Freistellung nach § 3 Nr. 9 EStG bei Auflösung eines Dienstverhältnisses

Gericht

BFH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

16. 07. 1997


Aktenzeichen

XI R 85/96


Leitsatz des Gerichts

Der Arbeitgeberwechsel im Rahmen eines (Teil-)Betriebsübergangs führt in der Regel nicht zur Auflösung des bestehenden Dienstverhältnisses.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. ist Energieberater und wurde zusammen mit seiner Ehefrau, der Kl., zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kl. wechselte im Streitjahr von der R-AG zu der S-AG. Infolge der Beendigung des Konzessionsvertrags für die Stromversorgung des Versorgungsgebiets D. übertrug die R-AG aufgrund vertraglicher Vereinbarungen vom 5./6. 2. 1991 ihre Stromversorgungsanlagen auf die S-AG. In einem Schreiben vom 5. 2. 1991 teilte die R-AG dem Kl. mit, daß er vom 1. 2. 1991 an Mitarbeiter der S-AG sei. Im Hinblick auf die Absicherung des sozialen Besitzstands werde ein Ausgleich für eventuelle Minderungen in der Vergütung und den sozialen Leistungen gewährt, der für den Fall eines durch den Kl. bedingten Ausscheidens vor Ablauf von drei Jahren zurückzuzahlen sei. Bezüglich der Altersversorgung werde von der S-AG für die noch nicht unverfallbare Anwartschaft ein nach versicherungsmathematischen Grundsätzen berechneter Wert ausgezahlt. Die S-AG teilte dem Kl. mit Schreiben vom 7. 2. 1991 mit, sie sei bereit, ihn mit Wirkung vom 1. 2. 1991 als Arbeitnehmer zu übernehmen. Da die tariflichen und betrieblichen Regelungen der S-AG von denen der R-AG abwichen, müsse ein neuer Arbeitsvertrag abgeschlossen werden; die Vordienstzeiten bei der R-AG würden hinsichtlich von Jubiläen und sonstigen betrieblichen und sozialen Leistungen anerkannt, so daß der Kl. insoweit keinen Nachteil erleide. Noch am selben Tag unterzeichnete der Kl. den vorbereiteten Arbeitsvertrag, in dem es unter anderem heißt, daß der Kl. als Sachbearbeiter von der R-AG übernommen werde. Der Beginn der Beschäftigungszeit wurde auf den 1. 7. 1981, der Beginn der Dienstzeit auf den 1. 7. 1979 festgesetzt. Eine Probezeit wurde nicht vereinbart. Den Vereinbarungen entsprechend erhielt der Kl. Ausgleichszahlungen, von der R-AG 106126 DM und von der S-AG 13039 DM. Für diese Leistungen beantragte er die Anwendung des § 3 Nr. 9 und der §§ 24 Nr. 1 lit.a, 34 I EStG. Der Bekl. ermäßigte zwar den auf die außerordentlichen Einkünfte entfallenden Steuersatz (§§ 24 Nr. 1 lit.a, 34 I EStG), lehnte die Anwendung des § 3 Nr. 9 EStG aber ab. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg; die Entscheidung des FG ist in EFG 1997, 391 veröffentlicht. Mit der Revision rügen die Kl. Verletzung sachlichen Rechts. Sie beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer unter Berücksichtigung eines Freibetrags nach § 3 Nr. 9 EStG von 24000 DM festzusetzen.

Die Revision hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Gem. § 3 Nr. 9 S. 1 EStG sind Abfindungen wegen einer vom Arbeitgeber veranlaßten oder gerichtlich ausgesprochenen Auflösung des Dienstverhältnisses, höchstens jedoch 24000 DM, steuerfrei. § 3 Nr. 9 EStG erfaßt Leistungen zur Abgeltung von Interessen, die durch die Auflösung des Dienstverhältnisses beeinträchtigt sind; die Abfindung soll Nachteile des Arbeitnehmers aus dem Verhalten des bisherigen Arbeitgebers ausgleichen und wird aus diesem Grund in bestimmtem Umfang von der Steuer freigestellt (vgl. BFHE 164, 279 = BStBl II 1991, 723). Die Auflösung des Dienstverhältnisses verlangt dessen endgültige Beendigung; nur unter dieser Voraussetzung ist die aus sozialpolitischen Gründen gewährte Steuerbefreiung, mit der den Folgen eines Arbeitsplatzverlustes Rechnung getragen werden soll, gerechtfertigt. Eine rein formale Betrachtung, die ausschließlich auf den Wechsel der Arbeitgeber abstellt, wird der Zielsetzung des § 3 Nr. 9 EStG nicht gerecht. Entscheidend ist vielmehr, ob die Bet. nach den Umständen des einzelnen Falls die Umsetzung als Fortsetzung eines einheitlichen Dienstverhältnisses ausgestaltet haben. Eine Auflösung des Dienstverhältnisses liegt daher nicht vor, wenn es nach einer sog. Änderungskündigung mit geänderten Konditionen fortgeführt wird. Andererseits wird ein bestehendes Dienstverhältnis nicht fortgesetzt, wenn nach seiner Beendigung mit demselben Arbeitgeber ein neues Dienstverhältnis zu anderen Bedingungen begründet wird. Ob eine Umsetzung innerhalb eines Konzerns die Beendigung des Dienstverhältnisses zur Folge hat, ist nach Auffassung des BFH davon abhängig, ob das neue Dienstverhältnis als Fortsetzung des bisherigen Dienstverhältnisses zu beurteilen ist (vgl. BFHE 161, 372 - BStBl II 1990, 1021 m.w. Nachw.).

2. Im Streitfall hat das FG zu Recht entschieden, daß das bisherige Dienstverhältnis nicht aufgelöst wurde. Der (Teil-)Betriebsübergang von der R-AG auf die S-AG hat nicht zur endgültigen Beendigung des bestehenden Dienstverhältnisses geführt; das bestehende Dienstverhältnis wurde vielmehr mit einem neuen Arbeitgeber und mit teilweise geänderten Konditionen fortgesetzt. Die Fortsetzung des bestehenden Dienstverhältnisses kommt insbesondere darin zum Ausdruck, daß die an der Übertragung des Betriebs beteiligten Personen von einem Betriebsübergang i.S. des § 613a BGB ausgegangen sind, der den Bestand des bisherigen Arbeitsverhältnisses schützt und zu dessen Fortsetzung führt (Palandt/Putzo, BGB, 56. Aufl. [1997], § 623a Rdnr. 16; Schaub, in: MünchKomm, 2. Aufl. [1988], § 613a Rdnrn. 39, 43a), daß in dem mit der S-AG abgeschlossenen Arbeitsvertrag nicht von einer Einstellung, sondern von einer Übernahme gesprochen wird und daß als Beginn der Beschäftigung der Tag angesetzt wurde, an dem der Kl. seinen Dienst bei der R-AG begonnen hatte. Ferner wurde in bezug auf Arbeitnehmerjubiläen oder sonstige Leistungen eine Anrechnung der bei der R-AG zurückgelegten Vordienstzeiten vereinbart.

Der von den Kl. in den Vordergrund gestellte Umstand, daß das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber, der R-AG, beendet worden sei, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Allein ein Wechsel in der Person des Arbeitgebers führt noch nicht zu einer Auflösung des Dienstverhältnisses i.S. des § 3 Nr. 9 EStG. Wird das bestehende Dienstverhältnis zwar mit einem neuen Arbeitgeber, aber im übrigen in bezug auf den Arbeitsbereich, die Entlohnung und unter Wahrung des sozialen Besitzstands im wesentlichen unverändert fortgesetzt, so ist ein die Anwendung des § 3 Nr. 9 EStG rechtfertigender Arbeitsplatzverlust nicht gegeben. Den Kl. kann deshalb auch insoweit nicht gefolgt werden, als sie der Meinung sind, daß der Streitfall mit solchen Fällen gleichzubehandeln sei, in denen sich an die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses nahtlos die Begründung eines neuen Dienstverhältnisses anschließt.

Vorinstanzen

FG Düsseldorf, 10 K 4378/93, 22.8.1996

Rechtsgebiete

Steuerrecht

Normen

EStG § 3 Nr. 9 S. 1