Gesteigerte Aufsichtspflicht bei Zündelneigung

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

27. 02. 1996


Aktenzeichen

VI ZR 86/95


Leitsatz des Gerichts

Es stellt eine Verletzung der elterlichen Aufsichtspflicht dar, ein Kind, welches schon mehrfach durch Neigung zum Zündeln aufgefallen ist, für mehrere Stunden unbeaufsichtigt im Freien spielen zu lassen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. verlangt Schadensersatz wegen des Brandes ihres Werkstattgebäudes am 6. 10. 1992. An diesem Tag spielten der damals knapp 10jährige Erstbekl., dessen alleinerziehende Mutter die Zweitbekl. ist, und der einige Monate ältere Drittbekl. im Hof des Werkstattgebäudes mit Streichhölzern. Gegen 17.00 Uhr setzte der Erstbekl. das Papierlager an der Außenseite des Werkstattgebäudes in Brand, wobei die Beteiligung des Drittbekl. streitig war. Bei dem Brand wurde das gesamte Materiallager der Kl. zersört. Die Kl. ist von ihrer Versicherung nur für den Gebäudeschaden entschädigt worden. sie hat von den Bekl. - darunter auch den Eltern des Drittbekl. als den Bekl. zu 4 und 5 - Ersatz des durch den Brand zerstörten Materials verlangt, dessen Wert sie aufgrund eines Sachverständigengutachtens mit 430922,18 DM beziffert hat. Sie hat behauptet, der Erst-und der Drittbekl. hätten den Brand gemeinsam verursacht und seien ihr deshalb zum Ersatz verpflichtet, weil sie über die erforderliche Einsichtsfähigkeit verfügt hätten. Daneben treffe die Zweitbekl. sowie die Eltern des Drittbekl. eine Haftung wegen Verletzung der Aufsichtspflicht, weil ihnen die Zündelneigung der Kinder bekannt gewesen sei.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen, weil es beim Erstbekl. an der erforderlichen Einsichtsfähigkeit fehle, während der Zweitbekl. keine Verletzung der Aufsichtspflicht vorzuwerfen und eine Beteiligung des Drittbekl. an der Brandstiftung nicht erwiesen sei. Mit der Revision verfolgt die Kl. ihr Begehren gegen den Erstbekl. und die Zweitbekl. weiter. Der Senat hat nur die gegen die Zweitbekl. gerichtete Revision angenommen. Das Rechtsmittel führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat eine Haftung der Zweitbekl. mit der Begründung verneint, daß sie zwar aufgrund der Personensorge für den Erstbekl. eine gesteigerte Aufsichtspflicht getroffen habe, weil sie aufgrund zahlreicher Zündeleien dessen verhängnisvolle Neigung zum Umgang mit Feuer gekannt habe. Diese Pflicht habe sie jedoch nicht verletzt, weil sie mit mehrfachen nachhaltigen Ermahnungen und sogar dem Besuch einer psychologischen Beratungsstelle das ihr Mögliche und Zumutbare getan habe, um der Zündelneigung entgegenzuwirken. Ihr könne auch nicht vorgeworfen werden, daß der Erstbekl. am Nachmittag des 6. 10. 1992 zwischen 14.30 Uhr und 17.30 Uhr ohne Aufsicht gewesen sei. Auch bei einem psychisch gestörten Kind im Alter des Erstbekl. könne vom Aufsichtspflichtigen keine ständige Kontrolle verlangt werden. Eine solche Überwachung „auf Schritt und Tritt“, die jederzeit sofortiges Eingreifen ermögliche, sei einer vernünftigen Entwicklung eher abträglich (BGH, NJW 1984, 2574). Zudem sei ein Verbot, ohne die Aufsicht Erwachsener im Freien zu spielen, für die berufstätige Zweitbekl. kaum durchführbar und bei dem bereits zu aggressivem Verhalten neigenden Erstbekl. auch kaum durchsetzbar gewesen. Nur ein solches Verbot, das weitgehend mit einem „Einsperren“ des Erstbekl. gleichbedeutend sei, hätte jedoch die Verursachung des Brandes verhindern können.

II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand. Die Revision rügt zu Recht, daß das BerGer. an die Überwachungspflicht der Zweitbekl. zu geringe Anforderungen gestellt und vor allem die besondere und der Zweitbekl. auch bekannte Veranlagung des Erstbekl., nämlich seine Zündelneigung, nicht hinreichend berücksichtigt habe.

1. Der erkennende Senat hat mehrfach ausgesprochen, daß an die Pflicht zur Aufsicht über Kinder sowohl hinsichtlich der Belehrung über die Gefahren des Feuers als auch der Überwachung eines möglichen Umgangs mit Zündmitteln strenge Anforderungen zu stellen sind (zuletzt Senat, NJW 1995, 3385 = LM H. 2/1996 § 832 BGB Nr. 20 m. zahlr. Nachw.). Dem liegt die Erfahrung zugrunde, daß nicht selten durch Kinder Brände mit erheblichen Schäden verursacht werden. Dieses Risiko, welches für Dritte von Kindern ausgeht, soll nach dem Grundgedanken des § 832 BGB in erster Linie von den Eltern getragen werden, denen es eher zumutbar ist als dem außenstehenden Geschädigten, und die überdies als Sorgeberechtigte und Erziehungsverpflichtete auch die Möglichkeit haben, in der gebotenen Weise auf ihr Kind einzuwirken.

Hiervon geht im Grundsatz auch das BerGer. aus, wenn es der Zweitbekl. im Hinblick auf die Zündelneigung des Erstbekl. eine gesteigerte Aufsichtspflicht auferlegt, wie sie sich nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats stets dann ergibt, wenn Minderjährige zu üblen Streichen oder Straftaten neigen (Senat,NJW 1980, 1044 = LM § 832 BGB Nr. 12 = VersR 1980, 278 (279); NJW 1995, 3385 = LM H. 2/1996 § 832 BGB Nr. 20). Soweit das BerGer. auf dieser Grundlage im Hinblick auf die Belehrungspflicht der Zweitbekl. deren Bemühungen für ausreichend hält, die Zündelneigung des Erstbekl. durch wiederholte Ermahnungen und sogar den Besuch einer psychologischen Beratungsstelle zu bekämpfen, sind seine Ausführungen nicht zu beanstanden. Auch die Revision erhebt insoweit keine Einwendungen.

2. Mit Recht wendet sie sich jedoch gegen die Auffassung des BerGer., es könne der Zweitbekl. nicht vorgeworfen werden, daß sie den Erstbekl. im Zeitpunkt des Vorfalls mehrere Stunden unbeaufsichtigt im Freien haben spielen lassen. Dieses Verhalten ist mit den Anforderungen an eine gesteigerte Aufsichtspflicht, wie sie das Verhalten des Erstbekl. erforderlich gemacht hat und wie sie vom BerGer. im Grundsatz auch bejaht wird, nicht zu vereinbaren.

Der erkennende Senat hat mehrfach - zuletzt im Senatsurteil vom 10. 10. 1995 (NJW 1995, 3385 = LM H. 2/1996 § 832 BGB Nr. 20) - dargelegt, daß sich der Umfang der gebotenen Aufsicht nach Alter, Eigenart und Charakter des Minderjährigen richtet. Dabei kann zwar eine Überwachung auf Schritt und Tritt und eine regelmäßige Kontrolle, etwa in halbstündigen Abständen, bei einem normal entwickelten Kind im Alter des Erstbekl. unangemessen sein, wie dies der Senat im Urteil vom 10. 7. 1984 (NJW 1984, 2574 (2575) = LM § 832 BGB Nr. 15 = VersR 1984, 968 (969)) für 7-8jährige Kinder ausgeführt hat. Dieser Maßstab darf jedoch nur auf normal entwickelte Kinder Anwendung finden, bei denen vorauszusetzen ist, daß sie sich den Belehrungen der Erziehungsberechtigten nicht grundsätzlich verschließen, die Erfahrungen des Lebens mit seinen Gefahren in sich aufnehmen und ihr Verhalten im allgemeinen altersentsprechend danach ausrichten. Das hat das BerGer. verkannt. Nach den tatsächlichen Feststellungen, die es zur Einsichtsfähigkeit des Erstbekl. getroffen hat, war dieser im Zeitpunkt des Vorfalls aufgrund seiner besonderen psychischen Situation nicht in der Lage, die Gefährlichkeit des Zündelns zu erkennen und die ihm insoweit erteilten Ermahnungen und Belehrungen zu beachten. Daß unter diesen Umständen zum Schutz von Dritten eine besondere Überwachung geboten war, liegt auf der Hand, zumal sich die Zweitbekl. ja der besonderen Intensität der Zündelneigung bewußt war und dieserhalb sogar eine psychologische Beratungsstelle aufgesucht hat.

Deshalb stellt es eine Verletzung der Aufsichtspflicht dar, daß sie den Erstbekl. für mehrere Stunden unbeaufsichtigt im Freien hat spielen lassen. Die besondere Veranlagung des Kindes, welche das BerGer. insoweit zutreffend erkannt hat, machte nämlich eine mehr oder weniger ständige unmittelbare Kontrolle seines Verhaltens erforderlich, wie der erkennende Senat dies im Urteil vom 10. 10. 1995 (NJW 1995, 3385 = LM H. 2/1996 § 832 BGB Nr. 20) für den insoweit vergleichbaren Fall eines geistig zurückgebliebenen, durch Aggressivität aufgefallenen 9jährigen Kindes ausgeführt hat. Das BerGer. kann sich für seine Auffassung, eine derartige Kontrolle sei einer vernünftigen Entwicklung des Kindes eher abträglich, nicht auf das Senatsurteil vom 10. 7. 1984 (NJW 1984, 2574 (2575) = LM § 832 BGB Nr. 15 = VersR 1984, 968 (969)) stützen, da die dortigen Erwägungen ausdrücklich nur für Kinder ohne solche besondere und gefährliche Veranlagung gelten, während vorliegend die durch die Zündelneigung erhöhte Gefahr für Dritte strengere Maßstäbe erforderlich macht.

Die hieraus folgende Verpflichtung zu einer engmaschigen Überwachung des Erstbekl. war entgegen der Auffassung des BerGer. auch zumutbar. Zwar verkennt der Senat nicht, daß eine Beaufsichtigung dieses Umfangs im praktischen Leben - zumal durch einen berufstätigen und alleinerziehenden Elternteil - nur schwer zu realisieren ist. Wie der Senat jedoch im Urteil vom 10. 10. 1995 ausgeführt hat, wird sie hierdurch nicht unzumutbar. Vielmehr richtet sich die Zumutbarkeit von Aufsichtsmaßnahmen stets nach dem Ausmaß der Gefahr, die außenstehenden Dritten durch Eigenart und Charakter des Kindes droht, so daß außergewöhnliche Gefahren wie vorliegend die starke Zündelneigung des Erstbekl. ein außergewöhnliches Maß an Aufsicht erfordern. Deshalb oblag es der Zweitbekl., diesen Gefahren durch eine genügende Aufsicht zu begegnen und sie auch gegenüber dem Erstbekl. durchzusetzen. Insoweit ist in Übereinstimmung mit dem Senatsurteil vom 10. 10. 1995 nochmals darauf hinzuweisen, daß es wegen des in § 832 BGB zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willens nicht angeht, dieses besondere Schadensrisiko dem Geschädigten aufzubürden. Im übrigen hatte die Zweitbekl. die Möglichkeit, dieses Risiko zu versichern, was vorliegend auch geschehen ist.

Rechtsgebiete

Schadensersatzrecht

Normen

BGB § 832