen worden war.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Klage ist begründet.

Das FA ist verpflichtet, den zuletzt geänderten ESt-Bescheid 1989 gem. § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO erneut zu ändern und die Bausparerhöhungsgebühr i. H. v. 2 560 DM als weitere Werbungskosten bei den Einkünften aus VuV zu berücksichtigen.

1. Nach der Rechtsprechung des BFH sind Abschlußgebühren für Bausparverträge Werbungskosten bei den Einkünften aus VuV, wenn alleiniger Zweck des Vertragsabschlusses die Erlangung eines Baudarlehens und die Verwendung der Kreditmittel zur Erzielung von Einkünften aus VuV ist (vgl. u. a. BFH-Urt. v. 8. 2. 1983, VIII R 163/81, BStBl II 1983, 355, DStR 1983, 428 m. w. N.). Dasselbe gilt für eine Bausparerhöhungsgebühr, die - wie im vorliegenden Fall - für eine Erhöhung der Bausparsumme mit dem Ziel einer teilweisen späteren Ablösung der ursprünglichen Finanzierung des Hauskaufs aufgewendet wird und daher mit den Einkünften aus VuV in einem wirtschaftlichen Zusammenhang steht.

2. Entgegen der Auffassung des FA trifft die Kl. kein grobes Verschulden i. S. von § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO daran, daß sie die Bausparerhöhungsgebühr erst nach Bestandskraft des geänderten ESt-Bescheides 1989 vom 2. 4. 1991 als Werbungskosten geltend gemacht haben. Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit dem FA Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigen Steuer führen, und den Stpfl. kein grobes Verschulden daran trifft, daß die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Als grobes Verschulden hat der Stpfl. Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn der Stpfl. die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße verletzt; wenn er unbeachtet läßt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen und die einfachsten Überlegungen und Vorkehrungen nicht anstellt. Ein grobes Verschulden kann vorliegen, wenn der Stpfl. seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er z. B. eine unvollständige Steuererklärung abgibt. Gem. § 150 Abs. 2 Satz 1 AO sind die Angaben in der Steuererklärung wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen zu machen. Um die Steuererklärung vollständig und wahrheitsgemäß abgeben zu können, muß der Stpfl. das Erklärungsformular gewissenhaft durchlesen. Deshalb handelt ein Stpfl. regelmäßig grob schuldhaft, wenn er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen für ihn relevanten Vorgang bezogene Frage nicht beachtet (st. Rspr. vgl. u. a. BFH-Urt. v. 22. 5. 1992, VI R 17/91, BStBl II 1993, 80, DStR 1992, 1283 und v. 2. 8. 1994, VIII R 65/93, BStBl II 1995, 264 m. w. N.).

Fehler, die üblicherweise vorkommen und mit denen auch bei sorgfältiger Bearbeitung gerechnet werden muß, begründen keine grobe Fahrlässigkeit; wie z. B. Vergessen, Irrtümer, Rechenfehler und das Verwechseln von Zahlen (Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO, Rz. 31 m. w. N.). Die objektive Beweislast (Feststellungslast) dafür, daß den Stpfl. ein grobes Verschulden trifft, liegt beim FA. Im Regelfall ist davon auszugehen, daß Fehler des Stpfl. - insbesondere solche zu seinem eigenen Nachteil - auf einem bloßen Versehen und damit allenfalls auf leichter Fahrlässigkeit beruhen, solange nicht besondere Anhaltspunkte für ein ungewöhnlich hohes Maß einer Sorgfaltspflichtverletzung vorliegen. Verbleibende Zweifel hieran gehen zu Lasten des FA (vgl. BFH-Urt. v. 22. 5. 1992, VI R 17/91, BStBl II 1993, 80, 82, DStR 1982, 1283 sowie Tipke/Kruse, a. a. O., § 173 AO Rz. 31 h m. w. N.).

Im vorliegenden Fall war dem Kl. als Fachanwalt für Steuerrecht bekannt, daß Abschlußgebühren für Bausparverträge unter den unter Ziff. 1 der Entscheidungsgründe genannten Voraussetzungen als Werbungskosten bei den Einkünften aus VuV abgezogen werden können. In der ESt-Erklärung 1986 hatte er die damals aufgewendeten Bausparabschlußgebühren als Werbungskosten geltend gemacht. Die Nichtberücksichtigung der Bausparerhöhungsgebühr in der ESt-Erklärung 1989 beruht nicht darauf, daß dem Kl. der betreffende Kontoauszug der Bausparkasse bei der Erstellung der Erklärung nicht vorlag, sondern darauf, daß er die in dem Kontoauszug ausgewiesene Bausparerhöhungsgebühr von 2 560 DM übersehen hat. Daß dieser Kontoauszug dem Kl. bei der Anfertigung der ESt-Erklärung 1989 vorgelegen hat, ergibt sich zwingend daraus, daß er die ausschließlich in diesem Kontoauszug - nicht aber auch in den von der Bausparkasse gesondert erteilten Steuerbescheinigungen - ausgewiesenen Zinsen zutreffend als Einnahmen aus VuV erklärt hat.

Die vom Kl. eingereichten Steuererklärungen sind in ihrer äußeren Form und ihrer inhaltlichen Gestaltung sehr sorgfältig gearbeitet. Das Übersehen der Bausparerhöhungsgebühr stellt ein schlichtes Versehen dar und ist daher nicht als ein grob fahrlässiges Verhalten zu werten. Der Kl. weist zu Recht darauf hin, daß die Bausparerhöhungsgebühr eine nicht jährlich wiederkehrende, sondern eine einmalige Ausgabenposition war, der kein konkreter Geldabfluß vom Bankkonto der Kl., sondern lediglich eine Umbuchung zugrunde lag. Bei bloßen Umbuchungen und Lastschriften ist die Gefahr des Übersehens erheblich größer als bei konkreten Zahlungsvorgängen mit gesondertem Zahlungsbeleg, insbesondere wenn es sich um nicht regelmäßig wiederkehrende Zahlungen handelt (vgl. FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 12. 3. 1981, 3 K 38/81, EFG 1981, 607 zu im Lastschriftverfahren abgebuchten Zinszahlungen und FG Baden-Württemberg, Urt. v. 13. 9. 1996, 11 K 272/94, n. v., zu Geldbeschaffungskosten im Zusammenhang mit einer Darlehensaufnahme). In Fällen dieser Art kann es jedem Durchschnittsbürger leicht passieren, daß er die nicht in einem gesonderten Zahlenbeleg erfaßte Ausgabenposition übersieht, insbesondere dann, wenn sie im Verhältnis zum Gesamtbetrag der geltend gemachten Werbungskosten nicht von besonders großem Gewicht ist. Im vorliegenden Fall war die Bausparerhöhungsgebühr i. H. v. 2 560 DM im Verhältnis zur Summe der beantragten Werbungskosten i. H. v. 45 208 DM von geringerer Bedeutung. In der Anlage V zur ESt-Erklärung 1989 findet sich kein ausdrücklicher Hinweis darauf, daß eine Bausparabschluß- oder Erhöhungsgebühr als Werbungskosten abzugsfähig ist. Der Vordruck bot dem Kl. insoweit keine Erinnerungshilfe, so daß das Übersehen dieser Ausgabenposition nicht als grob fahrlässig zu werten ist.

Der vorliegende Fall zeigt, daß auch ausgebildeten Finanzbeamten bei der Bearbeitung von Steuererklärungen Fehler und Versehen unterlaufen können. In der Anlage V zur ESt-Erklärung 1989 hatten die Kl. in Zeile 55 die Steuerermäßigung gem. § 34 f EStG (das sog. Baukindergeld) i. H. v. 600 DM für ihre beiden Kinder ausdrücklich beantragt. Das FA hatte diese Steuerermäßigung bei der Bearbeitung der Erklärung übersehen und sie im ursprünglichen ESt-Bescheid 1989 vom 21. 2. 1991 nicht berücksichtigt. Es hat sie erst auf den Einspruch der Kl. hin im geänderten ESt-Bescheid 1989 vom 2. 4. 1991 gewährt. Versehen dieser Art kommen sowohl auf Seiten der Finanzbehörden als auch auf Seiten der Stpfl. und ihrer Berater auch bei sorgfältiger Bearbeitung leider immer wieder vor. Das bloße Übersehen einer Position in einem Zahlenwerk ist ohne das Hinzutreten weiterer gewichtiger Umstände nicht als grob fahrlässiges Verhalten zu werten. Umstände dieser Art, für die das FA - wie dargelegt - die objektive Beweislast trägt, sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.

Die Sache ist spruchreif (§ 101 FGO). Die Ablehnung der beantragten Änderung des ESt-Bescheides 1989 durch die Verfügung des FA vom 18. 10. 1991 und die Einspruchsentscheidung vom 18. 5. 1992 sind rechtswidrig. Sie sind daher aufzuheben. Das FA ist gem. § 101 FGO zu verpflichten, den zuletzt geänderten ESt-Bescheid 1989 vom 14. 11. 1994 erneut zu ändern und die Bausparerhöhungsgebühr i. H. v. 2 560 DM als weitere Werbungskosten aus VuV zu berücksichtigen.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.

Rechtsgebiete

Steuerrecht

Normen

AO § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2