Sperr- und Wiederanschlußklausel in Mobilfunk-AGB

Gericht

OLG Schleswig


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

29. 05. 1997


Aktenzeichen

2 U 42/96


Leitsatz des Gerichts

Ein Mobilfunkanbieter darf zwar den Anschluss eines Kunden, der die Gebühren nicht zahlt, sperren, aber nicht schon nach fünf Werktagen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. des Verfahrens 2 U 37-96 (NJW-RR 1998, 54 [in diesem Heft]) nimmt die Bekl., die Mobilfunkdienstleistungen anbietet und in ihren Verträgen mit Verbrauchern über Mobilfunkdienstleistungen AGB verwendet, im Verfahren nach § 13 AGBG auf Unterlassung der folgenden Klausel in Anspruch:

„Der Diensteanbieter behält sich unbeschadet seiner gesetzlichen Rechte vor, bei Nichteinlösung der Lastschrift oder, sofern eine andere Zahlungsweise schriftlich vereinbart worden ist, bei Nichtbezahlung der Gebührenrechnung fünf Werktage nach Rechnungsstellung den Telefonanschluß bis zum Eingang der fälligen Gebühren zu sperren und eine Gebühr für den Wiederanschluß gemäß Preistabelle zu erheben, wenn die Nichteinlösung bzw. Nichtbezahlung im Verantwortungsbereich des Kunden liegt.“

Das LG hat die erste Alternative der Klausel (Sperrung des Telefonanschlusses) für unwirksam, die zweite Alternative (Erhebung einer Gebühr für den Wiederanschluß gemäß Preistabelle) für wirksam erachtet. Dagegen richten sich die Berufungen der Parteien. Der Senat hat dem Rechtsmittel des Kl. stattgegeben.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Die Berufung der Bekl. bleibt ohne Erfolg, weil das LG mit zutreffender Begründung angenommen hat, daß die erste Alternative der in Rede stehenden Klausel (Sperrung des Telefonanschlusses) gegen die Bestimmungen des § 9 I , II Nr. 1 AGBG verstößt. Danach sind Bestimmungen in AGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Mit Recht sieht das LG eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders darin, daß die in Rede stehende Klausel § 320 II BGB abbedingt. Danach kann die Gegenleistung, wenn von der einen Seite teilweise geleistet worden ist, insoweit nicht verweigert werden, als die Verweigerung nach den Umständen, insbesondere wegen verhältnismäßiger Geringfügigkeit des rückständigen Teils, gegen Treu und Glauben verstoßen würde. Dies berücksichtigt die von der Bekl. vorgenommene formularmäßige Ausgestaltung des Rechts zum Sperren des Telefonanschlusses als Ausprägung des Rechts auf Geltendmachung der Einrede des nichterfüllten Vertrags nicht. Bei der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung der Klausel, auf die gerade im Rahmen einer Klage nach § 13 II AGBG abzustellen ist (BGHZ 91, 55 = NJW 1984, 2161 = LM § 8 AGBG Nr. 4; BGHZ 95, 362 = NJW 1986, 46 [47] = LM § 8 AGBG Nr. 9), kann die Bekl. den Anschluß auch sperren, wenn ihr Kunde lediglich einen sehr geringfügigen Betrag der Rechnung nicht bezahlt hat. Daß dies der Wertung des § 320 II BGB widerspricht, liegt auf der Hand und bedarf keiner näheren Begründung.

Der Einwand der Bekl., § 320 II BGB sei letztendlich eine überflüssige Vorschrift, wo nur das wiederholt werde, was sich auch aus § 242 BGB ergebe, geht fehl. Denn für ihre Kunden ist es durchaus wichtig zu wissen, ab welchem Rückstand sie mit einer Sperrung des Anschlusses rechnen müssen. So ist nach § 19 I Nr. 1 der Telekommunikations-KundenschutzVO vom 19. 12. 1995 (BGBl I, 2020) die Deutsche Telekom AG berechtigt, die Inanspruchnahme von Monopoldienstleistungen ganz oder teilweise zu unterbinden (Sperre), wenn der Kunde mit Zahlungsverpflichtungen von mindestens 150 DM im Verzug ist. Daß - wie die Bekl. weiterhin geltend macht - erst das vollständige Nichtbezahlen einer gesamten Gebührenrechnung und nicht nur eines Teils einer Gebührenrechnung die Sperrmöglichkeit nach der Klausel eröffnet, ergibt sich aus dem Wortlaut der Klausel gerade nicht. Diese erlaubt vielmehr nach dem Gesagten eine Sperrung des Anschlusses auch bei der Nichtzahlung von Kleinbeträgen. Daß in solchen Fällen der Kunde entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt wird, liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Begründung.

II. Die Berufung des Kl. hat Erfolg, soweit das LG die Klage - gerichtet gegen die 2. Alternative der in Rede stehenden Klausel (Erhebung einer Gebühr für den Wiederanschluß gemäß Preistabelle) - abgewiesen hat. Die Begründung des LG, der Kunde werde durch die Klausel nicht beschwert, weil sich aus der Gebührentabelle der Bekl. ergebe, daß diese tatsächlich keine solche Gebühr erhebe, greift zu kurz. Das LG berücksichtigt nicht, daß sich die Bekl. die Erhebung einer solchen Gebühr vorbehält. Sie muß lediglich die Gebührentabelle ändern; dann kann sie die Gebühr erheben. Daß die Bekl. dies derzeit nicht beabsichtigt, ist unerheblich, sondern führt nur zu der Frage, warum sie auf diesen Teil der Klausel beharrt. Damit verstößt die Klausel gegen das zur konkreten tatbestandlichen Ausformung von AGB gehörende Gebot der Klarheit und Bestimmtheit (Transparenzgebot). Das Gebot der Bestimmtheit verlangt, daß die tatbestandlichen Voraussetzungen und die Rechtsfolgen so genau beschrieben werden, daß für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Da sich der Verwender in AGB nicht beliebig ein Bestimmungsrecht über die anzuwendenden Rechtsfolgen einräumen kann, kann ihm auch nicht gestattet werden, durch einen ungenauen Tatbestand oder eine ungenaue Rechtsfolge sich Beurteilungsspielräume zu verschaffen, die einem Bestimmungsrecht gleichkommen. Das Transparenzgebot ergänzt das Bestimmtheitsgebot in der Weise, daß die tatbestandlichen Voraussetzungen und die Rechtsfolgen von AGB-Klauseln für den anderen Vertragsteil aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters nachprüfbar sein müssen und nicht irreführen dürfen (vgl. Wolf-Horn-Lindacher, AGBG, 3. Aufl., § 9 Rdnrn. 143, 150).

Hinzu kommt ein Verstoß gegen das Klauselverbot des § 11 Nr. 4 AGBG. Danach ist in AGB unwirksam eine Bestimmung, durch die der Verwender von der gesetzlichen Obliegenheit freigestellt wird, den anderen Vertragsteil zu mahnen. Diese Bestimmung ist auch anwendbar, wenn die in Rede stehende Klausel nicht ausdrücklich Mahnung oder Nachfristsetzung für entbehrlich erklärt, der Verwender aber für sich eine Rechtsfolge in Anspruch nimmt, die nach dem Gesetz erst aufgrund Mahnung oder Fristsetzung eintritt (BGHZ 102, 41 [45] = NJW 1988, 258 = LM § 9 [Bf] AGBG Nr. 12). Das ist der Fall. Die Bekl. nimmt als Anspruchsgrundlage für die Erhebung einer Wiederanschlußgebühr eine positive Vertragsverletzung an. Das trifft nicht zu. Sperrung des Anschlusses und Wiederanschluß sind Folgen verzögerter Zahlung. Der Schuldner, der trotz Fälligkeit nicht leistet, handelt zwar seinen vertraglichen Verpflichtungen zuwider. Die Folgen verspäteter Leistung sind jedoch in den §§ 284 , 286 , 288 BGB abschließend geregelt (BGH, NJW 1985, 320 [324] = LM § 4 AGBG Nr. 4; Palandt-Heinrichs, BGB, 56. Aufl., § 276 Rdnr. 107, § 284 Rdnr. 4, § 286 Rdnr. 8). Die in Rede stehende Klausel regelt die Folge einer verspäteten Zahlung und ermöglicht die Erhebung einer Wiederanschlußgebühr, obwohl mangels Mahnung Verzug nicht gegeben ist. Verzug ist schuldhaftes Nichtleisten trotz Fälligkeit und Mahnung.

Der Ausnahmetatbestand des § 284 II 1 BGB, wonach der Schuldner ohne Mahnung in Verzug kommt, wenn für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist, liegt nicht vor. Aufgrund der Bestimmung in der Klausel „fünf Werktage nach Rechnungsstellung“ wird die Leistungszeit nicht kalendermäßig i. S. des § 284 II 1 BGB bestimmt, so daß eine verzugsbegründende Mahnung nicht entbehrlich ist (vgl. BGHZ 96, 313 [315] = NJW 1986, 1429 = LM EKG Nr. 9-10 - „60 Tage nach Rechnungsstellung“ sollen nicht ausreichen).

Rechtsgebiete

Verbraucherschutzrecht

Normen

AGBG §§ 9, 11 Nr. 4; BGB § 320