Kindergeldanspruch während Volontariats

Gericht

BFH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

09. 06. 1999


Aktenzeichen

VI R 50/98


Leitsatz des Gerichts

Eine Volontärtätigkeit, die ausbildungswillige Kinder vor Annahme einer voll bezahlten Beschäftigung gegen geringe Entlohnung absolvieren, ist grundsätzlich als Berufsausbildung i.S. des § 32 IV 1 Nr. 2 lit. a EStG anzuerkennen, wenn das Volontariat der Erlangung der angestrebten beruflichen Qualifikation dient und somit der Ausbildungscharakter im Vordergrund steht.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die 1976 geborene Tochter (T) des Kl. legte im Juni 1993 die Abschlußprüfung für die Realschule ab; danach besuchte sie bis Mai 1996 die Berufsfachschule für Wirtschaftsassistenten. Ab Juni 1996 war sie aufgrund eines Volontariatsvertrages, der mitAblauf des 31. 5. 1998 ohne besondere Kündigung enden sollte, in einem Reisebüro als Volontärin tätig. Die Vergütung belief sich zunächst monatlich auf 875 DM, ab 1. 6. 1997 auf 1 070 DM. Die wöchentliche Arbeitszeit betrug 40 Stunden. Als Urlaubsdauer waren 30 Arbeitstage pro Jahr vereinbart. Das Arbeitsamt - Familienkasse - (Bekl.) beurteilte das Volontariat nicht als Berufsausbildung, hob dieKindergeldfestsetzung ab Juli 1996 auf und forderte das für den Monat Juli 1996 gezahlte Kindergeld von 200 DM zurück. Mit der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage beantragte der Kl. die Zahlung von Kindergeld für T ab Juli 1996. Im Rahmen des Klageverfahrens erklärte der Deutsche Reisebüroverband e.V. (DRV) in Frankfurt a.M., daß nur die Berufsausbildung zur Reiseverkehrskauffrauals Ausbildung im dualen System gelte. Eine „Ausbildung„ zur Reisebürofachkraft als einen anerkannten Beruf gebe es nicht, da insoweit keine Ausbildung im dualen System - Ausbildungsunternehmen/Berufsschule - vorgesehen sei. Nach Auskunft eines Unternehmens, das vorrangig Volontäre beschäftige, könne die Reisebürofachkraft nachAbsolvierung des Volontariats durchaus aufgrund der praktischen Erfahrungen die Arbeiten einer Reiseverkehrskauffrau ausführen. Die Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau ende in der Regel nach 36 Monaten mit der IHK-Prüfung. Diese Prüfung könne aber auch extern beantragt bzw. durchgeführt werden. Dazu sei der Nachweis einer sechsjährigen Berufstätigkeit im Reiseunternehmen erforderlich.

Das FG (EFG 1998, 1067) hat der Klage stattgegeben. Die Revision des Bekl. blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Das Berufsziel wird nach ständigerRechtsprechung weitgehend von den Vorstellungen der Eltern und des Kindes bestimmt (BFHE 172, 59 = BStBl II 1993, 870; BFHE 142, 140 = BStBl II 1985, 91; BFHE 107, 447 = BStBl II 1973, 138). Denn Kindern und Eltern kommt bei der Gestaltung der Ausbildung von Verfassungs wegen ein weiter Entscheidungsspielraum zu (vgl. BVerfG, BStBl II 1999, 182 [187] = NVwZ 1999, 517 = NJW 1993, 2030 L). Kindern muß daher zugebilligt werden, zur Vervollkommnung undAbrundung von Wissen und Fähigkeiten auch Maßnahmen außerhalb eines fest umschriebenen Bildungsgangs zu ergreifen (FG Nürnberg, EFG 1999, 295; FG Düsseldorf, EFG 1998, 103). Demgegenüber kann aus der Definition der Berufsausbildung im Berufsbildungsgesetz für die Auslegung desTatbestandsmerkmals der Berufsausbildung i.S. des § 32 IV 1 Nr. 2 lit. a EStG nichts gewonnen werden (BFHE 142, 140 = BStBl II 1985, 91).

Soweit das BSG zu § 2 II 1 BKGG a.F. eine andere Auffassung vertritt (z.B. BSG, SozR 5870 § 2 BKGG Nr. 29), besteht keine Veranlassung, den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes anzurufen (vgl. § 2 I des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit derRechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. 6. 1968, BGBl I 1968, 661). Die Abweichung in einer Rechtsfrage setzt eine unterschiedliche Beurteilung von Rechtsvorschriften oder Rechtsbegriffen voraus, die ihrem Wortlaut nach im wesentlichen und ihremRegelungsinhalt nach gänzlich übereinstimmen und deshalb nach denselben Prinzipien auszulegen sind (GmS-OGB, BGHZ 100, 277 [281] = NJW 1987, 2571; s. auch BGH, NJW 1976, 2354; BGHSt 23, 377). Daran fehlt es im vorliegenden Fall wegen der geänderten Zweckrichtung des Kindergeldes. Dieses dient ab 1. 1. 1996 vorrangig der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums des Kindes bei den Eltern (§ 31 S. 1 EStG).

2. Nach der Rechtsprechung des BFH ist eine Volontärtätigkeit, die ausbildungswillige Kinder vor Annahme einer vollbezahlten Beschäftigung gegen eine geringe Entlohnung absolvieren, grundsätzlich als Berufsausbildung anzuerkennen (sobereits Senat, BFHE 107, 450 = BStBl II 1973, 139).

Aus der gesetzlichen Formulierung „für einen Beruf ausgebildet wird„ in § 32 IV 1 Nr. 2 lit. a EStG ist allerdings zu folgern, daß das Volontariat der Erlangung der angestrebten beruflichen Qualifikation dienen (vgl. FG Baden-Württemberg, EFG 1998, 1337) und somit der Ausbildungscharakter im Vordergrund stehen muß (vgl. Seewald/Felix, in: Kirchhof/Söhn, EStG, § 63 Rdnr. D 57). Es darf sich daher nicht lediglich um ein gering bezahltes Arbeitsverhältnis handeln.

3. Das FG hat im Streitfall zutreffend das Vorliegen einer Berufsausbildung bejaht. Es hat zu Recht für unschädlich gehalten, daß T nicht zur Reiseverkehrskauffrau gemäß der Verordnung über die Berufsausbildung zum Reiseverkehrskaufmann/zur Reiseverkehrskauffrau vom 12. 9. 1979 (BGBl I, 1581),sondern lediglich als Volontärin zur Reisebürofachkraft ausgebildet wurde. Daß im Streitfall das Volontärverhältnis durch Ausbildungszwecke geprägt war, folgt zunächst daraus, daß T nach den Feststellungen des FG in allen Bereichen des Reiseverkehrs ausgebildet und unterwiesen worden ist. Weiterhin entsprach die Höhe ihres Arbeitslohns dem eines Auszubildenden. Ferner hat T nach Absolvierung des Volontariats das Zertifikat als Reisebürofachkraft erhalten und konnte sodann aufder Grundlage dieser Ausbildung berufstätig sein. Dementsprechend hat T von der ausbildenden Firma auch ein Angebot zum Abschluß eines Dienstvertrages als Reisebürofachkraft ab 1. 4. 1998 für ein Gehalt erhalten, das ihr eine selbständig gesicherte Lebensstellung ermöglichte. Die Verwaltung geht im übrigen selbst davon aus, daß die Unterweisung in einem „Anlernverhältnis„ jedenfalls dann als Berufsausbildung anzusehen ist, wenn ein Ausbildungsplan zugrunde liegt, die Unterweisung auf qualifizierte Tätigkeiten ausgerichtet istund nicht den Charakter einer Arbeitsleistung gegen Entgelt hat (DA-Fam-EStG, Anh. 6, DA 22121 Abs. 12k, BStBl I 1996, 833).

Rechtsgebiete

Steuerrecht

Normen

EStG §§ 32 IV 1 Nr. 2 lit. a, 62 I, 63 I 1 u. 2; BKGG a.F. § 2 II 1; RsprEinhG § 2 I