Häusliche Pflege keine Einkunftserzielung
Gericht
BFH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
14. 09. 1999
Aktenzeichen
IX R 88/95
Hat der Steuerpflichtige einen pflegebedürftigen Angehörigen in seinen Haushalt aufgenommen, um ihn dort zu pflegen und zu versorgen, und erhält er dafür aus dem Vermögen des Pflegebedürftigen Geldbeträge, so vollziehen sich diese Leistungen und die empfangenen Zahlungen im Regelfall im Rahmen der familiären Lebensgemeinschaft. Sie erfüllen grundsätzlich nicht die Voraussetzungen des Erzielens von Einkünften i.S. des § 2 EStG.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der Kl. ist von Beruf Winzer und wird mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Sein auf ständige Pflege und Aufsicht angewiesener Schwager, für den seit 1968 eine Gebrechlichkeitspflegschaft besteht, lebt in seinem Haushalt.
Seit 1985 ist der Kl. zum Pfleger bestellt. Es besteht eine Amtsvormundschaft. Die vom Kl. und seiner Ehefrau für den Schwager erbrachten Leistungen bewertete die Sozialbehörde nach den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes wie folgt:
Wert der Pflegeleistung 220 DM
Kost, Wohnung, Heizung und Beleuchtung 485 DM
Taschengeld 50 DM
Bekleidung 50 DM
Haushaltsführung (36 Stunden monatl. x 8,75 DM) 315 DM
Summe 1110 DM
Diesen Betrag erhielt der Kl. in den Streitjahren (1985 bis 1989) mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts und der Sozialbehörde monatlich aus dem Vermögen seines Schwagers. Der Bekl. (das Finanzamt) erfasste diese Beträge nach Abzug pauschalierter Werbungskosten als sonstige Einkünfte gem. § 22 Nr. 3 des EStG.
Das FG hat der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage stattgegeben (EFG 1995, 260). Die hiergegen eingelegte Revision des Finanzamts wurde zurückgewiesen.
Auszüge aus den Gründen:
Das FG hat die dem Kl. für die Pflege seines Schwagers aus dessen Vermögen zugeflossenen Beträge zu Recht nicht als Einkünfte i.S. von § 22 Nr. 3 EStG beurteilt.
1.Nach dieser Vorschrift sind sonstige Einkünfte (§ 2 I Nr. 7 EStG) Einkünfte aus Leistungen, soweit sie weder zu anderen Einkunftsarten noch zu den Einkünften i.S. der Nrn. 1, 1a, 2 oder 4 EStG gehören. Leistung i.S. des § 22 Nr. 3 EStG ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrags sein kann und um des Entgelts willen erbracht wird; ausgenommen sind Veräußerungsvorgänge oder veräußerungsähnliche Vorgänge im privaten Bereich (BFHE 177, 479 = BStBl II 1995, 640 m.w.Nachw. = NJW 1995, 3144 L, st. Rspr.; vgl. bereits Beschl. d. GS in BFHE 80, 73 = BStBl III 1964, 500 = NJW 1965, 79).
a) Das Merkmal „um des Entgelts willen erbracht“ erfordert nicht das Vorliegen eines gegenseitigen Vertrags. Es genügt, dass dem Leistenden für seine Tätigkeit nachträglich ein Entgelt gewährt wird, dass also die Zahlung des Entgelts durch die Leistung ausgelöst wird und Leistender und Leistungsempfänger übereinstimmend davon ausgehen, dass die Leistung angemessen vergütet worden ist. In einem derartigen Fall ist, wie bei den anderen Einkunftsarten, der Tatbestand eines auf Einkommens- und Vermögensmehrung durch Leistungsaustausch gerichteten wirtschaftlichen Verhaltens erfüllt (BFHE 137, 251 = BStBl II 1983, 201 - Provision für Hinweis auf Investitionsmöglichkeiten; BFHE 171, 500 = BStBl II 1994, 96 - Verpflichtung zu einem Kaufangebot gegen Beteiligung am Verkaufserlös).
b) Allerdings führt nicht jede Einnahme, der eine Tätigkeit gegenübersteht, zu Einkünften gem. § 22 Nr. 3 EStG. Die Vorschrift erfasst zur Ergänzung der übrigen Einkunftsarten das Ergebnis einer Erwerbstätigkeit oder Vermögensnutzung; sie setzt dementsprechend die allgemeinen Merkmale des Erzielens von Einkünften gem. § 2 EStG voraus (Jansen, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG und KStG, § 22 EStG Rdnr. 243; Kirchhof, in: Kirchhof/Söhn, EStG, § 2 Rdnr. B 170; Schmidt/Heinicke, EStG, 18. Aufl. [1999], § 22 Rdnrn. 132f.).
c) An dem danach erforderlichen, auf Einkommensmehrung gerichteten Leistungsaustausch fehlt es grundsätzlich, wenn Angehörige im Rahmen des familiären Zusammenlebens untereinander Leistungen erbringen und Zahlungen empfangen. Zwar können Angehörige untereinander wie fremde Dritte Verträge auch mit steuerrechtlicher Wirkung schließen, wenn die Verträge ernsthaft vereinbart sind und nach ihrem Inhalt und ihrer tatsächlichen Durchführung dem zwischen Fremden Üblichen entsprechen. Hingegen sind Einnahmen und Ausgaben innerhalb der privaten Lebensgemeinschaft, die üblicherweise auf familienrechtlicher Grundlage oder auf der Grundlage einer nicht ehelichen Wirtschaftsgemeinschaft erbracht werden, einkommensteuerrechtlich unbeachtlich (vgl. BFHE 126, 285 = BStBl II 1979, 80 = NJW 1979, 672 L; BFHE 173, 140 = BStBl II 1994, 298 = NJW 1994, 3374; BFHE 180, 74 = BStBl II 1996, 359 = NJWE-MietR 1996, 168). Für die Beurteilung von Ausgaben ist dieser Grundsatz in § 12 Nrn. 1 und 2 EStG ausdrücklich geregelt. Für die entsprechenden Einnahmen gelten die gleichen Grundsätze, weil Leistungen innerhalb der familiären Lebensgemeinschaft nicht zum Erzielen von Einkünften i.S. von § 2 EStG dienen und mithin unter keine Einkunftsart fallen. Dementsprechend hat die Rechtsprechung im Rahmen einer privaten Lebensgemeinschaft erbrachte Leistungen der einkommensteuerrechtlich unbeachtlichen Privatsphäre zugewiesen (vgl. BFHE 126, 285 = BStBl II 1979, 80 = NJW 1979, 672 L - Reinigung des häuslichen Arbeitszimmers durch die Ehefrau; BFH, BFH/NV 1990, 773 - Vermietung von Räumen in einem gemeinsam genutzten Reihenhaus an die Lebensgefährtin; BFHE 173, 140 = BStBl II 1994, 298 = NJW 1994, 3374 - Telefondienst der Arzttochter in der Familienwohnung; BFHE 180, 74, BStBl II 1996, 359 = NJWE-MietR 1996, 168 - Vermietung einer gemeinsam genutzten Eigentumswohnung an die Lebensgefährtin).
d) Hat der Steuerpflichtige einen pflegebedürftigen Angehörigen in seinen Haushalt aufgenommen, um ihn dort zu pflegen und zu versorgen, und erhält er dafür aus dem Vermögen des Pflegebedürftigen Geldbeträge, so vollziehen sich diese Leistungen und die empfangenen Zahlungen im Regelfall im Rahmen der familiären Lebensgemeinschaft. Sie erfüllen nach den vorstehenden Maßstäben grundsätzlich nicht die Voraussetzungen des Erzielens von Einkünften gem. § 2 EStG (a.A. Schmidt-Liebig, Inf. 1995, 481 [483]; Zugmaier, DStR 1995, 872 [873]; Kanzler, FR 1996, 189; Lang, in: Tipke/Lang, SteuerR, 16. Aufl. [1998], S. 264, 427). Für diese Beurteilung spricht, dass der Steuergesetzgeber durch das Jahressteuergesetz 1996 die - insoweit klarstellende - Regelung des § 3 Nr. 36 EStG eingeführt und sich dabei ausdrücklich auf das in diesem Rechtsstreit ergangene Urteil des FG berufen hat (BT-Dr 13/1558, S. 152).
Der Streitfall bietet keinen Anlass, zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen die Grenze zur Einkünfteerzielung ausnahmsweise überschritten sein kann, etwa wenn die für die Pflege unter Angehörigen geleisteten Zahlungen außergewöhnlich hoch sind.
2. Nach diesen Maßstäben ist die Vorentscheidung schon deshalb nicht zu beanstanden, weil der Kl. nur die vom VormG und der Sozialbehörde genehmigten und nach sozialrechtlichen Vorschriften ermittelten Beträge von monatlich 1110 DM aus dem Vermögen seines Schwagers erhalten hat. Im Übrigen wird die im Wesentlichen auf der Würdigung der tatsächlichen Gegebenheiten beruhende und insoweit gem. § 118 II FGO bindende Beurteilung des FG, der Kl. habe die Pflege nicht um des Entgelts willen, sondern allein aus familiären Gründen übernommen, noch dadurch untermauert, dass der Kl. und seine Ehefrau den Schwager bereits seit langem in ihrem Haushalt unentgeltlich versorgt und gepflegt hatten, bevor sie die Genehmigung zur Entnahme von Geldbeträgen aus dessen Vermögen erhielten.
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