Überstunden und tarifliches Urlaubsentgelt

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

16. 03. 1999


Aktenzeichen

9 AZR 315/98


Leitsatz des Gerichts

Nach § 12 Nr.2 Unterabs.1 S. 1 des Manteltarifvertrages für den Groß- und Außenhandel des Landes Hessen wird zur Errechnung der während der Urlaubszeit zu zahlenden Bezüge der Durchschnitt des Entgelts der letzten sechs Monate vor Urlaubsantritt zugrundegelegt. Dabei ist auch das Entgelt einzubeziehen, das für die in den Bezugszeitraum fallenden Überstunden geleistet wird.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten über die Bemessung des Urlaubsentgelts für einen nach dem 1. 10. 1996 genommenen Urlaub. Der Kl. ist bei der Bekl. als Arbeiter beschäftigt. Beide Parteien gehören als Mitglieder den Tarifvertragsparteien an, die den Manteltarifvertrag für den Groß- und Außenhandel des Landes Hessen (MTV) abschließen. Die bis zum 31. 12. 1996 geltende Fassung vom 18. 6. 1994 enthielt folgende Regelung:

§ 12. Urlaub. In jedem Kalenderjahr hat der Arbeitnehmer einmal Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgeltes und unter Beachtung folgender Bestimmungen:

2. Bei der Höhe nach unterschiedlichen Entgelten wird zur Errechnung der während der Urlaubszeit zu zahlenden Bezüge mindestens der Durchschnitt des Entgeltes der letzten 6 Monate vor Urlaubsantritt zugrunde gelegt. Durch Betriebsvereinbarung kann eine längere Berechnungsfrist vereinbart werden. Bei kürzerer Beschäftigungsdauer ist der Durchschnitt während der Tätigkeit maßgebend. Bei Entgelterhöhungen, die während des Berechnungszeitraums oder des Urlaubs eintreten, ist von dem erhöhten Entgelt auszugehen. Spesen und einmalige Zuwendungen, die kein Arbeitsentgelt sind, bleiben bei der Berechnung der Urlaubsvergütung außer Ansatz.

Bei der Berechnung des Urlaubsentgelts berücksichtigte die Bekl. die in den letzten sechs Monaten vor Urlaubsantritt vom Kl. geleisteten Überstunden nicht. Nach erfolgloser Mahnung hat der Kl. den Unterschiedsbetrag am 19. 2. 1997 gerichtlich geltend gemacht. Er hat beantragt, die Bekl. zu verurteilen, an den Kl. 159,46 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.

Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Bekl. ist vom LAG zurückgewiesen worden. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Bekl. erfolglos weiterhin das Ziel der Klageabweisung.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Die Revision der Bekl. ist unbegründet. Der Kl. hat Anspruch auf das geltend gemachte weitere Urlaubsentgelt zuzüglich Prozesszinsen. In rechnerischer Höhe ist der Betrag von 159,46 DM brutto zwischen den Parteien unstreitig.

1. Nach § 4 I 1 TVG i.V. mit § 12 MTV ist die Bekl. verpflichtet, dem Kl. unter Fortzahlung des Entgelts Erholungsurlaub zu gewähren. Für den zwischen dem 1. 10. und dem 31. 12. 1996 festgesetzten Erholungsurlaub war nach § 12 Nr. 2 MTV der Durchschnitt des Entgelts der letzten sechs Monate vor Urlaubsantritt als Bemessungsgrundlage für das Urlaubsentgelt zu errechnen. Zwar ist nach § 11 I 1 BUrlG in der durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25. 9. 1996 (BGBl I, 1476) ab 1. 10. 1996 in Kraft getretenen Neufassung das Urlaubsentgelt nur nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst der letzten 13 Wochen unter Herausnahme des zusätzlich für Überstunden gezahlten Arbeitsverdienstes „zu bemessen“. Diese Vorschrift ist hier aber nicht anzuwenden. Die tarifliche Bemessungsvorschrift weicht zugunsten des Arbeitnehmers ab. Die zugunsten des Arbeitnehmers abweichende tarifliche Vorschrift verdrängt nach § 13 I 1 BUrlG die gesetzliche Bemessungsvorschrift.

2. Entgegen der Revision ist § 12 Nr. 2 MTV nicht im Lichte der Gesetzesänderung einschränkend auszulegen.

a) Das LAG hat dazu ausgeführt, § 12 Nr. 2 MTV enthalte eine eigenständige, konstitutiv wirkende Bemessungsregelung, die von der Änderung des § 11 I 1 BUrlG nicht berührt worden sei. Der Regelungswille der Tarifvertragsparteien ergebe sich insbesondere aus der Ausweitung des Bezugszeitraums und der Zulassung einer weiteren Verlängerung des Bezugszeitraums durch Betriebsvereinbarung.

b) Diese Ausführungen des LAG halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

aa) Nach der Rechtsprechung des BAG handelt es sich nur dann um eine deklaratorische tarifliche Klausel, wenn der Wille der Tarifvertragsparteien zu einer gesetzesunabhängigen eigenständigen Tarifregelung im Tarifvertrag keinen hinreichend erkennbaren Ausdruck gefunden hat (BAGE 40, 102; BAGE 74, 167 = NZA 1994, 221; BAGE 81, 76 = NZA 1996, 539; BAG, NZA 1996, 1166 = AP Nr. 50 zu § 622 BGB = EzA § 622 BGB n.F. Nr. 53 und BAG, NZA 1997, 97 = AP Nr. 21 zu § 1 TVG Tarifverträge: Textilindustrie = EzA § 622 Nr. 54). Die im Schrifttum vorherrschende Auffassung geht demgegenüber davon aus, dass im Zweifel stets eine vom Bestand und Inhalt von Gesetzen unabhängige eigenständige Regelung gewollt sei (vgl. Rieble, RdA 1997, 134 [137] m.w. Nachw.).

bb) Das LAG hat nicht gegen den vom BAG aufgestellten Auslegungsgrundsatz verstoßen. Die Tarifvertragsparteien des MTV haben weder die vor Inkrafttreten des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes geltende Gesetzesfassung inhaltlich in ihr Tarifwerk aufgenommen, noch haben sie in anderer Weise zum Ausdruck gebracht, dass für sie die jeweils geltende Fassung der Bemessungsvorschrift des § 11 I 1 BUrlG maßgeblich sein solle. Gegen den von der Revision unterstellten fehlenden Regelungswillen der Tarifvertragsparteien spricht, dass bei Abschluss des MTV am 18. 6. 1994 die Tarifvertragsparteien in § 12 Nr. 2 MTV eine in sich geschlossene und inhaltlich in wesentlichen Punkten von der gesetzlichen Bemessungsvorschrift abweichende Regelung getroffen haben.

(1) Während in § 11 I 1 BUrlG den Bezugszeitraum auf 13 Wochen festgelegt wird, haben die Tarifvertragsparteien die Bemessungsgrundlage in § 12 Nr. 2 Unterabs. 1 S. 1 MTV auf den Durchschnitt des Entgelts der letzten sechs Monate ausgeweitet und nach Satz 2 eine weitere Verlängerung der Berechnungsfrist durch Betriebsvereinbarung zugelassen. Abweichend von der gesetzlichen Regelung haben sie auch in § 12 Nr. 2 Unterabs. 1 S. 3 MTV eine Regelung für die Arbeitnehmer vorgesehen, deren Beschäftigungsdauer den Bezugszeitraum unterschreitet.

(2) Weiterhin haben die Tarifvertragsparteien bei Abschluss des MTV in § 12 Nr. 2 Unterabs. 3 klargestellt, welche Arbeitgeberleistungen nicht als Entgelt anzusehen sind und deshalb bei der Berechnung des Durchschnitts des Entgelts nach Unterabs. 1 außer Ansatz bleiben sollen. Danach sollen Spesen und einmalige Zuwendungen ausgenommen werden. Die in den Bezugszeitraum fallende Überstundenvergütung war daher nicht nur nach dem allgemeinen Verständnis des Begriffs „Entgelt“ (vgl. BAG, NZA 1993, 750 = AP Nr. 34 zu § 11 BUrlG = EzA § 11 BUrlG Nr. 33), sondern auch nach dem hier deutlich gewordenen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien in die Durchschnittsberechnung einzubeziehen.

(3) Schließlich spricht auch die Tarifgeschichte gegen die Auslegung der Revision. Der MTV ist nach Inkrafttreten des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes ausgelaufen. Die Tarifvertragsparteien haben am 4. 7. 1997 den § 12 Nr. 2 unverändert für die Neufassung übernommen. Sollte nach dem Willen der Tarifvertragsparteien das zusätzlich für Überstunden gezahlte Entgelt beim tariflichen Urlaubsentgelt unberücksichtigt bleiben, hätte zumindest ein Verweis auf die geänderte Fassung des § 11 I 1 BUrlG nahegelegen.

3. Die Bekl. hat nach § 291 S. 1 BGB die Geldschuld vom Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen. Die Zinshöhe ergibt sich aus § 288 I 1 BGB.

Vorinstanzen

LAG Hessen, 11 Sa 1950/97, 2.3.1998

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BUrlG § 11 I 1; Manteltarifvertrag für den Groß- und Außenhandel des Landes Hessen v. 18. 6. 1994 (MTV) § 12 Nr. 2