Belehrungspflicht des Steuerberaters über Anfechtungsfrist eines Steuerbescheids

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

11. 05. 1999


Aktenzeichen

IX ZR 298/97


Leitsatz des Gerichts

Ein Steuerberater muß seinen Mandanten auch dann über die Frist zur Anfechtung eines Steuerbescheids belehren, wenn er eine Klage für aussichtslos hält.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. hat vom bekl. Steuerberater Schadensersatz wegen Verletzung von Mandatspflichten in Höhe von 99041,35 DM nebst Zinsen verlangt. Ein Schadensposten betrifft „Kosten der vorgerichtlich tätigen Rechtsanwälte … gem. Honorarrechnung vom 29. 1. 1996„ in Höhe von 2328,75 DM. Diese an den Kl. gerichtete Rechnung bezieht sich auf „Beratung im Zusammenhang mit Schadensersatzansprüchen„ gegen den Bekl. nach einem Gegenstandswert von 85707,10 DM.

Das LG hat die Klage auf Ersatz der Steuernachteile von insgesamt 84025,10 DM sowie der Aussetzungszinsen von 11005,50 DM abgewiesen. Es hat - unter weiterer Klageabweisung im übrigen - dem Kl. einen Anspruch auf Ersatz des auf ihn entfallenden Anteils von 841 DM an den Gerichtskosten des Finanzgerichtsprozesses - nebst Zinsen - zugebilligt. Ein Anspruch auf Ersatz der Kosten der vorgerichtlich tätigen Rechtsanwälte in Höhe von 2328,75 DM bestehe nicht. Das BerGer. hat die Berufung des Kl. insoweit als unzulässig verworfen, als er den Klageanspruch von 2328,75 DM nebst Zinsen weiterverfolgt hat. Dagegen richtete sich die Revision des Kl., die im übrigen nicht angenommen worden ist. Die Revision war im Umfang der Annahme erfolgreich.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat die Berufung insoweit, als sie sich gegen die Abweisung des Anspruchs auf Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten richtet, als unzulässig angesehen, weil die Berufungsbegründung dazu keinen Vortrag enthalte. Dies beanstandet die Revision zu Recht.

1. Eine ordnungsmäßige Berufungsbegründung muß nach § 519 III Nr. 2 ZPO die bestimmte Bezeichnung der im einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) sowie der neuen Tatsachen, Beweismittel und Beweiseinreden enthalten, die die Partei zur Rechtfertigung ihrer Berufung anzuführen hat. Diese Vorschrift soll gewährleisten, daß der Rechtsstreit für das Berufungsverfahren ausreichend vorbereitet wird, indem sie den Berufungskläger anhält, das angefochtene Urteil zu prüfen und sodann geltend zu machen, in welchen Punkten und mit welchen Gründen dieses als unrichtig angesehen wird. Dadurch sollen Gericht und Gegner möglichst rasch und sicher darüber unterrichtet werden, wie der Berufungskläger den Streitfall beurteilt wissen will, und in die Lage versetzt werden, sich auf die Rechtsmittelangriffe erschöpfend vorbereiten zu können. Deswegen muß die Berufungsbegründung auf den zu entscheidenden Fall zugeschnitten sein und im einzelnen erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig ist (BGH, NJW 1992, 3305 = LM H. 3/1993 § 519 ZPO Nr. 114 = BGHR ZPO § 519 III Nr. 2 - Inhalt, notwendiger 8; NJW 1998, 1081 [1082] = LM H. 7/1998 § 519 ZPO Nr. 133; NJW 1998, 3126). Wird im angefochtenen Urteil ein einziger, auf einen einheitlichen Rechtsgrund gestützter Klageanspruch zurückgewiesen, so genügt für eine ordnungsmäßige Berufungsbegründung regelmäßig ein Angriff, der geeignet ist, dem angefochtenen Urteil die Tragfähigkeit zu nehmen (BGH, NJW 1990, 1184 = LM § 519 ZPO Nr. 102; NJW 1992, 1898f. = LM H. 11/1992 § 519 ZPO Nrn. 111f.). Dagegen muß sich die Berufungsbegründung bei einem teilbaren Streitgegenstand oder bei mehreren prozessualen Ansprüchen mit allen für fehlerhaft gehaltenen Punkten befassen (BGG, NJW 1990, 1184 = LM § 519 ZPO Nr. 102; NJW 1993, 3073 [3074] = LM H. 1/1994 § 547 ZPO Nr. 11; NJW 1998, 1081 [1082] = LM H. 7/1998 § 519 ZPO Nr. 133). Dies gilt entsprechend, wenn das Gericht seine Entscheidung auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende Erwägungen gestützt hat (BGH, NJW 1990, 1184 = LM § 519 ZPO Nr. 102; NJW 1998, 3126).

2. Diesen Anforderungen hat die Berufungsbegründung insoweit entsprochen, als der Kl. Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten für Beratung über Schadensersatzansprüche gegen den Bekl. wegen seiner Belastung mit Einkommensteuer in Höhe von insgesamt 77801 DM und Kirchensteuer von 6224,10 DM, also in der Gesamthöhe von 84025,10 DM - dies entspricht dem in der Anwaltsrechnung angegebenen Gegenstandswert abzüglich der geltend gemachten Finanzgerichtskosten von 1682 DM - verlangt hat.

a) Das Urteil des LG ist dahin zu werten, daß es diesen Anspruch in der Sache für unbegründet gehalten hat. Dies ergibt sich aus folgendem: Unter II seiner Entscheidungsgründe hat das LG die Ersatzansprüche beurteilt, die darauf gestützt werden, daß der Bekl. pflichtwidrig den Kl. zu einer verspäteten Anfechtungsklage veranlaßt habe; in diesem Zusammenhang hat das LG auch einen - noch gesondert zu erörternden - Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten für die Beratung wegen der Finanzgerichtskosten von 1682 DM geprüft und verneint. Unter I seiner Entscheidungsgründe hat das LG dagegen untersucht, ob die hauptsächlichen Klageansprüche wegen der Steuernachteile bestehen, die mit einer weiteren Pflichtverletzung des Bekl. begründet worden sind, weil dieser die Frist zur Anfechtung der Steuerbescheide versäumt habe. Diesen Anspruch hat das LG verneint, weil auch eine rechtzeitige Klageerhebung erfolglos geblieben wäre. Damit hat das LG zugleich den Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten wegen Beratung über Regreßansprüche wegen der Steuernachteile von insgesamt 84025,10 DM abgewiesen.

b) Dies hat der Kl. in seiner Berufungsbegründung in einer § 519 III Nr. 2 ZPO genügenden Weise beanstandet. Er hat im einzelnen dargelegt, daß und warum eine rechtzeitige Anfechtung der Steuerbescheide Erfolg gehabt hätte. Für den daraus folgenden Klageanspruch hat er „hinsichtlich der Schadenshöhe„ auf seine Klagebegründung und seinen Schriftsatz vom 2. 12. 1996 - richtig: vom 3. 12. 1996 - verwiesen; dort hatte er im ersten Rechtszuge im Rahmen dieses Klageanspruchs Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten von 2328,75 DM verlangt.

3. Dagegen ist die Berufung insoweit unzulässig, als das LG einen Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten betreffend eine Beratung über einen Regreßanspruch wegen der Kosten des zu spät eingeleiteten Finanzgerichtsverfahrens abgewiesen hat, weil der Kl. nicht dargelegt habe, daß sich das anwaltliche Mandat auch darauf erstreckt habe. Der Kl. hat in seiner Berufungsbegründung nicht dargetan, warum nach seiner Auffassung diese gerichtliche Erwägung die Versagung des Anspruchs nicht trage. Soweit am Schluß der Berufungsbegründung „hinsichtlich der Schadenshöhe„ auf erstinstanzliches Vorbringen verwiesen worden ist, bezieht sich dieses nur auf die Klageansprüche wegen der weiteren Pflichtverletzung, die sich aus der unterlassenen Aufklärung des Kl. über die Klagefrist ergibt.

II. Da der verbliebene Klageanspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten wegen der Beratung über einen Regreßanspruch bezüglich der Steuernachteile in Höhe von 84025,10 DM - dieser Betrag ergibt sich aus dem in der Rechnung angegebenen Gegenstandswert von 85707,10 DM abzüglich der Finanzgerichtskosten von 1682 DM - i.S. des § 565 III ZPO entscheidungsreif ist, kann der Senat von einer Zurückverweisung an das BerGer. absehen und selbst in der Sache entscheiden (vgl. BGHZ 102, 332 [337] = NJW 1988, 2114 = LM § 253 ZPO Nr. 84).

1. Nach seinem unbestrittenen Vorbringen hat der Kl. die Rechtsanwälte mit der entsprechenden Regreßprüfung beauftragt und die berechnete volle Gebühr von 1985 DM gem. § 118 I 1 Nr. 1 BRAGO nebst Auslagen und Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 2328,75 DM bezahlt. Dieses Honorar ergibt sich auch bei einem Gegenstandswert von 84025,10 DM. Entgegen der Ansicht des Bekl. ist nicht nur die Mittelgebühr, sondern die Höchstgebühr gerechtfertigt, weil die Prüfung der steuerlichen Rechtslage - auch aus verfassungsrechtlicher Sicht - und der sich daraus ergebenden Fragen der Steuerberaterhaftung schwierig war. Der Bekl. hat diese Kosten zu erstatten, weil sie aus der Sicht des Kl. zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig und deswegen eine adäquate Folge der schuldhaften Pflichtverletzung des Bekl. waren (vgl. BGH, NJW 1995, 446 [447] = LM H. 3/1995 § 249 [A] BGB Nr. 107). Dieser ist seiner umfassenden Beratungspflicht insoweit fahrlässig nicht nachgekommen, als er den Kl. und dessen Ehefrau als Mandanten nicht über die Klagefrist gem. § 47 FGO belehrt hat (vgl. BGH, NJW 1998, 1486 = LM H. 9/1998 § 675 BGB Nr. 251 = WM 1998, 301 [302]). Auch wenn der Bekl. eine Anfechtung der Steuerbescheide für aussichtslos gehalten hat, so war diese Belehrung doch erforderlich, um den Auftraggebern eine eigenverantwortliche Entscheidung zu ermöglichen.

2. Die insoweit zuerkannte Zinsforderung ist aus § 286 I BGB begründet. Nach dem unbestrittenen Klagevortrag ist der Bekl. vergeblich zum Ersatz bis Ende Juni 1995 gemahnt worden. Den entsprechenden Zinsschaden hat der Kl. belegt.

Rechtsgebiete

Anwalts-, Notar-, Steuerberater- und anderes Berufsrecht

Normen

BGB § 675