Bericht über Verkehrsdelikt Prinz Ernst August von Hannover

Art der Entscheidung

Schriftsatz der Kanzlei


Datum

04. 12. 2003


Aktenzeichen

9 U 358/03


Entscheidungsgründe


I.

Die Antragsgegnerin hat in BUNTE vom 21.08.2003 (wahrheitsgemäß) berichtet:

Prinz Ernst August von Hannover, 49, ist von einem Verkehrsgericht in Joigny (Burgund) zu 728 Euro Geldstrafe und einem Monat Führerscheinentzug verurteilt worden. Der Prinz war auf der Autobahn Paris - Lyon bei Tempo 211 geblitzt worden. In Frankreich besteht ein Tempolimit von 130 km/h.“

Das Landgericht ist der Auffassung, die Antragsgegnerin habe mit dieser Textberichterstattung das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers verletzt. Die Ausführungen des Urteils halten einer rechtlichen Überprüfung jedoch nicht Stand. Die angegriffene Berichterstattung greift nicht unzulässig in die Persönlichkeitsrechte des Antragstellers ein, so dass diesem ein Unterlassungsanspruch nach §§ 823 Abs. 1 analog 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht zusteht.


II.

Das Landgericht geht zunächst - was nicht zu beanstanden ist - davon aus, dass Pressepublikationen über Straftaten - sofern die Identität des Täters oder des Tatverdächtigen aufgedeckt wird - nur unter gewissen Voraussetzungen zulässig seien. Es hat in diesem Zusammenhang darauf abgestellt, dass es sich bei dem Antragsteller - anders als bei seiner Ehefrau - nicht um eine „absolute“ Person der Zeitgeschichte handele. Die Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts, wonach der Antragsteller (noch) nicht als absolute Person der Zeitgeschichte einzuordnen sei, ist nach diesseitigem Dafürhalten aber zweifelhaft. Anders etwa als die Familienmitglieder des Hauses Hohenzollern nimmt der Antragsteller - als Oberhaupt des Welfenhauses - eine Fülle von Funktionen von allgemeiner gesellschaftlicher und politischer Bedeutung in der Öffentlichkeit wahr, wie es sich - falls nicht schon gerichtsbekannt - etwa aus der Internetseite der Welfen („www.welfen.de“) ergibt. Dies gilt nach de Eheschließung des Antragstellers mit Prinzessin Caroline von Monaco umso mehr. Die Ehefrau des Antragstellers, Prinzessin Caroline von Monaco, wird bekanntermaßen nach ständiger Rechtssprechung des BGH als „absolute“ Person der Zeitgeschichte eingeordnet, der Antragsteller selbst dagegen nicht. Diese absurde Situation, dass der Antragsteller nicht als „absolute“ Person der Zeitgeschichte, seine Ehefrau jedoch als solche von der Rechtsprechung anerkannt ist, wird dadurch noch verstärkt, dass Prinzessin Caroline ja erst durch ihre Hochzeit mit dem Antragsteller in den europäischen Hochadel aufgestiegen ist.

Die genauere Einordnung des Antragstellers kann jedoch an diese Stelle dahinstehen, denn die Antragsgegnerin hat sich - wie aus der Widerspruchsbegründung ersichtlich - gar nicht darauf berufen, dass der Antragsteller „absolute“ Person der Zeitgeschichte ist. Sie hat das öffentliche Berichterstattungsinteresse vielmehr aus anderen Umständen hergeleitet. Insbesondere hat sie sich nicht auf die Begleiterrechtsprechung bzw. das Vorliegen einer „Begleitsituation“ berufen.


III.

Wie allgemein bekannt, sind die von Rechtsprechung und Lehre entwickelten Figuren der „absoluten“ oder „relativen“ Person der Zeitgeschichte nur vereinfachende Ausdrucksweisen für die stets im Einzelfall vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen (vgl. BVerfG, AfP 2001, 212, 214). Der Begriff der „Zeitgeschichte“ ist nach einhelliger Auffassung extensiv zu verstehen. Schon in der Begründung zum Entwurf des KUG wird darauf hingewiesen, dass er im „weitesten“ Sinne auszulegen ist (GRUR 1906, 11, 25). Er umfasst nicht nur das politische, sondern darüber hinaus auch das gesamte soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben. Zur Zeitgeschichte gehören demnach alle Ereignisse, die aus irgendeinem Grund in das Blickfeld der Öffentlichkeit geraten sind (vgl. schon RGZ 123, 80 „Tull Harder“; BGH NJW 1965, 2148 „Spielgefährtin“) und woran gegenwärtig ein allgemeines Interesse besteht. Diesem Bereich zuzuordnen sind daher vor allem Personen, die im öffentlichen Leben stehen und daher ein „allgemeines Interesse“ wachrufen (Begründung zum Entwurf des KUG, a.a.O., S. 25). Der Antragsteller ist bekanntlich nicht nur aufgrund seiner adligen Herkunft und seiner Ehe mit Prinzessin Caroline, sondern durch eine Reihe von Affären in das Blickfeld der Öffentlichkeit geraten, die ihn - losgelöst von einer Begleitsituation zu Prinzessin Caroline - selbst zum Gegenstand des öffentlichen Interesses machen. Im Hinblick auf den Begriff der „Zeitgeschichte“ hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung „Caroline“ (NJW 2000, 1021, 1025) für Klarheit gesorgt und ausgeführt:

„Es trägt der Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit Rechnung, ohne den Persönlichkeitsschutz unverhältnismäß zu beschneiden, dass der Begriff der ‚Zeitgeschichte’ nicht nach Maßgabe einer richterlichen Inhaltsbestimmung etwa allein Vorgänge von historischer oder politischer Bedeutung erfasst, sondern vom Informationsinteresse der Öffentlichkeit her bestimmt wird. Zum Kern der Presse- und der Meinungsbildungsfreiheit gehört es, dass die Presse innerhalb der gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzt, in dem sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden kann, was öffentliches Interesse beansprucht, und dass sich im Meinungsbildungsprozess herausstellt, was eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ist.“

(Hervorhebung durch den Verfasser)

Wie bereits in I. Instanz ausführlich vorgetragen, ist der Antragsteller im Zusammenhang mit seinen „Prügelaffären“ in der jüngeren Vergangenheit massiv in die Schlagzeilen geraten und hat hierdurch ein überragendes Informationsinteresse geweckt. Über all diese Fälle ist - wie erstinstanzlich vorgetragen - unwidersprochen berichtet worden:

  • Januar 1998:
    Strafanzeige wegen Körperverletzung, staatsanwaltliche Ermittlungen wegen des Verdachts der Körperverletzung;

  • Januar 2000:
    Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hannover wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung;

  • März 2000:
    Strafanzeige wegen Beleidigung und übler Nachrede;

  • Juni 2000:
    Strafanzeige wegen Beleidigung und Nötigung;

  • Dezember 2001:
    Strafanzeige wegen Körperverletzung;

  • Februar 2003:
    Anklage der Staatsanwaltschaft Feldkirch (Österreich) wegen vorsätzlicher Körperverletzung;

  • März 2003:
    Schadensersatzklage einer Fotografin, deren Kamera nach einem tätlichen Angriff des Antragstellers zu Bruch gegangen war;

  • Sommer 2003:
    Strafanzeige wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung.

Auf die in I. Instanz als Anlagen AG 1 bis AG 3 vorgelegten Pressemitteilungen darf insofern ergänzend Bezug genommen werden.


IV.

Selbst wenn der Antragsteller (noch) nicht zum Kreis der „absoluten“ Personen der Zeitgeschichte gehören sollte, so nimmt er aufgrund seiner Funktion eine herausragende gesellschaftliche Stellung ein, die ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit daran begründet, zu erfahren, wie er sich auch außerhalb der Funktion eines (mittelbaren) Repräsentanten des Fürstenhauses von Monaco sowie als unmittelbarer Repräsentant des europäischen Hochadels in der Öffentlichkeit bewegt und wie er sich zur Rechtsordnung stellt. Die Öffentlichkeit hat ein berechtigtes Interesse daran zu erfahren, ob Personen wie der Antragsteller, die oft als Idol oder Vorbild gelten, funktionales und persönliches Verhalten überzeugend in Einstimmung bringen. Eine Begrenzung der Berichterstattung auf seine Funktion als Angehöriger des Fürstenhauses und des Hochadels würde demgegenüber das öffentliche Interesse, welches seine Person berechtigterweise weckt, nur unzureichend berücksichtigen und zudem eine selektive Darstellung begünstigen, welche der Medienöffentlichkeit Beurteilungsmöglichkeiten vorenthielte, die sie für den Antragsteller - als Person des gesellschaftlich-politischen Lebens - wegen seiner Leitbildfunktion und seines Einflusses benötigt (vgl. BVerfG, NJW 2000, 1021, 1025).

So hat der BGH (NJW 1999, 2893 „Ehebruch“) auch bestätigt, dass über den Scheidungsgrund (Ehebruch) der Scheidung des Antragstellers von seiner ersten Ehefrau Prinzessin Chantal berichtet werden durfte, weil der Antragsteller „nicht nur wegen seiner Abstammung, sondern auch als Begleiter der ständig im Licht der Öffentlichkeit stehenden Prinzessin Caroline von Hannover die Aufmerksamkeit einer breiten Leserschaft auf sich zieht.“

Der Antragsteller hatte in diesem Verfahren (erfolglos) die Unterlassung der Veröffentlichung bestimmter Teile eines Berichtes über seine Ehescheidung geltend gemacht, nachdem sich aus den Scheidungsakten ergeben hatte, dass der Kläger einen „Ehebruch“ begangen hatte. Der BGH (a.a.O., S. 2894) hat das Berufungsurteil unter anderem mit folgenden Ausführungen aufgehoben:

„Nicht zu folgen ist dem Berufungsgericht jedoch bei der Gewichtung der in die Abwägung einzustellenden Umstände und bei dem daraus hergeleiteten Vorrang des Persönlichkeitsrechts des Klägers.

Auf einer rechtlich unzutreffenden Sicht beruht bereits das zu Ungunsten der Beklagten in die Waagschale gelegte Argument, die Mitteilung über den Ehebruch des Klägers sei auf in Anbetracht seiner Zugehörigkeit zum deutschen und britischen Hochadel und seiner Eigenschaft als Urenkel des letzten deutschen Kaisers für die Öffentlichkeit ohne jeden tatsächlichen Belang.

Das Berufungsgericht beachtet bei dieser Qualifikation nicht hinreichend, dass nicht nur ‚wertvolle’ Informationen der Presse unter die Pressefreiheit des Art. 5 I 2 GG fallen, sondern dass diese Freiheit grundsätzlich auch zugunsten der Unterhaltungs- und Sensationspresse und damit auch für Mitteilungen besteht, die in erster Linie das Bedürfnis einer mehr oder minder breiten Leserschicht nach oberflächlicher Unterhaltung befriedigen (vgl. BVerfGE 55, 203, 222 f.; BVerfG, NJW 1973, 1221, 1124).

Im Streitfall kommt hinzu, dass der Kläger nicht nur wegen seiner Abstammung, sondern auch als Begleiter der ständig im Licht der Öffentlichkeit stehenden Prinzessin Caroline von Monaco (...) die Aufmerksamkeit einer breiten Leserschaft auf sich zieht. Mag auch deren Interesse nicht als besonders wertvoll zu qualifizieren sein, so kann das Bedürfnis nach seiner Befriedigung entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts doch nicht als nicht berechtigt aus dem Schutzbereich der für die freiheitlich-demokratische Grundordnung schlechthin konstituierenden Pressefreiheit (BVerfGE 35, 202, 221) ausgegrenzt werden. Gerade bei der Presse muss vielmehr die Notwendigkeit einer Einschränkung der Freiheit in der Berichterstattung überzeugend nachgewiesen werden (vgl. EGMR, NJW 1999, 1315, 1316).

Ein zu Lasten der Beklagten erheblich zu geringes Gewicht wird vom Berufungsgericht ferner dem Umstand beigemessen, dass es sich bei der Mitteilung über den Ehebruch des Klägers auch mit dem Aussagegehalt, den ihr das Berufungsgericht beilegt, um die Behauptung einer wahren Tatsache handelt. Dies wird auch von der Revisionserwiderung nicht in Frage gestellt. Bei einer wahren Aussage ist zwar grundsätzlich ebenfalls eine Abwägung der beiderseitigen Grundrechtspositionen geboten (...); eine solche Aussage muss aber, auch wenn sie für den Betroffenen nachteilig ist, eher hingenommen werden (BVerfGE 97, 391, 403 = NJW 1998, 2889, BVerfG, NJW 1999, 1322, 1324). Dies gilt vor allem dann, wenn sie, wie die lediglich pauschale Mitteilung eines formalen Scheidungsgrunds im Streitfall, keinen sonderlich intensiven Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellt.“

(Unterstreichung d. d. Verfasser)

Gleiches muss auch für die hier streitgegenständliche und unstreitig wahrheitsgemäße Berichterstattung gelten, zumal die Nachricht über eine Geschwindigkeitsüberschreitung keinem nennenswerten Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Antragstellers gleichkommt. Insbesondere wird das öffentliche Interesse an dem Antragsteller auch deshalb besonders nachhaltig geschürt, weil dieser sich aufgrund der Vielzahl seiner Verfehlungen unter strafrechtlicher „Bewährung“ befindet und das Augenmerk der Öffentlichkeit demgemäß darauf gerichtet ist, wie und in welcher Form er sich der Gesellschaft gegenüber und deren rechtlichen Normen stellt. Die öffentliche Meinungsbildung über den Antragsteller ist - insbesondere vor dem Hintergrund seiner zur Bewährung ausgesetzten Strafen - wesentlich auch gerade dadurch geprägt, dass sie über Lebenseinstellungen, Werthaltungen und Verhaltensmuster informiert werden will, die zeigen, wie der Antragsteller sich gegenüber den sozialen, gesellschaftlichen und rechtlichen Normen verhält. Wenn aber bereits über die bisherigen (schwerwiegenden) Verfehlungen des Antragstellers und die daraufhin erfolgten strafrechtlichen Sanktionen berichtet werden durfte und berichtet werden darf, ist nicht nachzuvollziehen, weshalb eine wertneutrale, sachliche Unterrichtung des Publikums im Zusammenhang mit einer Verkehrsüberschreitung unzulässig in die Persönlichkeitsrechte des Antragstellers eingreifen soll.


V.

Insbesondere hat das Landgericht dem Grundrecht der Presse- und Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG ein zu geringes Gewicht beigemessen, in dem es darauf abstellt, dass die streitgegenständliche Berichterstattung lediglich zur Befriedigung „reiner Unterhaltungsinteressen“ diene bzw. zur „Verbreitung von Klatsch und Tratsch“ erfolge. Abgesehen davon, dass die Meinungs- und Pressefreiheit auch rein unterhaltende Beiträge umfasst, (vgl. BVerfG NJW 2000, 1021, 1024; BVerfG NJW 2001, 1921, 1923) steht hier ein völlig anderer Gesichtspunkt im Mittelpunkt des öffentlichen Berichterstattungsinteresse: Der Antragsteller, der unter strafrechtlicher Beobachtung steht, hat die Verkehrsstraftat als Angehöriger eines europäischen Fürstenhauses und des deutschen und britischen Hochadels begangen. Die Art und Weise, wie der Antragsteller mit seiner „Bewährungsstrafe“ umgeht, welche „Haltung zu den Gesetzen“ er an den Tag legt und inwiefern er sein Handeln an den Gesetzen ausrichtet oder diesen gegenüber eine „gleichgültige“ Haltung an den Tag legt, kommt hier eine erhöhte Bedeutung zu. Insbesondere deshalb, weil das mehrfach strafrechtlich sanktionierte Verhalten des Antragstellers in der Öffentlichkeit als solches bereits Gegenstand des berechtigten öffentlichen Informationsinteresses ist.

Das vom Landgericht vermisste Merkmal des „gemeinsamen öffentlichen Auftretens“ des Antragstellers mit Prinzessin Caroline ist im vorliegenden Zusammenhang daher verzichtbar. Es geht hier nicht um die Frage, ob Fotos des vertrauten Begleiters einer Person der Zeitgeschichte veröffentlicht werden dürfen, sondern um eine reine Textveröffentlichung. Wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, brauchen Unterlassungsansprüche hinsichtlich einer Wortberichterstattung aber nicht zwingend analog §§ 22, 23 KUG behandelt zu werden (BVerfG NJW 2000, 2193).


VI.

Nach alldem hat der Antragsteller die angegriffene Textberichterstattung zu dulden. Sie greift nicht unzulässig in seine Persönlichkeitsrechte ein. Zur Vermeidung von Wiederholungen beziehen wir uns im Übrigen auf unseren Vortrag I. Instanz und machen diesen vollinhaltlich auch zum Gegenstand des Berufungsverfahrens.

Rechtsgebiete

Presserecht