Maßgebliche Kündigungsfrist im Konkurs

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

03. 12. 1998


Aktenzeichen

2 AZR 425/98


Leitsatz des Gerichts

Ist arbeitsvertraglich eine längere als die gesetzliche Kündigungsfrist vereinbart, so ist bei einer Kündigung im Konkurs bis zur Höchstfrist des § 113 I 2 InsO (drei Monate zum Monatsende) diese längere Frist maßgeblich.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. war seit 14. 3. 1994 bei der Gemeinschuldnerin bzw. deren Rechtsvorgängerin als Projektingenieur zu einem monatlichen Bruttogehalt von zuletzt 8000 DM beschäftigt.Nach Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Gemeinschuldnerin am 2. 12. 1996 hat der bekl. Konkursverwalter das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27. 12. 1996 zum 31. 1. 1997 gekündigt. Mit seiner am 7. 1. 1997 beim ArbG eingegangenen Klagehat sich der Kl. gegen die Kündigung gewandt und aus verschiedenen Gesichtspunkten deren Unwirksamkeit geltend gemacht. In der Berufungsinstanz hat der Kl. die Wirksamkeit der Kündigung als solche nicht mehr in Zweifel gezogen und nur noch die Ansicht vertreten, derBekl. hätte die in § 7 des Arbeitsvertrags vom 18. 12. 1995 vereinbarte Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Quartalsende einhalten müssen. Der Kl. hat, soweit für die Revisionsinstanz von Belang, beantragt festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung des Bekl. vom 27. 12. 1996 zum 31. 1. 1997 aufgelöst worden ist, sondern bis 31. 3. 1997 fortbestanden hat. Der Bekl. hat die Auffassung vertreten, der durch das arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vorzeitig in Kraft gesetzte§ 113 InsO habe unterhalb der dort normierten Höchstfrist von drei Monaten zum Monatsende nichts daran geändert, daß im Konkurs nur die gegenüber der vertraglichen Frist kürzere gesetzliche Kündigungsfrist eingehalten werden müsse, zumal § 22 KO nicht aufgehoben worden sei.

Das ArbG hat die Klage abgewiesen, das LAG hat die auf die Frageder einzuhaltenden Kündigungsfrist beschränkte Berufung des Kl. zurückgewiesen. Mit seiner vom LAG zugelassenen Revision verfolgt der Kl. seinen auf die Einhaltung der Kündigungsfrist beschränkten Antrag weiter. Die Revision hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Der Bekl. mußte gem. § 113 I 2 InsO eine Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende einhalten.

I. Das LAG hat angenommen, § 113 I 2 InsO sei dahin auszulegen,daß unterhalb der Höchstfrist von drei Monaten zum Monatsende die gesetzliche Kündigungsfrist des § 622 II Nr. 1 BGB und nicht die längere vertragliche Kündigungsfrist maßgeblich ist. Sinn und Zweck der Neuregelung des § 113 InsO sei es, Kündigungsmöglichkeiten im Insolvenzverfahren zu erleichtern. Erkennbar habe der Gesetzgeber mitdem Begriff einer „maßgeblichen„ Kündigungsfrist nur den Streit unentschieden gelassen, ob auch tarifliche Kündigungsfristen als gesetzliche i.S. des § 22 KO zu behandeln seien. Daß der nicht aufgehobene § 22 KO „obsolet„ geworden sei, sei jedenfalls für den vorliegenden Fall nicht zutreffend.

II. Diese Auslegung und damit die Entscheidung des LAG halten den Angriffen der Revision nicht stand.

1. Die Auslegung von Gesetzen hat zunächst vom Wortlautauszugehen und sich sodann an dem systematischen Zusammenhang, der Gesetzesgeschichte und dem Normzweck auszurichten, soweit er im Gesetz erkennbaren Ausdruck gefunden hat (Senat, RdA 1984, 316 = AP Nr. 1 zu § 79 BPersVG [zu A IV 2]; BAGE 48, 40 [46]= NZA 1985, 593 = NJW 1986, 87 = AP Nr. 10 zu § 613a BGB). Nach dem Wortlautdes Gesetzes kommt es hier darauf an, ob eine kürzere Kündigungsfrist als die in § 113 I 2 InsO genannte Frist von drei Monaten zum Monatsende maßgeblich ist. „Maßgeblich„ ist, was von entscheidender Bedeutung ist (Duden, Bedeutungswörterbuch, 2. Aufl., S. 433), also Geltung beansprucht. ImPrivat- und damit auch im Arbeitsrecht ist es grundsätzlich der Privatautonomie der Parteien überlassen, zu vereinbaren, was zwischen ihnen „maßgeblich„ sein soll, solange sie damit nichtgegen zwingende Rechtsnormen verstoßen. § 622 V 2 BGB läßt die Vereinbarung längerer als der in Absätzen 1 bis 3 genannten Kündigungsfristen ausdrücklich zu, die Vereinbarung einer Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Quartalsende in§ 7 des Arbeitsvertrags vom 18. 12. 1995 ist somit grundsätzlich wirksam und § 622 II Nr. 1 BGB ist deshalb im Verhältnis der Parteien nicht „maßgeblich„. Der Wortlaut des § 113 I 2 InsO spricht nachhaltig für die von der Revision und der überwiegenden Meinung in der Literatur (vgl. Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren,Rdnr. 122; Grunsky, in: Grunsky/Moll, ArbeitsR und Insolvenz, Rdnr. 338; Lakies, RdA 1997, 145; Weigand, in: KR, 5. Aufl., InsO, Rdnr. 18; a.A. Berscheid, ZInsO 1998, 159 [162]; wohl auch Hess/Weis/Wienberg, InsolvenzarbeitsR,Rdnr. 423; Obermüller/Hess, InsO, Rdnr. 456) vertretene Rechtsauffassung.

2. Zutreffend weist die Revision auch darauf hin, daß der Zweck der vorzeitigen Inkraftsetzung von § 113 InsO nicht allein in einerSchwächung von Arbeitnehmerrechten gesehen werden darf. Erklärtes Ziel des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes war es unter anderem, im Kündigungsschutzrecht mehr Rechtssicherheit zu schaffen und auch dadurch Neueinstellungen anzuregen (Begr. desGE der Regierungsparteien BT-Dr 13/4612, S. 8). Unabhängig davon, ob dieses Ziel durchgehend erreicht wurde, kann somit entgegen der Ansicht des LAG nicht davon ausgegangen werden, die Neuregelunghabe auf keinen Fall eine - wenn auch nur punktuelle - Verbesserung der Rechtsstellung der Arbeitnehmer zur Folge haben sollen.

3. Dem Zweck des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes, mehr Rechtssicherheit im Kündigungsrecht zu schaffen, würde es ersichtlich zuwider laufen, wenn ohne ausdrückliche Regelung § 22 KO für eine Zwischenphase von2¼ Jahren bis zum Inkrafttreten der gesamten Insolvenzordnung, noch dazu nur partiell, weiter Geltung beanspruchen würde. § 113 InsO sollte nach seinem ursprünglichen Zweck zum 1. 1. 1999 § 22 KO vollständig ersetzen (Art. 2 Nr. 4EGInsO; vgl. auch die Synopse in RWS-Dok. 18, Bd. 1, S. 663). Allein aus dem Umstand, daß § 22 KO im Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz nicht ausdrücklich aufgehoben wurde, kann nicht darauf geschlossen werden, der Gesetzgeber habe an der ursprünglichen Zweckrichtung von § 113 InsO für eine kurze Übergangszeit etwas ändern wollen. Mindestens ebenso nahe liegt, daß es sich dabei um ein bloßes Versehen des Gesetzgebers handelt (vgl. Giesen,ZIP 1998, 46 [48]). Demgemäß ist es in der Literatur nahezu einhellige Auffassung, für § 22 KO bleibe kein Anwendungsbereich mehr, die Vorschrift sei durch § 113 InsO nach dem Grundsatz „lex posterior derogat legi priori„ voll inhaltlichersetzt worden (Berscheid, ZAP Entscheidungsreport WirtschaftsR 2/98, S. 14; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 110; Düwell, Kölner Schrift z. InsO, S. 1108 Rdnr. 17; Fischermeier, NZA 1997, 1089 [1098]; Giesen, ZIP 1998, 46; Grunsky, in: Grunsky/Moll, Rdnr. 330; v. Hoyningen-Huene/Linck, DB 1997, 41 [45]; Hueck/v. Hoyningen-Huene, KSchG, 12. Aufl., § 1 Rdnr. 107e; Lakies, RdA 1997,145; Preis, NJW 1996, 3369 [3377]; Schaub, InsolvenzR 1996, RWS-Forum 9, S. 238; Schwerdtner, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 622 Rdnr. 14; Weigand, in: KR, InsO, Rdnr. 8;zweifelnd Bichelmeier/Oberhofer, AiB 1997, 161). Dafür spricht auch, worauf die Revision mit Recht hinweist, daß Art. 6 Arbeitsrechtliches Beschäftigungsförderungsgesetz§ 113 InsO nicht völlig unverändert vorzeitig in Kraft gesetzt hat, sondern mit der Maßgabe, daß das Wort „Insolvenzverwalter„ durch das Wort „Konkursverwalter„ und das Wort „Insolvenzgläubiger„ durch das Wort „Konkursgläubiger„ ersetzt wird. Wenn der Gesetzgeber schon diese rein sprachlicheAnpassung für regelungsbedürftig hielt, erscheint es kaum vorstellbar, daß er zwar § 22 KO partiell weiter angewandt wissen wollte, eine entsprechende ausdrückliche Regelungaber für überflüssig ansah.

4. Wird somit die vom LAG befürwortete Auslegung durch Sinn und Zweck der Neuregelung und die fehlende ausdrückliche Aufhebung von § 22 KO nicht ausreichend gestützt, bleibt es bei der schon oben zu 1 begründeten, am Wortlaut orientierten Auslegung von § 113 I 2 InsO. Für sie spricht zudemdie Entstehungsgeschichte der Insolvenzordnung. In § 119 des Diskussionsentwurfs eines Gesetzes zu Reform des Insolvenzrechts und noch in § 127 des Regierungsentwurfs (BT-Dr 12/2443, S. 28) war für die vom Verwalter einzuhaltende Kündigungsfrist - insoweit in Übereinstimmung mit § 22 KO - auf die gesetzliche Frist abgestellt worden. Daß abweichend von§ 22 KO eine etwa kürzere vertragliche Frist keine Erwähnung mehr fand, war in der Literatur als Redaktionsversehen angesehen worden (Dörner, NZA 1989, 546 [548]; vgl. auch Tuxhorn, Kündigung und Kündigungsschutz in der InsO, S. 47). Die jetzige Fassung des § 113 I 2 InsO geht erst auf die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Dr 12/7302,S. 46) zurück. Demgemäß ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber mit dem Abstellen auf die „maßgebliche„ Frist bewußt von dem engeren Begriff der „gesetzlichen Frist„ abgerückt ist und daß ihm dabei auch die Problematik abweichender vertraglicher Fristen durchaus bewußt war. Bestätigt wird dies durch die Begründung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Dr 12/7302, S. 169): „... Der neueAbs. 1 enthält eine eigene Kündigungsfrist von höchstens drei Monaten zum Monatsende für die Kündigung von Dienstverhältnissen in der Insolvenz. Diese Regelung schafft einen Ausgleich zwischen den sozialen Belangen der Arbeitnehmer und sonstigen Dienstverpflichteten des insolventen Unternehmenssowie den Interessen der Insolvenzgläubiger an der Erhaltung der Masse als Grundlage ihrer Befriedigung. Diese Höchstfrist wird in der Regel nur bei Dienstverpflichteten zur Anwendungkommen, die bereits längere Zeit im Unternehmen des insolventen Schuldners tätig sind. Für andere Dienstverhältnisse werden aufgrund von Gesetz, Tarifvertrag oder einzelvertraglicher Bestimmung regelmäßig kürzere Kündigungsfristen maßgeblich sein; diese sollen dann auch für die Kündigung imInsolvenzverfahren gelten„. Die gleichrangige Erwähnung der Alternative einzelvertraglicher Bestimmungen neben Gesetz und Tarifvertrag läßt in keiner Weise erkennen, daß jene nurdann „maßgeblich„ sein sollen, wenn sie kürzere Kündigungsfristen vorsehen als Gesetz bzw. Tarifvertrag; ersichtlich bezieht sich das Wort „kürzere„ nicht auf das Verhältnis dieser Rechtsquellen zueinander, sondern auf die im vorhergehenden Satz erwähnte Höchstfrist. Zugleich wird aus der Begründungder Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses deutlich, daß es dem Gesetzgeber bei § 113 I 2 InsO nicht allein darum ging, die Rechtsposition der Arbeitnehmer zu verschlechtern, vielmehr wollte er mit der Regelung einen Ausgleich zwischen densozialen Belangen der Arbeitnehmer und den Interessen der Insolvenzgläubiger schaffen.

Da vorliegend zum einen § 622 II Nr. 1 BGB nicht „maßgeblich„ und andererseits die „maßgebliche„ vertragliche Kündigungsfrist in § 7 des Arbeitsvertrags vom 18. 12. 1995 nicht kürzer als die Höchstfrist des § 113 I 2 InsO war, hatte der Bekl. letztere bei seiner Kündigung vom 27. 12. 1996 einzuhalten.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

InsO § 113 I 2; KO § 22; BGB § 622 V