Hinweispflicht der Versicherung auf Ungültigkeit der Fahrzeugvollversicherung im Heimatland des Versicherungsnehmers

Gericht

OLG Frankfurt a.M.


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

20. 11. 1997


Aktenzeichen

7 U 138/97


Leitsatz des Gerichts

Erleidet ein Kasko-Versicherungsnehmer als türkischer Staatsangehöriger einen Kaskoschaden in der asiatischen Türkei, für die der Deckungsschutz nach § 2a I AKB 95 ausgeschlossen ist und eine Erweiterung des Geltungsbereichs nicht vereinbart wurde, haftet der Versicherer für den Schaden wegen Verschuldens bei den Vertragsverhandlungen; allerdings haftet der Versicherungsnehmer wegen nicht durchgeführter Lektüre der Versicherungsbedingungen nach § 254 BGB zu 50% mit.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. eine in Deutschland lebende türkische Staatsangehörige, nimmt die Bekl. auf Ersatz des Wiederbeschaffungswertes ihres im asiatischen Teil der Türkei durch einen Unfall ihres Sohnes total beschädigten Fahrzeugs, für das sie bei der Bekl. am 12. 2. 1996 eine Fahrzeugvollversicherung abgeschlossen hatte, in Anspruch. Sie hat vorgetragen, daß es ihr gerade auch um eine Absicherung während der für Mai-Juni 1996 geplanten Türkeireise des Sohnes gegangen sei. Die Bekl. hat sich demgegenüber auf ihre Versicherungsbedingungen berufen, die ihre Haftung für Unfälle in außereuropäischen Gebieten ausschließen.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl. hatte teilweise Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Kl. kann die Bekl., wovon sie auch selbst ausgeht, allerdings nicht aus dem Versicherungsvertrag in Anspruch nehmen. Nach § 2a I AKB 95 gilt die Versicherung nur für Europa und die zum Geltungsbereich des Vertrags über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gehörenden außereuropäischen Gebiete, wohingegen sich der Unfall in dem Teil der Türkei ereignet hat, der zu Asien gehört. Die Parteien haben eine Erweiterung des Geltungsbereichs nicht ausdrücklich vereinbart.

Der Vertrag ist auch nicht nach dem im Versicherungsrecht geltenden gewohnheitsrechtlichen Satz, wonach der Versicherer Erklärungen seines Agenten über Umfang und Inhalt des Versicherungsvertrags gegen sich gelten lassen muß, umgestaltet worden (vgl. hierzu Prölss-Martin, VVG, 25. Aufl., § 43 Rdnr. 7A; BGHZ 2, 87 = NJW 1951, 885 = LM § 43 VVG Nr. 1; BGHZ 40, 22 = NJW 1963, 1978 = LM § 43 VVG Nr. 3; BGHZ 43, 235 = NJW 1965, 1137 = LM § 12 VVG Nr. 15). Die Kl. hat, wie das LG zutreffend ausgeführt hat, nicht nachgewiesen, daß bei den Vertragsverhandlungen mit dem Versicherungsvertreter der Bekl. über eine bevorstehende Fahrt in die Türkei gesprochen worden ist. Dagegen spricht vor allem, daß der Versicherungsantrag unmittelbar nach dem Kauf des Fahrzeuges gestellt wurde, während die Reise in die Türkei erst für Mai-Juni 1996 geplant war. Wäre es der Kl., wie sie vorträgt, gerade darum gegangen, Versicherungsschutz für den Auslandsaufenthalt ihres Sohnes zu erhalten, wäre zu erwarten gewesen, daß sie ihn auch erst kurz vor dessen Reise beantragte, um die bis dahin anfallenden erheblichen Prämien zu ersparen. Im übrigen entfiele ein Anspruch aus gewohnheitsrechtlicher Erfüllungshaftung auch wegen eines erheblichen eigenen Verschuldens der Kl. Dies liegt vor, wenn die Versicherungsbedingungen die Haftung für den Fall, für den sich der Versicherungsnehmer versichert glaubt, ausdrücklich ausschließt und die Versicherungsbedingungen klar und eindeutig gefaßt sind (BGHZ 40, 22 [25] = NJW 1963, 1978 = LM § 43 VVG Nr. 3). Das war hier der Fall. Die Formulierung des § 2a I AKB 95 läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß der Versicherungsschutz nicht für Schäden gewährt wird, die außerhalb Europas und des Geltungsbereichs der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eintreten. Der Kl. sind diese Versicherungsbedingungen unstreitig auch spätestens mit dem Versicherungsschein zugegangen.

Die Bekl. ist der Kl. jedoch wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen zum Schadensersatz verpflichtet. Durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen zwischen der Kl. und dem Versicherungsvertreter der Bekl. ist zwischen den Parteien ein vorvertragliches Schuldverhältnis entstanden. Aufgrund dieser Sonderbeziehung war die Bekl. verpflichtet, die Kl. umfassend über den Inhalt und Umfang des abzuschließenden Vertrags und damit insbesondere auch über den örtlichen Geltungsbereich des Versicherungsschutzes und über die in § 2a II AKB 95 und im Tarifwerk der Bekl. vorgesehene Möglichkeit seiner Erweiterung zu unterrichten. Diese Beratungspflicht bestand auch dann, wenn bei Antragstellung nicht über die geplante Fahrt in den asiatischen Teil der Türkei gesprochen wurde. Schon allein aus dem Umstand, daß die Kl. türkische Staatsangehörige war, ergab sich die naheliegende Möglichkeit, daß das neu erworbene Fahrzeug auch zu Fahrten in den asiatischen Teil der Türkei benutzt werden würde (so im Ergebnis auch BGHZ 40, 22, [27] = NJW 1963, 1978 = LM § 43 VVG Nr. 3; OLG Hamm, VersR 1988, 486; NZV 1991, 314). Dieser Verpflichtung zur umfassenden Beratung der Kl. ist die Bekl., die sich das Verhalten ihres Versicherungsvertreters als ihres Erfüllungsgehilfen zurechnen lassen muß (§ 278 BGB), nicht nachgekommen. Sie hat die Kl. weder bei Antragstellung noch beim Übersenden der grünen Versicherungskarte auf den eingeschränktes Versicherungsschutz hingewiesen.

Da davon auszugehen ist, daß die Kl. bei umfassender Beratung und Aufklärung Versicherungsschutz auch für den außereuropäischen Teil der Türkei beantragt und erhalten hätte, ist die Bekl. verpflichtet, sie so zu stellen, als sei es zu dieser Erweiterung gekommen. In diesem Fall aber wäre sie gem. §§ 12 1 II, 13, 1 AKB 95 zum Ersatz des Wiederbeschaffungswertes des Fahrzeugs in Höhe von 14645,25 DM abzüglich der vereinbarten Selbstbeteiligung von 1000 DM, mithin zur Zahlung von 13645,25 DM verpflichtet gewesen. Der Schadensersatzanspruch der Kl. mindert sich allerdings um 50%, da sie an dem eingetretenen Schaden ein erhebliches eigenes Mitverschulden trifft (§ 254 BGB). Sie hätte die ihr übersandten Versicherungsbedingungen gründlich durchlesen und spätestens vor der Fahrt ihres Sohnes in die Türkei von sich aus bei der Bekl. rückfragen müssen, ob das Fahrzeug auch dort gegen Schäden versichert ist.

Rechtsgebiete

Versicherungsrecht

Normen

BGB §§ 275, 278; VVG § 43; AKB 95 § 2a I