Keine fristlose Kündigung bei langjähriger Alkoholkrankheit

Gericht

ArbG Frankfurt a.M.


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

10. 02. 1999


Aktenzeichen

7 Ca 4924/98


Leitsatz des Gerichts

Selbst wenn der Arbeitnehmer über mehrere Jahre alkoholkrank und infolgedessen ein ordentlicher Betriebsablauf nicht mehr möglich war, muss der Arbeitgeber die Frist der ordentlichen Kündigung einhalten.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die 49 Jahre alte Kl. ist seit dem 9. 12. 1968 bei der Bekl. als Sachbearbeiterin zu einem monatlichen Bruttogehalt von zuletzt 5020 DM beschäftigt. Im Betrieb der Bekl. sind regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt und es existiert ein Betriebsrat. Mit Schreiben vom 9. 6. 1998 hat die Bekl. das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien fristlos (außerordentlich) undfristgerecht (ordentlich) zum 31. 12. 1998 gekündigt. Mit ihrer Klage vom 23. 6. 1998 wendet sich die Kl. gegen die ausgesprochenen Kündigungen. Die Parteien streiten darüber, ob der Betriebsrat gem. § 102 BetrVG ordnungsgemäß angehört worden ist und überdie Tatsachen, die einen Grund für die fristlose bzw. fristgerechte Kündigung darstellen. Dazu erklärt die Bekl.: Die Kl. habe auch schuldhaft die ihr auferlegten vertraglichen Pflichten verletzt. ImZeitraum vom 13. 1. 1993 bis zum 9. 6. 1998 habe die Kl. an 481 Arbeitstagen am Arbeitsplatz gefehlt. Von diesen 481 Arbeitstagen, an denen sie gefehlt habe, habe sie 50 Tage ohne ein ärztliches Attestgefehlt. Wegen der hohen Fehlzeiten der Kl. sei ihr mit Schreiben vom 7. 11. 1996 auferlegt worden, jede einzelne krankheitsbedingte Fehlzeit durch ein ärztliches Attest zu belegen. Seit dem 7. 11. 1996 habe die Kl. in 14 Fällen gegen diese Auflage verstoßen. MitSchreiben vom 14. 8. 1997 und 23. 3. 1998 habe die Bekl. die Kl. abgemahnt und ihr erklärt, daß sie derartige Vertragsverletzungen nicht dulden könne und im Wiederholungsfall mit einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechnet werden müsse. Alle Ermahnungen und Abmahnungen hätten jedoch nichts genützt. Am 27. 5. 1998 habe die Kl. die gleiche Vertragsverletzung wieder begangen. Sie habe zunächst unentschuldigt ab dem 27. 5. 1998 gefehlt und habe sodann ein Attest am 5. 6. 1998 eingereicht, das am 3. 6. 1998 ausgestellt gewesen sei und eine Arbeitsunfähigkeitszeitab dem 30. 5. 1998 bescheinigt habe. Um die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen besser in den Griff zu bekommen, sei die Kl. innerbetrieblich in das Sachgebiet „Außenverwaltung„ versetzt worden, da dieses leichter zu bearbeiten sei. Aber auch in diesem Sachgebiet sei es zu keinem geregelten Arbeitsablauf gekommen, da die Kl. zu häufig krankheitsbedingt abwesend gewesen sei. Darüber hinaus hätten sich die Lohnfortzahlungskosten im Krankheitsfall für die Kl. für die Jahre 1993 bis Juni 1998 auf73219,95 DM belaufen. Die krankheitsbedingten Fehlzeiten der Kl. hätten sich durchschnittlich auf 87 Arbeitstage, also auf 17 Wochen pro Jahr belaufen.

Das ArbG hat festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis durch die fristgerechte Kündigung beendet worden ist.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Aufgrund der uneidlichen Vernehmung des Zeugen X steht mit an Sicherheit grenzenderWahrscheinlichkeit fest, daß der im Betrieb der Bekl. bestehende Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung unter Mitteilung sämtlicher Tatsachen, die die Bekl. bewogen haben, das Arbeitsverhältnis mit der Kl. zu kündigen, gehört worden ist. Dem Betriebsrat seien nicht nur die verhaltensbedingtenTatsachen mitgeteilt worden und bekannt, sondern auch die krankheitsbedingten Tatsachen. Insbesondere seien dem Betriebsrat die genauen Fehlzeiten der Kl. von der Bekl. mitgeteilt worden. Die Lohnfortzahlungskosten seien dem Betriebsrat genau bekannt gewesen. Die fristlose Kündigung der Bekl. vom 9. 6. 1998 ist nicht gerechtfertigt, denn es warder Bekl. unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls und der Interessen beider Vertragsteile nicht unzumutbar, bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist an dem Arbeitsverhältnis mit der Kl. festzuhalten. Die Kl. ist seit 30 Jahren imBetrieb der Bekl. beschäftigt. Offenbar bedingt durch gravierende Änderungen in ihrem Leben ist sie schwer alkoholkrank geworden,

Es läßt sich nicht begründen, der Kl. den Ausbruch dieser äußerst schweren Erkrankung vorzuwerfen, indem man ihr lediglich entgegenschleudert, sie hätte sich lediglich „amRiemen reißen„ und das Alkoholtrinken vermeiden müssen. Es liegt gerade in der Symptomatik des Alkoholismus, daß der Kranke dies nicht vermag. Mit der gleichen Begründungkönnte man nämlich dem übergewichtigen Herzkranken vorwerfen, daß er seine Erkrankung durch übermäßige Nahrungsaufnahme herbeigeführt oder zumindest äußerst begünstigt hat.

Der Bekl. war es zuzumuten, auch bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist an dem Arbeitsverhältnis mit der Kl. festzuhalten, denn schließlich hat die Bekl. dies schon einegeraume Anzahl von Jahren, seit Ausbruch der Krankheit der Kl., vermocht. Jedoch ist das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien aufgrund der gleichzeitig am 9. 6. 1998 ausgesprochenen ordentlichen Kündigung am 31. 12. 1998 beendetworden. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die lang andauernde Erkrankung der Kl., die zu einer Krankheitsdauer von ca. 17 Wochen pro Kalenderjahr geführt hat, sinnentleert worden. Das Arbeitsverhältnis ist keinpersonenrechtliches Verhältnis, in dem die gegenseitigen Fürsorge- und Treuepflichten ausschließlich im Vordergrund stehen, sondern ist ein Austauschverhältnis. Der eine Vertragspartner verrichtet Arbeit und der andere Vertragspartnerbezahlt dafür Geld. Dies sind die Hauptpflichten in einem Arbeitsverhältnis. Diese Hauptpflichten sind in dem Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien irreparabel zerstört. Es kann nach dem Ablauf der Krankengeschichte der Kl. nicht damit gerechnet werden, daß die Krankheit der Kl. in absehbarerZeit zumindest zum Stillstand gebracht werden kann. Eine Heilung vom Alkoholismus erscheint nach dem jetzigen Kenntnisstand ausgeschlossen.

Sämtliche Entziehungskuren und Entgiftungsmaßnahmender Kl. haben nicht zu dem Ergebnis geführt, daß die Kl. für längere Zeit „trocken„ wurde. Dies bedeutet, daß die Prognose für die Krankheitsentwicklung der Kl. äußerst schlecht ist. Aus den häufigen und lang andauernden Erkrankungender Kl. wird deutlich, ohne daß es insoweit einer konkreten Darlegung der Bekl. bedurfte, daß der Betriebsablauf im Betrieb der Bekl. durch diese äußerst häufigen, lang andauernden und Kurzerkrankungen erheblich in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Eine auch nur halbwegs verläßliche Planung bezüglich des Arbeitseinsatzes der Kl. im Betrieb der Bekl. war durch diesen feststehenden Krankheitsverlauf derKl. unmöglich. Somit steht fest, daß die ordentliche Kündigung der Bekl. vom 9. 6. 1998 sozial gerechtfertigt ist, denn auch ein anderer vernünftig und verständig denkender Arbeitgeber hätte unter Abwägung der Interessen der Kl. am Erhalt ihres Arbeitsplatzes und der Interessen der Bekl., eine „halbwegs funktionierende Arbeitskraft„ in ihrem Betrieb zuhaben, sich zu einer ordentlichen Kündigung entschlossen.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

KSchG § 1 II 1; BGB § 626 I