Krankheitsbedingte Kündigung

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

29. 04. 1999


Aktenzeichen

2 AZR 431/98


Leitsatz des Gerichts

  1. Die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist aus Anlass einer Langzeiterkrankung erst dann sozial gerechtfertigt (§ 1 II KSchG), wenn eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt (erste Stufe), eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtung betrieblicher Interessen festzustellen ist (zweite Stufe) und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen (dritte Stufe) (Bestätigung der st. Rspr. des BAG u.a. NZA 1993, 497 = AP Nr. 30 zu § 1 KSchG1969 Krankheit).

  2. Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit ist in aller Regel ohne weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen (im Anschluss an BAG, NZA 1990, 727 = NJW 1990, 2953 = AP Nr. 25 zu § 1 KSchG1969 Krankheit). Die Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit steht einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit dann gleich, wenn in den nächsten 24 Monaten mit einer anderen Prognose nicht gerechnet werden kann.

  3. Soweit der Senat (NJW 1984, 1417 = AP Nr. 11 zu § 1 KSchG1969 Krankheit) die Auffassung vertreten hat, die spätere Entwicklung einer Krankheit nach Ausspruch einer Kündigung könne zur Bestätigung oder Korrektur der Prognose verwendet werden, wird daran nicht festgehalten. Auch für die Beurteilung einer krankheitsbedingten Kündigung ist vielmehr allein auf den Kündigungszeitpunkt abzustellen (im Anschluss an BAG, NZA 1990, 307 = NJW 1990, 2341 = AP Nr. 22 zu § 1 KSchG1969 Krankheit, und BAGE 85, 194 = NZA 1997, 757 = NJW 1997, 2257 = AP Nr. 1 zu § 1 KSchG1969 Wiedereinstellung).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. war seit dem 1. 1. 1993 bei dem bekl. Amt (im Folgenden: der Bekl.) als Leiterin des Bauamts aufgrund des Arbeitsvertrags vom 12. 11. 1992 mit einer Vergütung nach VergGr. III BAT beschäftigt; sie ist als Diplom-Ingenieurin für Stadt- und Regionalplanung qualifiziert. Der Kl. obliegt die Verwaltung des Bauamts der im Amt zusammengeführten Gemeinden P., S. und W. Sie ist dabei neben allgemeiner Verwaltungstätigkeit insbesondere mit der Koordinierung der Bauleitplanung der bezeichneten Gemeinden befasst. Für das Amt, das insgesamt 21 Mitarbeiter beschäftigt, sind im Bereich des Bauamts neben der Kl. als Leiterin weitere sechs Mitarbeiter als Sachbearbeiter für die Bereiche Tiefbau, Hochbau usw. beschäftigt. Aufgaben der Bauleitplanung wurden dabei ausschließlich durch die Kl. erledigt, für die als Stellvertreterin die Sachbearbeiterin des Bereichs Tiefbau, eine Diplom-Ingenieurin für Tiefbau, eingesetzt war. Am 17. 6. 1996 erlitt die Kl. einen unverschuldeten Verkehrsunfall als Fahrradfahrerin; seit diesem Zeitpunkt ist sie arbeitsunfähig erkrankt (sie leidet u.a. an einem HWS-Trauma). Der Bekl. übertrug zunächst die laufenden Verwaltungsaufgaben der Kl. auf deren Stellvertreterin, wobei er davon ausging, die Kl. werde im Herbst des Jahres 1996 wieder arbeitsfähig sein. Nach Darstellung der Kl. war sie sich zunächst selbst nicht über die schwerwiegenden Unfallfolgen im Klaren gewesen und hatte gehofft, Rehabilitationsmaßnahmen würden sie alsbald wiederherstellen; jedenfalls habe sie im November 1996 eine teilweise Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit angekündigt und zugesagt, sie werde ein externes Planungsbüro bei Übernahme von Tätigkeiten unterstützen. Die Bearbeitung des Flächennutzungsplans der Gemeinde S. sowie die Arbeiten an mehreren Bebauungsplänen wurden zunächst nicht weitergeführt, da insoweit qualifiziertes Personal im Amt nicht vorhanden war. In der Folgezeit entschloss sich der Bekl., dringende Arbeitsaufgaben der Kl. auf die Entwicklungsgesellschaft G-GmbH zu übertragen. Am 9. 12. 1996 beschloss der Amtsausschuss des Bekl., das Arbeitsverhältnis mit der Kl. zu kündigen. In seiner Stellungnahme vom 18. 12. 1996 stimmte der Personalrat der Kündigung unter der Bedingung der Wiedereinstellung der Kl. nach völliger Genesung zu. Ferner erklärte der Personalrat seine Zustimmung zur befristeten Einstellung einer Vertretung für ein Jahr. Bezüglich der weiteren Dauer der Arbeitsunfähigkeit befragt, reichte die Kl. ein Kurzattest ihres behandelnden Arztes vom 4. 2. 1997 ein, in dem ausgeführt wird, die Kl. sei weiter aufgrund des Unfalls vom 17. 6. 1996 arbeitsunfähig erkrankt, der Zeitpunkt der Wiederherstellung der Arbeitsunfähigkeit sei vorerst nicht absehbar, eine neue Entscheidung sei für April 1997 vorgesehen. Daraufhin kündigte der Bekl. mit Schreiben vom 10. 2. 1997 das Arbeitsverhältnis zum 31. 3. 1997. Unter dem 1. 12. 1997 erteilte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) der Kl. auf ihren Antrag einen Rentenbescheid wegen Erwerbsunfähigkeit zunächst befristet für die Zeit vom 1. 1. 1997 bis zum 31. 10. 1998, später verlängert bis zum 30. 4. 1999. Die Kl. hat geltend gemacht, zur Zeit der Kündigung sei mit ihrer Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess nach dem Genesungsverlauf zum April 1997 zu rechnen gewesen, wie sich aus dem Attest ihres behandelnden Arztes ergebe. Sie habe das Amt regelmäßig über den Genesungsprozess informiert. Betriebliche Ablaufstörungen im Bauamt hätten durch Einsatz einer Ersatzkraft kompensiert werden können; offensichtlich habe das Amt diese Lösungsmöglichkeit nicht ernsthaft ins Auge gefasst. Jedenfalls habe ihre Stellvertreterin bei einer Umsetzung kombiniert mit der Einstellung einer Aushilfskraft einspringen können. Auch habe das Amt frühzeitig Aufträge an die Entwicklungsgesellschaft vergeben können. Außerdem belege die spätere Gewährung einer Rente auf Zeit, dass noch Aussicht auf Behebung der Erwerbsunfähigkeit bestehe.

Das ArbG hat nach dem Klageantrag erkannt, während auf die Berufung des Bekl. das LAG die Klage abgewiesen hat. Mit der vom BerGer. zugelassenen Revision war die Kl. erfolgreich.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Revision der Kl. führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

I. Das LAG hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Kündigung sei wegen der langen Erkrankung der Kl. sozial gerechtfertigt, weil zur Zeit der Kündigung festgestanden habe, dass die Arbeitsunfähigkeit auch über diesen Zeitpunkt hinaus fortbestehen werde. Dem Attest vom 4. 2. 1997 sei keine positive Prognose zu entnehmen. Die völlige Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit führe unabhängig von konkreten zusätzlichen wirtschaftlichen Belastungen des Bekl. zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen. Die Aufgaben des Bekl., insbesondere nach der Wiedervereinigung, hätten eine Kontinuität bei den Aufgaben der Bauamtsleitung erfordert; dies könne nicht auf Dauer - wie unbestritten vorgetragen - von nur zum Teil fachlich ausgebildeten Mitarbeitern oder durch Fremdvergabe gewährleistet werden. Die Interessen der Kl. müssten insoweit zurückstehen.

II. Dem folgt der Senat nicht. Die Revision rügt zutreffend eine fehlerhafte Anwendung des § 1 II KSchG und eine Nichtberücksichtigung einschlägiger Rechtsprechung des BAG zur Krankheitskündigung. Bei der Frage, ob die Kündigung der Kl. aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit aus Gründen in der Person bedingt und deshalb sozial gerechtfertigt ist (§ 1 II 1 KSchG), handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom RevGer. nur dahin geprüft werden kann, ob das BerGer. den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (vgl. u.a. Senat, NZA 1990, 727 = NJW 1990, 2953 = AP Nr. 25 zu § 1 KSchG1969 Krankheit [zu II 1b aa], und Senat, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 95 [zu II 1]). Auch unter Zugrundelegung dieses eingeschränkten Überprüfungsmaßstabs hält das angefochtene Urteil einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Soweit die Revision zunächst geltend macht, das LAG habe den Rechtsbegriff der langanhaltenden Krankheit verkannt, ist dem allerdings nicht zu folgen. Abgesehen davon, dass es sich bei dem Terminus „langanhaltende Krankheit“ nicht um einen Rechtsbegriff im eigentlichen Sinne, nämlich einen durch Gesetz ausgeformten Begriff handelt, sondern um eine einzelfallbezogen unter dem Stichwort „Krankheit als Kündigungsgrund“ von Rechtsprechung und Literatur herausgearbeitete Unterform (vgl. dazu etwa Bittner/ Kiel, RdA 1995, 26 [30]; Etzel, in: KR, 5. Aufl., § 1 KSchG Rdnrn. 343f.; Hueck/v.Hoyningen-Huene, KSchG, 12. Aufl., § 1 Rdnrn. 217f., 219; Löwisch, KSchG, 7. Aufl., § 1 Rdnrn. 178f.), ist das BerGer. zutreffend davon ausgegangen, vorliegend handele es sich um eine langanhaltende Krankheit im Sinne der einschlägigen BAG-Rechtsprechung. Die Revision weist insoweit zutreffend selbst darauf hin, es gebe keine starren Grenzen, ab welchem Zeitpunkt eine Krankheit als langandauernd zu gelten habe. Das BAG hat jedenfalls eine acht Monate andauernde Erkrankung als solche langanhaltender Art angesehen (vgl. etwa die Sachverhalte in BAGE 33, 1 = NJW 1981, 298 = AP Nr. 6 zu § 1 KSchG1969 Krankheit, und BAGE 40, 361 = NJW 1983, 2897 = AP Nr. 7 zu § 1 KSchG1969 Krankheit). Die Erkrankung der Kl. dauerte im Zeitpunkt der Kündigung, auf den allein abzustellen ist - s. auch noch nachfolgend zu 3b - (BAGE 33, 1 = NJW 1981, 298 = AP Nr. 6 zu § 1 KSchG1969 Krankheit; für die betriebsbedingte Kündigung: BAGE 85, 194 = NZA 1997, 757 = NJW 1997, 257 = AP Nr. 1 zu § 1 KSchG1969 Wiedereinstellung), knapp acht Monate. Es handelte sich mithin um eine lang anhaltende Erkrankung.

2. Auch bei einer lang anhaltenden Krankheit ist die Überprüfung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung in drei Stufen vorzunehmen (BAG, NZA 1993, 497 = AP Nr. 30 zu § 1 KSchG1969 Krankheit). Danach ist zunächst eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustands erforderlich (erste Stufe). Sodann müssen die zu erwartenden Auswirkungen des Gesundheitszustands des Arbeitnehmers zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen (zweite Stufe). Schließlich ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, bei der zu prüfen ist, ob die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen (dritte Stufe).

3. Die von dem Bekl. vorgenommene Prognose bezüglich der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Kl., der sich das BerGer. angeschlossen hat, teilt der Senat nicht. Entgegen der Auffassung des BerGer. konnte der Bekl. im Zeitpunkt des Kündigungszugangs nicht davon ausgehen, aufgrund der objektiven Umstände sei mit einer Arbeitsunfähigkeit der Kl. auf nicht absehbare Zeit zu rechnen gewesen, wie der von der Kl. selbst eingereichten ärztlichen Bescheinigung vom 4. 2. 1997 zu entnehmen sei. Schon aus diesem Grunde unterliegt das Berufungsurteil der Aufhebung.

a) Die Kl. rügt zutreffend, dass unter Einbeziehung dieses Attestes nach den Gesamtumständen zum Zeitpunkt der Kündigung jedenfalls (noch) nicht von einer derartigen negativen Prognose fortdauernder Arbeitsunfähigkeit ausgegangen werden könnte. Zur Art der Erkrankung, aus der gegebenenfalls Rückschlüsse zu ziehen wären, hat der gem. § 1 II 4 KSchG darlegungspflichtige Bekl. - auch unter Berücksichtigung einer abgestuften Darlegungslast - nichts näher vorgetragen; das LAG hat demzufolge hierzu auch keine Feststellung (§ 561 ZPO) getroffen. Dem Beklagtenvortrag war insofern nur zu entnehmen, nach einem Fahrradunfall habe die Kl. an einem Schleudertrauma gelitten. Das vorgelegte Attest selbst lässt insofern keine abschließenden Erkenntnisse zu. Wenn das LAG hierzu ausführt, die ärztliche Erklärung, dass eine neue Entscheidung für April 1997 vorgesehen sei, bedeute eben nicht, dass die Kl. nach April 1997 wieder arbeitsfähig sei, so ist diese Schlussfolgerung unergiebig. Dieser Vorbehalt im Attest des Arztes lässt nicht die Annahme zu, die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Kl. sei für längere Zeit völlig ungewiss. Nur bei einer derartigen Sachlage hat der Senat im Urteil vom 21. 5. 1992 (NZA 1993, 497 = AP Nr. 30 zu § 1 KSchG1969 Krankheit) angenommen, der Fall der Langzeiterkrankung sei dem der auf Dauer festgestellten Arbeitsunfähigkeit gleichzustellen. In jenem Fall ist der Senat erst nach einer 1½-jährigen Erkrankung und der mehrfachen, halbjährlich erfolgten Erklärung des damaligen Kl., mit seiner Genesung sei alsbald zu rechnen, ohne dass der Grund der Erkrankung in irgendeiner Weise verdeutlicht wurde, zum Ergebnis gekommen, die Kündigung sei gerechtfertigt, weil die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit völlig ungewiss sei. Soweit das BerGer. zur Begründung seiner entgegenstehenden Auffassung auf diese Entscheidung des Senats verweist, geschieht dies zu Unrecht, weil schon in der Sachverhaltsdarstellung gravierende Unterschiede vorliegen: Bei der Kl. dieses Rechtsstreits sind die Ursache der Erkrankung (Fahrradunfall) und die Art der Erkrankung (Schleudertrauma) im Wesentlichen bekannt, ferner liegt eine - wenn auch nicht abschließende - ärztliche Beurteilung vor; schließlich hat die Kl. nicht über einen derart langen Zeitraum von 1½ Jahren wiederholt Erklärungen dahin abgegeben, die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit stehe bevor. Die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Kl. war im Kündigungszeitpunkt nur bis zur angekündigten nächsten ärztlichen Beurteilung im April 1997 ungewiss.

Die Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsunfähigkeit kann jedoch nur dann einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsfähigkeit gleichgestellt werden, wenn in absehbarer Zeit mit einer anderen - als der negativen - Prognose nicht gerechnet werden kann. Als absehbare Zeit in diesem Zusammenhang sieht der Senat im Anschluss an die Vorschriften des Beschäftigungsförderungsgesetzes einen Zeitraum bis zu 24 Monaten (§ 1 I BeschFG) an. Denn ein solcher Zeitraum kann gegebenenfalls durch Einstellung einer Ersatzkraft mit einem befristeten Arbeitsverhältnis überbrückt werden. Hier war nach dem Attest eine neue ärztliche Beurteilung für April 1997 vorgesehen. Diese hätte der Bekl. jedenfalls abwarten müssen, ehe er von einer unabsehbar dauernden Arbeitsunfähigkeit hätte ausgehen können.

b) Insofern kann auch nicht aus der später erfolgten Bewilligung einer Rente für den Zeitraum von mehr als 24 Monaten geschlussfolgert werden, es sei davon auszugehen gewesen, dass schon im Kündigungszeitpunkt auf eine Arbeitsunfähigkeit auf nicht absehbare Zeit zu schließen gewesen sei. Soweit der Senat früher im Urteil vom 10. 11. 1983 (NJW 1984, 1417 = AP Nr. 11 zu § 1 KSchG1969 Krankheit) entschieden hat, die spätere tatsächliche Entwicklung einer Krankheit könne bis zum Ende der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zur Bestätigung oder Korrektur der Prognose verwertet werden, hält er hieran nicht fest. Hierzu hat der 7. Senat des BAG (NJW 1985, 2783 = AP Nr. 16 zu § 1 KSchG1969 Krankheit) zutreffend darauf hingewiesen, maßgebliche Beurteilungsgrundlage für die Rechtmäßigkeit einer Kündigung seien die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung, was auch für eine aus Anlass einer langandauernden Krankheit ausgesprochene ordentliche Kündigung gelte; die objektiven Kriterien, nach denen der Arbeitgeber seine Zukunftsprognose zur weiteren Dauer der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers anzustellen habe, müssten beim Zugang der Kündigungserklärung vorliegen. Folge man der Auffassung des BAG, in dessen Urteil vom 10. 11. 1983 (NJW 1984, 1417 = AP Nr. 11 zu § 1 KSchG1969 Krankheit), so würde dies dazu führen, dass der Arbeitgeber bei Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung deren Rechtmäßigkeit kaum noch einigermaßen zuverlässig beurteilen könnte und der Ausgang eines Kündigungsschutzprozesses nicht nur für den Arbeitgeber, sondern wegen der möglichen Berücksichtigung einer späteren Verschlechterung seines Gesundheitszustandes auch für den Arbeitnehmer immer weniger vorhersehbar werde.

Genau dies würde hier zu Lasten der Kl. gelten: Das im Februar 1997 durchaus noch offene Ergebnis würde im Nachhinein durch eine - im Übrigen wiederum noch nicht abschließende - Entwicklung beeinflusst. Würde der Senat an der Rechtsprechung im Urteil vom 10. 11. 1983 festhalten, stünde dies auch in unlösbarem Widerspruch zu der neueren Rechtsprechung seit dem Urteil vom 27. 2. 1997 (BAGE 85, 194 = NZA 1997, 757 = NJW 1997, 2257 = AP Nr. 1 zu § 1 KSchG1969 Wiedereinstellung, und BAG, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG Wiedereinstellung [zu II 1]; s. auch schon Senat, NZA 1990, 307 = NJW 1990, 2341 = AP Nr. 22 zu § 1 KSchG1969 Krankheit [zu B II 2]). Der Senat hat in diesen Entscheidungen aufgezeigt, wie verfahren werden kann, wenn sich eine ursprünglich angestellte Prognose noch während des Laufs der Kündigungsfrist (oder ggf. später) als falsch erweist, nämlich, dass dann an einen Wiedereinstellungsanspruch zu denken ist. Von einer derartigen Möglichkeit ist übrigens auch der Bekl. im Kündigungsschreiben vom 10. 2. 1997 ausgegangen, wenn er der Kl. einen Wiedereinstellungsanspruch bei völliger Arbeitsfähigkeit innerhalb eines Jahres zugesagt hat. Das kann aber nicht zu der Annahme führen, mit Hilfe einer solchen Wiedereinstellungszusage habe der Bekl. die Erstellung der Negativprognose zeitlich auf einen möglichst frühen Zeitpunkt (10. 2. 1997) festlegen dürfen. Der Senat hält es daher im Anschluss an die Überlegungen des 7. Senats im Urteil vom 15. 8. 1984 (NJW 1985, 2783 = AP Nr. 16 zu § 1 KSchG1969 Krankheit) für richtiger, im Falle einer nachträglichen weiteren Verschlechterung oder auch nur Fortdauer der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Arbeitnehmers den Arbeitgeber darauf zu verweisen, eine erneute Kündigung auszusprechen; er hält dies für vertretbarer, als die nachträgliche - positive oder negative - Entwicklung mit allen Unwägbarkeiten für beide Parteien bei der Beurteilung der früher ausgesprochenen Kündigung zu berücksichtigen.

4. Da keine krankheitsbedingte dauernde Leistungsunfähigkeit vorliegt, bei der in aller Regel ohne weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen ist (vgl. BAG, NZA 1990, 727 = NJW 1990, 2953 = AP Nr. 25 zu § 1 KSchG1969 Krankheit), bedarf es vorliegend zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung einer konkret festzustellenden erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen. Daran fehlt es hier. Der Senat geht im Gegensatz zur Auffassung des BerGer. nicht davon aus, dass im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung (10. 2. 1997), auf den es allein ankommt, bereits eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen vorlag; jedenfalls hat der Bekl als die hierfür darlegungs- und beweispflichtige Partei (§ 1 II 4 KSchG) dies nicht ausreichend dargetan.

a) Für derartige Fälle langanhaltender Krankheit ist in der Rechtsprechung des BAG (BAGE 33, 1 [10f.] = NJW 1981, 298 = AP Nr. 6 zu § 1 KSchG1969 Krankheit [zu II 2c], BAGE 40, 361 = NJW 1983, 2897 = AP Nr. 7 zu § 1 KSchG1969 Krankheit) entschieden worden, nach dem das Kündigungsschutzrecht beherrschenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit komme eine ordentliche Kündigung als letztes Mittel (ultima ratio) erst dann in Betracht, wenn dem Arbeitgeber die Durchführung von Überbrückungsmaßnahmen (z.B. Einstellung von Aushilfskräften, Durchführung von Über- oder Mehrarbeit, personelle Umorganisation, organisatorische Umstellungen) nicht möglich oder nicht mehr zumutbar sei; zu den vom Arbeitgeber in Erwägung zu ziehenden Überbrückungsmaßnahmen gehöre auch die Einstellung einer Aushilfskraft auf unbestimmte Zeit, wobei der Arbeitgeber konkret darzulegen habe, weshalb gegebenenfalls die Einstellung einer Aushilfskraft nicht möglich oder nicht zumutbar sein solle.

b) In dieser Hinsicht genügt der Sachvortrag des Bekl. nicht den Anforderungen der zitierten Rechtsprechung, was die Kl. zutreffend mit ihrer Revision rügt und auch schon in den Vorinstanzen geltend gemacht hat. Insofern fällt auf, dass der Bekl. unmittelbar nach Vorlage des ärztlichen Attestes vom 4. 2. 1997 zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses geschritten ist, nachdem der Personalrat bereits unter dem 18. 12. 1996 zur beabsichtigten Kündigung angehört worden war, der seinerseits der Kündigung (nur) unter der Bedingung der Wiedereinstellung nach Genesung und außerdem der befristeten Einstellung einer Vertretung für ein Jahr zugestimmt hatte. Welche Überbrückungsmaßnahmen im Sinne der zitierten Rechtsprechung der Bekl. vor Ausspruch der Kündigung durchzuführen versucht hat, hat er nicht dargestellt. Insbesondere ist nicht konkret vorgetragen, was der Bekl. unternommen hat, um vor der Kündigung - etwa der Anregung des Personalrats folgend - eine befristete oder unbefristete Einstellung einer Ersatzkraft ins Auge zu fassen. Der Bekl. hat sich vielmehr auf die pauschale Argumentation zurückgezogen, es sei nicht möglich gewesen, eine befristete qualifizierte Aushilfskraft zu gewinnen, die früheren Ankündigungen der Kl. in der Anfangszeit ihrer Erkrankung hätten zu der verständlichen Reaktion geführt, dass keine Notwendigkeit für die Suche nach einer Ersatzkraft gesehen wurde, und die befristete Einstellung einer Ersatzkraft für die Kl. sei kein gangbarer Weg, zumal dafür eine Einarbeitungszeit von drei bis sechs Monaten erforderlich sei. Auch wenn man mit dem LAG davon ausgeht, eine Vertretung der Kl. sei nicht auf Dauer durch nur zum Teil fachlich ausgebildete Mitarbeiter oder durch Fremdvergabe zu gewährleisten gewesen, ist jedenfalls vom Bekl. nicht ersichtlich gemacht worden, dass zum Kündigungszeitpunkt die Einstellung einer Ersatzkraft zumindest vorübergehend nicht möglich war. So hat der Bekl. nicht einmal behauptet, dass und gegebenenfalls welche Anstrengungen er zwecks Einstellung einer qualifizierten Kraft - später erst ist mit Wirkung zum 1. 3. 1998 ein Bauamtsleiter eingestellt worden - unternommen hat.

c) Selbst wenn hierauf nicht entscheidend abgestellt wird, so hat der Bekl. des Weiteren nicht verdeutlicht, wann die unerledigt gebliebenen Planungsaufgaben, wie sie oben wiedergegeben worden sind, an das Planungsbüro G-GmbH vergeben worden sind, so dass nicht ersichtlich wird, ob die Kündigung vom 10. 2. 1997 nicht aufgrund einer derartigen Überbrückungsmaßnahmen zumindest zeitlich noch hätte zurückgestellt werden können. Auf diesen Mangel hat bereits das ArbG zutreffend hingewiesen. Der Bekl. ist insofern nicht auf den Vortrag der Kl. eingegangen, sie habe zunächst für November 1996 mit einer Wiederaufnahme ihrer Arbeit gerechnet und dabei sei ausführlich die Möglichkeit einer Übertragung der Bauleitplanung an ein Planungsbüro, unter anderem die G-GmbH, besprochen worden, wobei sie zugesichert habe, das zu beauftragende Planungsbüro zu unterstützen, soweit ihr das möglich sei. Zumindest im Hinblick auf diesen Sachvortrag der Kl. hätte der Bekl. verdeutlichen müssen, dass und warum zur Frage der Kündigung Anfang Februar 1997 das Fehlen der Kl. durch derartige Überbrückungsmaßnahmen - jedenfalls bis zum ersten Kündigungszeitpunkt nach der angekündigten nächsten ärztlichen Beurteilung im April 1997 - nicht mehr kompensierbar war. Der Bekl. beruft sich auf nicht zu vertretende Kosten, ohne sie zu spezifizieren, und zwar unter Berücksichtigung gegebenenfalls nicht mehr für die Kl. anfallender Lohnfortzahlungskosten. Die Kündigung vom 10. 2. 1997 war demnach verfrüht: Sie war nicht die ultima ratio, also (noch) nicht durch Gründe in der Person der Kl. bedingt, § 1 II KSchG. Der ultima ratio-Grundsatz, der das gesamte Kündigungsrecht beherrscht, konkretisiert sich insoweit gerade bei der krankheitsbedingten Kündigung innerhalb des Prüfungsschritts, ob eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen vorliegt.

d) Es braucht daher nicht mehr geprüft zu werden, ob auch die Rüge der Revision durchgreift, das BerGer. spreche fehlerhaft von einer unzumutbaren Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen (vgl. dazu Senat, NZA 1994, 27 = AP Nr. 27 zu § 1 KSchG1969 Krankheit [zu IV 3], und NZA 1992, 1073 = NJW 1993, 810 L = AP Nr. 28 zu § 1 KSchG1969 Krankheit [zu III 3c dd]).

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

KSchG § 1 II