Tarifbegünstigung einer Entschädigung

Gericht

BFH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

04. 03. 1998


Aktenzeichen

XI R 46/97


Leitsatz des Gerichts

Eine Entschädigung ist nur dann tarifbegünstigt, wenn sie zu einer Zusammenballung von Einkünften innerhalb eines Veranlagungszeitraums führt. Übersteigt die anläßlich der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gezahlte Entschädigung die bis zum Ende des Veranlagungszeitraums entgehenden Einnahmen nicht und bezieht der Steuerpflichtige keine weiteren Einnahmen, die er bei Fortgeltung des Arbeitsverhältnisses nicht bezogen hätte, so ist das Merkmal der Zusammenballung von Einkünften nicht erfüllt (Bestätigung der Rechtsprechung).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. schloß als Handelsvertreter am 22. 4. 1986 einen Anstellungsvertrag mit der A-GmbH (Arbeitgeber). Vereinbart wurde ein festes Monatsgehalt von zunächst 3000 DM für 13,5 Monate im Jahr sowie eine Provisionsvergütung für die vom Kl. vermittelten Aufträge. Im Jahr 1988 erhielt der Kl. einen Bruttoarbeitslohn (Fixum und Provisionen) von 140748 DM und im Jahr 1989 von 221517 DM. Neben seiner Tätigkeit als Handelsvertreter führte der Kl. seit 1986 einen Betrieb. Die Einkünfte aus dieser selbständigen Tätigkeit steigerten sich kontinuierlich von 17000 DM in 1986 bis auf 376000 DM im Jahr 1994. Auf Veranlassung des Arbeitgebers wurde das Arbeitsverhältnis zum 30. 4. 1990 beendet. Zum Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes und zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche erhielt der Kl. einen Betrag von 100000 DM. Einen Teilbetrag in Höhe von 24000 DM beließ der Bekl. (das Finanzamt) gem. § 3 Nr. 9 EStG steuerfrei. Dem Antrag des Kl., den Restbetrag von 76000 DM gem. §§ 24 Nr. 1, 34 II EStG ermäßigt zu besteuern, folgte das Finanzamt nicht.

Einspruch, Klage und Revision blieben ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Eine Entschädigung gem. § 24 Nr. 1 lit.a EStG ist nur dann gem. § 34 I und II Nr. 2 EStG tarifbegünstigt, wenn sie zu einer Zusammenballung von Einnahmen innerhalb eines Veranlagungszeitraums führt. Diese Voraussetzung ist dann nicht erfüllt, wenn die anläßlich der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gezahlte Entschädigung die bis zum Ende des Veranlagungszeitraums (Jahresende) entgehenden Einnahmen nicht übersteigt und der Steuerpflichtige keine weiteren Einnahmen bezieht, die er bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht bezogen hätte (BFH/NV 1996, 204). Der Senat hat diese Rechtsprechung mit Urteil vom 16. 7. 1997 (BFHE 183, 535 = BStBl II 1997, 753 = NJW 1997, 3464) bestätigt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH (BFHE 126, 408 = BStBl II 1979, 176; BFHE 171, 416 = BStBl II 1993, 831), die bereits auf die Rechtsprechung des RFH zurückgeht (vgl. RStBl 1939, 170), verlangt § 34 I EStG die Zusammenballung von Einkünften. Diese ist nur gegeben, wenn der Steuerpflichtige infolge der Entschädigung in einem Veranlagungszeitraum mehr erhält, als er bei normalem Ablauf der Dinge erhalten hätte. Nur in diesem Fall ist die Ermäßigung des Steuersatzes gerechtfertigt. Erhält der Steuerpflichtige weniger oder ebensoviel, wie er bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erhalten hätte, besteht für eine Milderung kein Anlaß. Bereits in dem Urteil vom 17. 12. 1959 (BFHE 70, 195 = BStBl III 1960, 72 = NJW 1960, 839) wird im einzelnen dargelegt, daß eine Tarifermäßigung nach § 34 EStG nur gerechtfertigt ist, wenn die Besteuerung der Entschädigung ungünstiger wäre als die Besteuerung der entgehenden Einnahmen, an deren Stelle sie tritt. Im Urteil des RFH (RStBl 1939, 170) wird ausdrücklich hervorgehoben, daß es zur Beurteilung von Einkünften als außerordentlich auf die gesamten Bezüge, die dem Steuerpflichtigen im Steuerjahr zuflössen, ankomme, also nicht nur auf den Entschädigungsbetrag.

Grundlage dieser Rechtsprechung ist, daß nach der Konzeption des Gesetzes die Steuerermäßigung nur bei einer Zusammenballung von Einkünften berechtigt ist. In ähnlicher Weise begünstigt das Gesetz den bei Aufgabe oder Veräußerung eines Betriebs entstehenden Gewinn, da es in diesem Fall im allgemeinen zu einer zusammengeballten Aufdeckung stiller Reserven kommt; auch die weiteren Tatbestände des § 34 II Nr. 3, III EStG bezwecken, die progressionsbedingte Mehrbelastung von Einkünften, deren Zufluß sich normalerweise auf mehrere Jahre verteilt hätte, zu verringern. Bereits aus der Begründung zum Einkommensteuergesetz 1934 (RStBl 1935, 33, 52) und aus der Begründung zu §§ 21 bis 24 EStG 1920 (Nationalversammlung 1919, Dr. 1624, S. 49ff.; vgl. ferner Strutz, EStG 1925, 1929, 2. Bd., S. 953 - Anm. 2 zu § 58 EStG 1925) geht hervor, daß mit der Ermäßigung des Steuersatzes progressionsbedingte Härten gemildert werden sollen.

Bei dieser Betrachtungsweise kommt es nicht darauf an, ob die Entschädigung entgehende Einnahmen mehrerer Jahre abdecken soll. Entscheidend ist vielmehr, ob es unter Einschluß der Entschädigung infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum insgesamt zu einer über die normalen Verhältnisse hinausgehenden Zusammenballung von Einkünften kommt. Nur in diesem Fall kann eine progressionsbedingte Härte eintreten.

2. Nach Auffassung der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder (veröffentlicht durch OFD Karlsruhe, Verfügung v. 19. 12. 1996 StRK, EStG, § 34 I Nr. 55) kann bei einer Einmalabfindung grundsätzlich weiterhin nicht davon ausgegangen werden, daß sie lediglich die Einnahmen eines Kalenderjahres entschädigt, und zwar auch dann nicht, wenn sie der Höhe nach in etwa den entgehenden Einnahmen eines Kalenderjahres entspricht. Gelte die in einem Veranlagungszeitraum gezahlte Abfindung daher - wie regelmäßig - entgangene oder entgehende Einnahmen mehrerer Jahre ab, handele es sich bei den Einnahmen um eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 EStG; die Tarifermäßigung des § 34 I EStG komme zur Anwendung. Und im Schreiben v. 18. 11. 1997 (BStBl I 1997, 973) heißt es: „Die Frage einer Zusammenballung von Einkünften kann nicht allein anhand der objektiven Zahlen (z.B. betragsmäßiger Vergleich zwischen Einmalabfindung und entgehenden Einnahmen eines Kalenderjahres) beantwortet werden. Entscheidend sind vielmehr die Gründe, die die Vertragsparteien zur Aufhebung des Dienstverhältnisses veranlaßt und die in der Auflösungsvereinbarung sowie bei den Modalitäten der Abfindung ihren Niederschlag gefunden haben. Damit kann bei einer Einmalabfindung grundsätzlich weiterhin nicht davon ausgegangen werden, daß sie lediglich die Einnahmen eines Kalenderjahres entschädigt, und zwar auch dann nicht, wenn sie der Höhe nach in etwa den entgangenen Einnahmen eines Kalenderjahrs entspricht oder insgesamt den Betrag eines früheren Jahresgehalts nicht übersteigt.“

Der Senat hält diese Auffassung aus den dargelegten Gründen für unzutreffend. Sie begünstigt im Grunde genommen jede Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 EStG, ohne daß es auf eine die normalen Verhältnisse übersteigende Zusammenballung von Einkünften im Veranlagungszeitraum ankommt und beachtet damit nicht die gegenüber § 24 Nr. 1 EStG zusätzlichen Anforderungen des § 34 EStG. Sozialpolitisch mag diese Auslegung erwünscht sein, mit dem Zweck des § 34 EStG und der ständigen Rechtsprechung ist sie nicht zu vereinbaren.

3. Auch der im Schrifttum (vgl. Offerhaus, DStZ 1997, 108; Schmitz, Besteuerung von Abfindungen und Entschädigungen bei Beendigung oder Änderung des Arbeitsverhältnisses, 1997, 136) an der Auffassung des Senats geäußerten Kritik ist nicht zu folgen.

Für die Frage der Zusammenballung ist ohne Bedeutung, ob die Entschädigung für den Einnahmeverlust mehrerer Jahre gewährt werden sollte (so aber Offerhaus, DStZ 1997, 110 [111]). Entscheidend ist allein die über die bisherigen Bezüge hinausgehende, entschädigungsbedingte Zusammenballung von Einkünften innerhalb eines Veranlagungszeitraums und nicht die Zusammenballung des Entschädigungsbetrags als solchem (vgl. RFH, RStBl 1939, 170). Gegen die von Offerhaus geäußerte Auffassung spricht auch, daß die Zweckbestimmung „Abgeltung des Einnahmeverlustes für mehrere Jahre“ durch schlichte Erklärung jederzeit herbeigeführt werden kann, so daß diese Voraussetzung im Grunde genommen bedeutungslos ist und dazu führt, daß jede Entschädigung, die in einem Betrag oder in einem Veranlagungszeitraum gezahlt wird, in den Anwendungsbereich des § 34 I und II EStG fallen kann.

Das Urteil des Senats in BFH/NV 1996, 204 mißverstanden hat offenbar Schmitz (Besteuerung von Abfindungen und Entschädigungen bei Beendigung oder Änderung des Arbeitsverhältnisses, S. 137). Entgegen ihrer Auffassung war für die Entscheidung nicht die betragliche Übereinstimmung mit dem Jahresgehalt maßgebend, sondern allein, daß es beim Empfänger der Entschädigung nicht zu einer Zusammenballung von Einkünften kam.

Der Auffassung des Senats kann nicht entgegengehalten werden, daß nach der Rechtsprechung ein konkreter Progressionsvorteil nicht verlangt wird (BFHE 137, 345 = BStBl II 1983, 221; BFHE 180, 152 = BStBl II 1996, 416 = NJW 1996, 2328). Denn auch in Fällen, in denen es infolge der Höhe der Einkünfte zu keiner entschädigungsbedingten steuerlichen Progressionsbelastung kommen kann, muß eine Zusammenballung von Einkünften gegeben sein (BFHE 137, 345 = BStBl II 1983, 221); ob es im Einzelfall tatsächlich zu einer Erhöhung der Steuerprogression kommt, ist hingegen ohne Bedeutung.

Es trifft zu, daß es im Einzelfall auch bei relativ geringfügiger Überschreitung der bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erzielbaren Beträge zu einer erheblichen Steuerentlastung kommen kann. Auch kann sich eine für den Steuerpflichtigen günstigere Situation ergeben, wenn das Arbeitsverhältnis erst zum Ende eines Veranlagungszeitraums aufgelöst wird. Diese Konsequenzen ergeben sich aber aus der vom Gesetz vorgegebenen Einkünfteermittlung für den einzelnen Veranlagungszeitraum. Im übrigen tritt die uneingeschränkte Rechtsfolge bei auch nur geringfügiger Überschreitung eines zahlenmäßig definierten Tatbestands immer dann ein, wenn aus Gründen der Praktikabilität keine gestaffelte Abstufung vorgesehen ist (vgl. z.B. § 10e Va EStG, § 5 EigZulG, bei denen das Überschreiten der Einkunftsgrenze zum vollständigen Verlust der Förderung führen kann; vgl. ferner die sog. 50%-Grenze bei der Abgrenzung von Unterhalts- und Versorgungsleistungen).

Die in BFHE 183, 535 (= BStBl II 1997, 753) vorgenommene Beurteilung steht auch nicht - wie Mathiak (LSW Gruppe 3, S. 378) meint - im Widerspruch zu der Entscheidung des Senats vom 16. 3. 1993 (BFHE 170, 445 = BStBl II 1993, 497). Auch in diesem Fall fehlte eine Zusammenballung, da die Entschädigung für die Nichtausübung einer Tätigkeit den bisherigen Jahresbezügen entsprach. Der zu dieser Entscheidung gebildete Leitsatz enthält keine abschließende Auflistung der möglichen Fallgestaltungen (vgl. BFHE 183, 535 = BStBl II 1997, 753 = NJW 1997, 3463).

4. Bei der Berechnung der Einkünfte, die der Kl. bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses im Streitjahr erhalten hätte, hat sich das FG zu Recht an den Lohneinkünften der Vorjahre orientiert und dabei neben dem Fixgehalt auch die Provisionen berücksichtigt. Die Provisionen gehören ebenso wie das Fixum zu den Einkünften aus dem Arbeitsverhältnis. Die Modalität der Berechnung ist insoweit ohne Bedeutung. Maßgebend für die Beurteilung sind die Einkünfte, die sich bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ergeben hätten. Der Umstand, daß im Streitjahr die Provisionseinnahmen voraussichtlich geringer ausgefallen wären, beruhte bereits auf den zwischen dem Kl. und seinem Arbeitgeber bestehenden Differenzen, die dann auch zur Aufhebung des Arbeitsverhältnisses und zur Zahlung einer Entschädigung führten. Im Streitfall ist es danach nicht zu einer Zusammenballung von Einkünften gekommen. Der Kl. hat im Streitjahr unter Einbeziehung der Entschädigung Beträge erhalten, die er bei ungestörtem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ohnehin erhalten hätte. Ein Nachteil, der durch die Anwendung des § 34 I EStG hätte ausgeglichen werden müssen, war nicht gegeben.

Vorinstanzen

FG Köln, 14 K 1802/93, 22.4.1997

Rechtsgebiete

Steuerrecht

Normen

EStG §§ 24 Nr. 1 lit.a, 34 I und II