Anfechtung eines Arbeitsvertrags - Falschbeantwortung der Frage nach Stasi-Mitarbeit

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

28. 05. 1998


Aktenzeichen

2 AZR 549/97


Leitsatz des Gerichts

  1. Die wahrheitswidrige Beantwortung der Frage nach einer Mitarbeit für das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR kann bei einer Einstellung in den öffentlichen Dienst unter Umständen die Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen einer arglistigen Täuschung gem. §§ 123 , 142 BGB rechtfertigen.

  2. Die Anfechtung ist jedoch ausgeschlossen (§ 242 BGB), wenn die Rechtslage des Getäuschten im Zeitpunkt der Anfechtung nicht mehr beeinträchtigt ist (Bestätigung der Rspr., vgl. BAGE 75, 77 [86] = NZA 1994, 407 = NJW 1994, 1363 = AP Nr. 38 zu § 123 BGB).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. war bei der bekl. Berufsgenossenschaft aufgrund eines am 5. bzw. 6. 9. 1990 unterzeichneten Arbeitsvertrages tätig, und zwar nach Abschluß der entsprechenden Ausbildung als technischer Aufsichtsbeamter im Angestelltenverhältnis zu einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt 7000 DM. Der Einstellung gingen zwei im August 1990 in Freiburg geführte Gespräche, und zwar ein Vor- und sodann das sog. Einstellungsgespräch am 21. 8. 1990 vor dem Verwaltungsausschuß des Vorstandes der Bekl. voraus. Hierbei wurde der Kl. nach einer Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR gefragt; der Inhalt seiner Antwort ist streitig. Nach Abschluß des Arbeitsvertrages unterzeichnete der Kl. eine eidesstattliche Versicherung, derzufolge er zu keiner Zeit in den Diensten des Staatssicherheitsdienstes der DDR stand oder für ihn tätig war und keine Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit begangen hat. Mit Schreiben vom 4. 8. 1995 teilte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (im folgenden: Gauck-Behörde) der Bekl. mit, der Kl. sei während seiner Tätigkeit in der Volksmarine nach einer mit dem 21. 2. 1963 begonnenen Kontaktphase ab dem 3. 9. 1964 bis zum 27. 9. 1972 für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als sogenannter Informeller Mitarbeiter (IM) tätig gewesen. Hierüber verhalten sich eine vom Kl. am 21. 2. 1963 unterzeichnete Verpflichtung zur Wahrung des Stillschweigens und zur Mitarbeit sowie eine Verpflichtungserklärung vom 3. 9. 1964. Der Einsatz des Kl. für das MfS erfolgte nach Mitteilung der Gauck-Behörde während der Kontaktphase mit dem Ziel der allgemeinen Absicherung einer Nachrichtenoffiziersschülereinheit der Offiziersschule, danach als IM mit dem Ziel der Absicherung und Aufklärung des Personalbestandes seiner Einheit, insbesondere der Offiziere, mit den Schwerpunkten der politisch-ideologischen Diversion und Verbindung zu negativen Personen in der Umgebung der Dienststelle. Der Kl. erstellte in der Kontaktphase 18 handschriftliche Berichte und als IM weitere 29 Berichte. Es existieren insgesamt 43 Berichte der Führungsoffiziere über Treffen mit dem Kl. Ausweislich eines solchen Berichts des Führungsoffiziers V vom 24. 7. 1963 hat der Kl. selbst zu diesem Kontakt aufgenommen und über Fluchterwägungen eines Offiziersschülers berichtet. Die übrigen Berichte des Kl. betreffen die Einschätzung von Offizieren und Offiziersschülern, die Situation in der Einheit sowie politische Meinungsäußerungen und Westkontakte eines Armeeangehörigen. Seine letzten Berichte datieren vom 12. 1. bzw. 20. 8. 1970; der letzte Treff mit einem Führungsoffizier erfolgte am 11. 8. 1971. Die abschließende Einschätzung der für die Marine zuständigen MfS-Hauptabteilung I vom 30. 9. 1971 erwähnt die Treffdisziplin des Kl., sein Bestreben zur selbständigen Verbindungsaufnahme, die gute Einstellung zum MfS sowie die Bemühung, Aufträge zu erfüllen; er habe während der CSSR-Ereignisse zum Objektivismus geneigt, Unehrlichkeiten gegenüber dem MfS seien jedoch nicht bekannt geworden, der IM sei zur weiteren Verwendung geeignet. Die MfS-Tätigkeit des Kl. wurde anläßlich seiner Versetzung in die Reserve beendet, da die dort zuständige Diensteinheit des MfS trotz seiner entsprechenden Bereitschaft kein Interesse an einer Übernahme hatte. Nachdem die Bekl. den Kl. mit Schreiben vom 14. 11. 1995 um Stellungnahme zum Bericht der Gauck-Behörde gebeten hatte, antwortete der Kl. mit Schreiben vom 26. 11. und 25. 12. 1995. Nach entsprechendem Beschluß des Verwaltungsausschusses vom 9. 2. 1996 focht die Bekl. das Arbeitsverhältnis mit Schrieben vom 1. 3. 1996, zugegangen am 18. 3. 1996, wegen arglistiger Täuschung an mit der Begründung, ein Bekanntwerden der MfS-Tätigkeit führe nicht nur bei den vom Kl. zu betreuenden Betrieben zu einem irreparablen Vertrauensverlust. Der Kl. begehrt mit der Klage Weiterbeschäftigung.

Das ArbG hat die Klage nach Vernehmung der Zeugen Dr. B, F und P zu der Frage, ob der Kl. im Einstellungsgespräch die Frage nach einer Tätigkeit für das MfS verneint hat, abgewiesen; das LAG hat ihr stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Bekl. die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Revision hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Das Arbeitsverhältnis hat zum Zeitpunkt des Zugangs der Anfechtungserklärung der Bekl. am 18. 3. 1996, also ex nunc (vgl. BAGE 41, 54 [64] = NJW 1984, 78 = AP Nr. 24 zu § 123 BGB [zu IV 3] m.w. Nachw.) sein Ende gefunden, womit auch der Weiterbeschäftigungsanspruch entfällt.

I. Das LAG hat angenommen, zwar lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anfechtung des Arbeitsverhältnisses nach § 123 I BGB vor. Die Falschbeantwortung der Frage nach einer MfS-Mitarbeit sei arglistig erfolgt und habe kausal zum Arbeitsvertragsschluß geführt. Die Anfechtung stelle sich jedoch als unzulässige Rechtsausübung dar; der Anfechtungsgrund habe soviel an Bedeutung verloren, daß er die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr rechtfertigen könne.

II. Dem folgt der Senat nur insofern, als das LAG die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 123 I BGB als erfüllt angesehen hat (zu 1), nicht jedoch hinsichtlich der tragenden Begründung, die Anfechtung stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar (zu 2). Die Revision rügt zutreffend eine Verletzung der §§ 123 , 242 BGB.

1. Nach den für den Senat gem. § 561verbindlichen Feststellungen des LAG liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine wirksame Anfechtung vor. Danach hat die arglistig getäuschte Bekl. den Arbeitsvertrag der Parteien gem. § 123 I BGB innerhalb der Frist des § 124 BGB durch Schreiben vom 1. 3. 1996 mit der Nichtigkeitsfolge des § 142 I BGB angefochten.

a) Zur Anfechtung gem. § 123 I BGB berechtigt lediglich die wahrheitswidrige Beantwortung einer in zulässiger Weise gestellten Frage, eine solche setzt ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung voraus (BAGE 75, 77 [81] = NZA 1994, 407 = NJW 1994, 1363 = AP Nr. 38 zu § 123 BGB [zu II 1a] m.w. Nachw.); fehlt es hieran, ist die wahrheitswidrige Beantwortung nicht rechtswidrig.

(1) Nach den nicht mit einer Gegenrüge angegriffenen Feststellungen des LAG ist der Kl. im Einstellungsgespräch nach einer Tätigkeit für das MfS gefragt worden. An diese Feststellung ist der Senat gebunden, § 561 ZPO. Das BerGer. hat ausgeführt, der Kl. habe diese Fragestellung in erster Instanz ausdrücklich eingeräumt und in zweiter Instanz mit seiner Behauptung, zumindest sei nicht allen Bewerbern diese Frage gestellt worden, nicht hinreichend bestritten.

(2) Zutreffend sind beide Vorinstanzen davon ausgegangen, daß die Bekl. den Kl. beim Einstellungsgespräch nach einer Tätigkeit für das MfS fragen durfte und diese Frage grundsätzlich wahrheitsgemäß zu beantworten war. Das entspricht der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 96, 171 = NZA 1997, 992 = NJW 1997, 2307) und des Senats (BAG, NZA 1998, 474 = AP Nr. 37 zu § 1 KSchG1969 Verhaltensbedingte Kündigung [zu II 2c]; BAGE 83, 181 [190] = NZA 1997, 204 = NJW 1997, 886 L = AP Nr. 33 zu § 1 KSchG1969 [zu II 2b bb]; BAG, NZA 1996, 202 = AP Nr. 53 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX [zu II 2]) zu kraft Gesetzes mit dem Beitritt übergegangenen Arbeitsverhältnissen, die darauf abstellt, daß der neue Dienstgeber nach Übernahme des Personals ohne Einstellungsüberprüfung eine der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichtete leistungsfähige öffentliche Verwaltung schaffen mußte.

Bei Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses ist die Frage erst recht zulässig. Nach Art. 33 II GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Zur Eignung in diesem Sinne gehören auch die Fähigkeit und die innere Bereitschaft, die dienstliche Aufgabe nach den Grundsätzen der Verfassung wahrzunehmen, insbesondere die Freiheitsrechte der Bürger zu wahren und rechtsstaatliche Regeln einzuhalten (BVerfGE 92, 140 [151] = NZA 1995, 619; BAGE 28, 62 = NJW 1975, 1708 = APII Nr. 2 zu Art. 33 GG). Bei der Beurteilung der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung als vorausschauender Prognose steht dem öffentlichen Dienst im Rahmen der Gewichtung der Einzelkriterien und bei der Gesamtabwägung aller Umstände ein nur im Hinblick auf sachwidrige Erwägungen oder Verkennung des Art. 33 II GG beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu (BVerfGE 39, 334 [354] = NJW 1975, 1641 = APV Nr. 2 zu Art. 33 GG [zu C I 5]; BVerwGE 68, 109 [110] = NJW 1987, 2699; BVerwGE 86, 244 [246]). Danach ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn bei Einstellungen in den öffentlichen Dienst als Kriterium auch eine etwaige frühere Mitarbeit für das MfS herangezogen wird.

(3) Allerdings besteht das Fragerecht nach MfS-Tätigkeiten in zeitlicher Hinsicht nicht uneingeschränkt. Zutreffend hat das LAG, wenn auch im Rahmen einer Interessenabwägung, auf die lange zurückliegende MfS-Tätigkeit des Kl. hingewiesen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 96, 171 = NZA 1997, 992 = NJW 1997, 2307), der sich der Senat angeschlossen hat (BAG, NZA 1998, 474), hat der Arbeitgeber bei Ausübung des Fragerechts den Zeitfaktor zu berücksichtigen, da sich persönliche Haltungen im Laufe der Zeit ändern können und längere beanstandungsfreie Zeiten auf innere Distanz und Abkehr von früheren Einstellungen hinweisen können. Deshalb haben Tätigkeiten für das MfS, die vor dem Jahre 1970 abgeschlossen sind, je nach dem Grad der Verstrickung keine oder nur äußerst geringe Bedeutung für den Fortbestand übernommener Arbeitsverhältnisse mit der Folge, daß die betroffenen Arbeitnehmer auf eine zeitlich unbeschränkte Frage nach MfS-Tätigkeiten die vor dem Jahre 1970 abgeschlossenen Tätigkeiten verschweigen durften; weiter zurückliegende Tätigkeiten sollen nur dann Bedeutung erhalten, wenn sie besonders schwer wiegen oder wenn spätere Verstrickungen für sich allein genommen noch keine eindeutige Entscheidung zulassen (BVerfGE 96, 171 = NZA 1997, 992 = NJW 1997, 2307; BAG, NZA 1998, 474).

Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt vorliegend, daß sie von der Bekl. gestellte Frage, betrachtet man allein den Zeitablauf, noch zulässig war, weil die Tätigkeit des Kl. nicht vor 1970 beendet war. Die letzten von ihm verfaßten Berichte datieren vom 12. 1. und 20. 8. 1970; er hat selbst die Beendigung seiner Tätigkeit mit dem 20. 8. 1970 angegeben und nicht bestritten, sich noch am 11. 8. 1971 mit einem Führungsoffizier getroffen zu haben. Auch der 6. Senat des BAG sieht im Rahmen der Berechnung von Beschäftigungszeiten im öffentlichen Dienst die IM-Tätigkeit im Zweifel erst mit dem Zeitpunkt als beendet an, in dem der Verpflichtungsanlaß wegfiel (BAG, NZA 1998, 826 u. 829 u. 830).

(4) Eine weitergehende zeitliche Beschränkung des Fragerechts kommt nicht in Betracht. Abzustellen ist wiederum auf die Eignungsrelevanz der fraglichen Tätigkeit. Das Maß der zu fordernden Verfassungstreue als Eignungsmerkmal im Sinne des Art. 33 II GG richtet sich danach, welche konkreten Aufgaben der Arbeitnehmer wahrzunehmen hat; es ist für Arbeitnehmer vielfach nicht das gleiche Maß an Verfassungstreue zu erwarten wie bei Beamten (BAG, NJW 1989, 2562 = AP Nr. 4 zu § 611 BGB Abmahnung [zu IV 1a]; BAGE 53, 137 [146] = NJW 1987, 2699 = APII Nr. 26 zu Art. 33 GG [zu II 2]; BAGE 28, 62 [69] = NJW 1976, 1708 = APII Nr. 2 zu Art. 33 GG [zu III 1b]). Angestellten und Arbeitern sollen in der Regel keine hoheitlichen Aufgaben übertragen werden (Art. 33 IV GG); es gibt in der staatlichen Verwaltung im weitesten Sinne zahlreiche Aufgaben, für die es etwa auf eine gesteigerte politische Treuepflicht nicht ankommt, z. B. Reinigungstätigkeiten oder solche in Büro- oder technischen Berufen (BAGE 28, 62 [69] = NJW 1976, 1708)). Die Beschäftigung eines belasteten Arbeitnehmers mit rein vollziehender Sachbearbeitung oder handwerklicher Tätigkeit beeinträchtigt das Vertrauen in die Verwaltung weniger als die Ausübung von Entscheidungs- und Schlüsselfunktionen durch einen ebenso belasteten Arbeitnehmer (BAG, Urt. v. 16. 10. 1997 - 8 AZR 702/95 unveröff. [zu B II 2]; vgl. BAG, NJ 1993, 379 [380] für einen Koch).

Der Kl. wurde keinesfalls nur untergeordnet tätig. Aus den Betreuungs-, Untersuchungs- und Anordnungskompetenzen, deren Durchsetzung zudem durch Bußgeldvorschriften gesichert ist, ergibt sich vielmehr, daß ihm als Angestelltem entgegen der Regelfallanordnung des Art. 33 IV GG die Ausübung hoheitlicher Befugnisse übertragen war. Bei einer Verwendung in derartigen Bereichen wird eine weitere zeitliche Einschränkung des Fragerechts regelmäßig nicht in Betracht kommen. Dies gilt hier ungeachtet der vom LAG aufgezeigten entlastenden Umstände angesichts des Grades der Verstrickung. In der MfS-Akte des Kl. befinden sich insgesamt 90 Berichte, davon 57 eigene Berichte des Kl., von denen er bereits vor seiner Werbung zum IM immerhin 18 verfaßt hat. Der Inhalt seiner Berichte war jedenfalls nicht ausnahmslos harmlos, so hat der Kl. unter anderem am 19. 7. 1963 auf eigene Initiative von Fluchtgedanken eines Offiziersschülers berichtet. Die Tätigkeit des Kl. als IM wurde auch nicht durch ihn selbst, sondern wegen mangelnder Verwendung durch das MfS beendet; der Kl. war im Gegenteil zu weiterer Zusammenarbeit bereit. Auch unter Berücksichtigung des Verstrickungsgrades war die Frage der Bekl. nach einer MfS-Tätigkeit des Kl. somit individualrechtlich zulässig.

(5) Die Fragestellung im Vorstellungsgespräch war auch kollektivrechlich zulässig, verstieß nämlich nicht gegen § 75 III Nr. 8 BPersVG, wonach der Personalrat beim Inhalt von Personalfragebogen mitzubestimmen hat. Es fehlte vorliegend hinsichtlich der dem Kl. abverlangten Erklärungen schon am Tatbestandsmerkmal eines Personalfragebogens.

b) Zutreffend haben die Vorinstanzen auch das Vorliegen einer Täuschungshandlung des Kl. in Form einer nicht wahrheitsgemäßen Antwort bejaht. Das ArbG hat es nach Beweisaufnahme als erwiesen angesehen, daß der Kl. die ihm gestellte Frage verneint habe; hierin läge unzweifelhaft eine Täuschungshandlung. Das LAG hat hingegen nicht auf diesen erbrachten Beweis abgestellt, sondern auf die vom Kl. selbst zugestandene Antwort, er habe während seiner Militärzeit Kontakte zur Militärabwehr gehabt; diese Antwort sei aufgrund des entstellenden Ausdrucks „Kontakte“ und der verschwiegenen Verpflichtungserklärung unrichtig. Diese Begründung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und wird auch vom Kl. nicht mit einer Gegenrüge angegriffen. Nach dem vorbringen des Kl. liegt eine Täuschungshandlung vor, weil der Ausdruck „Kontakte“ in der Tat entstellend ist und die aktive Tätigkeit des Kl. in Form von 47 eigenen Berichten ebenso verschweigt wie die Erklärung über Schweigepflicht und Bereitschaft zur Mitarbeit vom 21. 2. 1963 und die Verpflichtungserklärung vom 3. 9. 1964. Auch seine Angaben zum Einstellungsgespräch, seine zivilen Forschungsberichte seien wohl bei der Armeeabwehr gelandet, waren falsch und irreführend: Der Kl. hat nicht bestritten, tatsächlich nie Forschungsarbeiten verrichtet zu haben. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang die Auffassung des Kl., die Bekl. hätte präzise nachfragen und weitere Aufklärung betreiben müssen. Selbst grobe Fahrlässigkeit des Erklärungsempfängers schließt das Vorliegen einer Täuschung nicht aus (st. Rspr., vgl. BGHZ 33, 302 [310] = NJW 1961, 164 m.w. Nachw.; BGHZ 135, 269 = NJW 1997, 1845 = LM H. 9/1997 WoVermittG Nr. 1 m.w. Nachw.). Daß die Bekl. tatsächlich über die aktive MfS-Tätigkeit des Kl. geirrt hat, wird auch vom Kl. nicht in Abrede gestellt.

c) Die unrichtige Beantwortung der Frage im Vorstellungsgespräch war kausal für den Abschluß des Arbeitsvertrags. Das ist der Fall, wenn ohne den erzeugten Irrtum die Willenserklärung nicht abgegeben worden wäre, wobei Mitursächlichkeit der Täuschung genügt und es ausreicht, wenn er Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluß von Bedeutung sein können und die Täuschung nach der Lebenserfahrung Einfluß auf die Entscheidung haben kann (BAGE 75, 77 [84] = NZA 1994, 407 = AP Nr. 38 zu § 123 BGB [zu II 1b ee]; BGHZ 135, 269 = NJW 1997, 1845 = LM H. 9/1997 WoVermittG Nr. 1 jew. m.w. Nachw.). Zutreffend ist das LAG davon ausgegangen, daß allein die vom Kl. zugestandene Fragestellung im Einstellungsgespräch die Kausalität indiziert. Diese tatrichterliche Feststellung der Kausalität ist nicht zu beanstanden, zumal die mit umfassenden Kontroll- und Anweisungsbefugnissen einhergehende hoheitliche Art der Tätigkeit die Fragestellung nahelegte. Der Kl. hat auch selbst nicht behauptet, die Bekl. habe ihn unabhängig von jedem Umfang etwaiger MfS-Tätigkeiten in jedem Falle „blind“ einstellen wollen.

d) Der Kl. handelte auch arglistig. Das ist der Fall, wenn der Täuschende die Unrichtigkeit seiner Angaben kennt und zumindest billigend in Kauf nimmt, der Erklärungsempfänger könnte durch die Täuschung beeinflußt werden (BAGE 75, 77 [84] = NZA 1994, 407 = NJW 1994, 1363 = AP Nr. 38 zu § 123 BGB [zu II 1b ff.]). Eine Gegenrüge des Kl. zum Vorliegen der vom LAG festgestellten Arglist liegt nicht vor. Angesichts der Dauer der MfS-Tätigkeit und der Zahl der verfaßten Berichte muß trotz des vergangenen Zeitraums davon ausgegangen werden, daß der Kl. die Unrichtigkeit seiner Angaben kannte. Die Täuschungsabsicht ergibt sich daraus, daß er nach seiner Entlassung auf die Kenntnis der Armeeabwehr von seinen zivilen Forschungsberichten hingewiesen hat, obwohl er solche Arbeiten nie durchgeführt hat. Hierin liegt eine bewußte Irreführung. Damit ist § 123 I BGB tatbestandlich erfüllt.

e) Das Anfechtungsrecht der Bekl. war nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Kl. sich anläßlich seiner nach Eingang des Gauck-Berichts erfolgten Befragung zu der von ihm abgegebenen Erklärung über Tätigkeiten für das MfS und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines Kollegen, der ebenfalls für das MfS tätig war, fernmündlich mit der Personalabteilung in Verbindung gesetzt hat und ihm mitgeteilt worden war, es handele sich um eine reine Formsache, die Angelegenheit sei dann erledigt. In dieser Äußerung wie auch in der einstweiligen Weiterbeschäftigung des Kl. liegt keine auch konkludent mögliche, die Anfechtung ausschließende Bestätigung i.S. von § 144 I BGB. Es ist schon nicht erkennbar, daß die Äußerung durch einen „Anfechtungsberechtigten“ im Sinne dieser Vorschrift, also ein vertretungsberechtigtes Organ, erfolgt sein soll. Zudem kann eine Erklärung nur dann als Bestätigung qualifiziert werden, wenn sie in Kenntnis der Anfechtbarkeit abgegeben wird, was auch Kenntnis der die Anfechtung begründenden Tatsachen umfaßt (Mayer-Maly, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 144 Rdnr. 4). Hiervon konnte der Kl. schon deshalb nicht ausgehen, weil bei diesem Telefonat „im November“ jedenfalls noch seine schriftliche Stellungnahme vom 25. 12. 1995, möglicherweise auch noch die vom 26. 11. 1995, ausstand. Diese Gewährung rechtlichen Gehörs durch die Bekl. ist nicht zu beanstanden.

f) Die Jahresfrist zur Anfechtung aus § 124 BGB ist mit der am 18. 3. 1996 zugegangenen Anfechtungserklärung eingehalten. Der seit dem Gauck-Bericht vom 4. 8. 1995 verstrichene Zeitraum löst entgegen der Auffassung des Kl. keine Verwirkung (§ 242 BGB) aus. Bereits das Zeitmoment ist angesichts des Zwischenzeitraums von weit unter einem Jahr nicht erfüllt. Aus der dem Getäuschten vom Gesetzgeber gewährten Jahresfrist ergibt sich, daß er das Interesse des Täuschenden an baldiger Entscheidung über die Anfechtung gering einschätzt (BAG, NZA 1998, 374 = NJW 1998, 2694 = AP Nr. 45 zu § 242 BGB Verwirkung [zu II 3]). Es fehlt außerdem an dem erforderlichen Umstandsmoment, weil der Kl. nicht einmal vorgetragen hat, daß die Bekl. zu erkennen gegeben habe, die Prüfung der Vorwürfe und seiner beiden Einlassungen sei abgeschlossen, eine Anfechtung werde nicht mehr erfolgen.

2. Entgegen der Auffassung des LAG verstieß die Ausübung des Anfechtungsrechts durch die Bekl. vorliegend nicht gegen Treu und Glauben, § 242 BGB.

a) Richtig ist, daß auch das Recht zur Anfechtung unter dem Vorbehalt steht, daß seine Ausübung nicht gegen Treu und Glauben verstößt; die Anfechtung ist danach dann ausgeschlossen, wenn die Rechtslage des Getäuschten im Zeitpunkt der Anfechtung durch die arglistige Täuschung nicht mehr beeinträchtigt ist (seit BAGE 22, 278 = NJW 1970, 1565 = AP Nr. 17 zu § 123 BGB; zuletzt BAGE 75, 77 [86] = AP Nr. 38 zu § 123 BGB [zu II 1e] m.w. Nachw.).Gerade auch aufgrund der Tatsache, daß das Arbeitsverhältnis ein Dauerschuldverhältnis darstellt, kann sich ergeben, daß der Anfechtungsgrund angesichts der nachträglichen Entwicklung soviel an Bedeutung verloren hat, daß er eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr rechtfertigen kann (vgl. BAGE 22, 278 [281] = NJW 1970, 1565; BAGE 75, 77 [86] = NZA 1994, 407).

b) Das LAG ist zu Unrecht davon ausgegangen, die Voraussetzungen für einen Ausschluß des Anfechtungsrechts lägen hier vor. Die Revision rügt zutreffend, daß im Rahmen des § 123 I BGB keine Interessenabwägung vorzunehmen und auch nicht darauf abzustellen ist, ob ein fingierter objektiver Arbeitgeber bei Kenntnis aller Umstände von einer Einstellung Abstand genommen hätte. Für die Frage, ob die Rechtslage der Bekl. zum Zeitpunkt der Anfechtungserklärung am 18. 3. 1996 nicht mehr beeinträchtigt war, ist nach der oben erörterten Rechtsprechung auf die vertraglich geschuldete Leistung und den mit der Fragestellung verfolgten Zweck abzustellen. Diese Prüfung hat das LAG nach Auffassung des Senats nur verkürzt durchgeführt und insbesondere die Aufgaben der Bekl. und die Art der Tätigkeit des Kl. nicht hinreichend beachtet.

Die Bekl. ist als Träger der Sozialversicherung (Versicherungsträger) gem. § 29 I SGB IV eine rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Der Kl. wurde für die Tätigkeit eines technischen Aufsichtsbeamten eingestellt, was nach der zutreffenden Auffassung der Revision eine hoheitliche Vertrauensposition darstellt, denn nach § 712 I RVO haben die Berufsgenossenschaften durch technische Aufsichtsbeamte die Durchführung der Unfallverhütung zu überwachen und ihre Mitglieder zu beraten; gem. § 714 I RVO sind die technischen Aufsichtsbeamten berechtigt, die Mitgliedsunternehmen zu besichtigen und Auskunft über Einrichtungen, Arbeitsverfahren und Arbeitsstoffe zu verlangen sowie Proben von Arbeitsstoffen zu entnehmen und bei Gefahr im Verzug sofort vollziehbare Anordnungen zur Beseitigung von Unfallgefahren zu treffen; die Behinderung der technischen Aufsichtsbeamten bei Erfüllung dieser Aufgaben ist gem. § 717a RVO als Ordnungswidrigkeit sanktionsbewehrt. Entsprechende Kompetenzen der nunmehrigen „Aufsichtspersonen“ enthalten mit Geltung ab dem 21. 8. 1996 (Art. 36 des Gesetzes zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch [Unfallversicherungs-Einordnungs-Gesetz-UVEG] v. 7. 8. 1996, BGBl I, 1254) die §§ 17 bis 19 SGB VII, wobei die Bußgeldvorschrift des § 209 I Nrn. 2, 3 SGB VII erst mit Wirkung vom 1. 1. 1997 in Kraft getreten ist (Art. 36 UVEG).

Vor dem Hintergrund der Qualifizierung der Bekl. als Körperschaft des öffentlichen Rechts mit der entsprechenden Wahrnehmung von öffentlichen Überwachungs- und Beratungsaufgaben durch den Kl. kann entgegen der Auffassung des LAG nicht angenommen werden, daß die Rechtsposition der Bekl. durch die frühere Stasi-Tätigkeit des Kl. zum Zeitpunkt der Anfechtungserklärung nicht mehr beeinträchtigt war. Dabei kann zugunsten des Kl. eine bisher fachlich beanstandungsfreie Tätigkeit unterstellt werden. Eine glaubwürdige rechtsstaatliche Verwaltung kann nicht auf der Annahme aufgebaut werden, die Belastung eines Mitarbeiters werde schon nicht bekannt werden. Die Bekl. hat schon im Anfechtungsschreiben, auf welches sie sich im Prozeß berufen hat, darauf hingewiesen, daß ein Bekanntwerden der MfS-Tätigkeit des Kl. zu einem irreparablen Vertrauensverlust nicht nur bei den vom Kl. zu betreuenden Betrieben führen würde. Diese Annahme erscheint jedenfalls nach einer gerade fünfjährigen Tätigkeit des Kl. bei der Bekl. gerechtfertigt. Diese Zeit reicht noch nicht aus, um davon auszugehen, es sei bereits „Gras über die Angelegenheit gewachsen“.

Das BerGer. nimmt zur Begründung des Ausschlusses des Anfechtungsrechts zu Unrecht eine umfassende Interessenabwägung vor und stellt darauf ab, ob ein objektiver Arbeitgeber bei Kenntnis aller Umstände von einer Einstellung des Kl. Abstand genommen hätte. Das Recht zur Anfechtung wird nicht durch das Recht zur außerordentlichen Kündigung verdrängt (st. Rspr., vgl. BAGE 75, 77 [80] = NZA 1994, 407 = NJW 1994, 1363 = AP Nr. 38 zu § 123 BGB [zu II 1] m.w. Nachw.); eine Interessenabwägung ist bei § 123 I BGB,wie bereits das ArbG zutreffend ausgeführt hat, im Gegensatz zu § 626 I BGB nicht vorgesehen. Sie ist auch systemwidrig, denn § 123 BGB schützt die „freie Selbstbestimmung auf rechtsgeschäftlichem Gebiete“, indem es in den „Willen des Verletzten“ gestellt wird, ob dieser wegen Täuschung anficht oder nicht (Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Bd. I, 204). Demgegenüber hat § 626 BGB nicht die Beseitigung einer seinerzeit fehlerhaften Willensbildung zum Gegenstand, sondern die Beseitigung eines Vertrages wegen aktueller Leistungsstörung (vgl. Richardi, in: Münch Hdb. z. ArbeitsR § 44 Rdnrn. 24ff.), wobei für die Bewertung der Störung des Vertrags die Interessen beider Vertragspartner zu berücksichtigen sind, während der Schutz der Willensbildung des gutgläubigen Einzelnen durch § 123 I BGB nur auf dessen Interessen abstellt, nicht aber auf die des täuschenden Vertragspartners oder Erklärungsempfängers. Das ergibt sich auch daraus, daß die Vorschrift des § 123 I BGB lediglich verlangt, daß der Anfechtende durch die Täuschung zur Abgabe der Willenserklärung bestimmt worden ist, mithin die bloße subjektive Kausalität ausreichen läßt (vgl. BGH, NJW 1967, 1222 [1223]; BGH, WM 1978, 221 [222]; Kramer, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 123 Rdnr. 1 m.w. Nachw., (Rdnr. 9, 40; Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Aufl., § 123 Rdnr. 23 m.w. Nachw.), während z.B. die Irrtumsanfechtung nach § 119 BGB voraussetzt, daß anzunehmen ist, daß der Erklärende die Erklärung bei Kenntnis der Sachlage und bei „verständiger“ Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. Mit dieser Formulierung wird die Kausalität einem objektiven, normativen Maßstab unterzogen (RG, JW 1937, 1242; Kramer, in MünchKomm, § 119 Rdnr. 126; Soergel/Hefermehl, § 119 Rdnr. 67). Schützt § 123 I BGB mithin die subjektiv-konkrete Freiheit der Willensbildung vor Täuschung, kann es für die Frage des Ausschlusses des Anfechtungsrechts wegen zwischenzeitlich eingetretener Bedeutungslosigkeit des Anfechtungsgrundes auf eine Würdigung auch der Interessen des Täuschenden ebensowenig ankommen wie auf die Betrachtungsweise eines objektiven, getäuschten Erklärungsempfängers.

Der Kl. hat auch seinerseits keine Umstände aufgezeigt, die erkennbar werden ließen, daß die Rechtslage der von ihm getäuschten Bekl. nach erst fünfjähriger Tätigkeit, wovon noch ein nicht unerheblicher Zeitraum auf die für ihn notwendige Ausbildungszeit nebst Abschlußprüfung entfällt (§ 712 III RVO, § 18 II SGB VII), nicht mehr beeinträchtigt wäre. Die Fortdauer der Beeinträchtigung erscheint wegen der ersichtlich falschen eidesstattlichen Versicherung und auch deshalb naheliegend, weil die Bekl. noch gewärtigen müßte, daß der Kl. bei einer seiner Überwachungstätigkeiten mit einer der von ihm früher bespitzelten Personen zusammentreffen könnte.

Vorinstanzen

LAG Hamburg, 2 Sa 3/97, 27.5.1997

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BGB §§ 119, 123, 242, 626