Anpassung von Betriebsrenten im Beitrittsgebiet

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

24. 03. 1998


Aktenzeichen

3 AZR 778/96


Leitsatz des Gerichts

  1. Das Betriebsrentengesetz (BetrAVG) mit seiner Regelung über die Anpassung laufender Betriebsrenten (§ 16 BetrAVG) ist im Beitrittsgebiet nur anzuwenden, wenn die Zusagen auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach dem 31. 12. 1991 erteilt wurden.

  2. Die Erteilung einer Zusage setzt bei vertraglicher Grundlage der Zusage den Abschluß eines Vertrages voraus. Die Erfüllung bereits entstandener Verpflichtung ist keine Begründung eines Anspruchs.

  3. Für die bis zum 31. 12. 1991 erteilten Zusagen schließt der Einigungsvertrag (Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 16) nicht nur eine auf § 16 BetrAVG, sondern im Regelfall auch eine auf § 242 BGB gestützte Verpflichtung zur Anpassung laufender Leistungen aus. Die auf § 242 BGB beruhende vorgesetzliche Rechtsprechung des Senats hat in der abschließenden Regelung des § 16 BetrAVG ihre konkrete gesetzliche Ausprägung gefunden.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der 1924 geborene Kl. erhält von der Bekl. als Rechtsnachfolgerin der früheren B(Ost) eine Betriebsrente von 330,75 DM monatlich. Er fordert die Anpassung dieser Rente an die seit dem 1. 7. 1990 erfolgten Preissteigerungen. Der Kl. war vom 28. 11. 1949 bis 15. 2. 1990 bei der B-Ost beschäftigt, zuletzt als Finanzbuchhalter mit einer Vergütung von etwa 1300 DM monatlich. Vereinbart war eine Altersversorgung über die Ruhegeldeinrichtung der B-Ost. Voraussetzungen und Inhalt der Ansprüche waren in Richtlinien geregelt. Zuletzt galten die Richtlinien von November 1953. Zum 1. 9. 1968 wurde die Ruhegeldeinrichtung geschlossen. Die Betriebsangehörigen, die am 31. 8. 1968 zehn Jahre und mehr der Ruhegeldeinrichtung angehörten, können wählen, ob die bis zu diesem Zeitpunkt eingezahlten Ruhegeldbeiträge für eine freiwillige Versicherung auf Zusatzrente verwendet werden sollten, ob sie von der B auszuzahlen waren und ob sie bei der B verbleiben und damit die erworbenen Ansprüche des Betriebsangehörigen im Rahmen der Zusatzversorgung aufrechterhalten werden sollten. Der Kl. entschied sich für die zuletzt genannte Alternative. Ab 1. 8. 1988 erhielt der Kl. eine Rente aus der gesetzliches Sozialversicherung der DDR und von der Bekl. ein betriebliches Ruhegeld von 330,75 Mark. Die Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung betrug 440 Mark. Ab 1. 7. 1990 erhielt der Kl. eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung von 627 DM. Diese Rente stieg auf 1115,55 DM zum 1. 1. 1993 und betrug am 1. 7. 1996 1518,79 DM. Zum 1. 1. 1992 wurden die früheren B-Ost mit der B-West vereinigt. Die jetzige Bekl. teilte dem Kl. am 21. 8. 1994 mit, die Rente aus der Zusatzversorgung der B werde auf der Grundlage der letzten Richtlinien von 1968 errechnet. Sodann heißt es: „In Anerkennung der Rechtsnachfolge erfüllen wir die daraus entstandene Zahlungsverpflichtung.“ Die Bekl. lehnte die Anpassung des Ruhegelds ab. Der Kl. erhält von der Bekl. nach wie vor nur die bei Eintritt in den Ruhestand errechneten 330,75 Mark/DM. Der Kl. hat die Auffassung vertreten, die Bekl. müsse nach Treu und Glauben seine Rente anpassen. Dazu hat er behauptet, die Kosten für die Lebenshaltung seien von Juli 1990 bis zum Februar 1993 um mehr als 40% gestiegen. Für die Zeit von Februar 1993 bis zum Juni 1996 fordert der Kl. eine Nachzahlung von insgesamt 5424,30 DM nebst Zinsen.

Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl. ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision verfolgt der Kl. seinen Zahlungsantrag weiter, allerdings ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Der Kl. kann von der Bekl. keine höhere Rente verlangen. Die Bekl. ist zur Anpassung der Rente nicht verpflichtet.

I. Aufgrund des früheren Arbeitsvertrags mit der B-Ost kann der Kl. von der Bekl. keine Anpassung verlangen. Die Richtlinien der Ruhegeldeinrichtung, auf deren Beachtung der Kl. einen vertraglichen Anspruch hatte, sahen keine Anpassung der Ruhegelder vor.

II. § 16 BetrAVG ist auf das Rechtsverhältnis des Kl. nicht anzuwenden. § 16 BetrAVG verpflichtet den Arbeitgeber, alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und darüber zu entscheiden, ob die Leistungen angepaßt werden müssen. Nach der Regelung im Einigungsvertrag (Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 16) tritt das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (im folgenden: BetrAVG) vom 19. 12. 1974 im Beitrittsgebiet, also auch in Ostberlin, erst am 1. 1. 1992 in Kraft. § 16 BetrAVG ist nur auf Zusagen anzuwenden, die nach dem 31. 12. 1991 erteilt werden. Die Bekl. hat dem Kl. nach dem 31. 12. 1991 keine Versorgungszusage im Sinne dieser Bestimmung erteilt. Der Senat hat zu der Frage, was unter „Erteilen einer Zusage“ im Sinne dieser Bestimmung zu verstehen ist, noch nicht Stellung genommen. Die Auffassungen in der Literatur sind geteilt. Zum Teil wird angenommen, die Bestätigung einer „Altzusage“ reiche aus, um zur Anwendbarkeit des BetrAVG zu gelangen (vgl. Höfer, BetrAVG, Stand: September 1995, ART Rdnr. 1276; Blomeyer/Otto, BetrAVG, 2. Aufl., Einl. Rdnr. 1006, m.w. Nachw.; vgl. auch Körber, BetrAV 1991, 7; Niemeyer, BetrAV 1991, 9; Stadermann, BetrAV 1991, 11 [12]; Höfer/Küpper, BetrAV 1991, 208 [209] = DB 1991, 1569). Das „Erteilen einer Zusage“ im Sinne des Einigungsvertrags setzt die Begründung von Ansprüchen auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung voraus. Der im Gesetz beschriebene Tatbestand erfaßt sowohl die Begründung von Ansprüchen auf vertraglicher Grundlage als auch das Entstehen von Ansprüchen aufgrund einer Betriebsvereinbarung oder eines Tarifvertrages (kollektivrechtliche Grundlage). Nur um beide Alternativen zu erfassen, wurde der übergreifende Ausdruck gewählt. Das bedeutet aber noch nicht, daß an die Begründung von Ansprüchen auf vertraglicher Grundlage geringere Anforderungen gestellt werden müßten, als dies nach allgemeinem Vertragsrecht notwendig ist.

Im vorliegenden Fall kommt nur die Begründung eines Anspruchs auf vertraglicher Grundlage in Betracht. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müßten sich nach dem 31. 12. 1991 darüber geeinigt haben, daß der Kl. Leistungen der betrieblichen Altersversorgung erhalten soll. Das ist nicht der Fall. Der Kl. kann nur darauf verweisen, daß die Bekl. im Schreiben vom 31. 8. 1994 ihre Zahlungsverpflichtung anerkennt und tatsächlich Zahlungen geleistet hat. Das Schreiben der Bekl. vom 31. 8. 1994 läßt nicht erkennen, daß sich die Bekl. erneut zu Leistungen der betrieblichen Altersversorgung verpflichten wollte. Sie hat nur die Rechtsfolgen beschrieben, die sich aus der eingetretenen Rechtsnachfolge ergaben. Wer nur in Erfüllung einer Rechtspflicht handelt, will keine neuen Verbindlichkeiten eingehen. Entsprechendes gilt für die tatsächlichen Zahlungen der Bekl. Sie lassen nicht den Schluß zu, daß die Bekl. über die bestehende Rechtspflicht hinaus eine eigenständige Verpflichtung begründen wollte. Die bloße Erfüllung einer vor dem 1. 1. 1992 begründeten Verbindlichkeit kann den Tatbestand der Erteilung einer Zusage nach dem 1. 1. 1992 nicht erfüllen.

III. Auf § 242 BGB kann sich der Kl. nicht berufen.

1. Zwar ist § 242 BGB und die aus ihm abgeleiteten Rechtsfolgen auch auf Verträge anzuwenden, die vor dem 3. 10. 1990 abgeschlossen wurden. Der Grundsatz von Treu und Glauben ist als übergesetzlicher Rechtssatz in allen Rechtsordnungen enthalten. Er gilt mithin auch, wenn nach Art. 232 EGBGB auf das Arbeitsverhältnis des Kl. die Vorschriften des Zivilrechts der ehemaligen DDR anzuwenden wären. Das gilt jedenfalls dann, wenn es sich um neue, von außen an das Schuldverhältnis herantretende, sich nicht aus seiner inneren Entwicklung ergebenden Umstände handelt (vgl. BGHZ 120, 10 [22] = NJW 1993, 259 [261]; BGHZ 121, 379 [391] = NJW 1993, 1856; BGHZ 123, 58 [62] = NJW 1993, 2525 m.w. Nachw.; BGHZ 124, 1 [3] = NJW 1994, 260; BGH, DtZ 1996, 23).

2. Für eine Anwendung des § 242 BGB im Rahmen einer Anpassung laufender Leistungen der betrieblichen Altersversorgung ist jedoch wegen der besonderen Regelung im Einigungsvertrag (vgl. Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 16) kein Raum. § 16 BetrAVG ist die Konkretisierung eines aus § 242 BGB abgeleiteten allgemeinen Grundsatzes. In seinem Anwendungsgebiet verdrängt § 16 die allgemeine Rechtsregel des § 242 BGB.

a) Der Senat hat zum Verhältnis der Regelungen des BetrAVG zu § 242 BGB bereits Stellung genommen. Es ging um die Frage, ob sich Arbeitnehmer zur Begründung der Unverfallbarkeit einer Anwartschaft auch auf § 242 BGB berufen können (vgl. BAGE 82, 203 = NZA 1996, 978 = AP Nr. 4 zu Einigungsvertrag Anlage II Kap. VIII, und BAG, NZA 1997, 767 = DtZ 1997, 260 = AP Nr. 5 zu Einigungsvertrag Anlage II Kap. VIII [zu I 3]). Nach den Regelungen im Einigungsvertrag können Arbeitnehmer unverfallbare Anwartschaften nur dann erwerben, wenn Versorgungszusagen nach dem 31. 12. 1991 erteilt wurden. Danach ist es ausgeschlossen, ergänzend die Grundsätze heranzuziehen, die das BAG zur Unverfallbarkeit vor Inkrafttreten des BetrAVG nach § 242 BGB rechtsfortbildend entwickelt hatte (BAGE 24, 177 = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt). Die vorgesetzliche Unverfallbarkeitsrechtsprechung ist deshalb nicht anwendbar. Das BetrAVG regelt Fragen der Unverfallbarkeit abschließend.

b) Diese Grundsätze gelten auch für den vorliegenden Fall. Nach der Regelung des Einigungsvertrags (Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 16) brauchen „Altzusagen“ nicht angepaßt zu werden. Auch für diese Fragestellung gilt: Die vorgesetzliche Rechtsprechung des Senats zur Anpassungsverpflichtung hat in der abschließenden Regelung des § 16 BetrAVG ihre konkrete gesetzliche Ausprägung gefunden (vgl. die Darstellung des Gesetzgebungsverfahrens zu § 16 BetrAVG bei Heubeck/Höhne/Paulsdorff/Rau/Weinert, Komm. z. Betriebsrentengesetz, Bd. I, 2. Aufl., § 16 Rdnrn. 3ff.). Die Nichtanwendung der vorgesetzlichen Rechtsprechung zu Fragen der Anpassung entspricht auch dem Normzweck der Regelung im Einigungsvertrag. Es sollten „unkalkulierbare Risiken“ vermieden werden. Die wirtschaftliche Lage der durch Zusagen verpflichteten Unternehmen und die Zahl der bestehenden Zusagen waren bei Abschluß des Einigungsvertrages nicht überschaubar (vgl. BT-Dr. 11/7817 v. 10. 9. 1990, S. 138; Niermann, BetrAV 1993, 20; Ahrend/Förster, in: Münchener Hdb. z. ArbeitsR Bd. I, § 110 Rdnr. 19; Höfer, ART Rdnr. 1273). Die Vorschrift dient daher dem Schutz derjenigen Unternehmen, die, wie die Bekl., Versorgungsverträge zu erfüllen haben.

IV. Der Senat schließt nicht aus, daß § 242 BGB in Ausnahmefällen auch zu einer Anpassungsverpflichtung des Schuldners führen kann. Eine solche Anpassungsverpflichtung kommt nur in Betracht, wenn das Festhalten an der ursprünglichen Regelung (fester Ruhegeldbetrag) zu einem untragbaren, mit Recht und Gesetz schlechthin nicht mehr zu vereinbarenden Ergebnis führen würde (vgl. schon BAG, NZA 1997, 767 = DtZ 1997, 260 = AP Nr. 5 zu Einigungsvertrag Anlage II Kap. VIII [zu I 3] zur Frage der Unverfallbarkeit).

So liegen die Dinge im vorliegenden Fall nicht. Der Anstieg der Lebenshaltungskosten und der Rückgriff auf die von der Rechtsprechung im Wege der Rechtsfortbildung entwickelten „Opfergrenzen“ sind nicht der einzige Umstand, der zu berücksichtigen ist. Das LAG bezieht zutreffend auch die Entwicklung der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in die Gesamtbetrachtung ein (vgl. schon BAGE 25, 146 [146] = AP Nr. 4 zu § 242 BGB Ruhegehalt-Geldentwertung [zu B V 4]; und BAG, NJW 1973, 1296 = AP Nr. 5 zu § 242 BGB Ruhegehalt-Geldentwertung [zu C V 4]). Die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist stärker angestiegen als die Kosten für den Lebensunterhalt. Die Bekl. ist deshalb als Rechtsnachfolgerin der früheren Arbeitgeberin des Kl. nicht verpflichtet, die Rente über die vertraglichen und vorgesehenen und gesetzlich geregelten Anpassungsverpflichtungen hinaus zu erhöhen. Der Senat hat Verständnis für die wirtschaftlich schwierige Situation des Kl. Sie allein rechtfertigt aber keine Erhöhung des von der Bekl. geschuldeten Betrags. Die Zusatzrente dient dazu, die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu ergänzen. Die Grundsicherung, an die sie anknüpft, ist als dynamisierte Leistung deutlich verbessert worden.

V. Der Kl. kann sich zu Begründung seiner Forderung auch nicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen. Zwar erhalten die bei der früheren B-West beschäftigten Arbeitnehmer eine Betriebsrente über die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL). Diese Rente ist entsprechend der Satzung der VBL dynamisiert. Dasselbe gilt für die Arbeitnehmer, die vor dem 31. 12. 1959 ihr Arbeitsverhältnis zur B-West begründet hatten und die noch Mitglied der Ende 1959 geschlossenen Ruhegeldeinrichtung der B-West waren. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist aber nicht verletzt, wenn der Arbeitgeber unterscheidet zwischen den Arbeitnehmern, denen gegenüber er eine eigene Verbindlichkeit begründet hat (BAG, AP Nr. 41 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zur unterschiedlichen Behandlung nach einem Betriebsübergang). Der Rechtsnachfolger ist nicht gehindert, bei der Gewährung von Sozialleistungen danach zu unterscheiden, ob die betreffenden Arbeitnehmer ihre Betriebstreue ihm selbst oder noch dem früheren Betriebsinhaber erbracht haben (BAG, NJW 1980, 416 = AP Nr. 16 zu § 613a BGB).

Vorinstanzen

LAG Berlin, 3 Sa 47/96, 15.10.1996

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BetrAVG § 16; BGB § 242; EinigungsV Anl. I Kap. VIII Sachgeb. A Abschn. III Nr. 16