Gehaltsabstand bei frei vereinbarten Gehältern (Chefredakteure)

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

18. 06. 1997


Aktenzeichen

5 AZR 146/96


Leitsatz des Gerichts

  1. Nach § 2 IIIa des Gehaltstarifvertrags für Redakteure und Redakteurinnen an Zeitschriften in den alten und neuen Bundesländern müssen die frei zu vereinbarenden Gehälter unter anderem der Chefredakteure und Ressortleiter angemessen über den Tarifgehältern liegen.

  2. Der angemessene Abstand ist bei Erhöhungen der Tarifgehälter zu überprüfen.

  3. Unterläßt der Arbeitgeber die Anpassungsprüfung oder lehnt er eine angemessene Anpassung ab, so kann der Arbeitnehmer hierüber eine gerichtliche Entscheidung herbeiführen oder unmittelbar auf Zahlung klagen.

  4. Für die Angemessenheit des Gehaltsabstands i.S. des § 2 III GTV kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. ist seit 1981 als Ressortleiter im Zeitungsverlag der Bekl. tätig. Er verlangt von der Bekl. eine Gehaltserhöhung für die Zeit vom 1. 4. 1993 bis zum 30. 4. 1994. Kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit wie auch kraft Vereinbarung im Arbeitsvertrag unterliegt das Arbeitsverhältnis der Parteien den Bestimmungen des Gehaltstarifvertrags für Redakteure an Zeitschriften (GTV). § 2 IIIa GTV lautet:

§ 2. (3) a) Die Gehälter der Chefredakteurinnen/Chefredakteure, stellvertretenden Chefredakteurinnen/Chefredakteure, geschäftsführenden Redakteurinnen/Redakteure, Cheffinnen/Chefs vom Dienst, Ressortleiterinnen/Ressortleiter sowie den Redakteurinnen/Redakteuren mit vergleichbaren Funktionen sind frei zu vereinbaren. Ihre Gehälter müssen angemessen über den ihren Berufsjahren entsprechenden Tarifsätzen für Redakteurinnen/Redakteure der Gruppe I liegen bzw. über den Sätzen der Gruppe II, falls ihnen Redakteurinnen/Redakteure unterstehen, die in dieser Gruppe einzureihen sind. Im Falle von Änderungen der Tarifgehälter ist die Angemessenheit der frei zu vereinbarenden Gehälter in Relation zu den Gehaltssätzen der Gruppen I und II zu überprüfen...

Nach § 2 II GTV zählen zu den Redakteuren der Gehaltsgruppe II solche in besonderer Stellung, insbesondere Redakteure, denen mindestens ein Redakteur der Gruppe I unterstellt ist. Die Gehälter der Gehaltsgruppe II ab 15. Berufsjahr betrugen bis zum 30. 4. 1993 7292 DM brutto und ab 1. 5. 1993 bis zum 30. 4. 1994 7533 DM brutto. Die Gehaltssätze für Redakteure der Gruppe I (Eingangsgruppe) betrugen im 15. Berufsjahr bis zum 30. 4. 1993 6175 DM brutto, ab 1. 5. 1993 bis zum 30. 4. 1994 6379 DM brutto (§ 2 I GTV). Dem Kl. sind zwei Redakteure der Gehaltsgruppe I unterstellt. Seine Bezüge wurden im Jahre 1981 mit 5600 DM brutto vereinbart. Das Tarifgehalt der Redakteure der Gehaltsgruppe I betrug damals 3606 DM brutto. Der Kl. erhielt Gehaltserhöhungen, zuletzt ab 1. 7. 1992. Seitdem betragen seine Bezüge 7600 DM brutto im Monat. Der Kl. hat vorgetragen, der Abstand zwischen seinem Bruttogehalt und den Bruttogehältern für Redakteure der Gehaltsgruppe I habe anfangs 35,6 % betragen und in den Jahren 1982 bis 1989 zwischen 38,4 % und 28,11 % gelegen. Der Abstand sei dann ab Mai 1993 kontinuierlich auf 16,06 % gesunken. Insgesamt zeige die Entwicklung der Gehaltsunterschiede eine fallende Tendenz auf. Angemessen sei eine Gehaltsdifferenz von 25 % zu den Bezügen der Gehaltsgruppe I. Dies ergebe für die Zeit vom 1. 4. 1993 bis zum 30. 4. 1994 einen Erhöhungsbetrag von 4630 DM brutto. Die tarifvertragliche Ausschlußfrist des § 5 MTV sei gewahrt.

Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Das LAG hat die Berufung des Bekl. im wesentlichen - bis auf die Korrektur eines Berechnungsfehlers - zurückgewiesen. Mit der Revision will die Bekl. die Abweisung der Klage insgesamt erreichen. Die Revision blieb ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Die Vorinstanzen haben angenommen, der Kl. habe Anspruch darauf, daß sein Gehalt 25 % über dem entsprechenden Gehalt der Vergütungsgruppe I (im folgenden: VergGr. I) liege; dies sei der angemessene Abstand i.S. des § 2 IIIa GTV. Diese Auffassung ist nicht zu beanstanden.

1. Rechtsgrundlage für das Klagebegehren ist § 2 IIIa GTV.

a) Der Kl. fällt als Ressortleiter in den persönlichen Geltungsbereich dieser Vorschrift.

b) Gem. § 2 IIIa 2, 3 GTV müssen die frei zu vereinbarenden Gehälter dieses Personenkreises angemessen über den tariflich geregelten Gehältern der Redakteure der Tarifgruppe I bzw. der Tarifgruppe II liegen; bei Änderungen der Tarifgehälter ist die Angemessenheit der frei vereinbarten Gehälter zu überprüfen.

2. Hiernach hat der Kl. Anspruch auf die begehrte Gehaltserhöhung.

a) Allerdings ergibt sich aus § 2 IIIa GTV nicht unmittelbar ein Anspruch auf Zahlung eines Gehalts in einer bestimmten, betragsmäßig festgelegten Höhe. Die Vorschrift verlangt im Bereich der frei vereinbarten Gehälter nur einen "angemessenen" Abstand zu den nachgeordneten Mitarbeitern und eine Überprüfung der Angemessenheit des Abstands bei einer Änderung der tariflichen Bezüge.

b) Die Frage, welcher Gehaltsabstand im Sinne der tariflichen Norm als angemessen anzusehen ist, wird im Tarifvertrag selbst nicht beantwortet. Der Tarifvertrag bestimmt auch nicht, ob dem Arbeitgeber ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht zustehen soll, wenn nach einer Tariflohnänderung die (weitere) Angemessenheit des Gehalts zu überprüfen ist. Es spricht viel dafür, im Bereich der frei zu vereinbarenden Gehälter eine Verhandlungspflicht anzunehmen, da auch ein nach Tariflohnänderungen neu festgesetztes Gehalt ein frei zu vereinbarendes Gehalt ist. Die Frage kann offenbleiben. Auch wenn jede Fixierung des Gehalts auf einen bestimmten Betrag der Vereinbarung, also eines vertraglichen Konsenses bedarf, darf sich der Arbeitgeber nicht verweigern, indem er die ihm nach dem Tarifvertrag obliegende Prüfung der weiteren Angemessenheit des frei vereinbarten Gehalts ablehnt. Da das frei vereinbarte Gehalt angemessen über dem der tariflich bezahlten Mitarbeiter liegen muß, ohne daß die absolute Höhe oder auch nur der Abstand zu den nachgeordneten Mitarbeitern bestimmt wäre, gilt hier nichts anderes als bei (einseitigen) Leistungsbestimmungen, die nach billigem Ermessen vorzunehmen sind (§ 315 I BGB).

c) Verweigert sich in einem solchen Fall der eine Vertragsteil völlig oder läßt er sich auf eine Änderung der Gehaltsvereinbarung nur in einem Umfang ein, der den tariflich vorgeschriebenen angemessenen Abstand nicht wahrt, so kann der andere Teil eine der Billigkeit entsprechende, das heißt hier die Angemessenheit des Gehaltsabstands wahrende Entscheidung des Gerichts herbeiführen (vgl. § 315 III BGB), er kann auch sogleich auf eine der Billigkeit entsprechende Leistung klagen (BAGE 28, 279 = NJW 1977, 828 = AP Nr. 4 zu § 16 BetrAVG; BAG, NZA 1996, 1038 = AP Nr. 34 zu § 16 BetrAVG), d.h. ein höheres den angemessenen Abstand wahrendes Gehalt verlangen.

3. Die Annahme der Vorinstanzen, der Gehaltsabstand sei angemessen, wenn die Bezüge des Kl. das entsprechende Gehalt der Gehaltsgruppe I (15. Berufsjahr) um 25 % übersteigen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls. Einen festen, auch im Zeitablauf unveränderlichen Abstand haben die Tarifvertragsparteien gerade nicht festgelegt.

a) Zur Angemessenheit des Gehaltsabstands des Kl. zu den tarilich entlohnten Mitarbeitern haben die Vorinstanzen ausgeführt:

Die Bekl. selbst habe dem Kl. über Jahre hinweg Gehälter gezahlt, die um 30 % und mehr über denen der Gehaltsgruppe I gelegen haben. Erst ab 1990 sei der Abstand gesunken, zuletzt auf 16,06 %. Auch wenn nicht von einer Selbstbindung der Bekl. auszugehen sei, ergebe sich daraus ein Anhaltspunkt dafür, was die Bekl. selbst als angemessenen Abstand angesehen habe. Berücksichtigt man zudem, daß der Kl. eine gesteigerte Verantwortung trage und Vorgesetztenfunktion zu erfüllen habe, sei ein Absinken des Gehaltsabstands unter 25 % nicht (mehr) angemessen. Dies entspreche auch einem angemessenen Abstand zur Gehaltsgruppe II.

b) Der Senat schließt sich diesen Erwägungen an. Mit dem LAG ist davon auszugehen, daß zumindest in den Fällen, in denen - wie hier - mehr als nur ein Mitarbeiter der Gehaltsgruppe I GTV unterstellt sind, die angemessenen Bezüge nicht nur oberhalb der entsprechenden Gehaltssätze der Gruppe I liegen müssen, sondern auch oberhalb der Gehaltssätze der Gehaltsgruppe II. Denn damit ist bereits der Fall geregelt, daß einem Redakteur mit der dort beschriebenen Leitungsfunktion ein anderer Redakteur der Gehaltsgruppe I unterstellt ist. Sind einem Ressortleiter aber mehr als nur ein Redakteur der Gehaltsgruppe I unterstellt, so ist es grundsätzlich angemessen, daß sein Gehalt - sofern keine sonstigen Besonderheiten vorliegen - auch angemessen über dem maßgeblichen Gehalt der Gehaltsgruppe II liegt. Das ist vorliegend der Fall, wenn dem Kl. für den Monat April 1993 ein Gehalt von 7718,75 DM brutto zugebilligt wird und für die Monate Mai 1993 bis April 1994 ein Gehalt von 7973,75 DM brutto, wie es die Vorinstanzen angenommen haben. Der Gehaltsabstand zu den Gehaltssätzen der Gruppe II beträgt dann etwa 7 bzw. 6 %; gegenüber den Gehältern der Gruppe I beträgt der Abstand 25 %. Besonderheiten, die zu einer anderen Bemessung der Bezüge des Kl. führen könnten, liegen nicht vor.

II. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Klageforderung weder ganz noch teilweise verfallen. Auch dies haben die Vorinstanzen richtig erkannt.

1. Nach § 5 GTV müssen tarifvertragliche Ansprüche binnen drei Monaten nach ihrer Fälligkeit schriftlich und nach Ablehnung durch den Verlag innerhalb eines halben Jahres gerichtlich geltend gemacht werden. Bei dem Anspruch des Kl. auf Gehaltserhöhung handelt es sich um einen tarifvertraglichen Anspruch. Seiner Verpflichtung zur rechtzeitigen Geltendmachung für den hier interessierenden Streitzeitraum ist der Kl. dadurch nachgekommen, daß er in seiner Klageschrift vom 21. 4. 1993, der Bekl. zugegangen am 11. 5. 1993, den Antrag angekündigt hat festzustellen, daß die Bekl. verpflichtet sei, ihm ab 1. 4. 1993 ein Effektivgehalt von 8369,33 DM zu zahlen. Damit hatte der Kl. die Bekl. eindeutig zur Zahlung höherer Bezüge aufgefordert, und zwar in einem Maß, das die sodann im Wege eines Leistungsantrags weiterverfolgte Klageforderung überschritt. Der Klageanspruch ist auch rechtzeitig gerichtlich geltend gemacht worden. Der Kl. hat die Klage für den Streitzeitraum rechtzeitig, nämlich in dem Monat erhoben, für welchen er erstmals die erhöhten Bezüge (April 1993) mit seinem Leistungsantrag (Antrag zu Protokoll vom 20. 12. 1994) verfolgt hat.

2. Soweit die Bekl. in diesem Zusammenhang rügt, dem Kl. stehe kein Recht auf Gehaltserhöhung mehr zu, weil er nicht rechtzeitig verlangt habe, daß die Bekl. die Angemessenheit seiner Bezüge überprüfe, übersieht sie, daß der Anspruch auf Überprüfung der Gehälter bereits mit Schreiben vom 7. 6. 1991 von einer Reihe von Mitarbeitern, unter anderem dem Kl., geltend gemacht worden ist. Die Mitarbeiter haben dort die Bekl. dazu aufgefordert, die Gehaltssituation zu überprüfen. Zudem reicht es aus, daß der Arbeitnehmer rechtzeitig schriftlich geltend gemacht hat, er begehre ein höheres Gehalt, dieses beziffert und diese Geltendmachung nicht hinter dem später gerichtlich begehrten Gehalt zurückbleibt. Auch diese Voraussetzungen sind hier gewahrt.

Der Kl. hat in der Klageschrift Monatsbezüge von 8369,33 DM begehrt. Der Sache nach macht er mit dem Antrag vom 20. 12. 1994 indessen nur die Zahlung von Gehältern in Höhe von 7718,75 DM für den April 1993 bzw. 7973,75 DM ab Mai 1993 geltend.

Vorinstanzen

LAG Hamburg, 5 Sa 32/95, 13.09.1995

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BGB § 315 I, III; Gehaltstarifvertrag für Redakteurinnen und Redakteure an Zeitschriften in den alten und neuen Bundesländern (GTV), § 2 IIIa