Besondere Bedeutung bei Notwendigkeit rascher Klärung bedeutsamer Rechtsfragen

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

22. 04. 1997


Aktenzeichen

1 StR 701/96


Leitsatz des Gerichts

  1. Zur Frage, ob die Annahme des Landgerichts, es sei anstelle des Amtsgerichts für das angefochtene Urteil sachlich zuständig gewesen, im Revisionsverfahren von Amts wegen oder nur auf eine entsprechende Verfahrensrüge zu überprüfen ist (Bestätigung von BGH, NJW 1993, 1607 gegen BGHSt 40, 120 = NJW 1994, 2369 = NStZ 1994, 399).

  2. Eine besondere Bedeutung eines Falles i.S. von § 24 I Nr. 3 GVG liegt auch vor, wenn die rasche Klärung einer grundsätzlichen, für eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle bedeutsamen Rechtsfrage durch den BGH ermöglicht werden soll.

  3. Die Beschäftigung eines Arbeitnehmers zu unangemessen niedrigem Lohn kann Wucher (§ 302a I 1 Nr. 3 StGB) sein.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Angekl. beschäftigte in seinem Bauunternehmen ab 1991/1992 zwei tschechische Grenzgänger als Maurer, die er bis einschließlich Oktober 1993 mit einem Bruttostundenlohn von 12,70 DM entlohnte. Der Tariflohn für Maurer betrug 1993 19,05 DM pro Stunde. Seine übrigen Arbeitnehmer entlohnte der Angekl. für gleiche Arbeit mit einem Stundenlohn von 21 DM brutto. Am 31. 3. 1993 erklärte der Angekl. gegenüber dem zuständigen Arbeitsamt wahrheitswidrig, er werde die beiden Maurer ab Mitte April 1993 zu einem Stundenlohn von 21 DM brutto beschäftigen. Daraufhin erhielten diese im Mai 1993 jeweils bis zum Jahresende befristete Grenzgängerkarten durch das Landratsamt und Grenzarbeitererlaubnisse durch das Arbeitsamt. Nach Bekanntwerden der tatsächlichen Arbeitsbedingungen nahm das Arbeitsamt die Arbeitserlaubnisse im Januar 1994 mit rückwirkender Kraft zurück (§ 45 SGB X). Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse erhob die StA Anklage vor dem LG, wobei sie dem Angekl. Wucher (§ 302a I 1 Nr. 3 StGB) in Tateinheit mit einem Vergehen gegen § 227a I AFG vorwarf. Sie vertrat die Auffassung, im Sinne der genannten Vorschrift sei eine fehlende Arbeitserlaubnis mit einer rückwirkend für unwirksam erklärten Arbeitserlaubnis gleichzusetzen. In Übereinstimmung mit einer Stellungnahme des Landesarbeitsamts maß sie dieser für die Praxis der Arbeitsverwaltung bedeutsamen Frage eine besondere Bedeutung i.S. von § 24 I Nr. 3 GVG bei. Die Anklageerhebung vor dem LG sollte eine rasche Klärung dieser Frage durch den BGH ermöglichen. Das LG hat sich die Erwägungen der StA zur besonderen Bedeutung des Falles in seiner Eröffnungsentscheidung ausdrücklich zu eigen gemacht. Auf der Grundlage der dem Anklagevorwurf entsprechenden Feststellungen hat die StrK den Angekl. wegen Wuchers (§ 302a I 1 Nr. 3 StGB) in zwei Fällen (aus subjektiven Gründen erst) ab 31. 3. 1993 zu einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 25 DM verurteilt. Eine Strafbarkeit gem. § 227a AFG hat sie unter Berufung auf eine zwischenzeitlich ergangene Entscheidung des BayObLG (NStZ-RR 1996, 278 = NZA-RR 1996, 474 = wistra 1996, 238) verneint.

Gegen dieses Urteil richtete sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angekl. Die StA hatte ihre ursprünglich ebenfalls eingelegte Revision, mit der sie weiterhin einen Schuldspruch gem. § 227a AFG erstrebte, später wieder zurückgenommen. Das Rechtsmittel des Angekl. blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Der Generalbundesanwalt hat die Frage aufgeworfen, ob es auch ohne hierauf bezogene Verfahrensrüge der revisionsgerichtlichen Prüfung unterfällt, ob das LG zu Recht seine Zuständigkeit bejaht hat. Für die Entscheidung dieser Frage kommt es nicht darauf an, ob das LG - wie hier - seine Zuständigkeit im Hinblick auf die besondere Bedeutung des Falles (§ 24 I Nr. 3 GVG) oder im Hinblick auf die Rechtsfolgenerwartung (§ 24 I Nr. 2 GVG )bejaht hat. Es ist kein Grund ersichtlich, der eine unterschiedliche Behandlung dieser Fallgestaltungen rechtfertigen könnte.

a) Auszugehen ist von § 269 StPO, wonach das Gesetz aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung und der Prozeßwirtschaftlichkeit die fehlerhafte Annahme seiner Zuständigkeit durch ein Gericht höherer Ordnung im Grundsatz für unbeachtlich erklärt; die weitergehende sachliche Zuständigkeit schließt die weniger weitgehende mit ein. Die Verhandlung vor einem unzuständigen Gericht höherer Ordnung benachteiligt den Angekl. auch nicht (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 42. Aufl., § 269 Rdnr. 11). Dementsprechend führt die fehlerhafte Annahme eines Gerichts höherer Ordnung, es sei anstelle des tatsächlich zuständigen Gerichts niederer Ordnung zur Entscheidung berufen, regelmäßig nicht zu einer Urteilsaufhebung (st. Rspr., vgl. z.B. BGHSt 9, 367 (368) = NJW 1957, 33; BGHSt 21, 334 (358) = NJW 1968, 710; BGH, NJW 1993, 1607 (1608); w.Nachw. bei: Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 338 Rdnr. 32).

b) Nach der Rechtsprechung des BGH erfährt dieser Grundsatz eine Einschränkung, wenn (objektive) Willkür vorliegt (vgl. z.B. BGH, GA 1970, 25; NJW 1993, 1607 m.w. Nachw.), also wenn die unzutreffende Annahme seiner Zuständigkeit durch das Gericht höherer Ordnung auf sachfremde oder andere offensichtlich unhaltbare Erwägungen gestützt ist (vgl. BGH, NJW 1993, 1608). Diese Einschränkung des Grundsatzes von § 269 StPO beruht darauf, daß bei einer willkürlichen Annahme der Zuständigkeit das Grundrecht gem. Art. 101 I 2 GG verletzt ist. Ob dieses Grundrecht dadurch verletzt worden ist, daß statt des AG das LG entschieden hat, ist nicht nur vom BVerfG auf eine Verfassungsbeschwerde hin, sondern auch schon vorher im Revisionsrechtszug zu prüfen (BVerfG, NJW 1959, 871 (872); BGH, GA 1970, 25).

c) Noch nicht abschließend geklärt ist in der Rechtsprechung des BGH, ob in den - seltenen (vgl. BGH, GA 1970, 25; BGH, NJW 1993, 1608) - Fällen, in denen die Annahme der Zuständigkeit des Gerichts höherer Ordnung auf (objektiver) Willkür beruht, ein nur auf eine entsprechende Verfahrensrüge zu berücksichtigender Verstoß vorliegt (so der 5. Strafsenat in BGH, GA 1970, 25 und der erkennende Senat in BGH, NJW 1993, 1608; ebenso der 5. Strafsenat für den Fall, daß das SchöffenGer. anstelle des zur Entscheidung berufenen Strafrichters (objektiv) willkürlich seine Zuständigkeit angenommen hat in BGHSt 42, 205 = NJW 1997, 204), oder ob ein solcher Verstoß ein Verfahrenshindernis darstellt und daher auch ohne Verfahrensrüge von Amts wegen zu berücksichtigen ist (so der 4. Strafsenat in BGHSt 38, 172 (176) = NJW 1992, 1775 = NStZ 1992, 342; BGHSt 40, 120 = NJW 1994, 2369 = NStZ 1994, 399; BGH, NStZ 1992, 397).

d) Der Senat hält an der Auffassung fest, daß die Frage einer (objektiv) willkürlichen Zuständigkeitsbegründung durch das Gericht höherer Ordnung nur aufgrund einer entsprechenden Verfahrensrüge zu prüfen ist. Ein Verfahrenshindernis liegt in einem solchen Fall nicht vor. Bei einem Verfahrenshindernis handelt es sich um einen Umstand, der nach dem ausdrücklich erklärten oder aus dem Zusammenhang gesetzlicher Vorschriften ersichtlichen Willen des Gesetzgebers so schwer wiegt, daß von seinem Vorhandensein oder Fehlen die Zulässigkeit des gesamten Verfahrens abhängt (BGHSt 36, 294 (295) = NJW 1990, 920 = NStZ 1990, 196; BGHSt 35, 137 (140) = NJW 1988, 2188 = NStZ 1988, 233; BGHSt 33, 183 (186) = NJW 1985, 2960 = NStZ 1985, 563 jew. m.w. Nachw.). Angesichts der weitreichenden Konsequenzen, die mit dem Vorliegen eines Verfahrenshindernisses verbunden sind, muß das Verfahrenshindernis, sei es auch nach vorangegangener Ermittlung der ihm zugrundeliegenden Tatsachen, offenkundig sein (vgl. auch K. Schäfer, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 24. Aufl., Einl. Kap. 11 Rdnr. 9 a.E.). Kann der Fehler dagegen erst aufgrund einer Wertung festgestellt werden, liegt in aller Regel kein Verfahrenshindernis vor. (BGHSt 32, 345 (351) = NJW 1984, 2300 f. m.w. Nachw.).

An alledem gemessen, erweist sich die willkürliche Annahme seiner Zuständigkeit durch das Gericht höherer Ordnung nicht als Verfahrenshindernis. Schon allein der Umstand, daß die - bloß - fehlerhafte Annahme seiner Zuständigkeit durch das höhere Gericht keinen Rechtsfehler darstellt, der den Bestand des Urteils gefährdet (vgl. oben 1a), spricht dagegen, ein Verfahrenshindernis dann anzunehmen, wenn einem in seinen unmittelbaren Auswirkungen - Verhandlung vor dem LG statt vor dem AG - identischen Fehler in seltenen Fällen ausnahmsweise besonders schwerwiegende Fehlbeurteilungen zugrundeliegen. Erhärtet wird dieses Ergebnis durch den Gesamtzusammenhang der gesetzlichen Regelung in § 338 Nrn. 1 bis 4 StPO; diese Regelung zeigt, daß das Gesetz auch in anderen Fällen, in denen ein anderer als der gesetzlich zuständige Richter entschieden hat, (nur) Verstöße sieht, die erst aufgrund entsprechender Verfahrensrügen zu beachten sind. In § 338 Nr. 1 StPO verlangt das Gesetz sogar zusätzlich, daß ein solcher Verstoß regelmäßig bereits in der Hauptverhandlung vor dem LG geltend gemacht werden muß, damit er mit einer Verfahrensrüge im Revisionsverfahren noch vorgebracht werden kann.

§ 6 StPO ändert an dem Ergebnis nichts, da diese Bestimmung generell unter dem Vorbehalt von § 269 StPO steht (Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 6 Rdnr. 1; Wendisch, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 6 Rdnr. 3; Gollwitzer, in: Löwe/Rosenberg, § 269 Rdnr. 4; Engelhardt, in: KK, 3. Aufl., § 269 Rdnr. 5). Etwas anderes folgt auch nicht daraus, daß die objektiv willkürliche Annahme seiner Zuständigkeit durch das Gericht höherer Ordnung eine Verfassungsverletzung (Art. 101 I 2 GG) darstellt. Auch dann, wenn Verfahrensverstöße zugleich Verfassungsverstöße beinhalten, müssen diese nach der Rechtsprechung des BGH mit einer Verfahrensrüge geltend gemacht werden und dürfen vom RevGer. nicht von Amts wegen berücksichtigt werden (vgl. z.B. BGHSt 19, 273 (277) = NJW 1964, 1234); dies gilt insbesondere auch für einen Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters BGH, NStZ 1996, 585 = StV 1996, 585 (587); BGHSt 26, 84 (90) = NJW 1975, 885; BGH, MDR 1984, 335). Das Rügeerfordernis relativiert das Gewicht der Grundrechtsverletzung nicht, sondern zieht lediglich eine auch im Interesse der Rechtssicherheit gebotene Grenze für deren Geltendmachung und überläßt es dem Bf., ob er sich auf einen Grundrechtsverstoß, der nicht zwingend zu einer unrichtigen Entscheidung geführt haben muß, berufen will oder nicht (vgl. BGHSt 19, 273 (277) = NJW 1964, 1234).

d) Die unterschiedlichen Auffassungen des erkennenden Senats und des 4. Strafsenats zur Frage, ob eine willkürliche Annahme seiner Zuständigkeit durch das höhere Gericht nur auf eine entsprechende Verfahrensrüge oder von Amts wegen zu beachten ist, führen hier jedoch nicht zu einem Verfahren gem. § 132 GVG, da die Revision des Angekl. auch unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des 4. Strafsenats zu verwerfen wäre (vgl. BGHSt 16, 271 (278) = NJW 1961, 2266; K. Schäfer/Harms, in: Löwe/Rosenberg, § 132 GVG Rdnr. 5 m.w. Nachw. in Fußn. 17):

Die genannte Erwägung, mit der das LG die Annahme seiner Zuständigkeit begründet hat, geht von einem zutreffenden Ansatz aus. Unbeschadet des Umstands, daß es letztlich auch im Rahmen eines Verfahrens gem. § 121 II GVG zu einer Entscheidung des BGH kommen könnte, kann das Bedürfnis nach einer alsbaldigen höchstrichterlichen Entscheidung einer Rechtsfrage, die über den Einzelfall hinaus in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle bedeutsam ist, die Annahme einer besonderen Bedeutung i.S. von § 24 I Nr. 3 GVG rechtfertigen (BGH, NJW 1960, 542 (544); Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 214 GVG Rdnr. 6 m.w. Nachw.). Bei dieser Sachlage bestünde auch vom Standpunkt des 4. Strafsenats aus kein Anlaß, an der Zuständigkeit des LG zu zweifeln (vgl. BGH, GA 1980, 220). Der Umstand, daß es infolge des - zum Zeitpunkt der Zuständigkeitsentscheidung noch nicht absehbaren - weiteren Verfahrensgangs dann doch nicht zu einer Entscheidung des BGH über die in Rede stehende Rechtsfrage kommt, ändert an alledem nichts.

2. Die auf die Sachrüge hin gebotene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angekl. ergeben.

a) § 302a I 1 Nr. 3 StGB erfaßt Austauschgeschäfte jeglicher Art (ebenso K. Schäfer/Wolff, in: LK, 11. Aufl., Vorb. § 302 m.Nachw. aus den Gesetzgebungsmaterialien), sofern die Leistung des Opfers für den Täter einen Vermögensvorteil darstellt (K. Schäfer/Wolff, in: LK, § 302a Rdnr. 3). Hierunter fallen auch Arbeitsverhältnisse. Lohnzahlungen sind im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses „sonstige Leistungen" (Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, 25. Aufl., § 302a Rdnr. 7). Die geleistete Arbeit ist jedenfalls dann ein Vermögensvorteil, wenn sich der Erfolg der Arbeit wirtschaftlich zugunsten des Arbeitgebers auswirkt (vgl. Lampe, in: Festschr. f. Maurach, 1972, S. 375 (387)). Hiervon ist in aller Regel auszugehen. Besonderheiten, die hier ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Daß etwa nur ein Lohnempfänger, der sich einen unangemessen hohen Lohn versprechen oder gewähren läßt, nicht aber ein Arbeitgeber Täter des Wuchers sein könnte, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen (Hohendorf, Das Individualwucherstrafrecht nach dem ersten Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität von 1976, 1982, S. 79 (80); vgl. auch schon RGSt 38, 363 (365)).

b) Auch die Annahme eines auffälligen Mißverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Ob ein Mißverhältnis vorliegt, ergibt sich aus dem für den jeweiligen Einzelfall vorzunehmenden Vergleich des Wertes der Leistung mit dem der Gegenleistung. Maßgebend ist, ob seitens des Täters ein Mißverhältnis vorliegt. Daher sind Vorteile, die dem Täter aus dem wucherischen Geschäft zufließen sollen oder - hier - zugeflossen sind, mit dem Wert seiner Leistung zu vergleichen, während es auf einen Vergleich der Leistung mit den Vorteilen, die sich das Opfer aus dem Geschäft verspricht oder - hier - erlangt, nicht ankommt (BayObLG, NJW 1985, 873 m.w. Nachw.). Dementsprechend hatte hier die Frage nach der Kaufkraft, die mit dem ausbezahlten Lohn für die beiden Arbeitnehmer an ihrem Wohnort in Tschechien verbunden war, etwa in Relation zur Kaufkraft des Tariflohns für einen in Deutschland wohnhaften Arbeitnehmer, außer Betracht zu bleiben.

Die StrK hat allein den Wert der Arbeit der Maurer für den Angekl. mit dem hierfür tarifvertraglich vorgesehenen Lohn gleichgesetzt und ihn mit dem vom Angekl. tatsächlich gezahlten Lohn verglichen. Damit hat sie einen rechtlich zutreffenden Vergleichsmaßstab zugrundegelegt (vgl. Stree, in: Schönke/Schröder, § 302a Rdnr. 18; Rautenberg, in: Ulsamer (Hrsg.), Lexikon des Rechts, Strafrecht/Strafverfahrensrecht, 2. Aufl., S. 1218 (1221); allgemein zur Zugrundelegung eines „Marktpreises“ BayObLG, NJW 1985, 873 m.w. Nachw.). Die Entscheidung, ob im Einzelfall die Ungleichgewichtigkeit von Leistung und Gegenleistung als Mißverhältnis i.S. von § 302a I StGB zu bewerten ist, obliegt dem Tatrichter. Das RevGer. kann das Ergebnis der tatrichterlichen Bewertung nicht durch seine eigene ersetzen, sondern nur eingreifen, wenn ein Rechtsfehler vorliegt. Dies kann namentlich der Fall sein, wenn der Tatrichter den gebotenen Vergleich nicht vorgenommen oder hierbei unzulässige Maßstäbe angelegt hat oder wenn das Ergebnis des Vergleichs den Begriff des Mißverhältnisses so einengt oder ausdehnt, daß der Grundgedanke des Gesetzes verfehlt wird. Dieser geht dahin, Verhaltensweisen zu unterbinden, die darauf gerichtet sind, Schwächesituationen bei anderen Personen wirtschaftlich auszubeuten und für Leistungen unverhältnismäßig große Vermögensvorteile zu erreichen (Stree, in: Schönke/Schröder, § 302a Rdnr. 2).

Hieran gemessen, überschreitet die getroffene Entscheidung die der tatrichterlichen Beurteilung gezogenen Grenzen nicht und hält daher rechtlicher Überprüfung stand. Die StrK durfte das Mißverhältnis auch für auffällig halten. Dies ist der Fall, wenn es einem Kundigen, sei es auch erst nach Aufklärung des - oft verschleierten - Sachverhalts, ohne weiteres ins Auge springt (BayObLG, NStZ-RR 1996, 278 m.w. . Nachw.).

c) Auch die Annahme des LG, der Angekl. habe die Unerfahrenheit der beiden tschechischen Arbeitnehmer ausgenutzt, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Wie der BGH bereits ausgesprochen hat, ist Unerfahrenheit im Sinne des Wuchertatbestandes „eine auf den Mangel an Geschäftskenntnis und Erfahrung zurückgehende Eigenschaft des Ausgebeuteten, durch die er sich vom Durchschnittsmenschen unterscheidet" (BGH, NJW 1983, 2780 (2781) m.w. Nachw.). Dabei kommt es nicht darauf an, wie weit allgemein eine ins einzelne gehende Kenntnis über den genauen Inhalt der tarifvertraglichen Bestimmungen für das Baugewerbe verbreitet ist; es ist nämlich allgemein bekannt, daß es für die meisten Berufe und jedenfalls für das Baugewerbe tarifvertraglich festgelegte Löhne gibt, über deren genaue Höhe man sich erforderlichenfalls aus allgemein zugänglichen Quellen informieren kann. (Selbst) hierüber waren die Geschädigten aber nicht im Bilde. Nach den den Senat bindenden Feststellungen des angefochtenen Urteils vertrauten die Geschädigten, die aus einem Land kamen, wo wenige Jahre vor dem Tatzeitraum Löhne und Preise noch staatlich gelenkt waren, darauf, „entsprechend den Sätzen in der Bundesrepublik“ bezahlt zu werden. Dies konnte der Angekl. sich um so leichter zunutze machen, als die Geschädigten kaum deutsch sprachen und auch mit den Wegen der Arbeitsverwaltung in Deutschland nicht einmal ansatzweise vertraut waren. Dies wiederum erleichterte es dem Angekl., gegenüber dem Arbeitsamt falsche Angaben über die Höhe des Lohnes zu machen, die Grundlage dafür waren, daß die Geschädigten Arbeitspapiere erhielten.

d) Auch im übrigen hat die auf die Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils weder im Schuldspruch noch im Strafausspruch einen den Angekl. benachteiligenden Rechtsfehler ergeben.

Vorinstanzen

LG Passau

Rechtsgebiete

Verfahrens- und Zwangsvollstreckungsrecht; Arbeitsrecht; Strafrecht

Normen

StPO §§ 6, 269, 344 II; GVG § 24 I Nr. 3; StGB § 302a I 1 Nr. 3