Hinterbliebenenversorgung - nachträgliche Spätehenklausel

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

26. 08. 1997


Aktenzeichen

3 AZR 235/96


Leitsatz des Gerichts

  1. Der Arbeitnehmer hat i.S. des § 256 I ZPO ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung, daß seiner Ehefrau nach seinem Tod eine Witwenrente zusteht.

  2. Der Senat hat für Eingriffe in die Höhe der Versorgungsanwartschaften ein dreiteiliges Prüfungsschema entwickelt (st. Rspr. seit BAGE 49, 57 (66ff.) = NZA 1986, 57 = AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen (zu B II 3c)). Es läßt sich nicht ohne weiteres auf die Schaffung neuer Ausschlußtatbestände in der Hinterbliebenenversorgung übertragen (Fortführung der Rspr. des Senats, NZA 1997, 533 = AP Nr. 21 zu § 1 BetrAVG Ablösung, und BAG, NZA 1997, 535 = AP Nr. 22 zu § 1 BetrAVG Ablösung). Um festzustellen, welcher Stufe des Prüfungsschemas der Eingriff am ehesten entspricht, ist auf die allgemeinen Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit zurückzugreifen.

  3. Eine Spätehenklausel, wonach der hinterbliebene Ehegatte keine Unterstützung erhält, wenn die Ehe erst nach Eintritt des Arbeitnehmers in den Ruhestand geschlossen wird, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Soll sie sich auch auf bereits erteilte Versorgungszusagen und schon zurückgelegte Beschäftigungszeiten erstrecken, so reichen dafür sachliche Gründe aus. Sie können vorliegen, wenn der Arbeitgeber im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlich und europarechtlich notwendigen Verbesserung der Witwerversorgung zur Verringerung des damit verbundenen Mehraufwandes diese Spätehenklausel eingeführt.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten darüber, ob die Ehefrau des Kl. nach dessen Tod vom Bekl. Witwenversorgung verlangen kann. Der Bekl. ist eine vom DGB, den angeschlossenen Einzelgewerkschaften und verschiedenen gewerkschaftlichen Einrichtungen in der Form eines eingetragenen Vereins unterhaltene gemeinsame Versorgungseinrichtung (Unterstützungskasse). Der Kl. war vom 15. 11. 1948 bis 31. 12. 1989 bei der Gewerkschaft ÖTV beschäftigt, zuletzt als Geschäftsführer einer Kreisverwaltung. Am 1. 1. 1990 trat er in den Ruhestand. Seine Sozialversicherungsrente belief sich auf 3693,43 DM und seine Betriebsrente auf 2315,46 DM. Seine frühere Ehefrau verstarb 1991. Im Jahre 1992 heiratete er wieder. Nach dem zuletzt geschlossenen Arbeitsvertrag vom 1. 1. 1967 richteten sich die Arbeitsbedingungen nach den jeweils gültigen allgemeinen Anstellungsbedingungen für die Beschäftigten der Gewerkschaft ÖTV. Nach § 6 II der allgemeinen Anstellungsbedingungen wurden die Arbeitnehmer nach den jeweils geltenden Unterstützungs-Richtlinien des Bekl. bei ihm angemeldet. Die Unterstützungs-Richtlinien schränkten bis zum 31. 12. 1985 die Hinterbliebenenversorgung durch eine Altersdifferenz- und eine Wiederverheiratungsklausel ein. Für die Witwen- und Witwerversorgung galten unterschiedliche Voraussetzungen. Die Witwerversorgung war ähnlich geregelt wie in der gesetzlichen Rentenversicherung. Als das Gesetz zur Neuordnung der Hinterbliebenenrenten vom 11. 7. 1985 (BGBl I, 1450) ab 1. 1. 1986 die verfassungsrechtlich nicht länger hinnehmbare Ungleichbehandlung zwischen Männern und Frauen bei der sozialversicherungsrechtlichen Hinterbliebenenversorgung beseitigte, änderte der Bekl. mit Beschluß der Mitgliederversammlung vom 4. 12. 1985 seine Unterstützungs-Richtlinien mit Wirkung zum 1. 1. 1986. Die besonderen Voraussetzungen für die Witwerunterstützung entfielen. Die Altersdifferenz- und die Wiederverheiratungsklausel wurden sowohl für die Witwen- als auch für die Witwerversorgung beibehalten. Durch § 13 IV der neu gefaßten Richtlinien wurde die Hinterbliebenenversorgung zusätzlich wie folgt eingeschränkt:

"Der hinterbliebene Ehegatte erhält keine Unterstützung, wenn die Ehe erst nach Beginn der Altersunterstützung und nach dem 1. 1. 1986 geschlossen wurde."

Die Regelung wurde in die Unterstützungs-Richtlinien 1988/1992 unverändert übernommen. Der Kl. hat die Auffassung vertreten, § 13 IV der Unterstützungs-Richtlinien 1988/1992 enthalte einen unzulässigen Eingriff in seine bis zum 31. 12. 1985 bereits erdienten Anwartschaftsanteile.

Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat die Berufung des Kl. zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Der Kl. verfolgt mit der Revision sein bisheriges Klagebegehren weiter. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die bekl. Unterstützungskasse muß der jetzigen Ehefrau des Kl. keine Witwenversorgung gewähren.

A. Die Feststellungsklage ist zulässig. Die Voraussetzungen des § 256 I ZPO sind erfüllt.

I. Die Klage ist auf Feststellung eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses i.S. des § 256 I ZPO gerichtet. Ein betriebsrentenrechtliches Rechtsverhältnis wird nicht erst mit dem Eintritt des Versorgungsfalles, sondern bereits mit dem Entstehen einer Versorgungsanwartschaft begründet (BAGE 79, 236 (239) = NZA 1996, 48 = AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung = Heither, ES-BetrAVG 4200/5 (zu A III 1); BAGE 82, 193 (196) = NZA 1996, 992 = AP Nr. 28 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung = Heither, ES-BetrAVG 4200/7 (zu A III 1)).

II. Der Kl. hat ein eigenes rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung, daß seiner jetzigen Ehefrau eine Witwenunterstützung zusteht.

1. Die Hinterbliebenenversorgung beruht auf einem Vertrag zugunsten Dritter i.S. des § 328 I BGB (vgl. BAG, NJW 1984, 1712 = AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Hinterbliebenenversorgung (zu II)). Empfänger des Versorgungsversprechens ist der Kl. Nach § 335 BGB kann er selbst das Recht auf die versprochene Leistung geltend machen. Seine Ehefrau ist lediglich Begünstigte, die erst mit seinem Tod ein Forderungsrecht erwirbt.

2. Es besteht auch ein Bedürfnis für eine baldige Klärung. Meinungsverschiedenheiten über die Ausgestaltung von Versorgungsrechten müssen rasch beseitigt werden, damit etwaige Versorgungslücken möglichst frühzeitig geschlossen oder wenigstens verringert werden können (BAGE 79, 236 (239) = NZA 1996, 48 = AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung = Heither, ES-BetrAVG 4200/5 (zu A III 2a)).

B. Die Klage ist unbegründet. Der Bekl. ist nicht verpflichtet, der jetzigen Ehefrau des Kl. eine Witwenunterstützung zu zahlen. § 13 IV der Unterstützungs-Richlinien 1988/1992 enthält eine wirksame Spätehenklausel. Sie ist auch im vorliegenden Fall anwendbar und schließt den geltend gemachten Versorgungsanspruch aus.

I. Die Versorgungsrechte des Kl. und seiner Hinterbliebenen richten sich nach den Unterstützungs-Richtlinien 1988/1992. Der zuletzt geschlossene Arbeitsvertrag des Kl. verweist auf die allgemeinen Anstellungsbedingungen für die Beschäftigten der ÖTV. § 6 II der allgemeinen Anstellungsbedingungen schreibt vor, daß die Arbeitnehmer nach den jeweils geltenden Unterstützungs-Richtlinien des Bekl. bei ihm angemeldet werden. Diese Regelung enthält eine sog. dynamische Verweisung. Sie vereinheitlicht die Versorgungsbedingungen. Die am Anmeldetag bestehenden Versorgungsbedingungen werden nicht festgeschrieben. Anzuwenden sind die zuletzt erlassenen Unterstützungs-Richtlinien. Nach § 13 IV der Unterstützungs-Richtlinien 1988/1992 erhält der hinterbliebene Ehegatte keine Unterstützung, wenn die Ehe erst nach Beginn der Altersunterstützung und nach dem 1. 1. 1986 geschlossen wurde. Dieser Ausschlußtatbestand liegt vor. Der Kl. bezieht seit 1. 1. 1990 Altersunterstützung. Die Ehe mit seiner jetzigen Frau wurde im Jahre 1992 geschlossen.

II. Die Spätehenklausel als solche ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, eine Hinterbliebenenversorgung zu schaffen. Dementsprechend ist er grundsätzlich berechtigt, sie von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig zu machen (BAG, NZA 1988, 158 = AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Hinterbliebenenversorgung = Heither, ES-BetrAVG 3200/1 (zu III 1), m.w. Nachw.). Ausschlußtatbestände müssen zwar einer Rechtskontrolle standhalten und dürfen insbesondere nicht gegen verfassungsrechtliche Wertentscheidungen verstoßen. Eine Spätehenklausel, die bei der Heirat eines Ruheständlers Witwenrenten ausschließt, ist aber rechtlich nicht zu beanstanden. Dies hat der Senat bereits im Urteil vom 9. 11. 1978 (AP Nr. 179 zu § 242 BGB Ruhegehalt m. zust. Anm. Brox) entschieden. Die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen (AP Nr. 182 zu § 242 BGB Ruhegehalt). Es gibt keinen Anlaß, diese Rechtsprechung des Senats zu ändern. Ihr haben sich auch Prof. Dr. Hanau und Gilberg in dem vom Kl. vorgelegten Gutachten angeschlossen.

Die Spätehenklausel widerspricht nicht dem Verbot des Art. 6 I GG, die Ehe zu schädigen oder sonst zu beeinträchtigen. Auf die Ehepartner ist kein unzulässiger Zwang ausgeübt worden (vgl. BAG, NJW 1972, 2327 = AP Nr. 158 zu § 242 BGB Ruhegehalt (zu II 3)). Den Ehepartnern entsteht durch die Unterstützungs-Richtlinien 1988/1992 kein Nachteil, den sie ohne die Heirat nicht gehabt hätten. Der Kl. behielt seine Versorgungsansprüche ungeschmälert. Seine zweite Ehefrau hatte vor Eheschließung keine Anwartschaft auf Witwenversorgung durch den Bekl. Das Ausbleiben eines erhofften Vorteils ist kein rechtlicher Nachteil. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, eine Eheschließung durch Einräumung von Ansprüchen zu fördern. Ebensowenig ist der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 I GG verletzt. Die Witwen werden zwar unterschiedlich behandelt. Dafür gibt es aber sachlich vertretbare Gründe. Eine Frau, die einen bereits im Ruhestand lebenden Mann heiratet, hat dessen Berufsarbeit nicht mitgetragen. Außerdem beugt der Ausschlußtatbestand des § 13 IV der Unterstützungs-Richtlinien 1988/1992 sog. Versorgungsehen vor.

III. § 13 IV der Unterstützungs-Richtlinien 1988/1992 durfte sich auch auf die Versorgungszusagen erstrecken, die vor dem 1. 1. 1986 erteilt wurden. Die Regelung wurde aus den am 4. 12. 1985 erlassenen und zum 1. 1. 1986 in Kraft getretenen Unterstützungs-Richtlinien übernommen. Unschädlich ist es, daß dieser Ausschlußtatbestand in den früheren Unterstützungs-Richtlinien nicht enthalten war, unter deren Geltung der Kl. beim Bekl. angemeldet worden war.

1. Die Änderung ist allerdings nicht schon deshalb wirksam, weil die Versorgungszusage auf die jeweils geltenden Unterstützungs-Richtlinien des Bekl. verweist. Eine Jeweiligkeitsklausel berechtigt nicht dazu, Leistungsordnungen beliebig zu ändern. Eingriffe in die zugesagten Versorgungsrechte sind nicht schrankenlos zulässig, sondern unterliegen einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 I BGB (BAGE 68, 314 (317) = NZA 1992, 655 = AP Nr. 38 zu § 5 BetrAVG = Heither, ES-BetrAVG 5110/1 (zu II); BAG, NZA 1997, 535 = AP Nr. 22 zu § 1 BetrAVG Ablösung (zu IV 1)).

2. Die umstrittene Vorschrift hält einer derartigen Überprüfung stand, wie die Vorinstanzen richtig erkannt haben.

a) Die Änderungsgründe des Arbeitgebers sind gegen die Bestandsschutzinteressen der Arbeitnehmer abzuwägen. Je stärker der Besitzstand ist, in den eingegriffen werden soll, desto gewichtiger müssen die Gründe sein, die den Eingriff rechtfertigen sollen (vgl. BAGE 49, 57 (65ff.) = NZA 1986, 57 = AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen = Heither, ES-BetrAVG 5200/1 (zu B II 3a), BAGE 71, 372 (379) = AP Nr. 13 zu § 1 BetrAVG Besitzstand = Heither, ES-BetrAVG 5200/5 (zu II 2)). Damit wird den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen (BAG, NZA 1997, 535 = AP Nr. 22 zu § 1 BetrAVG Ablösung (zu IV 2a)). Der Senat hat diese Prüfungsmaßstäbe im Laufe der Zeit durch folgende Dreiteilung verdeutlicht (st. Rspr. seit BAGE 49, 57 (66ff.) = NZA 1986, 57 = AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen = Heither, ES-BetrAVG 5200/1 (zu B II 3c); zuletzt BAG, NZA 1997, 535 = AP Nr. 22 zu § 1 BetrAVG Ablösung (zu IV 2b)):

• Der bereits erdiente und nach den Grundsätzen des § 2 I BetrAVG errechnete Teilbetrag darf nur in seltenen Ausnahmefällen gekürzt werden. Ein derartiger Eingriff setzt zwingende Gründe voraus. Sie liegen vor allem bei einem Wegfall der Geschäftsgrundlage wegen wirtschaftlicher Notlage des Unternehmens oder wegen wesentlicher Störungen des Zwecks der Altersversorgung, etwa bei einer planwidrigen Überversorgung durch veränderte Rahmenbedingungen vor.

• Ein variabler, dienstzeitunabhängiger Berechnungsfaktor (sog. erdiente Dynamik) darf nur aus triftigen Gründen verringert werden. Triftige Gründe setzen eine langfristige Substanzgefährdung des Unternehmens oder ein dringendes betriebliches Bedürfnis ohne Schmälerung des Gesamtaufwandes voraus.

• Die geringsten Anforderungen sind an Eingriffe in künftige und damit noch nicht erdiente dienstzeitabhängige Zuwächse zu stellen. Dafür genügen sachliche Gründe.

Dieses § 315 I BGB konkretisierende Prüfungsschema gilt auch für die Unterstützungskassenversorgung. Die bei Unterstützungskassen übliche Ausschußklausel "ohne Rechtsanspruch" ist wegen des Entgeltcharakters der Altersversorgung und wegen des Vertrauensschutzes der Arbeitnehmer nur als ein an ausreichende Gründe gebundenes Widerrufsrecht auszulegen, so daß im Ergebnis ein Rechtsanspruch auf Versorgung besteht (vgl. BAGE 61, 273 (277f.) = NZA 1989, 845 = AP Nr. 23 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen (zu B 1); BAGE 66, 39 (43f.) = NZA 1991, 176 = AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG Besitzstand (zu II 1); BAGE 71, 372 (378) = AP Nr. 13 zu § 1 BetrAVG Besitzstand (zu II 1); BVerfGE 65, 196 = NJW 1984, 476 = AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen; BVerfGE 74, 129 = NJW 1987, 1689 = AP Nr. 11 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen; BVerfG, AP Nr. 12 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen).

b) Das vom Senat entwickelte dreiteilige Prüfungsraster betrifft die Höhe der Versorgungsanwartschaften und läßt sich nicht ohne weiteres auf andere Fallgestaltungen übertragen. In den Urteilen vom 16. 7. 1996 (Senat, NZA 1997, 533 = AP Nr. 21 zu § 1 BetrAVG Ablösung (zu II 2)) und vom 27. 8. 1996 (Senat, NZA 1997, 535 = AP Nr. 22 zu § 1 BetrAVG Ablösung) hat der Senat für die Änderung der Anpassungsregelungen bei laufenden Betriebsrenten sachliche Gründe ausreichen lassen. Auch im vorliegenden Fall entstehen durch die Neuregelung keine so schwerwiegenden Nachteile, daß strengere Anforderungen an die Änderungsgründe zu stellen sind.

aa) Wie Hanau/Gilberg in ihrem Gutachten zutreffend ausgeführt haben, wurde weder in den bereits erdienten, nach § 2 I BetrAVG berechneten Teilbetrag noch in die sog. erdiente Dynamik eingegriffen. Selbst die dienstzeitabhängigen Steigerungsraten blieben erhalten. Die Versorgungsbezüge des Kl. wurden nicht verringert. Ebenso blieb die Höhe der Hinterbliebenenrenten unangetastet. Die frühere Ehefrau des Kl. hätte im bisherigen Umfang Witwenrente erhalten.

bb) Hanau/Gilberg übertragen das Drei-Stufen-Modell auf die Voraussetzungen der Hinterbliebenenversorgung und gelangen zu dem Ergebnis, die am 1. 1. 1986 in Kraft getretene Spätehenklausel könne nicht die bis zum 31. 12. 1985 erdienten Anwartschaften erfassen, weil die dafür erforderlichen zwingenden Gründe fehlten. Diese Auffassung geht von zu hohen Anforderungen aus. Das dreiteilige Prüfungsraster konkretisiert den Vertrauensschutz und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Diese allgemeinen Prinzipien bestimmen den Prüfungsmaßstab. Auf sie ist zurückzugreifen, wenn ein Prüfungsschema nicht erfaßter Sachverhalt vorliegt und festgestellt werden soll, welcher Eingriffsstufe die Einschränkung der Versorgungsrechte am ehesten entspricht.

cc) Soweit der Arbeitnehmer seine Betriebstreue als Vorleistung erbracht hat, darf die zugesagte Gegenleistung nicht nachträglich entwertet werden. Im vorliegenden Fall hat die Änderung der Leistungsvoraussetzungen im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens weder zum Entzug greifbarer wirtschaftlicher Werte geführt noch schutzwürdiges Vertrauen des Arbeitnehmers enttäuscht. Der seit dem 1. 1. 1986 geltende § 13 IV der Unterstützungs-Richtlinien ließ die eigene Altersversorgung des Kl. und die seiner damaligen Ehefrau unangetastet. Bei Erlaß der Neuregelung hatte die Versorgung einer weiteren Ehefrau für den Kl. noch keine wirtschaftliche Bedeutung. Eine Versorgungslücke konnte erst dann entstehen, wenn

• die damals bestehende Ehe vor dem Tod des Arbeitnehmers enden sollte,

• der Arbeitnehmer nach Eintritt in den Ruhestand nochmals heiraten sollte,

• der Arbeitnehmer vor seiner letzten Ehefrau sterben sollte.

Der Eintritt dieser dreifachen Bedingung war völlig ungewiß. Die Abdeckung eines derartigen Risikos hat keinen entscheidenden wirtschaftlichen Wert. Verständige Arbeitnehmer betreiben insoweit in aller Regel auch keine private Eigenvorsorge, etwa durch Abschluß von Versicherungsverträgen (auf diesen Gesichtspunkt hat der Senat auch in NZA 1997, 533 = AP Nr. 21 zu § 1 BetrAVG Ablösung (zu II 2c) abgestellt). Das Vertrauen der Arbeitnehmer war weniger schutzwürdig, weil ihr Verhalten und ihre Vermögensdisposition nicht dadurch beeinflußt wurden, daß die Spätehenklausel erst zum 1. 1. 1986 eingefügt worden ist. Der Eingriff ist so geringfügig, daß sachliche Gründe ausreichen.

dd) Die Wertungen des § 2 V 1 BetrAVG führen zu keinem anderen Ergebnis. Nach § 2 V 1 BetrAVG bleiben bei der Berechnung des Teilanspruchs, der einem vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidenden Arbeitnehmer nach § 2 I BetrAVG zusteht. Veränderungen der Versorgungsregelungen und der Bemessungsgrundlagen für die Leistung der betrieblichen Altersversorgung, soweit sie nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers eintreten, außer Betracht. Diese Vorschrift dient dazu, umgehend zu klären und alsbald festzustellen, welchen Wert die Anwartschaft des ausscheidenden Arbeitnehmers hat (BAGE 61, 273 (280) = NZA 1989, 845 = AP Nr. 23 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen (zu B 1b (3))). Die Regelung betrifft, wie sich aus ihrem Zweck und ihrem Wortlaut ergibt, die "Berechnung" der Anwartschaft, bezieht sich also auf die Versorgungsregelungen zur Leistungshöhe und die danach maßgeblichen Tatsachen. § 2 V 1 BetrAVG schreibt lediglich die Berechnungsgrundlagen, nicht aber die Leistungsvoraussetzungen fest.

c) Im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, ob Betriebsvereinbarungen auch Versorgungsregelungen für ausgeschiedene Arbeitnehmer ändern können. Ebenso kann offenbleiben, ob die jeweils geltenden Unterstützungs-Richtlinien einer Unterstützungskasse, auf die eine Betriebsvereinbarung Bezug nimmt, wie die von den Betriebspartnern selbst geschaffenen Normen einer Betriebsvereinbarung zu behandeln sind. Aufgrund der dynamischen Verweisung im Arbeitsvertrag gelten die Änderungen der Leistungsvoraussetzungen, soweit sie einer Rechtskontrolle standhalten, auch für ausgeschiedene Arbeitnehmer.

d) Die für die Änderung erforderlichen sachlichen, proportionalen Gründe liegen vor. Auch Hanau/Gilberg bejahen sie in ihrem vom Kl. vorgelegten Gutachten. Die maßgeblichen Gründe müssen willkürfrei, nachvollziehbar und anerkennenswert sein (vgl. BAGE 49, 57 (67ff.) = NZA 1986, 57 = AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen (zu B II 3c (3)) und BAG, NZA 1997, 535 = AP Nr. 22 zu § 1 BetrAVG Ablösung (zu IV 2d)). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Für die Spätehenklausel des § 13 IV der Unterstützungs-Richtlinien i.d.F. vom 1. 1. 1986 gibt es einleuchtende Gründe. Auch die Einführung für bereits erteilte Versorgungszusagen ist berechtigt.

aa) Die Änderung der Versorgungsrichtlinien stand im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlich und europarechtlich gebotenen Verbesserung der Witwerversorgung (Art. 3 II und III GG, Art. 119 I EGV). Sie führte zu einer nicht vorhergesehenen zusätzlichen finanziellen Belastung. Im Urteil vom 24. 7. 1963 (BVerfGE 17, 1 (17ff.) = NJW 1963, 1723) hatte das BVerfG die erschwerten Voraussetzungen der Witwerrente in der Sozialversicherung für verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen. Später wurde dem Gesetzgeber in der Sozialversicherung lediglich aufgegeben, "sich um eine sachgerechte Lösung zu bemühen, die einen Verstoß gegen Art. 3 II und III GG für die weitere Zukunft ausschließt". Ausdrücklich wurde betont, daß dem Gesetzgeber ausreichend Zeit für die Reformaufgabe zur Verfügung stehen müsse (BVerfGE 39, 169 (194) = NJW 1975, 919). Das BAG hat zwar wegen der Unterschiede zwischen der betrieblichen Altersversorgung und der gesetzlichen Rentenversicherung den Arbeitgebern keine Frist zur Einführung der Witwerversorgung zugebilligt (BAGE 62, 345 (348ff.) = NZA 1990, 271 = NJW 1990, 1008 = AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG Hinterbliebenenversorgung (zu II) m. abl. Anm. Höfer/Reiners; a.A. auch Hanau/Preis, DB 1991, 1276ff. m.w. Nachw.). Dies ändert jedoch nichts daran, daß sich jedenfalls bis zu dieser Entscheidung die Gegenansicht mit beachtlichen Gründen vertreten ließ.

bb) Die gebotene Verbesserung der Witwerversorgung verpflichtete den Arbeitgeber nicht zu einer entsprechenden Ausweitung des Dotierungsrahmens. Weder Art. 3 II und III GG noch Art. 119 I EGV bezwecken einen großzügigeren Dotierungsrahmen. Der Arbeitgeber durfte den unerwarteten Mehraufwand durch weitere Einschränkungen der Hinterbliebenenversorgung verringern, soweit die Interessen der Arbeitnehmer ausreichend berücksichtigt wurden.

cc) Die Einführung der umstrittenen Spätehenklausel für bereits erteilte Versorgungszusagen enttäuschte kein schutzwürdiges Vertrauen und war nicht unangemessen. Der Eingriff war verhältnismäßig geringfügig. Er diente sowohl der Kosteneinsparung als auch den für Spätehenklauseln charakteristischen Zielen. Der Arbeitgeber war nicht gezwungen, durch zusätzliche Einschnitte bei den Neuzugängen den Mehraufwand für die betriebliche Altersversorgung aufzufangen. Die bekl. Unterstützungskasse hatte eine ausgewogene, rechtlich nicht zu beanstandende Lösung gewählt.

IV. Die Stichtagsregelung des § 13 IV der Unterstützungs-Richtlinien in der seit dem 1. 1. 1986 geltenden Fassung begegnet keinen Bedenken. Auch Hanau/Gilberg halten sie für rechtens.

1. Die Anwartschaftsberechtigten werden zwar unterschiedlich behandelt. Die Differenzierung ist jedoch einleuchtend. Der Bekl. hat bei der Änderung der Unterstützungs-Richtlinien an das Inkrafttreten des Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetzes angeknüpft. Folgerichtig hat er zum selben Zeitpunkt (1. 1. 1986) die Neuregelung seiner Hinterbliebenenversorgung in Kraft gesetzt.

2. Im übrigen befindet sich ein Ruheständler, der bereits eine Spätehe eingegangen ist, in einer anderen wirtschaftlichen Lage als die übrigen Arbeitnehmer und Ruheständler. Nach der Heirat stellt sich die Frage, ob und wie der Ehepartner versorgt ist. Die Anwartschaft auf Hinterbliebenenversorgung ohne Spätehenklausel hat nunmehr einen konkreten wirtschaftlichen Wert. Für eine ausgleichende private Eigenvorsorge besteht nunmehr ein realer Bedarf. Diese unterschiedliche wirtschaftliche Lage ist ein tragfähiger sachlicher Grund.

V. Die Spätehenklausel des § 13 IV der Unterstützungs-Richtlinien i.d.Fass. vom 1. 1. 1986 ist nicht deshalb unwirksam, weil sie nicht mit einer Härteklausel verbunden ist. Die Härteregelung dient dazu, bei einer extremen Fallkonstellation unbillige Einzelergebnisse zu vermeiden. Sie ist nichts anderes als eine Ausprägung der vom Senat in ständiger Rechtsprechung vorgenommenen konkreten Billigkeitskontrolle. Deshalb muß sie nicht ausdrücklich vorgesehen sein. Sie ist stets stillschweigend mitzulesen (BAG, NZA 1995, 1032 = AP Nr. 14 zu § 1 BetrAVG Hinterbliebenenversorgung (zu II 4a) m.w. Nachw.).

VI. Die konkrete Billigkeitskontrolle führt nicht dazu, daß für den Kl. die Spätehenklausel des § 13 IV der Unterstützungs-Richtlinien i.d.Fass. vom 1. 1. 1986 nicht gilt. Beim Kl. liegt weder ein außergewöhnlich gelagerter Sonderfall noch eine besondere Härte vor. Ob der Kl., der vier Jahre nach Inkrafttreten der umstrittenen Spätehenklausel in den Ruhestand trat, als rentennaher Jahrgang anzusehen ist, kann dahinstehen. Rentennahe Jahrgänge bedürfen nur dann eines besonderen Schutzes, wenn sie von der Leistungseinschränkung ungleich stärker betroffen sind als die übrigen Begünstigten und durch die Änderung besonders schwerwiegende Nachteile erleiden (BAGE 36, 327 (341) = NJW 1982, 1416 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Ablösung (zu III 2b); BAGE 67, 385 (398) = NZA 1991, 730 = AP Nr. 15 zu § 1 BetrAVG Ablösung (zu III 3)). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Das Vertrauen rentennaher Arbeitnehmer war nicht wesentlich schutzwürdiger als das der übrigen anwartschaftsberechtigten Arbeitnehmer. Auch bei rentennahen Jahrgängen betraf der Ausschlußtatbestand eine völlig ungewisse Fallgestaltung. Bei verständigem wirtschaftlichen Verhalten bestand kein ausreichender Anlaß für eine ausgleichende private Eigenvorsorge und zwar unabhängig davon, wann mit dem Eintritt des Arbeitnehmers in den Ruhestand zu rechnen war.

Vorinstanzen

LAG Düsseldorf, 9 Sa 1346/95, 19.01.1996

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BetrAVG § 1 Ablösung, § 1 Hinterbliebenenversorgung, § 1 Unterstützungskassen, § 2 V; BGB §§ 315 I, 328 I, 335; GG Art. 3 I, 6 I; ZPO § 256