Keine übliche Kündigungsvollmacht des kaufmännischen Leiters und des Serviceleiters einer Niederlassung

Gericht

LAG Hessen


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

04. 09. 1997


Aktenzeichen

3 Sa 1360/96


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit mehrerer fristloser und fristgemäßer Kündigungen. Die Bekl. ist die Niederlassung eines Automobilwerks in D. mit etwa 250 Mitarbeitern. Der zum Kündigungszeitpunkt 47-jährige Kl. ist seit dem 2. 4. 1963 bei der Bekl. als Kraftfahrzeug-Mechaniker beschäftigt. Er verdient 15000 DM brutto im Quartal. Er arbeitete zuletzt im Bereich Sofort-Service Pkw. Dort werden kleinere Reparaturen sofort durchgeführt, ohne daß zuvor ein schriftlicher Reparaturauftrag in der Auftragsannahme erfolgt ist. Die Mitarbeiter des Sofort-Service haben direkten Zugang zum Lager. Mit der Versetzung des Mitarbeiters E in diesen Bereich ist der Kl. darauf hingewiesen worden, dieser werde darauf achten, daß es in Zukunft nicht zu Unregelmäßigkeiten komme. Das Arbeitsmaterial befindet sich im Materiallager oder liegt auf dem Tresen zur sofortigen Verwendung. Die Bekl. hat das mit dem Kl. begründete Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 25. 9. 1995, das am selben Tag in den Briefkasten des Kl. eingeworfen worden ist, fristlos und hilfsweise fristgemäß zum 30. 11. 1995 gekündigt. Der Kl. hat mit Schreiben vom 26. 9. 1995 die Vollmachtslosigkeit der Kündigung gem. § 174 BGB gerügt und diese deshalb zurückgewiesen. Der Kündigung ging voraus, daß der Kl. am 13. 9. 1995 im Beisein „des Betriebsrats“ zum Öffnen seiner privaten Tasche aufgefordert worden ist. Darin befanden sich u.a. eine Tube Dichtungsmittel, eine Zündkerze, diverse Schrauben, Kabelstecker und zwei Rollen Toilettenpapier. Der Kl. hatte zu dem 1995 eine Unterdruckpumpe für sein Privatfahrzeug beiseite gelegt. Mit Schreiben vom 27. 11. 1995, das dem Kl. am 29. 11. 1995 zugegangen ist, sprach die Bekl. eine weitere fristlose Kündigung aus. Auch insoweit erhob der Kl. mit Schreiben vom 1. 12. 1995 eine Vollmachtsrüge. Beide Kündigungen wurden von dem kaufmännischen Leiter F und dem Serviceleiter Z unterzeichnet. Der Niederlassungsleiter war zu diesem Zeitpunkt in Urlaub. Der Anstellungsvertrag des Kl. vom 30. 6. 1967 wurde von dem damaligen Niederlassungsleiter H und dem damaligen kaufmännischen Leiter E unterzeichnet. Eine weitere Kündigung sprach die Bekl. mit Schreiben vom 31. 5. 1996 aus. Mit Schreiben vom 3. 6. 1996 rügte der Kl. auch insoweit Vollmachtslosigkeit. Dieses Kündigungsschreiben ist von dem Niederlassungsleiter und von dem kaufmännischen Leiter unterzeichnet worden.

Das ArbG hat durch Teilurteil vom 9. 7. 1996 festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentlichen Kündigungen vom 25. 9. und 27. 11. 1995 nicht aufgelöst worden sei. Den Unwirksamkeitsgrund hat es § 174 S. 1 BGB entnommen. Gegen das der Bekl. am 17. 7. 1996 zugestellte Teilurteil wendet sich diese mit ihrer am 22. 7. 1996 eingelegten, am 15. 8. 1996 begründeten Berufung. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Das BerGer. macht sich gem. § 543 I ZPO die rechtliche Beurteilung des ArbG zu eigen, die sich ausnahmslos und zutreffend auf die ständige Rechtsprechung des BAG stützt. Die Berufungsbegründung der Bekl. gibt keine Veranlassung, vom angefochtenen Urteil im Ergebnis abzuweichen, gestattet vielmehr eine alternative Begründung, die dieses Ergebnis gleichfalls trägt:

1. Der Einwand der Bekl., der Kl. habe die Rüge der Vollmachtslosigkeit hinsichtlich der Kündigung vom 27. 11. 1995 nicht „unverzüglich“ i.S. der §§ 121 I 1, 174 S. 1 BGB vorgebracht, ist unbegründet. Die Kündigung vom 27. 11. 1995 ist dem Kl. am Mittwoch, dem 29. 11. 1995, zugegangen. Die Rüge des Kl. ist sodann mit Schreiben vom 1. 12. 1995, dem Freitag derselben Woche, erfolgt. Es kann also keine Rede davon sein, daß zwischen dem Kündigungsausspruch und der Erklärung des Kl. eine gesamte Arbeitswoche gelegen habe. Der Kl. hat vielmehr ohne schuldhaftes Zögern am 1. 12. 1995 reagiert. Denn ihm ist eine gewisse Zeit zur Überlegung und zur Einholung eines Rates durch einen Rechtskundigen zuzubilligen (vgl. BAG, NJW 1979, 447 = AP Nr. 2 zu § 174 BGB; BAG, NZA 1992, 149 = NJW 1992, 2046 = AP Nr. 9 zu § 174 BGB). Diese Grenzen hat der Kl. nach dem unstreitigen Sachverhalt eingehalten.

2. Aus der Entscheidung des BAG vom 30. 5. 1972 (BAG, NJW 1972, 1877 = AP Nr. 1 zu § 174 BGB) zieht die Bekl. zu Unrecht die Folgerung, daß es nach der Ansicht des BAG einen Erfahrungssatz gebe, wonach „die Entlassung . . . auch von Personen ausgesprochen werden kann, deren Befugnisse nicht so weitreichend wie die eines Niederlassungsleiters sind, soweit sie zumindest mit Personalfragen befaßt sind“. Dergleichen kann der vorgenannten Entscheidung nicht entnommen werden. Danach kommt es entscheidend darauf an, daß der kündigende Arbeitnehmer Tätigkeiten ausübt, die üblicherweise mit einer Kündigungsvollmacht ausgestattet sind (vgl. auch Staudinger/Schilken, BGB, 1995, § 174 Rdnr. 10 m.w. Nachw.). Die Befassung mit Personalfragen indiziert eine solche Vollmacht allein nicht. Anderenfalls wäre jede Schreibkraft der Personalabteilung dem Anschein nach mit Kündigungsvollmacht ausgestattet. Bei Arbeitnehmern, die nicht die Funktion des Personalleiters oder die rechtliche Stellung eines Prokuristen oder Generalbevollmächtigten des Arbeitgebers haben, hängt es jeweils von den konkreten Umständen ab, ob mit ihrer Stellung das Kündigungsrecht derart verbunden ist, daß die Arbeitnehmer, die mit ihnen zu tun haben, von ihrer Kündigungsvollmacht i.S. des § 174 S. 2 BGB in Kenntnis gesetzt sind (vgl. BAG, NZA 1990, 63 = AP Nr. 7 zu § 174 BGB). Dabei muß Eindeutigkeit herrschen (vgl. BAG, RdA 1980, 78 = AP Nr. 3 zu § 174 BGB). An diesen Voraussetzungen fehlt es. Weder die Stellung des kaufmännischen Leiters der Niederlassung eines Automobilherstellers noch diejenige des Serviceleiters eines solchen Unternehmens ist üblicherweise mit der Vollmacht verbunden, Werkstattpersonal zu entlassen. Eine sonstige Kenntnisvermittlung ist nicht erkennbar geworden. Die zufällige Erlangung einer solchen Kenntnis würde auch gar nicht ausreichen (vgl. Staudinger/Schilken, § 174 Rdnr. 10 m.w. Nachw.).

3. Die Bekl. hat überdies aber nicht einmal schlüssig dargetan, daß diese Angestellten - abgesehen von ihrer nicht ausreichenden Stellung nach außen - zumindest intern mit einer solchen Vollmacht ausgestattet sind. So darf der kaufmännische Leiter nach seiner Aufgabenbeschreibung alleinverantwortlich lediglich „über . . . Kündigungen unter Berücksichtigung der rechtlichen und vertraglichen Sachverhalte entscheiden“. Daß er Arbeitnehmer des Werkstattbereichs selbständig entlassen darf, ist damit nicht gesagt. Die „Entscheidung“ über eine Entlassung ist nicht ohne weiteres mit ihrer Ausführung durch Erklärung der Kündigung gegenüber dem Arbeitnehmer gleichzusetzen oder gar identisch. Überdies fehlt jeder Bezug zum Werkstattpersonal. Daß auch die Handlungsvollmacht für sich allein als Kündigungsvollmacht vorliegend nicht ausreicht, hat das ArbG bereits überzeugend ausgeführt. Auch für die Erteilung der Kündigungsvollmacht an den Serviceleiter ist nichts ersichtlich. Dieser ist „mitwirkend/alleinverantwortlich“ für die „Mitarbeiter-Führung“ zuständig, was nach seiner Aufgabenbeschreibung bedeutet:

Planung, Auswahl, Qualifizierung, Förderung und Einsatzplanung der zugeordneten Mitarbeiter. Nachwuchskräfte, einschließlich der technischen Berufsausbildung, für den Servicebereich einstellen und heranbilden sowie deren qualifizierte und kundenorientierte Ausbildung sicherstellen.

Fehlt es nach alledem aber sogar an einer Kündigungsvollmacht der Bekl. für ihren kaufmännischen Leiter und ihren Serviceleiter, so sind die Kündigungen vom 25. 9. und 27. 11. 1995 bereits nach § 180 S. 1. BGB unwirksam.

§ 174 S. 1 BGB verlangt demgegenüber, daß die Kündigung durch einen objektiv tatsächlich Bevollmächtigten ausgesprochen wird und knüpft Rechtsfolgen nur an die Nichtvorlage der Vollmachtsurkunde.

4. Der Hinweis der Bekl. schließlich auf die langjährige Betriebszugehörigkeit des Kl. verfängt gleichfalls nicht. Denn die Kenntnis einer objektiv gar nicht vorhandenen Kündigungsvollmacht kann daraus sicherlich nicht hergeleitet werden. Selbst dann aber, wenn man zugunsten der Bekl. von einer internen Vollmachtserteilung ausgeht, hat es die Bekl. im Dunkeln gelassen, wie dem Kl. durch seine langjährige Betriebszugehörigkeit die Vollmachtserteilung im Hinblick auf den kaufmännischen Leiter und den Serviceleiter zur Kenntnis gebracht worden sein soll. Die Stellung und Funktion des kaufmännischen Leiters und des Serviceleiters reicht dazu nach dem vorstehend Gesagten nicht aus. Eine sonstige Kenntnisvermittlung hat die Bekl. nicht vorgetragen. Daß die Unterzeichnung des Schreibens vom 8. 3. 1991 und die Unterzeichnung der Vertragsurkunde vom 3. 1. 1983 eine solche Kenntnis nicht vermitteln konnten, hat das ArbG schon ohne Rechtsirrtum ausgeführt.

Vorinstanzen

ArbG Darmstadt, 2 Ca 404/95, 9.7.1996

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BGB §§ 174 S. 1, 180 S. 1