Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probewegen Tätigkeit für das MfS

Gericht

BVerwG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

11. 03. 1999


Aktenzeichen

2 C 13/98


Leitsatz des Gerichts

Die Entlassung eines Beamten auf Probe nach den Bestimmungen des Einigungsvertrages ist nicht an eine Erklärungsfrist gebunden. Die Entlassung ist jedoch mit der gebotenen Beschleunigung auszusprechen. Ob dem Beschleunigungsgebot genügt ist, hängt u.a. wesentlich von dem Umfang der im Einzelfall erforderlichen Prüfung ab.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Nach der Wiedervereinigung wurde der Kl. als Obermeister der Volkspolizei der ehemaligen DDR zunächst im Angestelltenverhältnis und ab 1991 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe in den Polizeivollzugsdienst des bekl. Landes übernommen. 1993 wurde er zum Polizeiobermeister befördert. Eine Ende 1993 erstellte dienstliche Beurteilung endete mit dem Gesamturteil „hat sich bewährt“. Durch Bescheid vom 2. 3. 1994 wurde die laufbahnrechtliche Probezeit verkürzt und deren Ende auf den 28. 2. 1994 festgesetzt. Am 16. 2. 1994 erhielt der Bekl. einen Einzelbericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, dass Hinweise auf eine Zusammenarbeit des Kl. mit dem Ministerium für Staatssicherheit - MfS - als inoffizieller Mitarbeiter beständen. Anfang Mai 1994 hörte der Bekl. den Kl. zu dessen deshalb beabsichtigter Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe an. Mit Schreiben vom 19. 5. 1994 bat der Kl. um seine persönliche Anhörung und um die Beteiligung des Personalrats. Die Anhörung fand am 18. 10. 1994 im Beisein eines Vertreters des Hauptpersonalrats statt. Dieser stimmte der Entlassung mit Schreiben vom 4. 11. 1994 zu. Mit Bescheid vom 23. 11. 1994 entließ der Bekl. den Kl. mit Ablauf des 30. 11. 1994 aus dem Beamtenverhältnis auf Probe.

Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das VG abgewiesen. Auf die Berufung des Kl. hat das OVG die Entlassungsverfügung aufgehoben. Die Revision des Bekl. hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die entscheidungstragende Annahme des BerGer., die angefochtene Entlassung des Kl. sei rechtswidrig, weil der Bekl. sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten seit Erlangung der Kenntnis von dem Entlassungsgrund ausgesprochen habe, verletzt § 37 VI 1 MVBG vom 28. 6. 1993 (GVBl S. 577) i.V. mit Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 3 lit.d S. 1 und Nr. 1 V Ziff. 2 zum Einigungsvertrag (EinigungsV - Einigungsvertragsgesetz v. 23. 9. 1990 [BGBl II, 858] - künftig: Anl. EinigungsV). Danach kann ein Beamter auf Probe auch entlassen werden, wenn die Voraussetzungen vorliegen, die bei einem Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst die Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen würden. Eine solche Kündigung ist u.a. dann gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer für das frühere MfS tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint.

Die unter diesen Voraussetzungen mögliche Entlassung eines Beamten auf Probe ist nach der bis zum 31. 12. 1996 befristeten Sonderregelung nicht an die Einhaltung einer weiteren Frist gebunden. Das ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschriften, dem Regelungszusammenhang sowie dem Sinn und Zweck der Verweisung auf das Sonderkündigungsrecht gegenüber Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst.

§ 37 MVBG enthält - ebensowenig wie die weiteren Vorschriften über die Entlassung gem. §§ 34ff. MVBG oder die bundesrechtlichen Bestimmungen des EinigungsV Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nrn. 2 und 3 eine Regelung der Frist, innerhalb derer die Entlassung zu verfügen ist. Vielmehr bestimmt § 37 VI 2 MVBG durch Verweisung auf Absatz 4, dass abweichend von den in Absatz 3 genannten Mindestfristen der Beamte ohne Einhaltung einer Frist, also der Bestimmung des Zeitraumes ab Zustellung der Entlassungsverfügung bis zu deren Wirksamwerden, entlassen werden kann.

Der Landesgesetzgeber hat auch ebenso wie der Bundesgesetzgeber bewusst und gewollt davon abgesehen, eine Erklärungsfrist für die Entlassung wegen Tätigkeit für das frühere MfS zu bestimmen. Deshalb besteht entgegen der Auffassung des BerGer. keine unbeabsichtigte Regelungslücke, die die analoge Anwendung von auf andere gesetzliche Tatbestände bezogenen Fristbestimmungen rechtfertigen könnte.

Die in § 37 VI 1 MVBG im Wege der Verweisung geforderten tatbestandlichen Voraussetzungen für die Entlassung eines Beamten auf Probe entsprechen den für die Rechtsverhältnisse der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst bestimmten Sonderkündigungstatbeständen der Nr. 1 IV und V Anl. EinigungsV. Die Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung sind in Absatz 5 Anl. EinigungsV eigenständig und abschließend geregelt. Die Fristbestimmung des § 626 II BGB ist deswegen unanwendbar (vgl. BVerwGE 106, 153 = Buchholz 250 § 47 Nr. 9 = LKV 1998, 489, und BVerwG, Buchholz 251.51 § 40 Nr. 1 = NZA-RR 1998, 573 jeweils m.w. Nachw.). Ebensowenig können andere außerhalb des Einigungsvertrages getroffene Fristenregelungen herangezogen werden. Der Einigungsvertrag bindet die Sonderkündigung gerade nicht an eine Frist. Davon ist vielmehr offenbar bewusst und gewollt abgesehen worden, um die Wahrnehmung des Sonderkündigungsrechts nicht dadurch zu gefährden, dass der Dienstherr für die erforderliche Überprüfung der zahlreichen aus der öffentlichen Verwaltung der ehemaligen DDR in den öffentlichen Dienst zu übernehmenden Personen auf eine Tätigkeit für das MfS nur eine in jedem Falle zu wahrende Zeitspanne hat. Die Verweisung des § 37 VI 1 MVBG auf den Sonderkündigungstatbestand stellt ebenso wie Nr. 3 lit.d S. 1 Anl. EinigungsV die Beamten auf Probe hinsichtlich der Beendigung ihres Dienstverhältnisses wegen einer Tätigkeit für das frühere MfS den Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst gleich. Sie soll es dem Dienstherrn ermöglichen, Beamte auf Probe unter denselben Voraussetzungen zu entlassen, die für die Sonderkündigung eines Arbeitnehmers gefordert werden. Dies gilt auch hinsichtlich der bis zum 31. 12. 1996 grundsätzlich unbefristet möglichen Entlassung. Das schließt den Rückgriff auf die im angefochtenen Urteil angeführte Fristenregelung aus.

Die angefochtene Entscheidung stellt sich nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 144 IV VwGO).

Die landesbeamtenrechtliche Entlassungsregelung ist mit höherrangigem Recht vereinbar. Das hat der erkennende Senat bereits im Urteil vom 3. 12. 1998 (BVerwGE 108, 64 = NJW 1999, 2536) zu der gleichartigen Vorschrift des § 125 I SachsAnhBG im Einzelnen dargelegt. Darauf kann verwiesen werden.

Aus dem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal, dass wegen einer Tätigkeit für das frühere MfS ein Festhalten an dem Beamtenverhältnis „unzumutbar“ erscheinen muss, folgt allerdings auch eine zeitliche Begrenzung der Entlassungsmöglichkeit. Der unbestimmte Rechtsbegriff der „Unzumutbarkeit“ besagt, dass die frühere Tätigkeit des Beamten auf Probe für das MfS - auch unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots (vgl. BVerfGE 96, 189 [199] = NJW 1997, 2305) - das Dienstverhältnis derart belastet, dass eine Fortsetzung ausgeschlossen ist. Wenn das zu bejahen ist, muss der Dienstherr von Rechts wegen den Beamten auf Probe entlassen (vgl. BVerwGE 108, 64 = NJW 1999, 2536).

Ob ein Beamter auf Probe im öffentlichen Dienst wegen einer bekanntgewordenen Tätigkeit für das frühere MfS nicht mehr weiter beschäftigt werden darf, ist mit der sachlich gebotenen Beschleunigung zu klären. Notwendig ist eine zügige Durchführung des Verwaltungsverfahrens, sobald der Dienstherr Anhaltspunkte dafür hat, dass eine Entlassung wegen Verstrickung in die Machenschaften des MfS in Betracht kommt. Dies gebietet der Sonderentlassungstatbestand selbst, der die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung voraussetzt. Zudem beansprucht die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber dem Beamten auf Probe, dass die Entscheidung über die Weiterbeschäftigung nicht ungebührlich lange hinausgezögert wird, sondern hierüber in angemessener Zeit entschieden werden muß (vgl. BVerwGE 85, 177 [183] = NVwZ 1991, 170 m.w. Nachw.; BVerwGE 92, 147 [151] = NJW 1993, 2546). Die angemessene Verfahrensdauer bis zur Entlassungsverfügung lässt sich jedoch nicht generell begrenzen. Ob dem Beschleunigungsgebot genügt ist, hängt u.a. wesentlich von dem Umfang der im Einzelfall erforderlichen Prüfung ab. Diese kann auch durch das Vorbringen des Beamten bei seiner Anhörung erheblich ausgedehnt werden. Bei einer Vielzahl zu überprüfender Fälle kann sich die Entlassung zudem aus vom Dienstherrn nicht zu vertretenden personellen Gründen verzögern. Ob der Kl. innerhalb der nach der Sachlage angemessenen Zeit entlassen worden ist, lässt sich im Revisionsverfahren mangels tatsächlicher Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht beurteilen.

Für die - unter Beachtung der dazu von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze vorzunehmende - einzelfallbezogene Würdigung, ob die gesetzlichen Entlassungsvoraussetzungen vorliegen (BVerwG, NJW 1999, 2536 m.w. Nachw.), fehlen ebenfalls hinreichende tatsächliche Feststellungen des BerGer.

Zu der erforderlichen weiteren Sachaufklärung muss die Sache zurückverwiesen werden. Eine abschließende Entscheidung lässt sich im Revisionsverfahren nicht treffen. Der Ablauf der Probezeit und die Bewährung des Kl. während der Probezeit hindern seine Entlassung auf Grund des Sonderentlassungstatbestandes nicht. Die Personalvertretung ist beteiligt worden. Nach § 37 VI 2 i.V. mit IV MVBG ist eine fristlose Entlassung zulässig. Eine Umdeutung der angefochtenen Entlassung in eine (rechtmäßige) Rücknahme der Ernennung wegen arglistiger Täuschung kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Bekl. in der Entlassungsverfügung selbst zum Ausdruck gebracht hat, er sehe von der härteren Maßnahme der Rücknahme der Ernennung ab.

Rechtsgebiete

Verwaltungsrecht; Arbeitsrecht

Normen

MVBG § 37 VI; EinigungsV Anl. 1 Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 3 lit.d Nr. 1 V Ziff. 2