Betriebliche Übung - Betriebsrentner

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

16. 04. 1997


Aktenzeichen

10 AZR 705/96


Leitsatz des Gerichts

  1. Eine - für den Arbeitnehmer erkennbar - auf das jeweilige Kalenderjahr bezogene Zusage einer Leistung begründet keine Ansprüche der Leistungsempfänger aus einer betrieblichen Übung für zukünftige Jahre.

  2. Ein Widerrufsvorbehalt bzw. die Mitteilung, daß die Leistung freiwillig erfolgt, ist in diesem Fall nicht erforderlich, um Ansprüche für die Zukunft zu beseitigen bzw. überhaupt nicht entstehen zu lassen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten um die Zahlung einer Weihnachtsgratifikation in Höhe von jeweils 100 DM für die Jahre 1992 bis 1994, sowie die Zahlungspflicht der Bekl. für die Folgejahre. Der Kl. war bis zum Jahr 1985 bei der Bekl. als Angestellter im Vertrieb beschäftigt. Im Jahr 1985 trat er in den Ruhestand. Er bezieht seitdem neben den Rentenbezügen aus der gesetzlichen Altersversorgung von der Bekl. eine Betriebsrente gemäß der am 1. 1. 1983 gültigen Versorgungszusage für die Mitarbeiter der M. Zusätzlich erhielt der Kl. in den Jahren 1985 bis einschließlich 1991 jeweils Anfang Dezember eine weitere Zahlung in Höhe von 100 DM. Der Kl. wurde darüber wie folgt informiert:

• Im Jahr 1985: Schreiben der Bekl. vom 18. 11.: „Wir haben uns lange überlegt, ob wir Ihnen in diesem Jahr mit einem Weihnachtspaket oder mit einem Barbetrag wieder eine kleine Freude zum Ende des Jahres bereiten könnten. Entschlossen haben wir uns zu einer Sonderzahlung von 100 DM. Der Betrag wird zusammen mit der Firmenrente zum Ende dieses Monats zur Auszahlung gebracht.“

• Im Jahr 1986: Schreiben der Bekl. vom 18. 11.: „Gern teilen wir Ihnen mit, daß wir uns auch in diesem Jahre zu einer Sonderzahlung von 100 DM entschlossen haben.“

• Im Jahr 1987: Schreiben der Bekl. vom 16. 11.: „Wir haben uns erneut zu einer Sonderzahlung in Höhe von 100 DM entschlossen, die wir Ihnen mit der Firmenrente zum Ende dieses Monats zukommen lassen möchten.“

• Im Jahr 1988 wurde eine Sonderzahlung in Höhe von 100 DM ohne weitere Information an die Firmenrentner der Bekl. gezahlt.

• Im Jahr 1989: Schreiben vom November: „Des weiteren möchten wir Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, daß wir mit der Firmenrente zum Ende dieses Monats eine Sonderzahlung von 100 DM brutto anweisen werden.“

• Im Jahr 1990: Schreiben der Bekl. vom November: „Mit einer Sonderzahlung in Höhe von 100 DM brutto zum Ende dieses Monats hoffen wir, Ihnen eine kleine Freude bereiten zu können.“

• Im Jahr 1991: Schreiben der Bekl. vom November: „Eine kleine Freude hoffen wir Ihnen mit der Sonderzahlung in Höhe von 100 DM brutto zum Ende dieses Monats bereiten zu können.“

Im Jahre 1992 erhielt der Kl. ein Sachgeschenk in Form eines Kaffeeautomaten; dies wurde im Schreiben der Bekl. vom 2. 11. 1992 wie folgt mitgeteilt: „Anstelle einer Sonderzahlung möchten wir Ihnen in diesem Jahr mit unserem neuen Kaffeeautomaten eine kleine Freude bereiten.“ In den Jahren 1993 und 1994 erhielt der Kl. weder ein Sachgeschenk noch eine Sonderzahlung in Höhe von 100 DM. Im Jahre 1992 hatte die Bekl. aus Kostengründen die freiwillige Leistung an die aktiven Mitarbeiter abgebaut. Aus diesem Grund stellte die Bekl. auch die Sonderzahlung in Höhe von 100 DM an die Betriebsrentner ein. Ob hierzu die Zustimmung des Betriebsrats eingeholt worden ist, ist zwischen den Parteien streitig. Mit seiner Klage verlangt der Kl. die Sonderzahlung von 100 DM pro Jahr seit 1992. Er ist der Auffassung, nach der jahrelangen vorbehaltlosen Zahlung von 1985 bis 1991 sei die Bekl. aufgrund betrieblicher Übung weiterhin verpflichtet, eine solche jährliche Sonderzahlung zu erbringen. Ein ausdrücklicher Widerruf der Zahlung sei nicht erfolgt; die Bekl. sei auch nicht berechtigt, die Leistung einzustellen, da ein sachlicher Grund hierfür nicht gegeben sei.

Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Das LAG hat die Berufung der Bekl. zurückgewiesen. Mit der vom LAG zugelassenen Revision verfolgt die Bekl. ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Revision hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Der Kl. hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer jährlichen Sonderzahlung in Höhe von 100 DM aufgrund einer betrieblichen Übung. Die entgegenstehenden Entscheidungen des LAG und des ArbG sind daher aufzuheben bzw. abzuändern und die Klage abzuweisen.

I. Das LAG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Kl. könne in den Jahren 1992 bis 1994 sowie in den Folgejahren eine jährliche Sonderleistung in Höhe von 100 DM als vertragliche Leistung aufgrund einer von der Bekl. gesetzten betrieblichen Übung verlangen. Das Entstehen eines vertraglichen Gratifikationsanspruchs aus betrieblicher Übung sei nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Kl. sich nicht mehr in einem aktiven Arbeitsverhältnis bei der Bekl. befunden habe, sondern ihm lediglich Betriebsrentenansprüche zustanden. Die Voraussetzungen für das Entstehen einer betrieblichen Übung seien gegeben, da die Bekl. dem Kl. seit seinem Eintritt in den Ruhestand im Jahre 1985 jeweils Anfang Dezember eines jeden Jahres eine Sonderzahlung in Höhe von 100 DM ohne Vorbehalt gewährt habe. Aus der Art und Weise der Zahlungsankündigung in den jährlichen Mitteilungen der Bekl. ergebe sich nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit, daß über die Gewährung der Sonderzahlung jedes Jahr neu entschieden werden soll. Ein Freiwilligkeitsvorbehalt im Sinne der Rechtsprechung des BAG könne daraus nicht mit der erforderlichen Unmißverständlichkeit entnommen werden, ebensowenig ein Widerrufsvorbehalt. Die Bekl. könne sich auch nicht darauf berufen, daß es sich bei der jährlichen Sonderleistung um eine Schenkung gehandelt habe. Diesen Ausführungen vermag der Senat nicht zu folgen.

II. Der Kl. hat keinen Anspruch auf die Weitergewährung einer jährlichen Sonderzahlung von 100 DM aufgrund einer betrieblichen Übung. Eine betriebliche Übung ist nicht entstanden; es kann daher dahinstehen, ob sich der Kl. als Betriebsrentner überhaupt auf eine betriebliche Übung als Anspruchsgrundlage stützen könnte.

1. Die Voraussetzungen einer betriebliche Übung sind nicht gegeben.

a) Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden (BAG, NZA 1994, 694 = NJW 1994, 3372 = AP Nr. 43 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG, NZA 1995, 418 = AP Nr. 45 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG, NZA 1996, 758 = NJW 1996, 3166 = AP Nr. 192 zu § 611 BGB Gratifikation). Aus diesem als Willenserklärung zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf üblich gewordene Leistungen. Bei der Anspruchsentstehung ist nicht der Verpflichtungswille des Arbeitgebers ausschlaggebend, sondern wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133 , 157 BGB) verstehen mußte und durfte. Will der Arbeitgeber verhindern, daß aus der Stetigkeit eines Verhaltens eine in die Zukunft wirkende Bindung entsteht, muß er einen entsprechenden Vorbehalt erklären. In welcher Form dies geschieht, ist nicht entscheidend; erforderlich ist jedoch, daß der Vorbehalt klar und unmißverständlich kundgetan wird (BAG, NZA 1994, 694 = NJW 1994, 3372 = AP Nr. 43 zu § 242 BGB Betriebliche Übung).

b) Ob aus einem wiederholten tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers danach eine betriebliche Übung mit einem Anspruch der Arbeitnehmer auf die zukünftige Gewährung der Leistung entsteht oder lediglich eine Entscheidung für das jeweilige Jahr abzuleiten ist, hat der Tatsachenrichter zu ermitteln (BAG, NZA 1996, 758 = NJW 1996, 3166 = AP Nr. 192 zu § 611 BGB Gratifikation). Das RevGer. kann insoweit nur prüfen, ob der angenommene Erklärungswert des tatsächlichen Verhaltens den Auslegungsregeln der §§ 133 , 157 BGB entspricht und mit den Gesetzen der Logik und den allgemeinen Erfahrungssätzen vereinbar ist (BAGE 22, 429 [433] = NJW 1971, 163 = AP Nr. 9 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG, NZA 1994, 694 = NJW 1994, 3372 = AP Nr. 43 zu § 242 BGB Betriebliche Übung). Zu beurteilen ist, ob das LAG anhand der von ihm festgestellten Umstände des Einzelfalls (§ 561 II ZPO) zu einem zutreffenden Auslegungsergebnis gelangt ist.

c) Nach diesen Grundsätzen kann vorliegend aus der tatsächlichen Zahlung der Bekl. und den sonstigen Umständen, insbesondere bei Berücksichtigung der jeweiligen Schreiben der Bekl. kein Anspruch des Kl. auf die jährliche Sonderzahlung aufgrund einer betrieblichen Übung hergeleitet werden. Die mehr als dreimalige Gewährung der Sonderzahlung führt zwar grundsätzlich zu einem Anspruch aus betrieblicher Übung; dies gilt aber nicht, wenn aus dem Verhalten des Arbeitgebers nur eine Zahlung für das jeweilige Jahr abzuleiten ist (BAG, NZA 1996, 758 = NJW 1996, 3166 = AP Nr. 192 zu § 611 BGB Gratifikation). Dies ist vorliegend der Fall. Aus den Ankündigungsschreiben der Bekl. in den Jahren 1985 bis 1987 und 1989 bis 1991 folgt, daß ein Anspruch der Betriebsrentner auf die Sonderzahlung nur für das jeweilige Jahr gegeben ist. Der Inhalt der Ankündigungsschreiben (1985: „. . . in diesem Jahr, . . .“; 1986: „. . . auch in diesem Jahr, . . .“; 1987: „. . . erneut, . . .“) zeigt, daß die Sonderzahlung an die Betriebsrentner nicht ohne jede Einschränkung und auf Dauer gewährt werden sollte. Aufgrund dieser Ankündigungsschreiben konnten die Betriebsrentner nicht annehmen, daß sie auch in Zukunft mit einer gleichen Sonderzahlung rechnen durften (BAG, NZA 1994, 694 = NJW 1994, 3372 = AP Nr. 43 zu § 242 BGB Betriebliche Übung); ein rechtlich geschütztes Vertrauen auf die Fortsetzung des bisherigen Verhaltens der Arbeitgeberin konnte sich daraus nicht bilden. Entsprechend der Entscheidung des 5. Senats vom 12. 1. 1994 (NZA 1994, 694 = NJW 1994, 3372 = AP Nr. 43 zu § 242 BGB Betriebliche Übung) ist dabei auch zu berücksichtigen, daß die Sonderzahlung in Anbetracht ihrer jeweiligen Höhe nicht als materiell ins Gewicht fallende Leistung anzusehen ist und letztlich nur eine Annehmlichkeit bedeutete. Auch soweit die Ankündigungsschreiben der Bekl. für die Jahre 1989 bis 1991 einen Bezug auf das jeweilige Jahr nicht in der Deutlichkeit wie die früheren Schreiben der Bekl. enthalten, ergibt sich auch aus diesen Schreiben, daß nur im jeweiligen Kalenderjahr die Sonderzahlung gewährt werden soll; dies findet u.a. darin Ausdruck, daß die Bekl. ausführt, mit der Sonderzahlung dem Betriebsrentner „eine kleine Freude“ bereiten zu wollen.

d) Ist somit bereits aus den Umständen der jeweiligen Zahlung und der Ankündigung in den Schreiben der Bekl. eine betriebliche Übung nicht herzuleiten, weil für die Betriebsrentner erkennbar war, daß das Versprechen der Sonderzahlung jeweils nur für das betreffende Jahr galt (BAG, NZA 1995, 418), so kommt es darauf, ob sich die Bekl. mit ihrer Ankündigung der Sonderzahlung jeweils den Widerruf der Sonderleistung vorbehalten bzw. die Freiwilligkeit der Leistung zum Ausdruck gebracht hat, nicht an. War für die Leistungsempfänger erkennbar, daß sich die Zusage der Leistung nur auf das jeweilige Kalenderjahr bezog, ist der Vorbehalt des Widerrufs der Leistung bzw. die Mitteilung, daß die Leistung freiwillig erfolgt, nicht erforderlich, um Ansprüche für die Zukunft zu beseitigen bzw. überhaupt nicht entstehen zu lassen. Eine auf das jeweilige Kalenderjahr bezogene Zusage einer Leistung erzeugt keine Ansprüche der Leistungsempfänger für zukünftige Jahre (BAG, NZA 1995, 418).

e) Zum gleichen Ergebnis führt die Überlegung, daß der Sonderzahlung des Bekl. in den Jahren 1985 bis 1991 aufgrund der besonderen Umstände und der jeweiligen Ankündigungsschreiben ein Entgeltcharakter nicht zukommt. Zwar haben Zahlungen im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses grundsätzlich Entgeltcharakter, sie sind auch bei freiwilliger Leistung kein Geschenk (Schaub, ArbeitsR-Hdb., 8. Aufl., § 78 I 6, S. 555). Das folgt daraus, daß eine Sonderzahlung eine Anerkennung und damit eine zusätzliche Vergütung für die im Bezugsjahr geleistete Arbeit sein kann oder ein Entgelt für in der Vergangenheit bewiesene Betriebstreue bzw. ein Anreiz für künftige Betriebstreue (BAG, AP Nrn. 92, 93 zu § 611 BGB Gratifikation). Gegen den Entgeltcharakter der von der Bekl. in den Jahren 1985 bis 1991 erbrachten Sonderleistung spricht aber, daß es sich um einen relativ geringen Betrag handelte und ein Bezug zur Arbeitsleistung der Betriebsrentner nicht mehr gegeben ist.

2. Da der Anspruch des Kl. somit nicht auf eine betriebliche Übung gestützt werden kann und eine andere Anspruchsgrundlage nicht ersichtlich ist, sind die Entscheidungen des LAG und des ArbG aufzuheben bzw. abzuändern; die Klage ist abzuweisen.

Vorinstanzen

LAG Hamm, 10 Sa 2239/95, 23.8.1996

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BGB § 242 Betriebliche Übung, § 611 Gratifikation