Kein Entfernungsanspruch einer Abmahnung wegen unzureichend umgesetzten Dienstanweisungen

Gericht

ArbG Frankfurt a.M.


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

02. 11. 1999


Aktenzeichen

18 Ca 3062/99


Leitsatz des Gerichts

Durchsucht eine Fluggast-Kontrolleurin trotz eindeutiger Dienstanweisungen einen mit einer Schusswaffe ausgestatteten Test-Passagier nur unzureichend, so ist eine Abmahnung gerechtfertigt.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. begehrt die Entfernung der von der Bekl. unter dem 17. 3. 1999 erteilten Abmahnung. Die Kl. ist 33 Jahre alt, verheiratet und seit dem 1. 2. 1995 bei der Bekl. als Fluggast-Kontrolleurin zu einem Bruttomonatsentgelt in Höhe von 4200 DM beschäftigt. Die Kl. ist in ihrer Eigenschaft als Fluggast-Kontrolleurin im Rahmen des § 29c LuftVG tätig. Sie steht dabei in einem Arbeitsverhältnis zur Bekl., zugleich ist sie aber von der Luftfahrtbehörde zur Luftsicherheitsbeauftragten bestellt worden. Es existiert bei der Bekl. hinsichtlich der Art und Weise der durchzuführenden Fluggastkontrollen eine Betriebsanweisung, die der Kl. zumindest dem Inhalt nach bekannt ist. Der Bundesgrenzschutz führt seit geraumer Zeit auf dem Frankfurter Flughafen so genannte Realtests durch. Dabei werden Beamte des Bundesgrenzschutzes mit gefährlichen Gegenständen bestückt und nachgeprüft, ob die bei der Bekl. beschäftigten Fluggast-Kontrolleure die entsprechenden Gegenstände entdecken und sicherstellen. Am 28. 2. 1999 hat der Bundesgrenzschutz einen entsprechenden Realtest durchgeführt. Auch hier wieder ist eine Bundesgrenzschutz-Beamtin in Zivil aufgetreten, hat versucht, einen gefährlichen Gegenstand durch die Kontrolle, bei der die Kl. ihren Dienst zu versehen hatte, zu schleusen. Die Testperson näherte sich um 14.35 Uhr der Kontrollstelle, bei der die Kl. für die Personenkontrolle zuständig war. Sie legte ihre Tasche und Jacke ab und ging durch die auf Metall reagierende Torbogensonde. Diese reagierte mit akustischem Warnsignal und zeigte vier rote Sterne an. Daraufhin kontrollierte die Kl. die weibliche Testperson durch manuelles Abtasten des Körpers. Die Testperson trug einen Gürtel, an der sich eine auffallend große metallene Gürtelschnalle befand. An den Schuhen waren ebenfalls Metallschnallen angebracht. Die Kl. fuhr mit den Fingern am Hosenbund entlang und griff auch hinter die Gürtelschnalle. Die Gas-/Schreckschusspistole Röhm 3 s Kaliber 6 mm mit dazugehöriger Tragetasche, die mittels eines ca. 5 bis 10 cm langen Bindfadens an der Gürtelschlaufe über dem Gesäß befestigt und unter der Hose getragen wurde, wurde allerdings von der Kl. nicht entdeckt. Dieser Test wurde unter Leitung von Herrn H durchgeführt, der den gesamten Vorgang aus der Nähe beobachtete und bei den vorbereiteten Maßnahmen durch die BGS-Beamtin zugegen war und die Lage der Waffe kontrolliert hatte. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass zum Zeitpunkt des Realtests Maßnahmen der verschärften Personenkontrolle wegen der angespannten Sicherheitssituation durch die Kurdenaktionen vom 18. 2. 1999 angeordnet waren. Weiterhin ist zwischen den Parteien unstreitig, dass dies ein Fall der Nr. 4.1.1.2 der Betriebsanweisung gewesen ist.

Die Klage hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Der Kl. steht ein Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte nicht zu. Nach ständiger Rechtsprechung steht dem Arbeitnehmer für den Fall einer unberechtigten Abmahnung ein Entfernungsanspruch zu (BAG, NZA 1993, 838; BAG, AP Nr. 3 zu § 102 BetrVG 1972; BAG, AP Nr. 39 zu § 37 BetrVG 1972). Dieser Entfernungsanspruch betrifft nicht nur unzutreffende Tatsachenbehauptungen, sondern eine unzulässige Abmahnung insgesamt. Der Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf Entfernung einer unzulässigen Abmahnung beruht auf seinem Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf berufliches Fortkommen (BAG, NZA 1986, 227 = NJW 1986, 1065 = AP Nr. 93 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht). Der Arbeitnehmer kann jedenfalls in entsprechender Anwendung der §§ 824 , 1004 BGB den Widerruf oder die Beseitigung der Abmahnung verlangen.

Auch wenn der Kl. im Grundsatz ein solcher Entfernungsanspruch zusteht, im vorliegenden Fall greift dieser nicht ein, weil die Bekl. der Kl. zu Recht unter dem 17. 3. 1999 mit dem dort angegebenen Inhalt eine schriftliche Abmahnung erteilt hat. Der Arbeitgeber muss im Abmahnungsprozess sämtliche Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Abmahnung darlegen und im Streitfall beweisen. Dies gilt sowohl für die Richtigkeit der darin aufgestellten Tatsachenbehauptungen als auch für die Frage der Verletzung des Arbeitsvertrags. Dies gilt auch für seine Berechtigung, durch eine Rüge in die berufliche oder persönlichkeitsbezogene Interessenssphäre des Arbeitnehmers nachteilig einzugreifen. Da im Prozess nur geprüft wird, ob objektiv eine Pflichtwidrigkeit vorliegt, braucht er Entschuldigungsgründe des Arbeitnehmers, die die Vorwerfbarkeit und damit das Verschulden betreffen, nicht zu widerlegen. Der Arbeitgeber müsste allenfalls vom Arbeitnehmer substanziiert behauptete Rechtfertigungsgründe ausräumen. Unter Berücksichtigung dieser Anspruchsbegründung, bzw. der Verteilung der Darlegungslasten im Abmahnungsprozess ist davon auszugehen, dass die Bekl. der Kl. zu Recht eine Abmahnung wegen der nicht vollständigen, damit aber fehlerhaften Durchsuchung der BGS-Beamtin erteilt hat.

Die Abmahnung vom 17. 3. 1999 erweist sich nicht deshalb als unwirksam, weil der bei der Bekl. gebildete Betriebsrat vorher nicht angehört oder sonst wie beteiligt worden wäre. Die Mitwirkung des Betriebsrats ist bei der Erteilung von Abmahnungen grundsätzlich nicht erforderlich. Dies gilt auch dann, wenn das abgemahnte Verhalten einen Verstoß gegen eine mitbestimmte Verhaltensnorm betreffen würde. Es handelt sich bei der Abmahnung um die Ausübung des vertraglichen Rügerechts. Die arbeitsvertraglichen Pflichten können gem. § 77 IV 1 BetrVG verbindlich für den einzelnen Arbeitnehmer durch Betriebsvereinbarungen festgelegt werden. Ob das hier geschehen ist, kann die Kammer offen lassen, da zwischen den Parteien unstreitig ist, dass die Betriebsanweisung mit den entsprechenden Verhaltensanforderungen für den Fall der besonderen, verschärften Personenkontrolle, wie angeordnet, eingreift. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats kann nur dann entstehen, wenn die Abmahnung als Verstoß gegen die kollektive Ordnung des Betriebs anzusehen ist. Es muss dann im Betrieb ein durch Betriebsvereinbarung geschaffener Katalog von Sanktionsmaßnahmen bestehen, welcher als Buße unter anderem auch eine Abmahnung oder Verwarnung vorsieht (vgl. zu einer Beförderungssperre BAG, NZA 1990, 193). Auch unter diesem Gesichtspunkt kommt eine Mitbestimmungspflichtigkeit im vorliegenden Fall nicht in Betracht, da beide Parteien auch nicht ansatzweise dargelegt haben, dass bei der Bekl. eine Bußordnung dahingehend bestehen könnte, dass Abmahnungen mitbestimmungspflichtig wären.

Das Abmahnungsschreiben der Bekl. vom 17. 3. 1999 enthält auch hinreichend konkret einen abmahnungsfähigen und abmahnungswürdigen Sachverhalt, nämlich eine Vertragspflichtverletzung der Kl. Damit erweist sich aber auch die Abmahnung der Bekl. vom 17. 3. 1999 unter diesem Gesichtspunkt als rechtmäßig. In dem Abmahnungsschreiben vom 17. 3. 1999 stellt die Bekl. den zwischen den Parteien unstreitigen Sachverhalt kurz dar, weist auf die Pflichtenlage im Hinblick auf die körperliche Durchsuchung durch die Kl. hin und benennt dies als Arbeitsvertragsverstoß. Insbesondere nimmt die Bekl. Bezug auf die Betriebsanweisung Luftsicherheit und den dortigen Punkt 4.1.1.2 und verweist auf eine körperliche Durchsuchung durch manuelle Vollkontrolle ohne Zuhilfenahme der Handsonde. Zwischen den Parteien ist aber unstreitig, dass die Kl. eine solche Kontrolle durchgeführt hat, dabei allerdings nicht den ausgehenden Rückenbereich bzw. den Steißbereich bei der Testperson untersucht hat. Nach der Betriebsanweisung, insbesondere der Anweisung unter 4.1.1.2, ist die zu kontrollierende Person von Kopf bis Fuß durch Abtasten mit den Händen zu durchsuchen. Dabei stellt die Betriebsanweisung räumlich auf den ganzen Körper, nämlich von Kopf bis Fuß, ab. Inhaltlich ist mit den Händen der gesamte Körperbereich dann zu durchsuchen, wenngleich dies durch Abtasten geschehen soll. Dass die Kl. diese Grundvoraussetzungen der Betriebsanweisung erfüllt haben könnte, hat die Kl. selbst nicht dargelegt. Zwischen den Parteien ist nämlich unstreitig, dass die Kl. diesen Bereich nicht durch Abtasten durchsucht hat. Dies geht schon dadurch aus dem Tatsachenvortrag der Kl. hervor, dass diese sich auf eine Grundrechtswidrigkeit der Durchsuchung des Steiß- bzw. Pobereichs in diesem Rechtstreit beruft.

Die Kl. hat immer wieder betont, dass sie dies für unanständig halte. Wenn dem aber so ist, so hat die Kl. unstreitig diesen Bereich nicht durchsucht. Gemessen an den Anforderungen der vorzitierten Bestimmung der Betriebsanweisung war dies allerdings unvollständig und damit fehlerhaft. Die Parteien gehen auch übereinstimmend davon aus, dass die Betriebsanweisung mit den einzelnen dort geregelten Unterpunkten Vertragsbestandteil insoweit ist, dass sie für die Durchführung der einzelnen Kontrollen im entsprechenden Fall maßgeblich ist. Einschränkungen der Geltungskraft und Reichweite dieser Betriebsvereinbarung hat die Kl. im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bzw. die Grundrechtswidrigkeit geltend gemacht. Daraus wird aber zugleich deutlich, dass die Kl. den arbeitsvertraglichen Geltungsgrund auch für ihr Arbeitsverhältnis nicht in Abrede gestellt hat. Objektiv war dann aber die erfolgte Durchsuchung nicht vollständig, ein Bereich des Rückens bzw. des Gesäßes wurde ausgelassen, die Kammer verneint dann den räumlichen Bezug von „Kopf bis Fuß“ und bejaht eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung durch die Kl..

Erweist sich der in dem Abmahnungsschreiben als Pflichtverletzung dargestellte Sachverhalt als abmahnungsfähig und abmahnungswürdig, so wird dieses Ergebnis nicht durch die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der sich hieraus ergebenden Einschränkungen korrigiert. Nicht nur bei der Kündigung selbst, sondern auch bei der zuvor auszusprechenden Abmahnung hat der Arbeitgeber den Grundsatz der so genannten Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen (BAG, DB 1980, 550; BAG, NZA 1992, 690). Die Ausübung eines Rechts ist unzulässig, wenn sie dem Betroffenen unverhältnismäßig große Nachteile zufügt und andere, weniger einschneidende Maßnahmen möglich gewesen wären, die den Interessen des Berechtigten ebenso gut Rechnung getragen hätten oder zumindest zumutbar gewesen wären (BAG, NZA 1992, 690 [II 1]). Dieser dem Gedanken des Übermaßverbots entnommene Grundsatz kann aber nur eingreifen, wenn verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung stehen, das Ziel der Rüge und Warnung auf andere Weise zu erreichen. Dabei geht allerdings die vorzitierte Rechtsprechung sogar davon aus, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht schon verletzt ist, wenn das in der Abmahnung gerügte Fehlverhalten im Wiederholungsfall nicht für eine Kündigung ausreichen würde.

Unter Anwendung vorgenannter Grundsätze ist davon auszugehen, dass die Bekl. durch ihre Abmahnung vom 17. 3. 1999 die Kl. nicht unverhältnismäßig belastet hat. Der äußere Hergang des so genannten Realtests, die Durchsuchungsmöglichkeiten der Kl., die Anweisungslage im Arbeitsverhältnis, das Aussparen eines bestimmten Körperbereichs bei der Durchsuchung sowie schließlich die Größe und der Umfang des nicht gefundenen Gegenstands sind unstreitig. Bezogen auf die Durchführung dieses Arbeitsverhältnisses, das im höchsten Maße sicherheitsrelevant ist, stellt sich die von der Bekl. gewählte Rüge nicht als unverhältnismäßig dar. Schon im Ausgangspunkt bringt es die von der Kl. geschuldete Arbeitsleistung mit sich, dass etwaige Fehler, Unvollständigkeiten bzw. Auslassungen zu gefährlichen, wenn nicht gar zu lebensgefährlichen Situationen für Menschen und Gruppen führen können. Wenn nun aber zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits unstreitig ist, dass die Kl. unter Berufung ihrer Grundrechte einen bestimmten Körperbereich nicht durchsucht hat und in diesem Rechtsstreit zusätzlich klarstellt, dass sie sich weiterhin auf Grundrechte berufen würde, so muss der Gläubiger der Arbeitsleistung sein Rügerecht zur Durchsetzung der Sicherheitsanforderungen ausüben können. Es geht bei den Parteien, und dies ist im objektiven Hergang auch unstreitig, nicht um geringfügige oder bedeutungslose Pflichtverletzungen, keinesfalls um einen Flüchtigkeitsfehler, sondern um die richtige Ausgestaltung und Durchführung dieses Arbeitsverhältnisses. Ist aber auf Grund der übereinstimmenden Tatsachenerklärungen im Kammertermin die Anweisungslage im Arbeitsverhältnis geklärt, so folgt daraus eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung, die beträchtliche Auswirkungen haben kann, und deshalb auch abmahnungswürdig ist.

Auch aus dem Gesichtspunkt heraus, dass die Bekl.bzw. der Bundesgrenzschutz so genannte Realtests durchführen, die von vorne herein bedeuten, dass etwaige Pflichtverletzungen durch die Arbeitnehmer nicht betrieblich wirksam werden, lässt sich nicht die Unverhältnismäßigkeit der hier zu beurteilenden Abmahnung folgern. Zwar ist es unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten bzw. Erforderlichkeitsgesichtspunkten durchaus bedenkenswert, dass es dem Arbeitgeber nicht gestattet sein soll, bestimmte schadensträchtige bzw. pflichtverletzungsträchtige Situationen für den Arbeitnehmer zu schaffen, dieser sich dann einer Pflichtverletzung schuldig macht und obwohl die Situation geplant, gestellt und ohne betriebliche Auswirkungen bleibt, eine Abmahnungsbefugnis begründen würde. Aber auch wenn man diesen Gedankengang intensiviert, so greift er in der vorliegenden Konstellation nicht.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die verschärften Kontrollen, die eine Handlungsanweisung nach Punkt 4.1.1.2 der Betriebsanweisung ausgelöst haben, vorgelegen haben. Damit hatte die Kl. zu jedem Zeitpunkt gegenüber jeder zu kontrollierenden Person die entsprechende Anweisungslage zu befolgen und sich ihr konform zu verhalten. Wenn nun aber der Arbeitgeber in dieser Situation zu einem Testverfahren greift, so kann dies nicht zur Verminderung der arbeitsvertraglichen Pflichten bzw. ihrer Befolgung führen. Die Kl. war auf Grund ihres Arbeitsvertrags gehalten, die Anweisungslage immer, jederzeit und gegenüber jeder Person zu befolgen. Dies hat sie allerdings bei der Durchführung des Realtests nicht getan. Hinzu kommt noch, dass die Kl. auch weiterhin darauf abstellt, dass ein solcher Eingriff in diesen Körperbereich grundrechtswidrig wäre. Damit stellt sich aus der Sicht der Arbeitgeberin die Pflichtenlage im Arbeitsverhältnis als klärungsbedürftig dar, ganz gleich, ob ein Realtest durchgeführt wird oder eben nicht.

Die hier ausgesprochene Abmahnung erweist sich auch nicht als deshalb unwirksam, weil sie grundgesetzwidrig wäre, bzw. gegen Grundrechte der Kl. verstoßen würde. Das geltende Arbeitsrecht wird an zahlreichen Stellen durch verfassungsrechtliche Vorgaben nicht nur überlagert, sondern auch ausgestaltet. Hinzu kommt, dass das BVerfG den Grundrechten ein universelles Wertsystem entnimmt und überdies Art. 2 I GG im Sinne der Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit interpretiert: Die Abgrenzung der Interessen zweier Privatrechtssubjekte ist so notwendigerweise automatisch auch ein Verfassungsproblem. Auch das BAG folgt nunmehr der Rechtsprechung des BVerfG, wonach die Grundrechte ein universelles Wertsystem seien, das auch in die Beziehungen zwischen Privatpersonen hineinstrahle und insbesondere bei der Auslegung und Handhabung von Generalklauseln zu berücksichtigen sei. Den wichtigsten Markierungspunkt stellt die Entscheidung des Großen Senats zur Weiterbeschäftigung nach der Kündigung dar (BAG, NZA 1985, 702 = NJW 1985, 2968 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht): Der Beschäftigungsanspruch wurde dort anders als in den Vorgängerentscheidungen nicht mehr direkt auf den in Art. 1 und 2 GG garantierten Persönlichkeitsschutz gestützt, Rechtsgrundlage sei vielmehr die sich für den Arbeitgeber aus § 242 BGB unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen der Art. 1 und 2 GG über den Persönlichkeitsschutz ergebende arbeitsvertragliche Förderungspflicht der Beschäftigungsinteressen des Arbeitnehmers.

In der Entscheidung zur Arbeitnehmerhaftung hat der Große Senat (BAG, NZA 1994, 1083 [1085]) dies erneut bestätigt. Die Grundrechte seien Grundentscheidungen für alle Bereiche des Rechts. Keine bürgerlich-rechtliche Vorschrift, auch nicht die gesetzlichen Haftungsgrundsätze, dürften im Widerspruch dazu stehen. Die Kammer hat deshalb die Anweisungslage bzw. die Durchführung der Realtests unter dem Gesichtspunkt der Ausstrahlungswirkung der Grundrechte bzw. der Geltungskraft der Grundrechte im Arbeitsverhältnis geprüft, kommt allerdings zum Ergebnis, dass auf der Grundlage der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsaufgabe die Kl. wirksam auf die Ausübung ihrer Grundrechte im Zusammenhang mit Realtests bzw. mit der Anordnung verschärften Kontrollen verzichtet hat. Insbesondere ergibt sich kein Verstoß gegen Art. 1 I GG. Die Menschenwürde des Einzelnen ist der oberste Wert der Verfassung. Wie das BVerfG betont hat, gehört dazu die Freiheit des Einzelnen, über sich selbst zu verfügen und sein Schicksal eigenverantwortlich zu gestalten (BVerfG, NJW 1979, 559). Weiterhin garantiert das Grundgesetz in Art. 2 I GG die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Beide Bestimmungen sind Grundlage dafür, dass auch im Privatrechtsverkehr, also bei den Beziehungen der einzelnen Bürger untereinander, das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen zu achten ist. Die Selbstgestaltung durch den Einzelnen ist dann nicht mehr gewahrt, wenn er zum bloßen Objekt des Staates bzw. des Arbeitgebers gemacht oder wenn er einer Behandlung ausgesetzt würde, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt (BVerfG, NJW 1998, 519 [521]).

Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass die Anweisungslage im Arbeitsverhältnis der Kl. nicht grundrechtswidrig ist. Nach der Betriebsanweisung ist die Kl. verpflichtet, den Fluggast von Kopf bis Fuß durch Abtasten zu durchsuchen. Auch wenn man davon ausgeht, dass dies in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen zu einem Abtasten des Gesäß- bzw. Genitalbereichs führen kann, so ist dies nicht grundgesetzwidrig. Die Subjektqualität der Kl. wird nämlich nicht grundrechtsrelevant eingeschränkt. Sie kennt ihren Arbeitsvertrag, sie kennt die besondere Anweisungslage bei verschärften Kontrollen und sie hat freiwillig einen Kontrollberuf gewählt. Wirksame, qualitätsbewusste Kontrolle bringt es aber nicht nur seit der heutigen Zeit mit sich, dass der Körper eines anderen Menschen vollständig durchsucht werden muss.

Dabei geht es nicht um den Anblick oder intensive Eingriffe in bestimmte Körperbereiche bzw. Intimzonen eines anderen Menschen, sondern nur um Abtasten, das sich im angezogenen Zustand im Grundsatz abspielt. Sollte diese Durchsuchung zu einer Auffälligkeit führen, so ist zwischen den Parteien unstreitig, dass gesonderte Untersuchungsmaßnahmen dann einzuleiten sind. Die Kl. hat sich durch ihren Arbeitsvertrag und die hiermit verbundene Anerkennung einer bestimmten Anweisungslage auch dazu verpflichtet, körperliche Durchsuchungen vorzunehmen. Sie selbst ist es, die diesen Beruf gewählt hat, sich für diesen Beruf ausgebildet hat und diesen Beruf auf der Grundlage der ihr bekannten Anweisungslage bisher durchgeführt hat. Warum bei einer nicht vollständigen Durchsuchung plötzlich Grundrechtsdimensionen, gar die Subjektqualität der Kl. prinzipiell in Frage stehen könnte, ist der Kammer im Entscheidungsfall nicht recht klar geworden. Arbeitsvertragliche Verpflichtungen im Kontrollbereich bzw. des Kontrollpersonals setzen eben bestimmte Handlungen voraus, die nicht nach subjektiven Befindlichkeiten, gesteigerten Grundrechtssensibilitäten oder von Fall zu Fall grundgesetzkonform definiert und ausgestaltet werden könnten.

Auch wenn man zu Gunsten der Kl. davon ausgehen wollte, obwohl für die intensive Durchsuchungsform ein gesonderter Raum bzw. ein gesondertes Durchsuchungsverfahren von der Bekl. vorgesehen ist, dass die Anweisungslage grundgesetzwidrig wäre, so ist doch auf Folgendes hinzuweisen. Die Kl. war schon seit einiger Zeit im Dienst auf der Grundlage der angeordneten verschärften Kontrollen. Diesen Dienst hat sie bis zum Zeitpunkt des Realtests ohne nähere Kennzeichnung der Grundrechtsproblematik für die Kl. bzw. im Allgemeinen ausgeübt. Ohne nähere Kenntlichmachung der besonderen Grundrechtsgefährdung hat die Kl. dann auch die Untersuchung der BGS-Beamtin im Zuge des Realtests durchgeführt. Von einer etwaigen Unanständigkeit im Hinblick auf die arbeitsvertraglich geschuldete Ausgangslage war bis zu diesem Zeitpunkt nicht die Rede. Die Problematik einer Arbeitsverweigerung aus Grundrechtsgründen bedarf aber folgender Beurteilung. Musste der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin schon bei Vertragsabschluss konkret damit rechnen, eine bestimmte Arbeit zugewiesen zu erhalten, so kann sie nicht unter Berufung auf eine Grundrechtswidrigkeit im konkreten Fall einfach verweigert werden. Auch die abstrakte Möglichkeit, mit einer grundrechtswidrigen Arbeit betraut zu werden, reicht nicht aus. Genau so liegt es aber hier.

Der Kl. als Fluggast-Kontrolleurin musste von Anfang an klar sein, dass sie in Situationen kommen würde, in der der gesamte Körper einer bestimmten Person zu durchsuchen ist. Zumindest kann man von der Kl. verlangen, dass sie eine besondere Grundrechtsintensität, eine besondere Grundrechtsgefährdung unmittelbar vor etwaigen vollständigen Kontrollen kenntlich macht und es so dem Arbeitgeber notfalls ermöglicht, eine andere Person bzw. ein anderes Verfahren zur Kontrolle zu wählen. All dies hat die Kl. nicht getan, sondern sich nachträglich in diesem Prozess auf eine etwaige „Unanständigkeit“ der Arbeitsanweisung berufen. Vor diesem grundrechtlichen Hintergrund braucht die Kammer auch nicht abschließend zu klären, wo genau denn die Waffe, in welcher Höhe am Bindfaden mit welcher Gesäßnähe gehangen haben könnte. Selbst wenn man eine so weitgehende Grundrechtsgeltung im Arbeitsverhältnis der Kl. annehmen würde, so war sie zumindest aus Sicherheitsgründen heraus verpflichtet, etwaige Grundrechtswidrigkeiten ihrem Arbeitgeber anzuzeigen. Gerade die Tatsache, dass die Kl. über einen erheblichen Zeitraum auf der Grundlage der ihr bekannten Arbeitsanweisungen für die Bekl. gehandelt hat, bestehen jedoch an einer gesteigerten Grundrechtsintensität deutliche Zweifel. Sonstige Unwirksamkeitsgründe der Abmahnung der Bekl. vom 17. 3. 1999 sind von den Parteien nicht dargelegt, dann auch von der Kammer nicht weiter zu prüfen.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BGB §§ 824, 1004; GG Art. 1, 2; BetrVG § 102