Mehrarbeitszeitzuschläge bei Auszahlung von Arbeitszeitguthaben

Gericht

ArbG Flensburg


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

20. 08. 1998


Aktenzeichen

2Ca 451/98


Leitsatz des Gerichts

Eine zuschlagspflichtige Mehrarbeit ist dann gegeben, wenn sie angeordnet wird. Kann die Mehrarbeit nicht mit Freizeit ausgeglichen werden, so ist der Arbeitgeber verpflichtet, das zusätzliche Arbeitszeitguthaben mitsamt Mehrarbeitszuschlägen auszuzahlen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten in einem Musterprozeß über die Frage, ob tarifliche Mehrarbeitszuschläge zu zahlen sind, wenn angespartes Arbeitszeitguthaben ausgezahlt wird. Der am 28. 8. 1965 geborene Kl. ist seit 1989 als gewerblicher Arbeitnehmer bei der Bekl. beschäftigt. Er ist Betriebsratsmitglied. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge der Metallindustrie kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung. Insbesondere gilt der Manteltartifvertrag für die Metallindustrie in Hamburg und Umgebung und in Schleswig-Holstein vom 18. 5. 1990/14. 3. 1994 i.d.F. vom 3. 2. 1997 (nachfolgend: MTV). In dessen § 3 ist die Arbeitszeit und deren Verteilung geregelt. In dessen § 7 sind die Zeitzuschläge geregelt. Die Mehrarbeit ist in § 6 Nr. 1 MTV wie folgt definiert: „Mehrarbeit ist die angeordnete Überschreitung der individuellen, regelmäßigen täglichen Arbeitszeit, die bis zum Arbeitsbeginn des darauf folgenden Tages abgefordert wird„. Der MTV enthält keine Regelung zu einer Jahresarbeitszeit, da die Arbeitgeberseite diese nicht durchsetzen konnte. Am 28. 4. 1997 schloß die Bekl. mit dem Betriebsrat die „Betriebsvereinbarung über die flexible Gestaltung der Arbeitszeit„. Nach dessen Nr. III soll die Festlegung der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit nach Informationen des Betriebsrats und der Mitarbeiter mit einer Ankündigungsfrist von 3 Arbeitstagen erfolgen. In Nr. III 2 ist geregelt, daß die Über- bzw. Unterschreitung der individuellen, regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit für jeden Mitarbeiter auf einem Zeitkonto erfaßt wird. In Nr. IV ist die Lage der Arbeitszeit einschließlich der Pausen insbesondere durch Bezugnahme auf die Betriebsvereinbarung vom 26. 1. 1996 geregelt. In Nr. VIII ist sodann geregelt, daß die Betriebspartner wegen einer Regelung für den Ausgleich des Zeitkontos mit den Tarifvertragsparteien in Verhandlung treten sollen. Im Einvernehmen mit dem Betriebsrat erhöhte die Bekl. die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf 37,5 Stunden. Eine entsprechende individuelle Vereinbarung traf sie mit dem Kl. nicht. Die Arbeitnehmer der Bekl. leisteten 1997 in der auftragsstarken Zeit eine höhere Wochenarbeitszeit als 35 Stunden. Dies geschah in der Erwartung, dafür in einer auftragsschwachen Zeit einen Ausgleich in Freizeit zu erhalten. Ein derartiges Arbeitszeitloch entstand jedoch nicht, so daß eine Verrechnung von Plusstunden mit Minusstunden nicht möglich war. Daher entschloß sich die Bekl. im Dezember 1997, an etwa 100 gewerbliche Arbeitnehmer die Stundenguthaben auszuzahlen. Mehrarbeitszuschläge zahlte sie nicht. Der Kl. erwarb in 1997 auf seinem Arbeitszeitkonto eine Ansparzeit von 52,55 Stunden. Da kein Freizeitausgleich möglich war, galt die Bekl. diese Ansparzeit in der Dezember-Abrechnung mit dem regulären Stundenlohn von 23,14 DM brutto pro Stunde ab. Einen Mehrarbeitszuschlag zahlte sie auch an den Kl. nicht. Die Zahlung dieses 20%igen Mehrarbeitszuschlags gem. § 7 2.1 MTV begehrt der Kl. nunmehr im Klageweg.

Die Klage hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. 1. Der Kl. hat gegen die Bekl. einen Anspruch auf Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen für 52,55 Stunden aus § 611 BGB, § 4 TVG i.V. mit § 7 Nr. 2.1 MTV in Höhe von 243,20 DM brutto. Danach beträgt der Mehrarbeitszuschlag für gewerbliche Arbeitnehmer im Tarifgebiet Schleswig-Holstein 20%.

a) Der Kl. hat im Jahre 1997 52,55 Stunden Mehrarbeit im Tarifsinne geleistet, die zuschlagspflichtig sind. Die Stunden, die nach der Betriebsvereinbarung vom 29. 4. 1997 Ansparzeit sind, stellen nach Meinung der Kammer zwangsläufig gleichzeitig Mehrarbeit i.S. von § 6 Nr. 1 MTV dar. Insoweit hat der Kl. in Überschreitung der individuellen regelmäßigen täglichen Arbeitszeit gearbeitet. Die individuelle, regelmäßige Arbeitszeit beträgt gem. § 3 Nr. 1.1 MTV 35 Stunden in der Woche, d.h. 7 Stunden täglich bei einer 5-Tage-Woche. Die konkrete Lage der Arbeitszeit der Arbeitnehmer ist für das Jahr 1997 durch die Betriebsvereinbarung vom 26. 1. 1996 geregelt. Soweit lediglich diese Stunden, die dort festgesetzt sind, gearbeitet werden, kann kein Arbeitszeitguthaben entstehen, da diese tarifliche Arbeitszeit durch die monatliche Vergütung abgegolten ist. Dies ergibt sich auch aus Nr. III 2 der Betriebsvereinbarung vom 28. 4. 1997. Darin ist geregelt, daß erst die Überschreitung der individuellen, regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit auf dem Zeitkonto - als Zeitguthaben - erfaßt wird. Eine Überschreitung der individuellen, regelmäßigen Arbeitszeit ist zuschlagspflichtige Mehrarbeit, soweit sie angeordnet war. Dies ist durch die Festlegung der jeweiligen Arbeitszeiten durch die Bekl. nach Nr. IIIa der Betriebsvereinbarung vom 28. 4. 1997 geschehen.

b) Auch die übrigen Regelungen der Betriebsvereinbarung vom 29. 4. 1997 ändern an der Pflicht zur Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen für die Ansparzeit bereits bei Überschreitung der 35-Stunden-Woche nichts. Sie führt zu keiner anderen regelmäßigen Arbeitszeit, wobei dahingestellt bleiben kann, ob die Betriebsvereinbarung an sich wirksam ist. Regelmäßige Arbeitszeit ist dadurch gekennzeichnet, daß sie nach einem bestimmten Schema verläuft, das vorher feststeht und das in regelmäßigen Abständen immer wieder durchgeführt wird. Durch Nr. II 1 der Betriebsvereinbarung ist der Bekl. die Befugnis gegeben worden, jeweils mit einer Ankündigungsfrist von 3 Arbeitstagen die Arbeitszeit-Volumina festzulegen. Dadurch wird die Arbeitszeit jedes Arbeitnehmers flexibel je nach Bedarf des Betriebs bestimmt. Gerade durch diese Flexibilität entsteht keine Regelmäßigkeit, sondern die Arbeitszeit ist von Tag zu Tag verschieden und wiederholt sich nicht regelmäßig. Die regelmäßige Arbeitszeit ergibt sich vielmehr weiterhin aus der Betriebsvereinbarung vom 26. 1. 1996, auf die insoweit ausdrücklich in Nr. IV 2 der Betriebsvereinbarung vom 28. 4. 1997 Bezug genommen wird.

c) Selbst wenn die Betriebspartner durch die Regelungen der Betriebsvereinbarung vom 28. 4. 1997 bzw. durch andere Vereinbarungen die regelmäßige Arbeitszeit des Kl. hätten erhöhen wollen, sind derartige Regelungen wegen Verstoßes gegen den Tarifvertrag nichtig. Soweit die Bekl. vorträgt, die Betriebspartner hätten die wöchentliche Arbeitszeit für alle Arbeitnehmer auf 37,5 Stunden erhöht, ist diese Regelung zumindest in bezug auf den Kl. unwirksam. Nach § 3 Nr. 1.2 MTV kann die individuelle, regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit für Einzelarbeitnehmer nur mit ihrer Zustimmung verlängert werden. Der Kl. hat eine Verlängerung seiner regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit nicht zugestimmt.

d) Es unterlag auch nicht der Regelungsmacht der Betriebspartner, den Beginn der Mehrarbeitszuschlagspflicht abweichend vom Tarifvertrag zu regeln, wie es in Nr. V der Betriebsvereinbarung vom 29. 4. 1997 geschehen ist. Die tariflichen Regelungen sind gem. § 4 I TVG zwingend. Lediglich wenn sie eine entsprechende Öffnungsklausel enthalten, können abweichende, für die Arbeitnehmer schlechtere Regelungen getroffen werden. Die Regelung in Nr. V der Betriebsvereinbarung vom 29. 4. 1997 ist für die Arbeitnehmer der Bekl. schlechter, da sie die Zuschlagspflicht erst ab der 45. Stunde bestimmen. Der Tarifvertrag sieht die Zuschlagspflicht in § 7 MTV jedoch bereits ab der 36. Stunde vor. Zu einer derartigen verschlechternden Regelung hatten die Betriebspartner keine Regelungsmacht. Der MTV enthält insoweit keine Öffnungsklausel. Diese ist insbesondere nicht in § 3 Nr. 4.5 MTV enthalten. In dieser Nr. ist lediglich der Ausgleichszeitraum für den Freizeitausgleich geregelt. Die Festlegung eines Ausgleichszeitraums für die Gewährung von Freizeitausgleich für Mehrarbeit ändert an den Voraussetzungen für die Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen nichts, wie sich insbesondere auch aus § 6 Nr. 5.2 MTV ergibt. Die Ablehnung eines Mehrarbeitszuschlags, wie ihn der Kl. begehrt, würde dazu führen, daß entgegen den Vereinbarungen der Tarifvertragsparteien eine Jahresarbeitszeit eingeführt werden würde. Diese wurde bei Abschluß des Manteltarifvertrags ausdrücklich abgelehnt. Nun kann die Jahresarbeitszeit bzw. das Jahresarbeitszeitkonto nicht kontra Tarifvertrag auf dem Weg der rangniedrigeren Betriebsvereinbarung eingeführt werden.

e) Für 52,55 Stunden, die mit einem regulären Stundenlohn von 23,14 DM brutto vergütet wurden, sind 20%ige Mehrarbeitszuschläge in Höhe von 243,20 DM brutto entstanden.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BGB § 611; TVG § 4 I; Manteltarifvertrag für die Metallindustrie in Hamburg und Umgebung und in Schleswig-Holstein vom 18. 5. 1990/14. 3. 1994 i.d.F. vom 3. 2. 1997 (MTV) §§ 3Nr. 1.1, 6 Nr. 1, 7 Nr. 2 2.1