Stand der Technik bei Vorhandensein neuerer Versionen

Gericht

OLG Brandenburg


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

01. 12. 1998


Aktenzeichen

6 U 301/97


Leitsatz des Gerichts

  1. Die Veräußerung eines aus verschiedenen standardisierten Komponenten zu einem Komplex zusammengefügten Datenverarbeitungssystems unterliegt dem Kaufvertragsrecht.

  2. Eine Software-Konfiguration kann auch dann dem neuesten Stand der Technik entsprechen, wenn zu den einzelnen Komponenten neuere Versionen existieren.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Aufgrund eines Angebotes vom 26. 6. 1996 übergab die Kl. der Bekl. am 19. 9. 1996 das EDV-Basispaket „KFZ-3000-ROVER“. Gegenstand des Vertrages waren unter anderem das Netzwerk Novell 3.12 für 10 Benutzer sowie die Ansteuerungssoftware ACU-Cobol 2.1.0. Über den gesamten Auftrag, der auch die Lieferung von Hardware umfaßte, stellte die Kl. der Bekl. am 30. 9. 1996 einen Betrag von 57305,65 DM in Rechnung. Auf Empfehlung eines Mitwettbewerbers der Kl., verlangte die Bekl. mit Anwaltsschreiben vom 29. 10. 1996 von der Kl., statt der gelieferten Novell-Software die „moderne, aktuelle Software, Novell, Netware 4.1.“ ohne Aufpreis zu liefern und zu installieren. Nach weiterer Korrespondenz zwischen den Parteien erklärte die Bekl. mit Anwaltsschreiben vom 19. 11. 1996 den Rücktritt vom Vertrag und vorsorglich die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, weil die Kl. eine veraltete Software geliefert habe, obwohl sie - die Bekl. - ausdrücklich eine aktuelle und moderne Anlage habe erwerben wollen. Mit Schreiben vom 9. 12. 1996 teilte die ACU-COBOL Deutschland GmbH der Kl. auf deren Anfrage mit, daß die Version 2.1.0 dem aktuellen internationalen Standard entspreche und die nachfolgende Version 2.4. spezifische Änderungen beinhalte. Die Novell-GmbH teilte der Kl. mit Schreiben vom 22. 1. 1997 mit, „daß NetWare 3.12 ein Betriebssystem ist, das von Novell derzeit hergestellt und vertrieben wird, und zwar neben einer weiteren, neueren IntranetWar/NetWare 4.11. Novell bietet also ihren Kunden zwei verschiedene Betriebssysteme an, die für den einzelnen Kunden angepaßt auf seine Bedürfnisse, einzusetzen sind. NetWare 3.12 ist ein aktuelles Produkt, das insbesondere dann zum Einsatz kommen sollte, wenn der Kunde eine weitere branchenspezifische Software einsetzt, die für InternetWare noch nicht angepaßt wurde. Diese Anpassung liegt im Ermessen des Softwareherstellers. IntraNetWare ist grundsätzlich vorzulegen, wenn der Kunde einen Fokus auf Internet/Intranet-Technologie legen möchte, und gleichzeitig nicht von der Kompatibilität weiterer, branchenspezifischen Programmen abhängig ist. Erheblich für Ihren Rechtsstreit sollte aber sein, daß Novell das Produkt NetWare 3.12 nicht durch IntraNetWare abgelöst hat. Beide Produkte bestehen nebeneinander, und unterscheiden sich unabhängig von ihrem Alter (Entwicklungsstand) auch in ihrem Einsatzgebiet.“

Die Kl. hat behauptet, sowohl die gelieferte Netzwerksoftware 3.12 als auch die Ansteuerungssoftware ACU-Cobol 2.1.0 entsprächen dem bewährten internationalen Standard. Bei den Versionen Novell 4.1. bzw. 4.11. handele es sich nicht um Nachfolgeversionen, sondern um alternative Produktlinien. Im praktischen Einsatz brächten diese Versionen nicht den geringsten Vorteil; sie machten den Kunden jedoch abhängig, weil er aufgrund der höheren Störungsanfälligkeit im Störungsfall auf einen einzigen Lieferanten angewiesen sei. Novell 4.1. sei ohnehin inzwischen vom Markt verschwunden und überholt, während Novell 3.12 unverändert hergestellt werde. Novell 4.11. sei zum Zeitpunkt der Bestellung - wie unstreitig - noch nicht lieferbar gewesen. Es habe unter ihren betrieblichen Einsatzverhältnissen kein Anlaß bestanden, die von ihr vertriebene Software „KFZ-3000-Rover“ mit einer Betriebssoftware 4.1. oder 4.11. von Novell zu kombinieren. Zudem seien für die Bekl. während der Vertragsverhandlungen zwei kompetente Berater mit zugegen gewesen. Die Kl. hat beantragt, die Bekl. zu verurteilen, an die Kl. 57305,65 DM nebst Zinsen zu zahlen.

Das LG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Bekl. hatte nur in geringem Umfang Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Zu Recht hat das LG einen Anspruch der Kl. auf Kaufpreiszahlung aus § 433 II BGB bejaht.

a) Der unstreitig von den Parteien abgeschlossene Vertrag stellt entgegen der Auffassung der Bekl. nicht einen Werkvertrag, sondern einen Kaufvertrag dar. Zur Erbringung einer Werkleistung hätte sich die Kl. nur dann verpflichtet, wenn charakteristischer Gegenstand des Vertrages ein von ihr - wenn auch unter Verwendung vorgefertigter Teile - hergestelltes, auf die speziellen Bedürfnisse und Wünsche der Bekl. zugeschnittenes Datenverarbeitungssystem gewesen wäre. Nach der unwidersprochen gebliebenen Behauptung der Kl. handelte es sich aber bei der von der Bekl. bestellten Ware um ein aus verschiedenen standardisierten Komponenten zusammengesetztes, als Komplex in mehr als 120 anderen Autohäusern installiertes System; der Kl. oblag also nicht die Herstellung, sondern lediglich - was typischerweise für einen Kaufvertrag spricht - die Lieferung inklusive Installation standardisierter Ware. Soweit der Vertrag mit der Verpflichtung zu einer dreitägigen Schulung darüber hinaus ein möglicherweise werkvertragliches, eher aber dienstvertragliches Element aufwies, war dieses wegen seiner geringen Bedeutung im Rahmen der Gesamtleistung nicht geeignet, dem Vertrag insgesamt einen anderen Charakter als den eines Kaufvertrages aufzuprägen.

b) Der Kaufvertrag ist durch die von der Bekl. erklärte Anfechtung nicht gem. §§ 123 , 142 BGB unwirksam geworden. Der Bekl. stand ein Anfechtungsgrund nicht zu. Denn der Abschluß des Kaufvertrages beruhte nicht auf einem durch arglistige Täuschung seitens der Kl. erzeugten Irrtum. Dabei kann dahinstehen, ob die Bekl. - wie sie behauptet - im Rahmen der Vertragsverhandlungen deutlich gemacht hat, daß sie nur ein auf dem neuesten Stand der Technik stehendes, dem „aktuellen Stand entsprechend modernstes“ System zu kaufen bereit sei. Denn getäuscht worden sein könnte die Bekl. auch unter diesen Umständen nur dann, wenn das von der Kl. angebotene System nicht dem neuesten Stand der Technik entsprach. Daß letzteres der Fall war, kann nicht angenommen werden.

aa) Zwar umfaßte die von der Kl. verkaufte Konfiguration unstreitig nicht das im Zeitpunkt der Lieferung bereits vorliegende Betriebssystem Novell 4.1, sondern das bereits länger im Handel befindliche Betriebssystem Novell 3.1.2.; gleiches gilt für die Acucobol-Runtime-Software, von der die ältere Version 2.1.0. und nicht die neuentwickelte Version 2.4.2. geliefert wurde. Entgegen der Auffassung der Bekl. ist damit jedoch noch nicht dargelegt, daß die von der Kl. gelieferte Software-Konfiguration insgesamt nicht dem aktuell modernsten Stand der Technik entsprach. Was diesem Stand entspricht, ermittelt sich nicht danach, ob jeweils die jüngsten Versionen der einzelnen verwendeten Software-Elemente Verwendung gefunden haben. Entscheidend für die Beurteilung ist angesichts der üblicherweise beim Einsatz neuentwickelter Software auftretenden Schwierigkeiten namentlich im Hinblick auf die Kompatibilität mit anderen Software-Komponenten vielmehr die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems. Eine aus der Zusammenstellung älterer Software-Versionen entstandene Konfiguration kann daher dem aktuellsten Stand der Technik entsprechen, wenn sie als langerprobt und in der Anwendung zuverlässig allein die sichere Gewähr des für einen Geschäftsbetrieb lebensnotwendigen ungestörten und zuverlässigen Funktionierens bietet.

bb) Daß eine Einpassung der von der Bekl. reklamierten jüngeren Versionen des Betriebssystems Novell und der Runtime-Software Acucobol in die Gesamtkonfiguration problemlos und ohne Beeinträchtigung der Zuverlässigkeit möglich gewesen wäre, die Kl. selbst also eine modernere Konfiguration hätte liefern können, hat die Bekl. selbst nicht behauptet. Sie hat vielmehr vorgetragen, daß dies mangels Kompatibilität der von der Kl. entwickelten Verbindungssoftware mit den neuen Versionen von Novell und Acucobol gerade nicht möglich war. Daß auf dem Markt andere Datenverarbeitungssysteme erhältlich waren, die das Gleiche wie die von der Kl. gelieferte Konfiguration leisteten und darüber hinaus zuverlässig weitere Funktionen eröffneten, hat die Bekl. ebensowenig dargelegt; insbesondere fehlt es an jeglichem substantiierten Vorbringen dazu, daß der Mitbewerber der Kl. eine zuverlässige derartige Software hätte liefern können.

Unter diesen Umständen liegen bereits die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen einer Täuschung - sei es durch Tun oder durch unterlassene Aufklärung - nicht vor. Darüber hinaus fehlt es jedenfalls am subjektiven Tatbestand des § 123 BGB: da nicht erkennbar ist, daß überhaupt eine auf die Bedürfnisse eines Autohauses ausgerichtete modernere, zuverlässige Software-Konfiguration auf dem Markt war, kann den Bediensteten der Kl. ein dies verschleierndes, vorsätzliches Verhalten nicht angelastet werden.

c) Die Mängeleinrede (§§ 459 I , 462 , 465 , 467 , 478 I 1 BGB) kann die Bekl. dem Kaufpreisanspruch der Kl. nicht entgegensetzen. Zum einen muß aus den vorstehenden Gründen angenommen werden, daß die Gesamtkonfiguration dem aktuellen Stand der Technik entsprach. Zum anderen erbrachte, was auch die Bekl. nicht in Abrede gestellt hat, die gelieferte Konfiguration die von den Parteien vertraglich übereinstimmend vorausgesetzten Leistungen; das von der Bekl. gerügte Fehlen des Internet-Zugangs und weiterer Funktionen stellte sich - weil die Parteien das Vorhandensein dieser Funktionen nicht zum Vertragsgegenstand gemacht hatten - nicht als Abweichung von der von den Parteien vereinbarten Sollbeschaffenheit des Kaufgegenstandes und damit nicht als Fehler i.S. des § 459 I BGB dar.

Der Kaufpreisanspruch der Kl. ist auch nicht durch den von der Kl. erklärten Rücktritt vom Kaufvertrag untergegangen. Denn der Bekl. stand aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Rücktrittsrecht zu. Ein vertragliches Rücktrittsrecht scheidet mangels entsprechender Vereinbarung der Parteien aus. Soweit sich die Bekl. auf die Ausübung eines auf § 326 I BGB resultierenden gesetzlichen Rücktrittsrechts beruft, liegen die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift nicht vor. Soweit die Bekl. Mangelhaftigkeit der Kaufsache gerügt hat, war § 326 BGB nach allgemeiner Auffassung (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, Vorb. § 459 Rdnr. 5) vom Zeitpunkt des Gefahrübergangs - also nach Installation der Datenverarbeitungsanlage - nicht mehr anwendbar, die Bekl. vielmehr auf die Gewährleistungsregelung der §§ 459ff. BGB verwiesen, die ihr - wie oben dargelegt - mangels Vorliegen eines Fehlers einen Rücktritt in Gestalt der Wandelung gerade nicht erlaubte. Auf eine teilweise fehlende Erfüllung, die ihr bei Vorliegen der Verzugsvoraussetzungen u.U. eine Rücktrittsmöglichkeit eröffnen würde (vgl. Palandt/Heinrichs, § 459 Rdnr. 5 a.E.), kann sich die Bekl. nicht berufen, weil - wie aus den vorstehenden Gründen hervorgeht -, die Kl. die ihr obliegende Lieferverpflichtung vollständig erfüllt hat.

Das angefochtene Urteil war daher aufrechtzuerhalten, soweit die Bekl. zur Zahlung des vereinbarten Kaufpreises verpflichtet worden ist.

Rechtsgebiete

Kaufrecht; Verbraucherschutzrecht

Normen

BGB §§ 326, 346, 433, 459, 462, 465, 467, 478