Ortszuschlag bei gleichgeschlechtlicher Partnerschaft

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

15. 05. 1997


Aktenzeichen

6 AZR 26/96


Leitsatz des Gerichts

Der Ortszuschlag der Stufe 2, den § 29 Abschnitt B Absatz 2 Nr. 1 BAT für verheiratete Angestellte regelt, steht ledigen Angestellten, die in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft leben, nicht zu.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. ist seit April 1984 bei der Bekl. als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Der Kl. ist ledig. Er erhält neben der Grundvergütung einen Ortszuschlag der Stufe 1, der nach § 29 Abschn. B Abs. 1 BAT u.a. ledigen Angestellten zusteht. Der Kl. lebt seit 19 Jahren mit einem Partner in gleichgeschlechtlicher Gemeinschaft. Im Jahre 1992 haben der Kl. und sein Lebensgefährte beim Standesamt Bonn den Erlaß des Aufgebots zum Zwecke der Eheschließung beantragt. Das Standesamt lehnte dies ab. Ein Antrag an das AG den Standesbeamten zum Erlaß des Aufgebots anzuhalten, sowie Rechtsmittel zum LG und zum OLG blieben ohne Erfolg. Eine Verfassungsbeschwerde des Kl. gegen den ablehnenden Bescheid des Standesamtes und die ihn bestätigenden gerichtlichen Entscheidungen wurde durch Beschluß des BVerfG vom 11. 10. 1992 (1 BvR 641/93) nicht zur Entscheidung angenommen. Am 9. 11. 1993 verlangte der Kl. von der Bekl. die Zahlung des höheren Ortszuschlags der Stufe 2, den nach § 29 Abschn. B Abs. 2 Nr. 1 BAT verheiratete Angestellte erhalten. Dies lehnte die Bekl. ab. Der Kl. hat die Auffassung vertreten, seine Partnerschaft sei mit einer Ehe vergleichbar, deshalb müsse er hinsichtlich des Ortszuschlags mit einem verheirateten Angestellten gleichbehandelt werden. Die Tarifnorm sei, soweit sie ihn von der Leistung des Ortszuschlags für Verheiratete ausschließe, nichtig.

Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat die Berufung des Kl. zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kl. seinen Klageanspruch, allerdings ohne Erfolg weiter.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Ein Anspruch des Kl. auf Zahlung des Ortszuschlags der Stufe 2 nach § 29 Abschn. B Abs. 2 Nr. 1 BAT besteht nicht. Der in dieser Tarifbestimmung geregelte Ortszuschlag steht nur verheirateten Angestellten zu. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kl. nicht. Die Tarifbestimmung ist, soweit sie den Kl. als Unverheirateten von dieser Leistung ausschließt, mit höherrangigem Recht vereinbar.

1. Die Tarifbestimmung verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 I GG). Die Beschränkung der Leistung auf verheiratete Angestellte beruht auf einem sachlichen Grund.

a) Ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz liegt vor, wenn im wesentlichen gleichgelagerte Sachverhalte ohne sachlich einleuchtenden Grund unterschiedlich behandelt werden. Dies ist grundsätzlich dann der Fall, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund nicht finden läßt, wenn also für eine am Gerechtigkeitsdenken orientierte Betrachtungsweise die Regelung als willkürlich anzusehen ist. Die Tarifvertragsparteien haben dabei weitgehende Gestaltungsfreiheit und brauchen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung zu wählen. Grundsätzlich genügt, daß sich für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund ergibt (BAGE 71, 68 [74f.] = NZA 1993, 324 = AP Nr. 1 zu § 1 TV Ang Bundespost [zu B II 3 b aa]). Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsgrund kann die Gestaltungsfreiheit allerdings unterschiedlich weit ausgestaltet sein: Die Gestaltungsfreiheit geht, soweit Lebenssachverhalte verschieden behandelt werden am weitesten, wenn die Betroffenen sich durch eigenes Verhalten auf die unterschiedliche Regelung einstellen können. Dagegen sind um so engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheiten auswirkt und je weniger der Einzelne nachteilige Folgen durch eigenes Verhalten vermeiden kann. Die aus Art. 3 I GG folgenden Grenzen sind insbesondere dann überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 88, 5 [12] = NJW 1993, 2093 = NZA 1993, 427 [zu B I 1]; BVerfG, NZA 1995, 752 = AP Nr. 209 zu Art. 3 GG [zu C I l]). Für vergleichbare Regelungen des Besoldungsrechts besteht dabei nach Auffassung des BVerfG eine verhältnismäßig weite Gestaltungsfreiheit (BVerfGE 71, 39 [52] = NVwZ 1986, 735 [zu C III 1]). Zur Beantwortung der Frage, ob ein sachbezogener und vertretbarer Differenzierungsgrund vorliegt, ist maßgeblich auch auf Sinn und Zweck der jeweiligen Regelung abzustellen (BVerfGE 71, 39 [58] = NVwZ 1986, 735 [zu C IV 1]; BAG, NZA 1997, 774 = AP Nr. 6 zu § 5 BAT; BAG, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Nährmittelindustrie, und BAG, NZA 1996, 600 = AP Nr. 11 zu § 1 TVG Tarifverträge: Chemie jew. zu [II 2a]). Für die dem Besoldungsrecht nachgebildete Vergütungsregelung des BAT gilt das gleiche. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist § 29 Abschn. B Abs. 2 Nr. 1 BAT nicht zu beanstanden.

b) Der Ortszuschlag der Stufe 2 soll die unterschiedlichen Belastungen aufgrund des Familienstandes ausgleichen und besitzt damit in erster Linie eine soziale, familienbezogene Ausgleichsfunktion (BVerfGE 71, 39 [62] = NVwZ 1986, 735 [zu C IV 3a] zum beamtenrechtlichen Ortszuschlag; Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Pühler, BAT, Stand: Mai 1997, § 29 Erl.1; Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, Stand: Mai 1997, § 29 Rdnr. 1).

c) Die sachliche Rechtfertigung der Unterscheidung zwischen verheirateten Angestellten und solchen, die dauerhaft in einer gleichgeschlechtlichen Gemeinschaft leben, folgt daraus, daß sie einer verfassungsrechtlichen Wertentscheidung Rechnung trägt (vgl. etwa BVerwGE 100, 287 [293f.] = NVwZ 1997, 189 [zu 1b aa]). Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften genießen diesen besonderen Schutz nicht, da die Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG nur die Vereinigung von Mann und Frau zu einer Lebensgemeinschaft ist. Hinreichende Gesichtspunkte für einen grundlegenden Wandel dieses Eheverständnisses sind nicht erkennbar (BVerfG, NJW 1993, 3058 [zu II 1a]; BVerwGE 100, 287 [293f.] = NVwZ 1997, 189).

d) Unter Berücksichtigung dieser verfassungsrechtlichen Wertentscheidung ist es nicht zu beanstanden, daß die Tarifvertragsparteien in Ausübung ihrer zur Typisierung berechtigenden autonomen Regelungsbefugnis (Art. 9 III GG) erhöhte Belastungen, die aufgrund partnerschaftlichen Zusammenlebens entstehen, nur dann ausgleichen, wenn die Lebensgemeinschaft durch die bürgerlichrechtliche Ehe verfestigt ist, auch wenn möglicherweise bei anderen Lebensgemeinschaften tatsächlich gleichartige Belastungen gegeben sein mögen (vgl. BAGE 54, 210 [214] = NJW 1987, 2488 = NZA 1987, 667 = AP Nr. 3 zu § 52 BAT [zu I 2b]). Diese rechtliche Verfestigung zeigt sich insbesondere darin, daß die Ehepartner rechtlich einander grundsätzlich zur ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 353 I BGB) und zum Unterhalt (§§ 360 ff. BGB) verpflichtet sind und die Ehe nur unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen geschieden werden kann (§§ 564 ff. BGB). Das Zusammenleben in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft kann demgegenüber nach gegenwärtiger Rechtslage jederzeit ohne Vorliegen weiterer Voraussetzungen beendet werden. Rechtliche Unterhaltsverpflichtungen bestehen nicht.

e) Nicht entschieden zu werden braucht, ob der Gesetzgeber verpflichtet ist, gleichgeschlechtlichen Partnern eine rechtliche Absicherung ihrer Lebensgemeinschaft zu ermöglichen (vgl. dazu: BVerfG, NJW 1993, 3058). Die Tarifregelung wäre auch dann noch durch die Wertentscheidung des Art. 6 I GG sachlich gerechtfertigt. Das folgt daraus, daß die gleichgeschlechtliche Gemeinschaft in tatsächlicher Hinsicht jedenfalls in einem Punkt mit der Ehe nicht vergleichbar ist. Sie ist im Gegensatz zur Ehe nicht zur Reproduktion der Bevölkerung geeignet. Dabei ist es unerheblich, daß nicht alle Ehen mit diesem Ziel geschlossen werden und daß auch Ehen ungewollt kinderlos bleiben. Die Tarifvertragsparteien als Normgeber durften bei ihrer Regelung typisieren. Die Typisierung in der Weise, daß nur eine im Normalfall präsumptiv reproduktionsfähige Lebensgemeinschaft begünstigt wird, ist sachlich vertretbar und berücksichtigt, daß die Ehe vor allem deshalb verfassungsrechtlich gestützt ist, weil sie eine rechtliche Absicherung der Partner bei der Gründung einer Familie mit gemeinsamen Kindern ermöglichen soll (BVerfG, NJW 1993, 3058).

2. Der Kl. wird durch die Tarifregelung auch nicht wegen seines Geschlechts diskriminiert (Art. 3 III GG, Art. 119 EGV, Art. 26 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte v. 19. 2. 1966).

a) Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 III GG scheidet aus. Die Tarifnorm schließt nach ihrem eindeutigen Wortlaut männliche und weibliche Angestellte, die unverheiratet sind, gleichermaßen von der Leistung aus, unterscheidet also nicht nach dem Geschlecht der Angestellten.

b) Die Tarifregelung verstößt auch nicht gegen Rechtsnormen europäischen Gemeinschaftsrechts.

aa) Ein Verstoß gegen Art. 119 EGV und Richtlinie 75/117/EWG (Entgeltrichtlinie) liegt nicht vor. Art. 119 EGV statuiert den Grundsatz gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit. Die Richtlinie 75/117 des Rates vom 10. 2. 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (Entgeltrichtlinie) präzisiert den in Art. 119 EGV niedergelegten Entgeltgleichheitsgrundsatz (EuGH, EAS Art. 119 EG-Vertrag Nr. 6; Preis/Malossek, EAS, Stand: Mai 1997, B 4000 Rdnr. 79). Die genannten Bestimmungen verbieten damit eine unterschiedliche Entgeltbemessung allein aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Geschlechtsgruppe.

Ein Verstoß gegen dieses gemeinschaftsrechtliche Lohngleichheitsgebot entfällt hier aus den oben (a) dargelegten Gründen. § 29 Abschn. B Abs. 2 Nr. 1 BAT sieht die Zahlung des Ortszuschlages der Stufe 2 für verheiratete weibliche und männliche Angestellte vor, und benachteiligt somit beide Geschlechter bei Ehelosigkeit gleichermaßen.

bb) Auch ein Verstoß gegen die Richtlinie des Rates 76/207/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichberechtigung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen vom 9. 2. 1976 scheidet aus. Für das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung hinsichtlich des Entgelts stellen Art. 119 EGV und Art. 1 der Richtlinie 75/117/EWG Spezialregelungen dar, neben denen eine Anwendung der Richtlinie 76/207 EWG nicht in Betracht kommt, wie sich aus der zweiten Begründungserwägung dieser Richtlinie ergibt (EuGH, Slg. I 1996, 492 [501] = AP Nr. 74 zu Art. 119 EWG-Vertrag Tz. 24).

c) Aus den gleichen Gründen ist auch Art. 26 des Internationalen Paktes vom 19. 2. 1966 über bürgerliche und politische Rechte, der ebenfalls eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbietet, nicht verletzt. Die in Teil III dieses Pakts aufgeführten Menschenrechte sind in der Bundesrepublik unmittelbar geltendes Recht, da die Bundesrepublik ihrer Verpflichtung gemäß Art. 2 des Pakts zur innerstaatlichen Gewährleistung dieser Rechte dadurch nachgekommen ist, daß sie den Pakt durch Vertragsgesetz (BGBl II 1973, 1533; BGBl II 1976, 1068) mit Wirkung zum 23. 3. 1976 in ihre Rechtsordnung einbezogen hat.

d) Ob die genannten Bestimmungen, wie der Kl. meint, über die Diskriminierung wegen des Geschlechts hinaus auch eine Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung verbieten, kann dahinstehen. Der tarifliche Leistungsausschluß erfaßt alle Unverheirateten ohne Rücksicht darauf, ob Grund der Ehelosigkeit eine die Verbindung von Mann und Frau ausschließende sexuelle Orientierung ist.

e) Der Kl. wird auch nicht mittelbar wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert. Voraussetzung dafür wäre, daß die Homosexuellen in der Gruppe der von der Tarifnorm benachteiligten Unverheirateten zahlenmäßig erheblich stärker vertreten sind als in der Gruppe der von Tarifnorm begünstigten Verheirateten. Selbst wenn man dies einmal unterstellt, liegt keine Ungleichbehandlung wegen der sexuellen Orientierung vor. Die in der Tarifregelung getroffene Unterscheidung trägt der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung des Art. 6 I GG und deren gesetzlicher Ausgestaltung Rechnung. Sie beruht damit auf einem Gesichtspunkt, der mit einer Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung nichts zu tun hat.

3. Auch ein Verstoß gegen Art. 2 I GG liegt nicht vor. Diese Norm schützt unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Handlungsfreiheit auch das Recht, eine nichteheliche Lebensgemeinschaft zu begründen und aufrechtzuerhalten (BVerfGE 82, 6 [16] = NJW 1990, 1593 [zu C II 1b]; BVerfGE 87, 234 [267] = NJW 1993, 643 [zu C II 4c aa]). Gleiches gilt für die Freiheit, in gleichgeschlechtlicher Gemeinschaft zu leben (BVerwGE 100, 287 = NVwZ 1997, 189; Bruns, ZRP 1996, 6 [8]). Durch die Versagung des erhöhten Ortszuschlags wird diese Freiheit weder unangemessen erschwert oder gar unmöglich gemacht. Im übrigen schließt diese Freiheit keinen Anspruch auf besondere Vergütungsleistungen ein (vgl. BVerwGE 94, 253 [256] = NJW 1994, 1168 zur nichtehelichen Lebensgemeinschaft).

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BAT § 29 Abschn. B Abs. 1 u. Abs. 2 Nr. 1; Internationaler Pakt vom 19. 12. 1966 über bürgerliche und politische Rechte (BGBl II 1973, S. 1533; BGBl II 1976, S. 1068) Art. 2, 26; EGV Art. 119; Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (75/117/EWG) v. 10. 2. 1975; Richtlinie des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (76/207/EWG) v. 9. 2. 1976; GG Art. 3 I, III, 6 I; BGB §§ 1353 I, 1360ff., 1564 ff.