CD-ROM als neue Nutzungsart

Gericht

KG


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

30. 07. 1999


Aktenzeichen

5 U 3591/99


Leitsatz des Gerichts

Wurde ein Vertrag zwischen Plattenfirma und Musiker geschlossen, der die zeitlich unbegrenzte und beliebige Verbreitung von Schallaufnahmen wie LP's und Musikkassetten erlaubt, so gilt diese Vereinbarung nicht automatisch auch für danach entwickelte Medien (hier: CD's).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Ast. ist Musiker und Tonträgerhersteller und führt den Künstlernamen X. Die Ag. verwertet Schallaufnahmen des Ast. Sie ist Rechtsnachfolgerin der Y GmbH, wobei auch der Ast. davon ausgeht, daß auf sie auch die Rechte einer „Z GmbH“ übergegangen sind. Die Parteien streiten um die Befugnis der Ag., alte Schallplattenaufnahmen des Ast. auf CD-Tonträgern zu verwerten. Am 18.6.1979 schlossen der Ast. und die Y GmbH einen Vertrag, demzufolge der Ast. der GmbH das Recht übertrug, Schallaufnahmen von ihm auszuwerten, und zwar weltweit exklusiv und zeitlich unbegrenzt in jeder beliebigen Weise. Auf der Grundlage dieses Vertrags überließ der Ast. der Y GmbH u.a. die von ihm hergestellten Schallaufnahmen „A“, an deren Herstellung er auch künstlerisch mitgewirkt hatte und die sich aus elf Einzeltiteln zusammensetzten. Zwischen dem Ast. und der Y GmbH kam es in den Jahren 1984 und 1985 zu einem Schriftwechsel, der die Frage betraf, inwieweit Aufnahmen des Ast. auf CD verwertet werden durften. Ende November 1998 erfuhr der Ast., daß die Ag. gegenüber einem Tonträgerunternehmen „R“ die Veröffentlichung von A auf CD lizenziert und zur Veröffentlichung freigegeben hatte. Die Auslieferung der gepreßten CDs kann jederzeit erfolgen. Der Ast. hat am 19.1.1999 eine einstweilige Verfügung erwirkt, mit der der Ag. bei Vermeidung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt worden ist, Schallaufnahmen aus der Tonträgerproduktion A als CD-Tonträger zu vervielfältigen und/oder zu verbreiten und/oder vervielfältigen und verbreiten zu lassen. Gem. dem angefochtenen Urteil hat das LG die einstweilige Verfügung bestätigt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Ag.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen

Die Berufung der Ag. kann keinen Erfolg haben. Dem Ast. steht ein im Wege der einstweiligen Verfügung sicherbarer Anspruch aus § 97 Abs. 1 UrhG auf Unterlassung der vorgesehenen Verbreitung von A auf CDs zu. Dieser Anspruch richtet sich auch gegen die Ag. Allerdings hat diese das aus § 85 Abs. 1 Satz 1 und aus § 75 Abs. 2 UrhG folgende ausschließliche Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht des Ast. als Hersteller und mitwirkender Künstler noch nicht dadurch verletzt, daß sie einem Dritten (R) die Vervielfältigung und Verbreitung dieser Schallaufnahmen auf CD-Tonträgern gestattet hat. Durch die bloße Lizenzierung greift die Ag. noch nicht in die Rechte des Ast. ein (vgl. BGH NJW 1999, 1966 f. - Hunger und Durst).

Da es demgemäß bisher zu einer Verletzung der Urheberrechte des Ast. nicht gekommen ist, kann auch keine Wiederholungsgefahr vorliegen. Der Anspruch besteht jedoch unter dem Gesichtspunkt der Erstbegehungsgefahr. Denn die Auslieferung von Tonträgern könnte, wenn der Titel nicht bestünde oder wegfiele, sofort erfolgen. An der vorbereiteten Verbreitung von A auf CD wirkt die Ag. mit. Eine Erstbegehungsgefahr besteht auch unter dem Gesichtspunkt, daß sich die Ag. vehement des Rechts berühmt, die Schallaufnahme auf CD verbreiten zu dürfen.

Dieses Recht steht der Ag. aber gerade nicht zu. Weder hat es ihr der Ast. ausdrücklich eingeräumt, noch ist das Recht der Verwertung der Schallaufnahme auf CD in dem Recht, die Schallaufnahme auf LP/MC zu verbreiten, enthalten. Denn die Verwertung auf CD stellt sich als eine im Verhältnis zur Verbreitung auf LP/MC neue Nutzungsart dar, die bei Abschluß des Vertrags v. 18.6.1979 noch unbekannt war.

Wie das LG zutreffend dargelegt hat, ist eine Rechteübertragung durch das Schreiben v. 22.10.1985 selbst dann nicht erfolgt, wenn man mit den Parteien unterstellt, daß die Ag. Rechtsnachfolgerin der Y GmbH ist. Denn im 3. Absatz dieses Schreibens wird gerade nicht um eine Zustimmung zur Auswertung auf CD-Tonträgern gebeten, sondern um Zustimmung zu einem bestimmten Vergütungs- und Abrechnungsmodus. Der Verfasser dieses Schreibens war ersichtlich der Auffassung, daß das Recht zur Auswertung auf CD-Tonträgern bereits aufgrund der alten Verträge eingeräumt worden war. Sonst hätte es nahegelegen, auch die Zustimmung zur Verwertung auf CD-Tonträgern selbst ausdrücklich zu erbitten. Aus dem von der Ag. selbst eingereichten Begleitschreiben des Ast. folgt auch zweifelsfrei, daß sich seine Zustimmung nur auf den Sampler „W“ bezog und den hier streitgegenständlichen Sampler A gar nicht betraf. Dies gilt auch angesichts des Umstands, daß zu den Titeln, die unter der Bezeichnung A veröffentlicht werden sollen - und auf LP/MC veröffentlicht worden sind - auch ein Titel „W“ auftaucht. Selbst wenn dieser Titel mit einem Ausschnitt aus dem Sampler „W“ identisch sein sollte, kann von der Übertragung eines Auswertungsrechts für CD-Tonträger durch das Schreiben v. 22.10.1985 für den gesamten Sampler A nicht die Rede sein.

Daraus, daß der Ast. der Ag. die Rechte zur Verwertung der Aufnahme A als CD nicht ausdrücklich erteilt hat, folgt letztlich sein Unterlassungsanspruch. Denn von der Rechteübertragung gem. dem Vertrag v. 18.6.1979 sind die „CD-Rechte“ an dem Werk nicht betroffen. Entgegen der Auffassung der Ag. handelt es sich bei der Auswertung der Schallaufnahme mittels CD um eine andere Nutzungsart als die Auswertung per LP/MC, so daß sie durch den Vertrag von 1979 insoweit keine Rechte erhalten hat. Die Nutzungsart „CD“ war 1979 noch unbekannt. Sie ist erst Anfang der 80er Jahre in das Bewußtsein der Öffentlichkeit geraten. Unter Nutzungsart ist nach allgemeiner Ansicht die nach der Verkehrsauffassung als solche hinreichend klar abgrenzbare, wirtschaftlich-technisch als einheitlich und selbständig sich abzeichnende konkrete Art und Weise der Nutzung zu verstehen (vgl. BGH GRUR 1992, 300 - Taschenbuchlizenzen; Schricker, UrhR, 2. Aufl., §§ 31, 32 Rdnr. 7; Fromm/Nordemann/Hertin, UrhR, 9. Aufl., §§ 31, 32 Rdnr. 6). Es kann hier letztlich offen bleiben, ob die CD sich - wofür jedoch vieles spricht - aufgrund der ihr innewohnenden Möglichkeiten von Anfang an als neue Nutzungsart im Vergleich zu LP/MC dargestellt hat oder ob sie es erst durch die tatsächliche Möglichkeit, sie multimedial einzusetzen, Anfang der 90er Jahre geworden ist. Es ist darauf hinzuweisen, daß in der mündlichen Verhandlung vom 30.7.1999 auch die Vertreter der Ag. eingeräumt haben, daß durch die interaktive Kommunikation, welche die CD heute ermöglicht, etwas Neues entstanden ist. Der Senat verkennt nicht, daß allein die digitale Aufnahmetechnik noch nicht zu einer neuen Nutzungsart führt, da digitale Aufnahmen auch auf Vinylplatten ausgewertet werden können. Auch der Bereich des Internet ist nicht geeignet, die CD als neue Nutzungsart gegenüber LP/MC abzusetzen. Es braucht letztlich auch nicht entschieden zu werden, ob die Unterschiede im Format schon ausreichen, um eine neue Nutzungsart anzunehmen. Dies könnte man bejahen, da auch die Verwertung als Taschenbuch eine neue Nutzungsart im Verhältnis zum Hardcoverbuch darstellt. Es ist ferner darauf hinzuweisen, daß die CD andere Abspielgeräte benötigt als LP oder MC. Insoweit ist daran zu erinnern, daß für die Abspielung eines Videofilms andere Abspielgeräte erforderlich sind als für die Vorführung eines Schmalfilms. Der Senat übersieht nicht, daß die Frage, ob die Verwertung von Schallaufnahmen auf CDs als neue Nutzungsart anzusehen ist, in der Rechtsprechung und der Literatur umstritten ist. Für die Anerkennung einer neuen Nutzungsart hat sich ohne nähere Begründung das OLG Düsseldorf (NJW-RR 1996, 420) ausgesprochen. Dieselbe Auffassung vertritt Hertin, in: Fromm/Nordemann, a.a.O., §§ 31, 32 Rdnr. 18. Gegen die Annahme einer neuen Nutzungsart haben sich das LG Hamburg (MMR 1998, 44) und das LG Köln im U. v. 20.12.1995 - 23.0.461/94 ... ausgesprochen. Auch diese Auffassung hat in der Literatur Anhänger gefunden (vgl. von Gamm, Urheber- und urhebervertragsrechtliche Probleme des digitalen Fernsehens, ZUM 1994, 591, 593; Reber, Digitale Verwertungstechniken - neue Nutzungsarten ..., GRUR 1998, 792, 796; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rdnr. 551).

Nach der Rechtsprechung des BGH (ZUM 1997, 128, 130 - Klimbim) ist eine Nutzungsart i.S.d. § 31 Abs. 4 UrhG eine konkrete technisch und wirtschaftlich eigenständige Verwendungsform des Werks (vgl. BGHZ 95, 274, 283 - GEMA-Vermutung I). Die Vorschrift des § 31 Abs. 4 hat den Zweck, zu verhindern, daß dem Urheber Mehrerträgnisse vorenthalten werden, die sich aus neuen technischen Entwicklungen ergeben. Sie soll jedoch nicht mit ihrer strengen Rechtsfolgenanordnung der Unwirksamkeit die wirtschaftlich-technische Fortentwicklung der Werksnutzungen behindern. Der besondere Schutz des Urhebers nach § 31 Abs. 4 UrhG setzt voraus, daß es um eine neu geschaffene Nutzungsart geht, die sich von den bisherigen so sehr unterscheidet, daß eine Werkverwertung in dieser Form nur aufgrund einer neuen Entscheidung des Urhebers in Kenntnis der neuen Nutzungsmöglichkeiten zugelassen werden kann. Dies ist nicht der Fall, wenn eine schon bisher übliche Nutzungsmöglichkeit durch den technischen Fortschritt erweitert und verstärkt wird, ohne sich dadurch aus der Sicht des Endverbrauchers, deren Werknutzung durch das System der Verwertungsrechte letztlich erfaßt werden soll, in ihrem Wesen entscheidend zu verändern (BGH, a.a.O. - Klimbim). Nach Auffassung des Senats liegt hier eine neue Nutzungsart vor. Die CD ist nicht nur ein technisch überlegenes Substitutionsprodukt im Verhältnis zu LP/MC. Bereits oben ist darauf hingewiesen worden, daß die CD kleiner im Format ist und nicht mittels eines Plattenspielers abgespielt werden kann, vielmehr ist der Erwerb eines CD-Players bzw. eines PC erforderlich. Die CD ist auch weniger empfindlich als herkömmliche Vinylschallplatten und ermöglicht längere Laufzeiten. Die CD weist eine bessere Klangqualität auf und bietet insbesondere bei ihrer Nutzung im PC Zugriffsmöglichkeiten an, die letztlich zu einer neuen Dimension des Hörens vor allem von Musikwerken führen. Durch die Spurlegung ist die Suche nach einzelnen Sätzen, Liedern, ja sogar Takten auf der CD im Vergleich zur Vinylplatte wesentlich erleichtert. Durch das Zählwerk kann nämlich sogar taktgenau auf das Musikstück zurückgegriffen werden. Dies ermöglicht z.B., Themen gezielt herauszusuchen und so Musikwerke bewußter anhören zu können. Insoweit weist auch die Musik-CD ebenso wie die CD-ROM verbesserte Recherchemöglichkeiten auf (vgl. dazu OLG Hamburg ZUM 1999, 78). Dabei übersieht der Senat nicht, daß sich dieser Vorteil nicht von der CD als solcher ableitet, sondern von dem ihr innewohnenden Programmierplus. Die besonderen Funktionalitäten einer Musik- oder Literatur-CD geben ihr besonderes Gepräge und rechtfertigen die Annahme einer neuen Nutzungsart (vgl. Hoeren, Anm. zum Urteil des OLG Hamburg MMR 1999, 229 f.). Dies wird besonders deutlich, wen man berücksichtigt, daß die auf einer CD gespeicherten digitalen Daten mit Hilfe des Computers und entsprechender Software direktem Zugriff zugänglich sind. Dies bedeutet, daß eine Musik-CD mit Hilfe von MIDI und Notensatzprogrammen die Möglichkeit bietet, die erklingende Musik graphisch, d.h. als Oszillogramm, als Farben oder sogar in herkömmlicher Notation darzustellen. Zwar ist mit der heutigen Technik dies nur für einfache Musikstücke mit wenigen Stimmen und noch nicht für komplexe Partituren möglich, doch auf den Stand der Technik, der fraglos weiter verbessert wird, kann es für eine Abgrenzung einer Nutzungsart nicht ankommen. Schon jetzt ist es möglich, mit einem Computer auf CD gespeicherte Musik zu mischen, zu filtern oder zu verändern, also z.B. Stimmen herauszufiltern oder zu ersetzen, das gesamte Musikstück zu transponieren, bei der Wiedergabe zu verzerren, Höhen oder Tiefen herauszunehmen, Passagen hervorzuheben oder auch andere Musikstücke hinzuzufügen. Durch die digitale Speicherung eines immensen Datensatzes ist es möglich, die Daten jederzeit zu verändern.

Damit ist eine interaktive Kommunikation möglich und ein multimediales System geschaffen, das nicht mehr als bloßes Nachfolgeprodukt der Vinylschallplatte oder MC, die im übrigen immer noch ihren Markt haben, angesehen werden kann. Im Hinblick auf § 31 Abs. 4 UrhG erweist sich somit die Nutzung des Werks A durch die Ag. als von der ihr eingeräumten Lizenz nicht gedeckt. Da die Auslieferung der bereits gepreßten CDs jederzeit möglich ist, kann an dem Vorliegen eines Verfügungsgrunds (§ 940 ZPO) kein Zweifel bestehen. ...

Vorinstanzen

LG Berlin

Rechtsgebiete

Urheberrecht

Normen

UrhG § 31 Abs. 4