Versendung von Werbung an private E-mail-Anschlüsse

Gericht

LG Traunstein


Art der Entscheidung

Beschluss


Datum

18. 12. 1997


Aktenzeichen

2 HK O 3755/97


Leitsatz des Gerichts

Wer unverlangt Werbung an private E-Mail-Adressen versendet, handelt wettbewerbswidrig.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Ast., die Serviceleistungen rund um die EDV anbietet, will der Ag., die eben solche Leistungen anbietet und einen Anzeigenservice für das Internet betreibt, im Wege der einstweiligen Verfügung verbieten lassen, Werbung an Privatleute über E-mail ohne vorherige Zustimmung zu versenden. Die Ag. hatte unverlangt an einen privaten Anschluß ein kurzes E-mail versandt, in dem sie für ihren Anzeigenservice warb. Das LG hat ihr solche Versendungen durch einstweilige Verfügung ohne mündliche Verhandlung verboten. Die Ag. beabsichtigt, hiergegen Widerspruch einzulegen und beantragt, ihr zur Rechtsverteidigung Prozeßkostenhilfe zu bewilligen.

Der Antrag wurde abgelehnt.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. … II. Die Ast. ist gem. § 13 II Nr. 1 UWG zur Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs berechtigt, weil sie gewerbliche Leistungen gleicher oder verwandter Art anbietet wie die Ag. Wiederholungsgefahr ist gegeben, weil sich die Ag. nicht zur Änderung ihres Verhaltens verpflichtet. Gem. § 25 UWG, § 935 ZPO kann die Ast. Unterlassungsansprüche aus § 12 UWG mit Hilfe einer einstweiligen Verfügung durchsetzen.

III. Die unverlangte Verwendung von Werbung an private E-mail-Anschlüsse ist wettbewerbswidrig (§ 1 UWG).

Soweit ersichtlich, fehlt Rechtssprechung zur Wettbewerbswidrigkeit von E-mail-Werbung. Die juristische Literatur teilt überwiegend die vorstehende Rechtsauffassung (s. Ernst, NJW-CoR 1997, 494). Ob ein gegen die guten Sitten des lauteren Wettbewerbs verstoßendes Verhalten (§ 1 UWG) vorliegt, ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zur Werbung in vergleichbaren Medien zu beurteilen, das ist Briefkasten-, Telefon-, Telex-, Teletex-, Telefax- und BTX-Werbung (s. dazu die Übersichten bei Baumbach-Hefermehl, WettbewerbsR, 19. Aufl., § 1 UWG Rdnrn. 67-71 c; Reichelsdorfer, GRUR 1997, 191; Schrey-Westerwelle, Kommunikation und Recht, BB 1997, Beil. z. H. 48, 17).

1. Briefkastenwerbung ist grundsätzlich zulässig, weil weite Bevölkerungskreise ein Interesse an informativer Werbung haben (BGH, NJW 1973, 1119 = GRUR 1973, 552). Ob das auch bei Tarnung als Privatbrief heute noch gelten kann, erscheint zweifelhaft, nachdem die Werbeflut in allen Medien erheblich zugenommen hat, Adressaten sich zunehmend gegen Werbung zur Wehr setzen und die technischen Möglichkeiten der Tarnung zugenommen haben.

Durch E-mail-Werbung ist jedoch eine weitaus größere Belästigung zu erwarten als durch Briefkastenwerbung, weil E-mail unvergleichlich billiger, schneller, arbeitssparender und gezielter an eine Vielzahl von Adressaten verschickt werden kann und überdies stärker in den Betriebsablauf eindringt bzw. auf den Schreibtisch vordringt. Die begrenzte Zahl von E-mail-usern, deren erwartete wirtschaftliche Potenz und die leichte und preiswerte Verschickungsmöglichkeit lassen ein weiteres Anschwellen der Werbeflut erwarten. Daß die Ag. ihre Adressaten - wie sie behauptet - gewissermaßen per Hand auswählt, prüft, ob sie in der Robinsonliste von t-online enthalten sind, ihre Zahl gering hält und daß sie durch die Absenderbezeichnung „Anzeigebörse, com“ als gewerbliche Versenderin erkennbar ist, ändert daran nichts. Es ist nämlich ein Sogeffekt nachahmender Konkurrenten zu erwarten, welche sich an solche Beschränkungen nicht halten. Auch wenn erkennbar ist, daß die Sendung von einem kommerziellen Versender stammt, entbindet dies den Empfänger nicht von der Mühe zu prüfen, ob die Sendung für ihn von Interesse ist. Ob es sich um Werbung oder anderes handelt, läßt sich ohne Studium des Inhalts regelmäßig nicht sicher beurteilen. Auch auf Filterprogramme, die Werbesendungen herausfiltern sollen, ist kein Verlaß. Einerseits ist nicht auszuschließen, daß dadurch auch andere Geschäftspost herausgefiltert wird, insbesondere wenn sie Waren- und Leistungsbezeichnungen enthält, andererseits ist zu erwarten, daß die Filterwirkung dadurch umgangen wird, daß die Formulierung der Werbetexte den Besonderheiten dieser Programme Rechnung trägt. Auch das Ausfiltern erwünschter, ausdrücklich angeforderter Werbung müßte befürchtet werden.

2. Unverlangte Telefonwerbung ist wegen des damit verbundenen Eingriffs in die Individualsphäre wettbewerbswidrig (s. BGHZ 54, 188 = NJW 1970, 1738 = LM § 1 UWG Nr. 218; BGH, NJW 1989, 2820). Ein solcher Eingriff liegt bei E-mail jedoch nicht vor.

3. Unverlangte Telexwerbung ist wettbewerbswidrig, weil die Anlage zeitweise blockiert wird und zusätzliche Arbeit und Kosten entstehen, zumal wegen des Nachahmungseffekts (s. BGH, NJW 1973, 42 = LM § 1 UWG Nr. 251 = GRUR 1973, 211). Die Rechtsprechung ist auf die vorliegende Sache insoweit nicht übertragbar, als sie sich auf den geschäftlichen Verkehr bezieht und schon das vermutete Interesse des Empfängers die Wettbewerbswidrigkeit entfalten läßt. Im übrigen fehlen bei E-mail die Blockierung der Anlage und Empfangskosten in vergleichbarem Umfang. Die kurzen Übertragungszeiten schließen eine Blockierung bei der Übertragung auf den Server und von diesem auf den PC weitgehend aus, ebenso erhebliche Kosten für die Übertragung sowie Gerätekosten. Papierkosten entfallen, weil ein Ausdruck entbehrlich ist. Es ist jedoch zusätzliche Arbeit beim Adressaten zu erwarten, weil dieser mit einer Überschwemmung mit Werbung rechnen muß. Insoweit ist Telexwerbung mit E-mail-Werbung vergleichbar.

4. Die Teletexwerbung ist wie die Telexwerbung zu behandeln mit der Maßgabe, daß die stärkere Belastung wegen beschränkter Speicherkapazität und höherer Kosten zu berücksichtigen ist. Eine Erschöpfung der Speicherkapazität ist jedoch bei E-mail wenig wahrscheinlich angesichts der hohen Kapazitäten, die für die Server zur Verfügung gestellt werden können. Erhebliche Mehrkosten fehlen.

5. Unverlangte BTX-Werbung sieht die Rechtssprechung als unzumutbare Belästigung wegen der Blockierung des Anschlusses und des erforderlichen Aufwands an Zeit und Mühe zum Aussortieren an. Dabei sei zu berücksichtigen der Zeitbedarf des Bildaufbaus von acht bis 30 sec. pro Seite. Gäbe es die Möglichkeit, Werbemitteilungen ohne Bildaufbau zu erkennen und zu löschen, entfielen die Bedenken zur Wettbewerbswidrigkeit (s. BGHZ 103, 203 = NJW 1988, 1670 = LM § 1 UWG Nr. 485). Die uneingeschränkte Anwendung dieser Rechtsprechung auf E-mail könnte zur Zulässigkeit unverlangter E-mail-Werbung führen. Sie ist jedoch abzulehnen. Einerseits ist davon auszugehen, daß der Zeitbedarf für den Bildaufbau entfällt und Möglichkeiten zur Erkennung von Werbung schon aufgrund des Inhaltsverzeichnisses und der Löschung ohne Bildaufbau vorhanden sind. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß in den fast zehn Jahren seit der BTX-Entscheidung tiefgreifende Veränderungen eingetreten sind. Zahl der Anschlußinhaber und Häufigkeit der Nutzung sind beim E-mail ungleich größer, als sie es beim BTX waren. Die technischen Möglichkeiten zur schnellen und billigen Übertragung an eine Vielzahl von Adressaten wurden erheblich ausgeweitet. Der verstärkte Einsatz von E-mail auch für wichtige Korrespondenz birgt auch bei Aussonderung von Werbung ohne Lesen des Textes die Gefahr, daß auch erwünschte Sendungen vernichtet werden. Die enorm angewachsene Werbeflut ließ das Interesse der Bevölkerung an unverlangter Werbung sinken. Der Umfang von Arbeit und Mühen für die Aussonderung kann bei E-mail weit größer sein wegen steigender Werbeflut, wobei auch der zu erwartete Sog- und Nachahmungseffekt zu berücksichtigen ist. Es kann deshalb heute nicht davon ausgegangen werden, daß große Teile der privaten E-mail-Empfänger unverlangte Werbung als erwünschte Sendungen oder allenfalls als geringfügige, akzeptable Belästigung ansehen.

6. Durch europäische Rechtsvorschriften ist das Gericht nicht daran gehindert, die Wettbewerbswidrigkeit zu bejahen. Art. 10 II der EU-Fernabsatzrichtlinie sieht zwar vor, daß E-mail-Dienste zu kommerziellen Zwecken verwendet werden dürfen, wenn der Verbraucher sie nicht offenkundig ablehnt, jedoch läßt Art. 14 strengere Bestimmungen einzelner Mitgliedstaaten zu, so auch die - durch die Rechtsprechung ausgestaltete - Regelung des § 1 UWG (vgl. Hoeren, WRP 1997, 993 [995]).

7. Eine zusammenfassende Bewertung ergibt, daß die beanstandete Werbung wettbewerbswidrig i. S. des § 1 UWG ist und ihre Unterlassung verlangt werden kann.

a) E-mail-Werbung ist angeschwollen. Weiteres Anschwellen ist zu erwarten, weil sie für die Werbenden besonders attraktiv ist und billig, schnell, gezielt und massenhaft in Wohnungen und Büros gebracht werden kann und dabei auch bewegte Bilder, Sprache und Ton einsetzen kann.

b) Das Anschwellen der Werbung in allen Medien hat das Interesse des Bürgers an weiterer Werbung sinken lassen.

c) Die - steigende - Mühe und Arbeit, Werbung als solche zu erkennen und auszusortieren, empfindet er häufiger als erhebliche Belästigung, die er nicht mehr hinnehmen will (so im Ergebnis auch Schrey-Westerwelle, Kommunikation und Recht, BB 1997, Beil. z. H. 48, 17).

8. Über die Zulässigkeit unverlangter Versendung von Werbung an kommerzielle E-mail-Anschlüsse war im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden.

Rechtsgebiete

Wettbewerbsrecht

Normen

UWG § 1