Aufwendungen getrennt lebender Eltern für Pflege des Kontaktes zu ihren Kindern nicht absetzbar

Gericht

BFH


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

28. 03. 1996


Aktenzeichen

III R 208/94


Leitsatz des Gerichts

  1. Aufwendungen, die zur Ausübung des Besuchsrechts des nicht sorgeberechtigten Elternteils nach § 1634 BGB gemacht werden, sind nicht außergewöhnlich i.S.d. § 33 Abs. 1 EStG, sondern durch die Regelungen des Kinderlastenausgleichs abgegolten.

  2. Die steuerliche Behandlung von ihren Kindern getrennt lebender Eltern nach Abschaffung des Freibetrages für die Pflege des Eltern-Kind-Verhältnisses gem. § 33a Abs. 1a EStG a.F. und die Abgeltung der Mehraufwendungen eines geschiedenen oder getrennt lebenden Elternteils durch den Kinderfreibetrag sind mit höherrangigem Recht vereinbar.

  3. Ein Kläger kann für das Gericht bindend seine materiellrechtlichen Rügen auf bestimmte Streitpunkte beschränken und die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides im übrigen nicht der Prüfung des Gerichts unterstellen, wenn die Steuerfestsetzung insoweit nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig ist; das gilt auch dann, wenn wegen der Vereinbarkeit des in seinem Fall anzuwendenden Steuergesetzes mit höherrangigem Recht ein Verfahren beim BVerfG nicht anhängig ist.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die beiden Kinder des Kl. aus geschiedener Ehe leben bei ihrer Mutter in einer anderen Stadt. Der Kl. begehrte den Abzug von Fahrt- und Telefonkosten, die ihm für die Pflege des Kontaktes zu seinen Kindern entstanden waren. Das FA erkannte die Aufwendungen in dem u.a. wegen der dem Kl. gewährten (halben) Kinderfreibeträge vorläufigen Steuerbescheid nicht als außergewöhnliche Belastung an.

Die dagegen gerichtete Klage blieb erfolglos. Der BFH bestätigte das Urteil des FG.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die vom Kl. für die Aufrechterhaltung des Kontaktes zu seinen Kindern aufgewendeten Kosten sind keine außergewöhnlichen Aufwendungen i.S.d. § 33 Abs. 1 EStG.

Nach st. Rspr. des BFH sind Aufwendungen außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen (Zitate). Die typischen Aufwendungen der Lebensführung sind hingegen aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen. Sie sind durch den Grundfreibetrag des § 32a EStG bzw., soweit es sich um familienbedingte Mehraufwendungen handelt, durch die Regelungen des Kinderlastenausgleichs (§ 32 EStG, Bundeskindergeldgesetz) abgegolten.

Zu diesen nicht außergewöhnlichen, sondern bei typisierender Betrachtungsweise abgegoltenen Aufwendungen rechnen nach der Rspr. des BFH im allgemeinen die Kosten für Besuchsfahrten zwischen nahen Angehörigen (BFH in BStBl. II 1990, 894, und in BStBl. II 1990, 895, sowie Urt. des Senats v. 24. 5. 1991, III R 28/89, BFH/NV 1992, 96). Durch die Regelungen über den Kinderlastenausgleich abgegolten sind insb. auch die Kosten von Wochenendfahrten zu dem von einem Elternteil getrennten Kind, die in Erfüllung der elterlichen Pflicht zur Personensorge nach §§ 1601 , 1603 , 1612 BGB unternommen werden (BFH/NV 1992, 172, und v. 29. 8. 1986, III R 209/82, BStBl. II 1987, 167, m.w.N.). ...

Nach den Grundsätzen dieser Rspr. sind auch Aufwendungen, die - wie hier - nicht zur Wahrnehmung der Personensorge, sondern zur Ausübung des Besuchsrechts des nicht sorgeberechtigten und -verpflichteten Elternteils nach § 1634 BGB gemacht werden, nicht außergewöhnlich i.S.d. § 33 Abs. 1 EStG. Denn sie sind - ungeachtet der im Einzelfall entstehenden Aufwendungen - ebenfalls durch die Regelungen des Kinderlastenausgleichs abgegolten, die nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG auch dem nicht mit seinen Kindern zusammen lebenden, barunterhaltspflichtigen Elternteil zugute kommen. Diese Abgeltungswirkung wird in der Begründung zum Entwurf des StRG 1990 (BGBl. I 1988, 1093) ausdrücklich angesprochen. Durch dieses Gesetz ist der durch § 33a Abs. 1a EStG a.F. gewährte Freibetrag abgeschafft worden, der durch das StÄndG 1977 (BGBl. I 1977, 1586) eingeführt worden war und Aufwendungen zur Pflege des Eltern-Kind-Verhältnisses pauschal abgelten sollte, welche insb. einem geschiedenen Elternteil, dem ein aus der Ehe hervorgegangenes Kind gem. § 32 Abs. 7 EStG nicht zugeordnet ist, oftmals z.B. durch Besuche bei seinem Kind oder sonstige Arten der "Kontaktpflege" entstehen. ...

2. Die vom Gesetzgeber vorgesehene Abgeltungswirkung des Kinderlastenausgleichs ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. ...

a) Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz folgt zwar nach der Rspr. des BVerfG (vgl. z.B. v. 26. 1. 1994, 1 BvL 12/86, BStBl. II 1994, 307) für das Gebiet des Steuerrechts, daß die Besteuerung insbesondere im Einkommensteuerrecht an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Stpfl. ausgerichtet werden muß. Der Steuergesetzgeber verstößt daher gegen Art. 3 Abs. 1 GG und die grundlegenden Entscheidungen in Art. 1 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG, wenn er unvermeidbare Sonderbelastungen durch Kinder unberücksichtigt läßt, welche die Leistungsfähigkeit der Stpfl. mindern. Er darf solche Aufwendungen für Kinder und Aufwendungen für "private" Bedürfnisse nicht auf eine Stufe stellen. Folglich darf er nach der Rspr. des BVerfG insbesondere nicht auf die Mittel, die für den Unterhalt von Kindern unerläßlich sind, bei der Besteuerung in gleicher Weise zugreifen wie auf Mittel, die der Bürger zur Befriedigung beliebiger anderer Bedürfnisse einsetzen kann. Er muß Unterhaltsaufwendungen für Kinder von der Besteuerung ausnehmen und darf bei der steuerlichen Berücksichtigung zwangsläufiger Unterhaltsaufwendungen nicht realitätsferne Grenzen ziehen (BVerfG-Entscheidungen v. 29. 5. 1990, 1 BvL 20, 26/84 und 4/86, BStBl. II 1990, 653, und in BVerfGE 89, 346, BStBl. II 1994, 307).

b) Aufwendungen für die Kontaktpflege sind indes verfassungsrechtlich nicht den eigentlichen Unterhaltsaufwendungen gleichzustellen. Der Senat hat dementsprechend schon bei dem Freibetrag nach § 33a Abs. 1a EStG darauf hingewiesen, daß dieser kein Unterhaltsfreibetrag sei und nicht an dem verfassungsrechtlichen Gebot der realitätsgerechten Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen gemessen werden könne (Zitate). ...

In welchem Umfang für die Pflege des Eltern-Kind-Verhältnisses Aufwendungen erbracht werden müssen und ob sie überhaupt in einem ins Gewicht fallenden Umfang entstehen, ist ... von Fall zu Fall völlig verschieden und weitgehend von der persönlichen, vielfach auf rein privaten Motiven beruhenden Lebensgestaltung des nicht sorgeberechtigten Elternteils abhängig. ... In welchem Umfang dennoch durch eine steuerliche Entlastung die Pflege des Eltern-Kind-Verhältnisses erleichtert und gefördert werden soll und einer solchen Förderung bedarf, liegt deshalb in erster Linie in der Entscheidung des Gesetzgebers. ...

c) Der Gesetzgeber des StRG 1990 hat die Grenzen des ihm bei alledem zustehenden Regelungsermessens (vgl. z.B. Urt. des Senats v. 14. 1. 1994, III R 194/90, BStBl. II 1994, 429 m.N.) nicht überschritten.

Ohne entscheidende Bedeutung ist, daß Aufwendungen der hier streitigen Art von der Verwaltungspraxis als nicht durch den Sozialhilfe-Regelsatz abgegolten angesehen werden mögen und dem Hilfebedürftigen grundsätzlich einen Anspruch auf die Übernahme solcher Kosten im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 12 Abs. 1 BSHG zugebilligt wird (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, v. 19. 12. 1994, 24 A 3424/93, NJW 1991, 190, und Hamburgisches OVG v. 28. 4. 1989, Bf IV 8/89, FamRz 1989, 1356, Hamburger Justizverwaltungsblatt 1990, 44).

Nach der Rspr. des BVerfG und des Senats (vgl. z.B. Entscheidungen des BVerfG v. 14. 6. 1994, 1 BvR 1022/88, BStBl. II 1994, 909, und des Senats v. 16. 7. 1993, III R 206/90, BStBl. II 1993, 755) kommt den durchschnittlichen Sozialhilfeleistungen allerdings maßgebliche Bedeutung bei der Bestimmung des notwendigen Existenzminimums zu, weil sie als verbrauchsbezogen ermittelte Größe Aufschluß darüber geben, welche Mittel nach fachkundiger Einschätzung zur Deckung des lebensnotwendigen Bedarfs erforderlich sind. Um die Bestimmung des Existenzminimums geht es hier indes nicht. ...

3. Ob der Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG, insb. seiner Höhe nach, zu verfassungsrechtlichen Einwänden Anlaß gibt (vgl. dazu Senatsbeschl. v. 26. 10. 1994, III B 19/93, BStBl. II 1995, 373, sowie Herden, DStZ 1994, 385, und Brockmeyer, DStR 1995, 875), ist in diesem Verfahren nicht zu entscheiden. Denn der Kl. hat den wegen des Kinderfreibetrages vorläufigen ESt-Bescheid insoweit nicht angegriffen und damit zu erkennen gegeben, daß er eine Entscheidung über die Abzugsfähigkeit seiner Kontaktpflegeaufwendungen als außergewöhnliche Belastungen ungeachtet einer Prüfung seiner Besteuerung unter dem Gesichtspunkt der Verfassungsmäßigkeit des Kinderfreibetrages erstrebt. Ein abteilbarer Streitgegenstand ist damit zwar nicht bezeichnet (vgl. Senatsbeschl. v. 7. 2. 1992, III B 24, 25/91, BStBl. II 1992, 408); auch eine "Teilanfechtung" eines ESt-Bescheides nur unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des § 33 EStG ist angesichts der Verpflichtung des Gerichts, die Streitsache im Rahmen des Klagebegehrens (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) unter allen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, nicht möglich. Gleichwohl ist der Senat an die vom Kl. vorgenommene Beschränkung seiner materiell-rechtlichen Rügen nach den in dem Urteil des Senats vom 7. 2. 1992, III R 61/91 (BStBl. II 1992, 592) dargestellten Überlegungen gebunden. Ebenso wie der Stpfl. unter den dort aufgestellten Voraussetzungen gegen das FA einen Anspruch auf Vorläufigerklärung des gegen ihn ergangenen Steuerbescheides hat, um eine baldige gerichtliche Klärung von dessen Rechtmäßigkeit im Hinblick auf andere Streitpunkte erlangen zu können, muß ihm nämlich im Rahmen seiner Mitwirkungsrechte im gerichtlichen Verfahren die Befugnis zugestanden werden, bestimmte Voraussetzungen für die Entstehung der streitigen Steuer nicht der Prüfung des Gerichts zu unterstellen, wenn die Steuerfestsetzung insoweit nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig ist und der Kl. folglich die Möglichkeit hat, ohne Gefahr eines Rechtsverlustes einstweilen eine etwaige verfassungsrechtliche Klärung in anderen Verfahren abzuwarten. Dieses Recht ist ihm auch dann einzuräumen, wenn wegen der Vereinbarkeit des in seinem Fall anzuwendenden Steuergesetzes mit höherrangigem Recht ein Verfahren beim BVerfG nicht anhängig ist, die in dem Urteil in BStBl. II 1992, 592, aufgestellten Voraussetzungen also insoweit nicht vorliegen; denn auch dann kann der Kl. ein schutzwürdiges Interesse haben, auf die Klärung ihn vorrangig interessierender Streitfragen nicht verzichten zu müssen, bis eine regelmäßig nicht kurzfristig ergehende Entscheidung des BVerfG nach Art. 100 GG eingeholt worden ist.

Rechtsgebiete

Steuerrecht

Normen

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1; EStG § 32 Abs. 6, § 33 Abs. 1, § 33a Abs. 1a; AO § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3; FGO § 96 Abs. 1 Satz 2